JudikaturJustiz8ObS301/00y

8ObS301/00y – OGH Entscheidung

Entscheidung
29. März 2001

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Petrag als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Langer und Dr. Rohrer sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Zeitler und Mag. Dirschmied als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Dr. Franz D*****, vertreten durch Dr. Roland Menschick, Rechtsanwalt in Grieskirchen, wider die beklagte Partei Bundessozialamt für Oberösterreich, 4020 Linz, Gruberstraße 63, vertreten durch die Finanzprokuratur, wegen S 332.072,94 netto Insolvenz-Ausfallgeld, infolge außerordentlicher Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtsachen vom 19. September 2000, GZ 12 Rs 195/00h-12, mit dem infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Wels als Arbeits- und Sozialgericht vom 17. März 2000, GZ 18 Cgs 302/99v-8, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben.

Die Rechtssache wird zur Ergänzung des Verfahrens und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Der Kläger war vom 1. 4. 1995 bis 29. 2. 1996 in einem in Form einer Gesellschaft mbH Co KG betriebenen Sanatorium als Leiter des Bereiches Interne Medizin II beschäftigt. Das Dienstverhältnis endete durch berechtigten vorzeitigen Austritt. Am 4. 3. 1996 wurde über das Vermögen seiner ehemaligen Dienstgeberin das Konkursverfahren eröffnet. Zuvor hatte diese im Umfang von S 332.072,94 Sondergebühren des Klägers betreffend den Zeitraum Jänner bis Dezember 1995 inkassiert, jedoch infolge ihrer finanziellen Schwierigkeiten entgegen ihrer diesbezüglichen dienstvertraglichen Verpflichtung nicht an den Kläger ausgezahlt, sondern vereinbarungswidrig anderweitig verwendet.

Die im Anhang zum Dienstvertrag getroffene Vereinbarung über die Sondergebührenaufteilung ist auf die damals geltenden Verträge mit den privaten Krankenversicherungen abgestimmt worden und orientiert sich an den gesetzlichen Bestimmungen für die öffentlichen und privaten Krankenanstalten. Die Abrechnung erfolgte vereinbarungsgemäß so, dass der Kläger für die Aufrechterhaltung der internistischen Infrastruktur im Sanatorium durch ein Fixum der Gemeinschuldnerin entlohnt wurde. Darüber hinaus war der Kläger berechtigt, Sonderklassegebühren anteilig zu beziehen. Diesbezüglich sollte vereinbarungsgemäß kein unmittelbarer Anspruch gegen die Gemeinschuldnerin bestehen, die Sondergebühren waren auch nicht in die Abfertigungsbemessungsgrundlage bzw in die Bemessungsgrundlage bei Errechnung eines Entgeltfortzahlungsanspruches einzubeziehen. Im Falle der Nichtbezahlung der Sondergebühren durch einen Versicherer hatte der Kläger auch keinen unmittelbaren Zahlungsanspruch gegen die Gemeinschuldnerin; er trug sohin das Einbringlichkeitsrisiko selbst. Vereinbarungsgemäß erfolgte aber die Verrechnung und Eintreibung des Sondergebührenanteils des Klägers ausschließlich über die Verwaltung der Gemeinschuldnerin und gelangte auch der Anteil des Klägers erst im Folgemonat (nach Einlangen dieser Beträge bei der Gemeinschuldnerin) zur Auszahlung an den Kläger. Die den Sondergebühren zugrunde liegenden ärztlichen Leistungen erbrachte der Kläger im Rahmen seiner Tätigkeit als Angestellter und sohin nicht allenfalls außerhalb des Arbeitsverhältnisses auf eigene Rechnung und Gefahr.

Der Kläger war als Angestellter sozialversichert, wobei Gehalt und Sondergebühren eine Einheit bilden sollten und somit der Beitragspflicht zur Sozialversicherung grundsätzlich auch die Sondergebühren unterlagen. Im Falle der Beitragspflicht für Sondergebühren wurde vereinbart, dass der Dienstnehmer für diesen Teil auch den Dienstgeberbeitrag zur Sozialversicherung übernimmt.

