JudikaturJustiz9Ob37/09w

9Ob37/09w – OGH Entscheidung

Entscheidung
29. Oktober 2009

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling, Dr. Hradil und Dr. Hopf sowie durch die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Glawischnig als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei L***** P*****, Private, ***** vertreten durch Gruber Partner Rechtsanwälte KEG in Wien, gegen die beklagte Partei Dr. H***** R*****, Rechtsanwalt, ***** vertreten durch Ramsauer Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen Zustimmung zur Ausfolgung eines Gerichtserlags, über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 27. März 2009, GZ 11 R 3/09d 11, mit dem über Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichts Salzburg vom 19. Dezember 2008, GZ 6 Cg 183/08b 7, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Der beklagte Rechtsanwalt hat die Klägerin in einem Vorverfahren als Verfahrenshelfer vertreten. Mit dem in diesem Vorverfahren am 24. 10. 2007 abgeschlossenen Vergleich verpflichtete sich die dort beklagte Partei bei gegenseitiger Kostenaufhebung, der Klägerin 150.000 EUR zu zahlen.

Mit einer im Namen der Klägerin eingebrachten „Bekanntgabe gemäß § 71 ZPO" versuchte die den Beklagten auch im vorliegenden Verfahren vertretende Rechtsanwalts GmbH die Nachzahlung der Rechtsanwaltskosten durch die Klägerin zu erreichen. Das Prozessgericht wies den „Antrag des Klagevertreters", der Klägerin „die Nachzahlung der Verfahrenskosten des Verfahrenshelfers aufzuerlegen" ab. Die Klägerin sei nach wie vor Notstandshilfeempfängerin. Die erhaltenen 150.000 EUR seien zur teilweisen Abdeckung ihrer Schulden verwendet worden. Der Rekurs der Ramsauer Rechtsanwälte GmbH gegen diesen Beschluss wurde vom damals zuständigen Rekursgericht zurückgewiesen, weil er nicht vom Beklagten selbst gestellt worden war. Ein nunmehr vom Beklagten selbst gestellter Antrag nach § 71 ZPO wurde abermals abgewiesen. Dem dagegen erhobenen Rekurs wurde nicht Folge gegeben; die angefochtene Entscheidung wurde mit der Maßgabe bestätigt, dass der Antrag zurückgewiesen wurde. Es sei keine Änderung der Verhältnisse behauptet worden, sodass eine meritorische Behandlung des neuerlichen Antrags nach § 71 ZPO nicht in Betracht käme.

Der Beklagte behielt vom ihm ausgezahlten Vergleichsbetrag 35.000 EUR samt Zinsen in Höhe von 701,82 EUR ein. Er überwies diesen Betrag an die Verwahrstelle beim Oberlandesgericht Linz und stellte am 3. 9. 2008 unter Berufung auf § 1425 ABGB beim Bezirksgericht Salzburg den Antrag, diesen Erlag zu Gericht anzunehmen.

Mit Beschluss vom 13. 10. 2008 wies das Bezirksgericht Salzburg diesen Antrag zurück. Zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung im vorliegenden Verfahren (15. 12. 2008) war über den vom Beklagten gegen diesen Beschluss erhobenen Rekurs noch nicht entschieden worden. Mittlerweile - nämlich mit Beschluss vom 22. 12. 2008 - hat das Landesgericht Salzburg dem Rekurs des Beklagten gegen die Zurückweisung des Erlags nicht Folge gegeben. Ein Rechtsmittel gegen diese Entscheidung hat der Beklagte nicht mehr erhoben.

Mit der vorliegenden, am 17. 9. 2008 eingebrachten Klage begehrt die Klägerin den Ausspruch, dass der Beklagte mit Rechtskraft der Entscheidung der Ausfolgung des erlegten Betrags an die Klägerin zustimmt. Der Beklagte habe über den hinterlegten Betrag keine Abrechnung gelegt. Da die Klägerin nach wie vor Verfahrenshilfe genieße, könne keine Forderung des Beklagten entstanden sein. Ein möglicher Honoraranspruch könne erst bei einem allfälligen zukünftigen Wegfall der Verfahrenshilfevoraussetzungen entstehen. Erst mit einem Beschluss nach § 71 ZPO werde das Honorar des Verfahrenshelfers dem Grunde und der Höhe nach bestimmt. Daher habe auch kein Pfandrecht des Beklagten entstehen können. Die Klägerin sei nicht zu Vermögen gekommen.

