JudikaturJustiz9Nc21/22w

9Nc21/22w – OGH Entscheidung

Entscheidung
27. April 2022

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau als Vorsitzende, die Hofrätinnen und Hofräte des Obersten Gerichtshofs Mag. Ziegelbauer und Mag. Korn (Senat nach § 11a Abs 3 ASGG) als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei E*, vertreten durch Mag. Michaela Kerbl, Rechtsschutzbeauftragte der GPA djp, Vorgartenstraße 40, 4020 Linz, gegen die beklagten Parteien 1. S*, und 2. K*, beide vertreten durch Dr. Anton Ehm und Mag. Thomas Mödlagl, Rechtsanwälte in Wien, wegen 39.281,63 EUR sA, aufgrund der Befangenheitsanzeige der Richter und Richterinnen des Oberlandesgerichts Linz vom 4. April 2022 den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Es wird die Ausgeschlossenheit des Präsidenten des Oberlandesgerichts Linz festgestellt.

Es wird die Befangenheit sämtlicher übriger Richterinnen und Richter des Oberlandesgerichts Linz – ausgenommen Dr. U* und Dr. Sa* – festgestellt.

Zur (Verhandlung und) Entscheidung als Rechtsmittelgericht im Verfahren AZ 36 Cga 13/20k des Landesgerichts Linz wird das Oberlandesgericht Wien als zuständig bestimmt (§ 30 JN).

Text

Begründung:

[1] Die Klägerin im Verfahren AZ 36 Cga 13/20k des Landesgerichts Linz ist die Ehefrau des Präsidenten des Oberlandesgerichts Linz. Gegen das Urteil in diesem Verfahren wurde von beiden Parteien Berufung erhoben. Über dieses Rechtsmittel hätte das Oberlandesgericht Linz im Senat 12 zu entscheiden. Die Richter dieses Senats haben ihre Befangenheit angezeigt, da aufgrund des familiären Naheverhältnisses der Klägerin zum Präsidenten des Oberlandesgerichts Linz aus objektiver Sicht der Anschein der Befangenheit bestünde.

[2] Der Präsident des Oberlandesgerichts Linz hat seine Ausgeschlossenheit nach § 20 Z 2 JN angezeigt.

[3] Sämtliche übrigen Richter des Oberlandesgerichts Linz – ausgenommen Dr. U* und Dr. Sa* – haben ebenfalls ihre Befangenheit angezeigt, wobei sie entweder auf den objektiven Anschein der Befangenheit hingewiesen haben oder auf eine subjektive Befangenheit aufgrund eines persönlichen Naheverhältnisses.

[4] Dr. U* befindet sich seit längerem in Krankenstand mit unabsehbarer Dauer. Dr. Sa* ist leitende Visitatorin und nicht in der Rechtsprechung eingesetzt.

[5] Der Vizepräsident des Oberlandesgerichts Linz legt den Akt dem Obersten Gerichtshof zur Entscheidung gemäß § 23 JN und zur allfälligen Delegation der Rechtssache an ein anderes Gericht gleicher Gattung gemäß § 30 JN vor.

Rechtliche Beurteilung

[6] Ist ein Gericht aus einem der in § 19 JN vorgesehenen Gründe an der Ausübung der Gerichtsbarkeit gehindert, so hat dasselbe diese Verhinderung dem im Instanzenzug übergeordneten Gericht anzuzeigen. Dieses hat über die Befangenheit zu befinden und gegebenenfalls ein anderes Gericht gleicher Gattung zur Verhandlung und Entscheidung der Rechtssache zu bestimmen (§ 30 JN).

[7] Der Präsident des Oberlandesgerichts Linz ist aufgrund seiner familiären Nahebeziehung nach § 20 Z 2 JN ausgeschlossen.

[8] Alle übrigen Richterinnen und Richter des Oberlandesgerichts Linz (ausgenommen Dr. U* und Dr. Sa*) haben Umstände angezeigt, die geeignet sind, ihre volle Unbefangenheit in Zweifel zu ziehen. Die bekannt gegebenen dienstlichen und/oder privaten persönlichen Beziehungen könnten den aus den äußeren Umständen abgeleiteten Anschein, dass bei der Entscheidung andere als sachliche Motive eine Rolle spielen, begründen. Bei der Selbstanzeige einer Befangenheit durch den Richter ist unter Beachtung des Interesses am Ansehen der Justiz kein strenger Prüfungsmaßstab anzulegen und grundsätzlich die Befangenheit zu bejahen (RS0045943 [T3]).

[9] Da das Oberlandesgericht Linz durch das Ausscheiden der befangenen Richter beschlussunfähig geworden ist, hat der Oberste Gerichtshof über die Befangenheit zu erkennen (§ 23 JN).

[10] Im Hinblick auf die Befangenheit sämtlicher Richterinnen und Richter des Oberlandesgerichts Linz mit Ausnahme von zwei Richterinnen und die Ausgeschlossenheit des Präsidenten des Oberlandesgerichts Linz kann kein Senat mehr gebildet werden, der über die vorgelegten Rechtsmittel entscheiden könnte. Das Oberlandesgericht Linz ist daher iSd § 30 Abs 1 JN an der Ausübung der Gerichtsbarkeit gehindert (RS0113796). Gemäß § 30 Satz 2 JN ist ein anderes Oberlandesgericht als Gericht gleicher Gattung, konkret das Oberlandesgericht Wien (als Rechtsmittelgericht) zur Entscheidung zu bestimmen.