JudikaturJustiz8ObS1/19h

8ObS1/19h – OGH Entscheidung

Entscheidung
29. August 2019

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann Prentner und Mag. Korn als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Johanna Biereder und Werner Krachler in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Ing. G***** N*****, vertreten durch Dr. Christoph Orgler, Rechtsanwalt in Graz, gegen die beklagte Partei IEF Service GmbH, Geschäftsstelle Graz, 8020 Graz, Europaplatz 12, vertreten durch die Finanzprokuratur, 1010 Wien, Singerstraße 17–19, wegen 1.038 EUR sA (Insolvenz Entgelt), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 27. November 2018, GZ 6 Rs 73/18d 8, mit dem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgericht vom 13. September 2018, GZ 29 Cgs 47/18f 4, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten ihrer Revision selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war bei der späteren Insolvenzschuldnerin seit 1. Oktober 2002 als Angestellter beschäftigt. Das Dienstverhältnis unterlag dem Kollektivvertrag für Handelsangestellte. Über das Vermögen der Dienstgeberin wurde am 26. Jänner 2018 das Konkursverfahren eröffnet.

Das Bruttogehalt des Klägers betrug im Kalenderjahr 2017 monatlich 5.295 EUR.

Der Kläger meldete im Konkurs der Dienstgeberin unter anderem Entgelt für im Jahr 2017 geleistete Überstunden (208,72 Überstunden mit 50 % Zuschlag, 1,95 mit 100 % Zuschlag) im Gesamtbetrag von 9.348 EUR netto an, die der Masseverwalter zur Gänze anerkannte.

Die Beklagte gab dem Antrag des Klägers auf Zuerkennung von Insolvenz-Ausfallgeld überwiegend statt. Ein Mehrbegehren an Überstundenentgelt in Höhe von 1.832 EUR netto lehnte sie wegen Überschreitung des Grenzbetrags nach § 1 Abs 4 Z 3 IESG ab.

In seiner dagegen erhobenen Klage bringt der Kläger vor, die Beklagte habe bei ihrer Berechnung den gesetzlichen Grenzbetrag auf den um den Zuschlag erhöhten Stundenlohn pro geleisteter Überstunde angewandt. Dies führe jedoch zu einer unbilligen Kürzung der gesicherten Ansprüche. Es handle sich um Überstunden, die in Form von Zeitausgleich abgegolten werden sollten und deren Sicherung dem § 1 Abs 4 Z 3 IESG unterliege. Diese Bestimmung sei dahin zu verstehen, dass sich der Grenzbetrag auf die Anzahl der nicht konsumierten Zeitausgleichsstunden ohne Zuschlag beziehe.

Die Beklagte wandte ein, der Grenzbetrag sei nach dem Wortlaut und nach dem Zweck der Norm auf das Entgelt pro tatsächlich geleisteter und abzugeltender Arbeitsstunde anzuwenden. Die Interpretation des Klägers widerspreche der Intention des Gesetzgebers und hätte eine nicht gewollte Überbeanspruchung des Fonds zur Folge.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Die gesetzliche Regelung beziehe den Grenzwert eindeutig auf den Begriff der Stunde als Zeiteinheit. Der Überstundenzuschlag vervielfache aber nicht die geleistete Arbeitszeit, sondern erhöhe den Stundenlohn. Dieser sei einschließlich allfälliger Zuschläge nur bis zum Grenzbetrag gesichert.

Das Berufungsgericht gab dem Rechtsmittel des Klägers keine Folge. Sowohl die wörtliche als auch die systematische Interpretation der Norm sowie der Gesetzeszweck führten zu dem vom Erstgericht dargelegten Ergebnis. Dieses stehe auch mit dem sozialen Zweck der Insolvenz-Entgeltsicherung im Einklang, die keinen Anspruch auf lückenlose Sicherung, sondern nur einen Mindestschutz gewähre.

Das Berufungsgericht erklärte die ordentliche Revision für zulässig, weil zur entscheidenden Frage der Auslegung der strittigen Wortfolge des § 1 Abs 4 Z 3 IESG noch keine höchstgerichtliche Rechtsprechung vorliege.

Rechtliche Beurteilung

Die von der Beklagten beantwortete Revision des Klägers ist, weil die Entscheidung von einer erheblichen Rechtsfrage im Sinn der Ausführungen des Berufungsgerichts abhängt, zulässig.

Die Revision ist jedoch nicht berechtigt.

1. Insolvenz-Entgelt gebührt nicht für Entgeltansprüche, wenn der als Insolvenz-Entgelt begehrte Bruttobetrag im Zeitpunkt der bedungenen Zahlung den Grenzbetrag übersteigt (§ 1 Abs 3 Z 4 IESG).