Der Beklagte beantragte, das Klagebegehren abzuweisen. Grundsätzlich habe der Verfahrenshelfer Anspruch auf Zahlung seines Honorars, da die Verfahrenshilfe nur eine vorläufige Befreiung gewähre. Der Honoraranspruch des Verfahrenshelfers erlösche endgültig erst nach drei Jahren, hier also am 24. 10. 2010. Die Klägerin sei daher nur vorläufig, nämlich bis zu geänderten Verhältnissen, von der Rückzahlung der Anwaltskosten befreit. Die Klägerin bestreite zwar nicht die Höhe, aber die Richtigkeit der Rechtsanwaltskosten, sodass ein Fall des § 19 Abs 3 RAO vorliege.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es liege kein Fall des § 19 Abs 3 RAO vor. Die Klägerin bestreite nicht Richtigkeit und Höhe der Forderung des Beklagten, sondern nur deren Fälligkeit. Ein Zurückbehaltungsrecht eines Verfahrenshilfevertreters für den Fall, dass innerhalb der Dreijahresfrist des § 71 Abs 1 ZPO eine Beschlussfassung zur Nachzahlung erfolge, sei gesetzlich nicht verankert.

Das Berufungsgericht hob mit dem angefochtenen Beschluss in Stattgebung der Berufung des Beklagten das erstgerichtliche Urteil auf und trug dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf. Es sprach aus, dass der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei.

Der vom Beklagten gestellte Erlagsantrag sei - noch nicht rechtskräftig - zurückgewiesen worden. Der Beklagte sei daher in seiner Verfügungsgewalt über den eingezahlten Betrag nicht eingeschränkt. Ein rechtswirksamer Erlag läge erst dann vor, wenn ein den Erlag annehmender Beschluss formell in Rechtskraft erwachsen wäre. Das Begehren auf Zustimmung zur Ausfolgung eines noch nicht rechtskräftig angenommenen, ja sogar von der ersten Instanz zurückgewiesenen Erlags sei daher - wie der Berufungswerber richtig geltend mache - unschlüssig. Diese Rechtsansicht sei allerdings mit den damit noch nicht konfrontierten Parteien zu erörtern. Zur Vermeidung einer Überraschungsentscheidung sei daher das angefochtene Urteil aufzuheben und der Klägerin die Möglichkeit zu geben, ihr Klagebegehren schlüssig zu stellen.

Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof sei zuzulassen, weil zur Frage, ob eine Klage auf Zustimmung zur Ausfolgung eines Gerichtserlags einen formell rechtskräftigen Beschluss über die Annahme des Erlags voraussetze oder bereits die Einzahlung des Betrags ausreiche, oberstgerichtliche Rechtsprechung fehle.

Gegen diesen Beschluss richtet sich der („Revisions" )Rekurs der Klägerin mit dem Antrag, die Entscheidung der zweiten Instanz im Sinne der Bestätigung des Ersturteils abzuändern.

Der Beklagte beantragt, dem Rekurs nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist zulässig, aber nicht berechtigt.

I. Der Beklagte hat nicht behauptet, von der Klägerin Prozessvollmacht erhalten zu haben bzw mit ihr in einem Vertragsverhältnis zu stehen. Er stützt sich vielmehr ausschließlich auf seine Stellung als Verfahrenshelfer.

II. Der einer Partei bestellte Verfahrenshelfer, dem die Partei keine Prozessvollmacht erteilt hat, kann von dieser nur in den Fällen des § 71 Abs 1 ZPO eine Entlohnung beanspruchen. Nach § 16 Abs 2 Satz 2 RAO besteht ein Entlohnungsanspruch des Verfahrenshilfeanwalts auch insoweit, als der unterlegene Prozessgegner der Partei Kosten ersetzt hat. Ein direkter Anspruch des Verfahrenshilfeanwalts gegenüber der Partei auf Zahlung tarifmäßigen Honorars besteht schließlich auch im Fall der Entziehung der Verfahrenshilfe nach § 68 Abs 2 ZPO ( Bydlinski in Fasching/Konecny § 64 Rz 21).

III. Ein Entlohnungsanspruch nach § 16 Abs 2 Satz 2 RAO kommt hier von vornherein nicht in Betracht, weil die Klägerin im Vorprozess keine Kosten ersiegt hat. Auch die Möglichkeit eines Kostenersatzanspruchs nach § 68 Abs 2 ZPO - dieser würde voraussetzen, dass die bei der Bewilligung der Verfahrenshilfe angenommenen Voraussetzungen schon damals nicht gegeben waren - wurde vom Beklagten nicht behauptet. Er stützt sich vielmehr ausschließlich auf die Möglichkeit eines Entlohnungsanspruchs nach § 71 ZPO. Nach dieser Bestimmung ist die Partei ua zur tarifmäßigen Entlohnung des der Partei beigegebenen Rechtsanwalts verpflichtet, soweit und sobald sie ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts dazu imstande ist. Daraus leitet der Beklagte offenbar einen schon vor einer Beschlussfassung im Sinn des § 71 ZPO bestehenden „bedingten" Honraranspruch ab, zu dessen Sicherung er zur Hinterlegung nach § 19 Abs 3 RAO berechtigt sei.