Mit Bescheid der beklagten Partei wurde der Antrag des Klägers auf Insolvenz-Ausfallgeld im Umfang der insgesamt geltend gemachten Sondergebühren von S 960.498,48 abgewiesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Klage mit dem im Verfahren erster Instanz auf S 332.072,94 eingeschränkten Begehren an Insolvenz-Ausfallgeld für Sondergebühren betreffend den Zeitraum Jänner bis Dezember 1995. Diese Gebühren habe die Gemeinschuldnerin zwar für den Kläger inkassiert, aber entgegen ihren Verpflichtungen aus dem Dienstvertrag nicht an ihn ausgefolgt. Die Gemeinschuldnerin habe dadurch rechtswidrig gehandelt, sodass der Kläger einen gemäß § 1 Abs 2 Z 2 IESG gesicherten Schadenersatzanspruch habe. Im Übrigen handle es sich bei den Sondergebühren um einen Entgeltanspruch aus dem Arbeitsverhältnis iSd § 1 Abs 2 Z 1 IESG bzw um einen sonstigen Anspruch gegen den Arbeitgeber iSd § 1 Abs 2 Z 3 IESG. Der Honoraranspruch resultiere nämlich aus der dienstvertraglichen Verpflichtung des Klägers, Sonderklassepatienten zu behandeln.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Die Sondergebühren seien nicht Teil des vom Arbeitgeber geschuldeten Entgelts, sondern es handle sich dabei um ein von dritter Seite bezogenes Einkommen für die Verrichtung einer arbeitsvertraglich geschuldeten Leistung. Ein gemäß § 1 Abs 2 Z 1 oder Z 3 IESG gesicherter Anspruch gegen den Arbeitgeber komme demnach nicht in Betracht. Die Gemeinschuldnerin habe aber durch die zweckwidrige Verwendung der von ihr vereinnahmten Sondergebühren ihre Haupt- und Nebenpflichten aus dem Dienstvertrag verletzt. Auf Grund dieser rechtswidrigen Vorgangsweise habe der Kläger einen gemäß § 1 Abs 1 Z 2 IESG gesicherten, betraglich nicht beschränkten Schadenersatzanspruch gegen die Gemeinschuldnerin.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass die ordentliche Revision an den Obersten Gerichtshof nicht zulässig sei. Der Schaden resultiere aus der Verletzung arbeitsvertraglicher Verpflichtungen des Arbeitgebers. Der vom Erstgericht daraus gezogene Schluss, dass der durch ein solches Verhalten der Gemeinschuldnerin entstandene Schaden des Arbeitgebers eine gesicherte Schadenersatzforderung nach § 1 Abs 2 Z 2 IESG darstelle, sei daher zutreffend. Der von der beklagten Partei eingemahnte "Kontext" des hier geltend gemachten Schadenersatzes mit der Verletzung wesentlicher Pflichten des Arbeitgebers während des aufrechten Bestandes des Dienstverhältnisses könne nicht zweifelhaft sein. Da es sich beim Schadenersatz aber um einen von der Höhe des vereinbarten Entgelts unabhängigen (eigenständigen) Sicherungstatbestand handle, sei es nicht sachfremd, dass die daraus resultierenden Ansprüche nicht den auf das laufende Entgelt zugeschnittenen Grenzbetragsregelungen unterlägen. Auf Grund der schadenersatzlichen Lösung komme den übrigen im Verfahren aufgeworfenen Rechtsfragen keine entscheidungsrelevante Bedeutung mehr zu; insbesondere könne dahingestellt bleiben, ob die Sondergebühren Teil des arbeitsrechtlichen Entgeltbegriffes seien und dem Ausschlusstatbestand des § 1 Abs 3 Z 5 IESG unterlägen.

Dagegen richtet sich die Revision der beklagten Partei wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen.

