JudikaturJustiz9Ob68/06z

9Ob68/06z – OGH Entscheidung

Entscheidung
11. August 2006

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling, Dr. Hradil, Dr. Hopf und Univ. Doz. Dr. Bydlinski als weitere Richter in der Kindschaftssache der Antragstellerin Barbara H*****, vertreten durch Holter - Wildfellner Rechtsanwälte GmbH in Grieskirchen, über den Revisionsrekurs der Antragstellerin gegen den Beschluss des Landesgerichts Linz als Rekursgericht vom 31. März 2006, GZ 15 R 411/05z-11, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Linz vom 27. Oktober 2005, GZ 3 Nc 26/05k-7, teilweise bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung:

Die Antragstellerin beantragte mit Eingabe vom 7. September 2005, die Adoption ihres Sohnes mit rückwirkender Kraft zu widerrufen, die Wahlkindschaft gerichtlich aufzuheben bzw. die Nichtigkeit der Adoption ihres Sohnes festzustellen. Sie habe sich sowohl vor als auch nach der Geburt ihres Kindes in einer psychischen Ausnahmesituation befunden. Der Vater des Kindes habe sie, als er von der Schwangerschaft erfahren habe, verlassen. Die Schwangerschaft habe sie vor ihrer Familie und ihrem Arbeitgeber verschwiegen. Sie sei am 27. September 2004 in die Landesfrauenklinik in Linz eingeliefert worden, wo man sie bei ihrer Aufnahme von der Möglichkeit einer anonymen Geburt in Kenntnis gesetzt habe. Bei der Geburt habe es Komplikationen gegeben. Noch im Kreißsaal habe sie eine Mitarbeiterin der Jugendwohlfahrt aufgesucht und mit ihr über eine Adoption gesprochen. Sie habe weder schriftliches Informationsmaterial erhalten noch seien ihr Alternativen zur Adoption aufgezeigt worden. Sie sei wegen ihres Alters und der gesamten Umstände während der Schwangerschaft und der Geburt nicht geschäftsfähig und auch nur eingeschränkt zurechnungsfähig gewesen. Ihre Zustimmung zur Adoption sei durch das listige Verhalten der Vertreterin des Jugendwohlfahrtsträgers unter Ausnützung ihrer Zwangslage veranlasst worden.

Das Erstgericht wies die Anträge zurück. Bei einer anonymen Geburt sei das Verfahren zur Bewilligung der Annahme an Kindesstatt unter Einbeziehung der Eltern nicht möglich. Eine förmliche Zustimmung der Eltern zur Adoption wäre sinnwidrig. Wenn Mütter wegen einer Notsituation ihr Kind einer Einrichtung mit dem Ziel übergeben, dass für das Kind bestmöglich gesorgt werde, insbesondere, dass eine qualifizierte Adoptionsvermittlung stattfinde, stelle das Überlassen für sich alleine schon die konkludente Zustimmung zur Adoption dar. Diese „Blanko-Zustimmung" umfasse auch eine Verzichtserklärung nach § 259 AußStrG aF. Die der Sache nach beantragte Wiederaufnahme des Verfahrens sei nach dem auf den vorliegenden Fall anzuwendenden alten AußStrG nicht möglich.

Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und erklärte den Revisionsrekurs für zulässig. Bei einer anonymen Geburt sei und bleibe die Identität der Mutter unbekannt. Durch das Zurücklassen des Kindes im Krankenhaus sei dieses rechtlich als Findelkind im Sinne des § 211 ABGB anzusehen. Dadurch werde der Jugendwohlfahrtsträger ispo iure Obsorgeberechtigter und bleibe es, bis das Gericht andere Personen mit der Obsorge betraue. Der Jugendwohlfahrtsträger als gesetzlicher Vertreter sei daher zum Abschluss des Adoptionsvertrags berechtigt. Die Annahme an Kindesstatt sei zwar grundsätzlich nur zu bewilligen, wenn die Eltern des minderjährigen Kindes zustimmen; deren Erklärung sei formgebunden, weshalb eine mündliche Zustimmung anlässlich der Geburt unwirksam sei. Das Zustimmungsrecht entfalle aber, wenn der Aufenthalt der zustimmungsberechtigten Eltern seit mindestens sechs Monaten unbekannt sei. Die Zustimmung einer unbekannten Person zu verlangen sei nicht möglich. Um daher das Recht der Eltern nicht zu umgehen, dürfe die Adoption nach einer anonymen Geburt erst nach Ablauf der Frist von sechs Monaten bewilligt werden. Melde sich die Mutter innerhalb dieses Zeitraums, sei ihre Zustimmung zur Adoption einzuholen. Sie könne daher die Adoption verhindern, indem sie ihre Zustimmung, ohne Angabe von Gründen, nicht erteile. Um die Tragweite der Entscheidung zu begreifen, sei die Frist von sechs Monaten ausreichend. Eine Frist sei auch zum Schutz des Kindeswohls geboten, weil eine menschliche und soziale Eingliederung des Kindes in den Familienverband der Pflege- oder Adoptiveltern eintrete. Wenn aber eine Zustimmung nicht vorliege und auch nicht vorliegen haben müssen, könne sie auch nicht wegen List oder ungerechter und begründeter Furcht binnen Jahresfrist angefochten werden. Einer ausdehnenden Anwendung des Anfechtungstatbestands des § 184a Abs 1 Z 1 ABGB auf jene Fälle, in denen die Mutter das Kind nach einer anonymen Geburt im Krankenhaus zurücklasse, bedürfe es nicht, weil § 185a ABGB die Widerrufsgründe abschließend regle. Diese Vorgehensweise sei verfassungsrechtlich unbedenklich, weil die Interessen der Mutter ausreichend geschützt seien. Die Zurückweisung der Anträge durch das Erstgericht sei berechtigt, weil die Erklärung der Antragstellerin, der Adoption nicht zuzustimmen, verfristet sei. Der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil Judikatur zur Frage der Rechtsstellung der Mutter zur Wiedererlangung ihres Kindes nach einer anonymen Geburt nicht vorliege.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs der Antragstellerin ist zulässig aber nicht berechtigt.