Als Grenzbetrag gilt der zweifache Betrag der Höchstbeitragsgrundlage gemäß § 45 Abs 1 ASVG, der bei Entgeltansprüchen, die nach Zeiträumen bemessen werden, mit der Anzahl der Tage des jeweiligen Entlohnungszeitraums (§ 1 Abs 4 Z 1 IESG) bzw bei Entgeltansprüchen, die nicht nach Zeiträumen bemessen werden, mit der Anzahl der Tage des jeweiligen Kalendervierteljahres zu vervielfachen ist, in welchem der Anspruch abzurechnen gewesen wäre (§ 1 Abs 4 Z 2 IESG).

Abweichend davon gilt für Ansprüche auf Auszahlung von fällig gewordenem Entgelt aus Überstunden- oder Mehrarbeit, für die Zeitausgleich vereinbart war, aus Zeitguthaben oder Zeitzuschlägen als Grenzbetrag für jede abzugeltende Stunde ein Viertel der täglichen Höchstbeitragsgrundlage gemäß § 45 Abs 1 ASVG zum Zeitpunkt der Fälligkeit. Diese Ansprüche gelten abweichend von § 44 Abs 7 ASVG für jenen Kalendermonat als erworben, in dem sie fällig geworden sind; als monatliche Höchstbeitragsgrundlage gilt für diese Ansprüche der 30 fache Betrag der täglichen Höchstbeitragsgrundlage zum Zeitpunkt der Fälligkeit (§ 1 Abs 4 Z 3 IESG).

In den Materialien zur Einführung des § 1 Abs 4 Z 3 IESG (2234 A Beil sten Prot NR 25. GP, 3) wird die Zielsetzung der Bestimmung wie folgt erläutert:

Statt der bisherigen Pauschalbegrenzung soll für Ansprüche aus zusätzlicher Arbeit, die durch Zeitausgleich oder anders verteilte Normalarbeitszeit hätten abgegolten werden sollen, sowie für Zeitausgleichsguthaben, die ohne Mehrarbeit erworben wurden, ein gesonderter Grenzbetrag gelten. In Übereinstimmung mit der grundsätzlichen Sicherung von Löhnen/Gehältern bis zur doppelten Höchstbeitragsgrundlage soll auch die Sicherung jeder abzugeltenden Arbeitsstunde auf Grundlage des gebührenden Entgelts, maximal jedoch eines Entgelts in Höhe der doppelten Höchstbeitragsgrundlage gesichert werden. Daher wird der Grenzbetrag (je abzugeltender Arbeitsstunde) mit einem Achtel der zweifachen täglichen Höchstbeitragsgrundlage festgelegt; dies entspricht einem Viertel der täglichen Höchstbeitragsgrundlage. Diese Grenze gilt sinngemäß für Überstunden- und Mehrarbeitszuschläge. Diese Regelung gilt nicht für Mehr- und Überstundenarbeit, die von Anfang an gegen Bezahlung geleistet, aber nicht (mehr) abgegolten wurde. Hier bleibt es bei der geltenden Regelung.

Zielsetzung der Novelle zur Sicherung von Entgelt für Zeitausgleichsguthaben ist die Vermeidung der – in vielen Fällen nicht oder nur mit unangemessen hohem Aufwand möglichen – Zuordnung auf einzelne Leistungszeiträume (...). Eine Aufrollung sämtlicher Zeitausgleichsguthaben durch die IEF Service GmbH zum Zwecke der Abrechnung der Sozialversicherungsbeiträge gemäß § 44 Abs 7 ASVG würde dieser Zielsetzung entgegenstehen. Daher ist es notwendig, gesetzlich eine Sonderregelung für den Abzug der Sozialversicherungsbeiträge von den Ansprüchen auf Insolvenz-Entgelt vorzusehen. Da die Abrechnung für alle zum selben Zeitpunkt fälligen Entgelte für Zeitausgleichsgutstunden im selben Kalendermonat erfolgt (z.B. im Monat des Endes des Arbeitsverhältnisses), soll stets die im Fälligkeitsmonat geltende Höchstbeitragsgrundlage nach dem ASVG herangezogen werden. Diese Sonderregelung ermöglicht eine rasche Berechnung und Auszahlung des zustehenden Nettobetrages an Insolvenzentgelt für die ehemals Beschäftigten; sie entspricht, was den Beitragsabzug betrifft, im Ergebnis auch etwa der bisherigen Rechtslage, bei der – je nach der Höhe der zustehenden Entgelte im seinerzeitigen Zeitpunkt der Leistung der Überstunden – Beitragspflicht bestanden, oder aber wegen Überschreitung der Höchstbeitragsgrundlage nicht bestanden hat .“

2. Der Revision ist zuzugestehen, dass die Wortinterpretation des § 1 Abs 4 Z 3 IESG weder für sich allein zu einem eindeutigen Ergebnis im Sinne des Standpunkts eines der Streitteile führt, noch die zitierten Materialien dazu verhelfen können.