Die beklagte Partei beantragt in der ihr freigestellten Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig und berechtigt.

Die beklagte Partei macht geltend, dass die Revision zulässig sei, weil die Entscheidung von der erheblichen Rechtsfrage abhänge, ob es sich bei den Sondergebühren, die eine Krankenanstalt für einen Arzt vereinnahme, nicht aber an diesen weiterleite, um einen Schadenersatzanspruch iSd § 1 Abs 2 Z 2 IESG, oder aber um einen Entgeltanspruch handle, und die angefochtene Entscheidung sowohl von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes als auch von jener des Verwaltungsgerichtshofs, wonach der Beitragspflicht zur Sozialversicherung grundsätzlich auch die Sondergebühren unterliegen, abweiche. Die Qualifikation der Sondergebühren sei auch wesentlich, weil ihre Qualifikation als Entgeltansprüche dazu führe, dass der Grenzbetrag des § 1 Abs 3 Z 4, § 1 Abs 4 IESG zur Anwendung gelange.

Dies trifft zu. Die Vorinstanzen haben sich mit der in der Revision aufgezeigten Problematik nicht weiter beschäftigt, insbesondere in keiner Weise auf die einen zumindest ähnlichen Sachverhalt betreffende Entscheidung 8 ObS 52/97y (DRdA 1997, 508 = SSV-NF 11/64) Bezug genommen und nicht dargelegt, warum es sich bei den Sondergebühren des Primarius anders als bei den Sondergebühren der Operationsschwester nicht um laufendes Entgelt iSd IESG handle.

Die Zuordnung der Sondergebühren bei Ärzten ist umstritten (vgl zB Schrank, ZAS 1990, 1 ff [5]; Tomandl, ZAS 1985, 106 ff [Besprechung zu ZAS 1985/11]; Schwarz/Löschnigg, Arbeitsrecht8 321).

Oberstgerichtliche Entscheidungen vermeiden entweder eine

Auseinandersetzung mit diesem Problem oder machen die Zugehörigkeit

der Sondergebühren zum Entgelt vom Grad der Einwirkung bzw

Einflussnahme des Arbeitgebers sowie sonstigen Umständen abhängig (zB

8 ObA 2317/96k = SZ 70/57 = Arb 11.592).

In der bereits genannten Entscheidung 8 ObS 52/97y (DRdA 1997, 508 =

SSV-NF 11/64) betreffend die Sondergebühren einer Operationsschwester (sog Assistenzgebühren) nimmt der Oberste Gerichtshof zu diesem Problem Stellung und führt aus, dass selbst dann, wenn die Beurteilung der Assistenzgebühren als Teil des arbeitsrechtlichen Entgelts noch in Zweifel gezogen werden sollten, die strukturelle Nähe des IESG zum Sozialversicherungsrecht zu berücksichtigen sei, wonach gemäß § 35 Abs 1 ASVG auch das von einem Dritten dem Arbeitgeber in Hinblick auf das Arbeitsverhältnis zufließende Entgelt als Entgelt im Sinn des § 49 Abs 1 ASVG der sozialversicherungsrechtlichen Beitragsgrundlage zugerechnet werde. Folgerichtig seien von den Assistenzgebühren auch Sozialversicherungsbeiträge entrichtet worden, unter anderem auch der Zuschlag gemäß § 12 Abs 1 Z 5 IESG. Die grundsätzlich anzustrebende Symmetrie von Beitragsleistungen (im Versicherungsverhältnis) und Versicherungsleistungen (im Leistungsverhältnis) erfordere es, die Teile des einem Arbeitnehmer zufließenden Entgelts, für das Sozialversicherungsbeiträge entrichtet worden seien, auch im Leistungsverhältnis als solche zu beurteilen.