Durch Art II des Bundesgesetzes BGBl I Nr 19/2001 wurde § 197 StGB, der das Verlassen eines Unmündigen unter Strafe gestellt hatte, aufgehoben. Rechtlich wurde Frauen dadurch die anonyme Geburt und die Weglegung des Kindes nach der Geburt in sogenannte „Babyklappen" ermöglicht (vgl auch den Erlass des BMJ JABl 36/2001). Nach den Gesetzesmaterialien (JAB 404 Blg Nr 21. GP) sollen diese Frauen vor der Aufdeckung ihrer Identität sicher sein. Wie das Rekursgericht richtig erkannte, entsteht durch die Übergabe eines Kindes im Wege eines „Babynests" oder durch eine Geburt, bei der die Mutter anonym bleibt, eine Situation, die derjenigen eines Findelkindes entspricht. Nach § 211 ABGB obliegt die Obsorge für im Inland aufgefundene Kinder unbekannter Eltern dem Jugendwohlfahrtsträger.

Die Annahme an Kindesstatt kommt durch schriftlichen Vertrag zwischen dem Annehmenden und dem Wahlkind und durch gerichtliche Bewilligung unter Beachtung des Wohls des Kindes zustande. Das nicht eigenberechtigte Wahlkind schließt den Vertrag durch seinen gesetzlichen Vertreter. Die Eltern des minderjährigen Wahlkindes sind in den Vertrag nicht eingebunden. Sie sind nach § 181 Abs 1 Z 1 ABGB aber insoweit Beteiligte des Verfahrens, als die Adoption idR nur mit ihrer Zustimmung bewilligt werden kann. Das Zustimmungsrecht der Eltern entfällt unter anderem, wenn ihr Aufenthalt seit mindestens sechs Monaten unbekannt ist (§ 181 Abs 2 ABGB); zur Feststellung des unbekannten Aufenthalts sind eingehende zweckdienliche Erhebungen durchzuführen (SZ 73/84). Da nach einer anonymen Geburt die Identität der Eltern bzw. der Mutter unbekannt ist, schließt der Jugendwohlfahrtsträger als gesetzlicher Vertreter des Kindes den Adoptionsvertrag, wobei das Verfahren zur Bewilligung der Annahme an Kindesstatt ohne Beteiligung der Eltern durchgeführt wird. Vor Ablauf der sechsmonatigen Frist darf die Adoption allerdings auch in diesen Fällen nicht bewilligt werden. Sollten die Eltern, insbesondere die Mutter, nach der Überantwortung ihres Kindes im Wege einer Babyklappe oder einer anonymen Geburt den Wunsch haben, doch selbst für ihr Kind zu sorgen, so haben sie sich innerhalb des Zeitraumes von sechs Monaten zu melden; dann ist ihre Zustimmung zur Adoption notwendig, weil die Eltern nicht mehr unbekannt sind. Sie können die Zustimmung verweigern und somit die Adoption verhindern. Dass die Adoption bereits vor Ablauf der Frist von sechs Monaten bewilligt worden wäre, behauptet die Antragstellerin nicht. Die Frage der Anfechtbarkeit einer von der Antragstellerin anlässlich der Geburt abgegebenen Zustimmungserklärung stellt sich nicht; schon das Rekursgericht hat zutreffend dargelegt, dass eine formgültige Erklärung der Mutter (§ 258 AußStrG aF bzw § 86 AußStrG neu) nicht vorliegt. Gegen die Verfassungsmäßigkeit des § 185a ABGB bestehen keine Bedenken. Es steht dem Gesetzgeber durchaus frei, die Prüfung der Rechtswirksamkeit von Statusentscheidungen einem bestimmten Verfahren mit Bindungswirkung gegenüber jedermann zuzuweisen. Dass dadurch nicht in unzumutbarer Weise in die Rechtssphäre dritter Personen eingegriffen wird, ist einerseits durch die Amtswegigkeit des Widerrufsverfahrens nach § 184 ABGB, andererseits durch die Bestimmung des § 184 Abs 2 ABGB gewährleistet (3 Ob 541/80). Den Eltern bzw. der Mutter wird durch die Frist von sechs Monaten ausreichend Zeit gewährt, um sich der Tragweite ihrer ursprünglichen Entscheidung bewusst zu werden und diese nach reiflicher Überlegung gegebenenfalls zu revidieren. Auch im Sinne des Kindeswohls ist eine Fristsetzung dringend geboten, weil das Kind in geregelten und stabilen familiären Verhältnissen aufwachsen soll. Letztlich liefe die Rechtsansicht der Revisionsrekurswerberin darauf hinaus, dass die Mutter auch noch Jahre nach einer anonymen Geburt die Wirksamkeit der Adoption in Frage stellen könnte, was zweifellos mit dem Kindeswohl unvereinbar wäre.

Die Zurückweisung der Anträge der Mutter war somit im Ergebnis zutreffend, weil die Antragstellerin weder nach § 184 ABGB noch nach § 184a ABGB antragslegitimiert ist; ein Antrag auf Feststellung der Nichtigkeit der Adoption ist gesetzlich nicht vorgesehen.

Rechtssätze
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