Die Revision führt ins Treffen, § 1 Abs 4 Z 3 IESG beziehe sich im Kontext auf Zeitausgleichsstunden, wobei diese unterschiedliche Entstehungsgründe haben könnten. Es handle sich nicht nur um zuschlagspflichtige Überstunden, sondern auch Mehrarbeitsstunden, Zeitguthaben und Zeitzuschläge. Das Gesetz spreche aus diesem Grund gerade nicht von „geleisteten Arbeitsstunden“. Folge man den Vorinstanzen, käme man zu einem verzerrten Ergebnis, weil der gesicherte Grenzbetrag für zuschlagsfreie Stunden ident mit jenem für zuschlagspflichtige Überstunden wäre.

3. Dem ist Folgendes entgegenzuhalten:

3.1. Es trifft zu, dass es nach dem Ergebnis der Vorinstanzen für die Deckelung mit den Grenzbeträgen nicht auf die rechtliche Qualität der abzugeltenden Arbeitsstunden oder darauf, woraus sich das pro Stunde zustehende Entgelt zusammensetzt, ankommt. Dieser Zugang entspricht aber durchaus dem System der Insolvenz-Entgeltsicherung.

Die Deckelung der Ansprüche mit Grenzbeträgen findet ihre Rechtfertigung darin, dass nach dem IESG die von den Arbeitnehmern typischerweise nicht selbst abwendbare und absicherbare Gefahr des gänzlichen oder teilweisen Verlustes ihrer Entgeltansprüche, auf die sie typischerweise zur Bestreitung des eigenen Lebensunterhalts sowie des Lebensunterhalts ihrer unterhaltsberechtigten Angehörigen angewiesen sind, versichert ist (RIS Justiz RS0076409). Ansprüche, die nicht mit einem typischen Arbeitsverhältnis im Zusammenhang stehen, oder deren Höhe nicht mehr zur Sicherung des laufenden Lebensunterhalts notwendig ist, sind entweder überhaupt nicht gesichert (RS0076409 [T13, T14]) oder unterliegen zeitlichen und betraglichen Beschränkungen.

3.2. Das Überstundenentgelt unterlag vor der Novelle BGBl I Nr 123/2017, mit dem § 1 Abs 4 Z 3 IESG neu eingeführt wurde, der Anspruchsbegrenzung gemäß § 1 Abs 4 Z 1 IESG für jene Perioden, in denen die Überstunden geleistet wurden. Der Oberste Gerichtshof hat dazu bereits klargestellt, dass dann, wenn durch Beendigung des Arbeitsverhältnisses der vereinbarte Zeitausgleich unmöglich wird, anstelle des Zeitausgleichs wieder die ursprüngliche Entgeltforderung für Überstunden tritt, wobei für die Zwecke des IESG nur die ursprüngliche Rechtsnatur als Entgelt maßgeblich ist (8 ObS 19/98x). Diese Rechtsprechung steht den Argumenten der Revision entgegen, die das Rechtsproblem nur aus dem Blickwinkel betrachtet, wie viele Normalstunden an Zeitausgleich der Kläger hypothetisch zur Abgeltung seiner Überstunden konsumieren hätte können.

3.3. Die Anwendung des Grenzbetrags der doppelten Höchstbeitragsgrundlage hatte schon nach der Rechtslage vor der Novelle zur Folge, dass das Überstundenentgelt bei höheren Einkommen allenfalls nicht zur Gänze, oder – bei Überschreitung der doppelten Höchstbeitragsgrundlage durch andere Bezüge in derselben Periode – sogar überhaupt nicht gesichert sein konnte. Für geleistete Überstunden, für die nie Zeitausgleich vereinbart war und die deshalb nicht dem § 1 Abs 4 Z 3 IESG unterliegen, gilt dies weiterhin unverändert.

3.4. Die mit § 1 Abs 4 Z 3 IESG aus den in den Materialien genannten Gründen der Verwaltungsvereinfachung neu geschaffene Zuordnung sämtlicher rückgewandelten Zeitguthaben zu jener Abrechnungsperiode, in der das Entgelt dafür fällig wird, erforderte die Einführung eines zusätzlichen Sicherungsgrenzbetrags, um dem außerordentlichen Charakter dieses Abrechnungspostens Rechnung zu tragen und Sicherungsdefizite hintanzuhalten.

Dies bedeutet aber nicht, dass damit das Konzept der pauschalen Sicherungshöchstgrenzen aufgegeben werden sollte, die sich – soweit das Gesetz nicht selbst Ausnahmen vorsieht – nicht am Rechtsgrund der einzelnen Entgeltbestandteile, sondern an ihrer rechnerischen Summe orientiert.

4. Der Revision war daher nicht Folge zu geben. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Gründe für einen Kostenersatz nach Billigkeit wurden nicht vorgebracht (RS0085829).