Dem ist auch für den vorliegenden Fall zu folgen. Auch der Kläger geht in seiner Klage davon aus, dass es sich bei seinen Sondergebühren grundsätzlich um einen Entgeltanspruch aus dem Arbeitsverhältnis bzw um einen sonstigen Anspruch gegen den Arbeitgeber iSd § 1 Abs 2 Z 1 bzw Z 3 IESG handle, weil der Honoraranspruch aus der dienstvertraglichen Verpflichtung des Klägers, Sonderklassepatienten zu behandeln, resultiere; lediglich in der Folge nimmt er plötzlich den gegenteiligen Standpunkt ein.

Es kann dahingestellt bleiben, ob rechtswidrig vorenthaltene Sondergebühren als Entgelt oder Schadenersatzansprüche im Sinn des IESG zu beurteilen sind, weil eine den Intentionen und dem Zweck des IESG entsprechende Interpretation ergibt, dass auch Schadenersatzansprüche, die aus arbeitsrechtlich rechtswidrigen Vorenthalten von für den Arbeitnehmer eingehobenen Gebühren entstehen, im Hinblick auf den engen Zusammenhang mit der Arbeitsleistung (Gebühren für Leistungen, die zu den dienstvertraglich geschuldeten gehören) der gleichen Grenzbetragsregelung unterliegen müssen, wie die Sondergebühren im Allgemeinen. Es wäre nicht gerechtfertigt, Dienstnehmer, denen Sondergebühren "rechtswidrig vorenthalten" wurden, beim Zuspruch von Insolvenz-Ausfallgeld - rechtlich besser zu stellen, als Dienstnehmer, denen sie schlicht nicht ausbezahlt wurden.

Da es Zweck des IESG in seinem Kernbereich ist, die von den Arbeitnehmern typischerweise nicht abwendbare und absicherbare Gefahr des gänzlichen oder teilweisen Verlustes ihrer Entgeltansprüche, auf die diese typischerweise zur Bestreitung ihres eigenen Lebensunterhalts sowie des ihrer unterhaltsberechtigten Angehörigen angewiesen sind, zu sichern, unterliegen die Entgeltansprüche der Grenzbetragsregelung des § 1 Abs 3 Z 4, § 1 Abs 4 IESG. Unterliegt der Gehalt des Primarius gemeinsam mit den Sondergebühren - sowie im Fall der Operationsschwester ihr Gehalt gemeinsam mit den Assistenzgebühren - als Entgeltbestandteil der Grenzbetragsregelung der §§ 1 Abs 3 Z 4 und 1 Abs 4 IESG, muss dies auch dann gelten, wenn die Sondergebühren rechtswidrig vom Arbeitgeber nicht bezahlt wurden und sie als Schadenersatz geltend gemacht wurden.

Ausgehend von der unrichtigen Rechtsansicht, nicht ausgezahlte Sondergebühren stellten einen nicht der Grenzbetragsregelung unterliegenden Anspruch dar, ist die Anspruchsbegrenzung des § 1 Abs 3 Z 4, § 1 Abs 4 IESG von den Vorinstanzen nicht wahrgenommen worden. Da Feststellungen insbesondere über die Höhe des individuellen Belastungsprozentsatzes und der vom Arbeitgeber geleisteten Gehaltszahlungen fehlen, liegen sekundäre Verfahrensmängel vor, sodass die Sache noch nicht spruchreif ist und die Rechtssache an das Erstgericht zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung zurückverwiesen werden muss. Erst dann kann beurteilt werden, ob und inwieweit der Grenzbetrag überschritten wurde, und ob dem Kläger überhaupt noch bzw in welcher Höhe ihm Insolvenz-Ausfallgeld noch gebührt (vgl die Berechnung, die der Entscheidung 8 ObS 52/97y zugrunde liegt, aus der sich ergibt, dass der Grenzbetrag sogar von den Assistenzgebühren gemeinsam mit dem sonstigen Gehalt der Krankenschwester überschritten wurde, sodass wohl davon auszugehen ist, dass dies bei dem Gehalt und den Sondergebühren eines Primarius erst Recht der Fall ist).

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.