IV. Der Beklagte übersieht aber, dass nach § 71 Abs 1 ZPO der von der Partei dem Rechtsanwalt zu zahlende Betrag mit Beschluss festzusetzen ist. Das Gericht hat bei der Beschlussfassung über die Entlohnung des Rechtsanwalts dessen „Honorar" nicht nur der Höhe nach zu „bestimmen", sondern insoweit auch einen vollstreckbaren Leistungsbefehl zu erlassen ( Bydlinski in Fasching/Konecny § 71 Rz 6). Die selbständige Einklagung der Entlohnung durch den Rechtsanwalt kommt hingegen nicht in Betracht; hiefür ist der Rechtsweg nicht zulässig (vgl Bydlinski in Fasching/Konecny § 68 Rz 21 zum insoweit vergleichbaren Fall des § 68 Abs 2 ZPO). Dass bislang kein Beschluss nach § 71 ZPO ergangen ist, wird vom Beklagten nicht bestritten. Damit besteht aber derzeit für eine Verpflichtung der Klägerin zur (gänzlichen oder teilweisen) tarifmäßigen Entlohnung des Klägers keine Grundlage. Auch von einem „bedingten" unmittelbaren Anspruch des Beklagten gegen die Klägerin kann daher keine Rede sein.

V. Die vom Beklagten ins Treffen geführte Bestimmung des § 19 Abs 3 RAO kommt hier von vornherein nicht zum Tragen. Diese Bestimmung betrifft den vertraglichen Entlohnungsanspruch des Rechtsanwalts. Er normiert aber kein Recht des der Partei beigegebenen Verfahrenshelfers, zur Sicherung der Vollstreckbarkeit eines möglicherweise ergehenden Beschlusses, der die Partei zu seiner (gänzlichen oder teilweisen) tarifmäßigen Entlohnung verpflichtet, den von ihm als Entlohnung begehrten Betrag bis zu einer denkbaren Entscheidung im Sinn des § 71 ZPO, allenfalls also für die Dauer der in § 71 ZPO genannten dreijährigen Frist (!), bei Gericht zu hinterlegen. Ein Erlagsrecht nach § 19 Abs 3 RAO besteht nur unter den in dieser Gesetzesstelle genannten Voraussetzungen (4 Bkd 6/94, RIS Justiz RS0072038).

VI. Der Klägerin ist daher beizupflichten, dass der Beklagte den von ihrem Gegner für sie vereinnahmten Betrag unverzüglich in voller Höhe an sie auszufolgen hatte. Dieser Verpflichtung konnte er sich durch den von ihm beantragten Erlag nicht entziehen, weil er sich auf keinen gesetzlichen Hinterlegungsgrund berufen kann. Dass die folgerichtig vom Erlagsgericht vorgenommene Zurückweisung seines Erlagsantrags noch nicht in Rechtskraft erwachsen ist, ist in diesem Zusammenhang ohne Relevanz, weil der Erlag von vornherein ungeeignet war, die vom Beklagten damit angestrebten Wirkungen zu erzielen.

VII. Damit erweist sich aber der Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichts als zutreffend: Die Klägerin hat gegen den Beklagten Anspruch auf Auszahlung des von ihm zu Unrecht einbehaltenen Betrags. Sie hat den Beklagten aber nicht auf Zahlung des einbehaltenen (und erlegten) Betrags, sondern auf Zustimmung zur Ausfolgung des erlegten Betrags an sie geklagt. Der Beklagte ist aber nicht - wie er im Ergebnis zutreffend geltend macht - zur Abgabe einer solchen Zustimmungserklärung verpflichtet, wohl aber zur Zahlung des einbehaltenen Betrags. Zu Recht hat das Berufungsgericht daher die Schlüssigkeit des Klagebegehrens verneint.

VIII. Ebenso zu Recht ist das Berufungsgericht aber davon ausgegangen, dass die Klägerin mit dieser in erster Instanz nicht erörterten Rechtsauffassung nicht überrascht werden darf. Es hat daher zutreffend die Sache an die erste Instanz zurückverwiesen, die die Sach- und Rechtslage mit der Klägerin zu erörtern und ihr Gelegenheit zu geben haben wird, ihr Klagebegehren schlüssig zu stellen.

Dem Rekurs der Klägerin war daher ein Erfolg zu versagen.

IX. Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO.