JudikaturJustiz8ObA73/07d

8ObA73/07d – OGH Entscheidung

Entscheidung
03. April 2008

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Langer als Vorsitzende und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling und Dr. Kuras sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Reinhard Drössler und Alfred Klair als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Maria B*****, vertreten durch Dr. Ernst Summerer, Rechtsanwalt in Retz, gegen die beklagte Partei C*****, vertreten durch Suppan Spiegel Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 2.692,08 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 24. Mai 2007, GZ 8 Ra 44/07k-18, womit über Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Korneuburg als Arbeits- und Sozialgericht vom 4. Jänner 2007, GZ 7 Cga 39/06b-14, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, dass das Ersturteil wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 485,86 EUR bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens (darin 80,89 EUR Umsatzsteuer) und die mit 625,12 EUR bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 55,52 EUR Umsatzsteuer und 292 EUR Barauslagen) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die seit 1. 10. 1995 bei der Beklagten beschäftigte Klägerin arbeitete zuletzt in einer Behinderteneinrichtung als Küchenhilfe. Da die Beklagte plante, Ende 2001 die Betriebsküche zu schließen, bestand für die Klägerin die Gefahr des Verlustes ihres Arbeitsplatzes. Die Beklagte war aber bemüht, für die Klägerin die Möglichkeit einer Weiterbeschäftigung zu finden, und bot ihr daher an, sie zur Behindertenbetreuerin auszubilden. Damit war die Klägerin einverstanden.

Die Parteien schlossen daraufhin am 14. 10. 2002 die schriftliche Vereinbarung Beil ./1, in der sie die näheren Umstände der Ausbildung der Klägerin regelten. In dieser Vereinbarung wurde festgehalten, dass die Klägerin auf eigenen Wunsch in der Zeit von September 2002 bis Jänner 2004 an einer Ausbildung zur Behindertenbetreuerin teilnehmen werde. Bei Abschluss der dreisemestrigen Ausbildung werde sie die Qualifikation „Behindertenbetreuerin" erreichen können. Die Beklagte werde die Vorfinanzierung der Ausbildungskosten übernehmen, und zwar die Semestergebühr und die Einschreibgebühr. Darüber hinaus werde für das Praktikum und die Unterrichtstage im Rahmen der vertraglichen Wochenstundenverpflichtung Dienstfreistellung gewährt. Der Wert des Beitrags der Beklagten zur Ausbildung betrage daher

9.183 EUR, wobei sich diese „Gesamtausbildungskosten" aus 72 EUR Einschreibgebühr, 1.656 EUR „Gebühr für drei Semester" und 7.455 EUR für „Dienstfreistellung für Unterrichtstage und externe Praktika" zusammensetzen. Die Ausbildung erfolge in der ausdrücklichen Erwartung, dass die Klägerin nach Ende der Ausbildung noch mindestens drei Jahre im Dienst der Beklagten verbleibe. Für den Fall einer Beendigung des Dienstverhältnisses durch Selbstkündigung, grundlosen Austritt oder verschuldete Entlassung wurde die Verpflichtung der Klägerin vereinbart, bei Ausscheiden aus dem Dienstverhältnis im ersten Monat die vollen Gesamtausbildungskosten, bei Ausscheiden ab dem 2. Monat die Gesamtausbildungskosten, vermindert um einen Abschlag von je 1/36 pro Monat, zurückzuerstatten.

In der Zeit zwischen Juni 2002 und Jänner 2004 absolvierte die Klägerin die Ausbildung zur Behindertenbetreuerin. Diese Ausbildung umfasste 630 Stunden theoretische Ausbildung und 800 Stunden Praktikum, wovon 680 intern und 120 Stunden extern zu absolvieren waren.

Für das Praktikum und die Unterrichtstage wurden der Klägerin im Rahmen der vertraglichen Wochenstundenverpflichtung Dienstfreistellungen im Gesamtausmaß von 655,50 Stunden gewährt. Sie erstreckten sich meist über drei bis fünf aufeinander folgende Tage im Ausmaß von 6 bzw 7,5 Stunden pro Tag. In diesen Zeiträumen wurde der Klägerin trotz der Freistellung von der Dienstleistung das ihr gebührende Entgelt fortgezahlt.

Nach Absolvierung der Ausbildung wurde die Klägerin als Behindertenbetreuerin angestellt, was für sie einen sozialen und finanziellen Aufstieg bedeutete.

Die Klägerin kündigte das Dienstverhältnis mit 31. 12. 2005 auf. Dass der Kündigung eine Mobbingsituation zugrunde gelegen sei, wurde nicht festgestellt. Vielmehr steht fest, dass der Klägerin die Arbeit Freude machte, dass sich aber ein persönliches Verhältnis zu einem Arbeitskollegen ungünstig auf den Dienstbetrieb auswirkte, weil dadurch die Teamarbeit mit den weiteren Mitarbeitern gestört wurde. Die Beklagte behielt bei der Endabrechnung des Dienstverhältnisses Ausbildungskosten von 3.316,07 EUR ein. Dieser Betrag entspricht 13/36 der in der Beil ./1 angeführten Gesamtausbildungskosten. Die Klägerin begehrt mit ihrer Klage den Zuspruch von 2.692,06 EUR. Zwar sei die Beklagte berechtigt, 13/36 der Ausbildungskosten einzubehalten. Dazu zähle aber nicht das während der Dienstfreistellung gezahlte Entgelt. Der Abzug sei daher nur im Umfang von 624 EUR berechtigt. Ein darüber hinausgehender Abzug sei sittenwidrig. Im Übrigen sei die Klägerin gemobbt und benachteiligt worden, sodass sie zur Kündigung gezwungen gewesen sei. Die Beklagte beantragte, das Klagebegehren abzuweisen. Nach dem Inhalt der Vereinbarung Beil ./1 habe sie auch Anspruch auf anteiligen Rückersatz des auf die Zeit der Dienstfreistellung gewährten Entgelts.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

Es bezog sich auf die mit BGBl 36/2006 geschaffene Bestimmung des § 2d AVRAG. Sämtliche in dieser Bestimmung für den Rückersatz der Ausbildungskosten und des fortgezahlten Entgelts normierten Voraussetzungen seien gegeben. Der einbehaltene Betrag sei auch richtig berechnet worden. Dass die Klägerin durch eine unverschuldete Mobbingsituation zur Kündigung veranlasst worden sei, sei nicht erwiesen worden.

Das Berufungsgericht änderte dieses Urteil im Sinne der Stattgebung des Klagebegehrens ab. Es sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei.

Der vom Erstgericht ins Treffen geführte § 2d AVRAG sei auf den hier zu beurteilenden Fall noch nicht anwendbar.

Die Rückforderung des während der Ausbildung erhaltenen Entgelts sei grundsätzlich abzulehnen, weil eine derartige Vereinbarung zu einer wesentlichen und einseitigen Beschränkung der Kündigungsfreiheit des Arbeitnehmers führen würde. Nur wenn ein Arbeitnehmer für eine vor allem ihm selbst zugute kommende Ausbildung zur Gänze vom Dienst karenziert bzw von jeglicher betrieblichen Verwendung entbunden werde, sei eine Verpflichtung zur Rückzahlung von Lohnkosten zulässig. Die Ausbildung dürfe mit keiner Verwendung verbunden und keine Erfüllung des Dienstvertrags sein. Hier sei die Klägerin während der Tage und Stunden der Ausbildung von ihrer sonstigen Tätigkeit für die Beklagte karenziert gewesen. Die Ausbildung sei jedoch lediglich stunden- bzw tage- bzw wochenweise erfolgt, sodass die Klägerin in der übrigen Zeit ihrer üblichen Arbeitsleistung nachgegangen sei. Damit sei sie nicht ganzzeitig karenziert gewesen, sodass die Rückforderung der auf die Karenzierung entfallenden Lohnkosten nicht in Betracht komme.

Gegen dieses Urteil richtet sich die außerordentliche Revision der Beklagten.

Die Klägerin beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist - wie die folgenden Ausführungen zeigen - zulässig und auch berechtigt.

Im Revisionsverfahren ist nicht mehr strittig, dass die erst mit 18. 3. 2006 in Kraft getretenen Regelungen des § 2d AVRAG über den Rückersatz von Ausbildungskosten auf den hier zu beurteilenden Sachverhalt noch nicht anzuwenden sind.

Die Klägerin hat im Verfahren vor den Vorinstanzen auch nicht bestritten, dass die Voraussetzungen für eine anteilige Rückforderung von Ausbildungskosten hier grundsätzlich gegeben sind. Demgemäß hat sie den Abzug der anteiligen Kosten der von ihr genossenen Ausbildung auch gar nicht bekämpft.

Strittig ist aber, ob die Beklagte berechtigt war, auch das während der Ausbildung fortgezahlte Entgelt (anteilig) einzubehalten. Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs kann im Falle einer entsprechenden Vereinbarung der während der Ausbildung fortgezahlte Lohn vom Arbeitgeber (nur) dann zurückgefordert werden, wenn die Ausbildung mit keiner Verwendung verbunden und keine Erfüllung des Arbeitsvertrags war. In diesem Fall ist nämlich der Lohn kein Entgelt für die Arbeitsleistung (RIS-Justiz RS0028912; 9 ObA 151/93; Resch, Klauseln über Ausbildungskostenrückersatz, DRdA 1993, 8 ff [19]; Spielbüchler, AR I4 273 f; Marhold/Friedrich, Arbeitsrecht 158). Entscheidend ist daher, dass der Arbeitnehmer von seiner betrieblichen Verwendung entbunden bzw - wie wiederholt formuliert wurde - von der Arbeitspflicht „zur Gänze freigestellt ist" (so etwa Neubauer/Rath, Neuerungen beim Ausbildungskostenrückersatz und bei der Konkurrenzklausel, ASoK 2006, 125 ff [128]). Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts bedeutet aber die Formulierung „... zur Gänze freigestellt ..." nicht, dass die Rückforderung des während der Freistellung gezahlten Lohns nur dann in Betracht kommt, wenn die Freistellung über einen längeren ununterbrochenen Ausbildungszeitraum erfolgt. Auch wenn man - mit Reissner (in ZellKomm § 2d AVRAG Rz 23) - die Rückforderbarkeit des fortgezahlten Lohns davon abhängig macht, dass die Ausbildung relativ lang gedauert hat, fehlt eine Rechtfertigung dafür, die Rückforderbarkeit davon abhängig zu machen, dass der gesamte Zeitraum der Ausbildung ohne Unterbrechung absolviert wurde. Entscheidend ist vielmehr, ob der Arbeitnehmer in jener Zeit, in der er ausgebildet wurde, zur Gänze freigestellt war, weil nur unter dieser Voraussetzung davon ausgegangen werden kann, dass der fortgezahlte Lohn nicht Entgelt für die Arbeitsleistung ist. Hier haben die Streitteile eine ausdrückliche Vereinbarung auch über den Rückersatz des während der Ausbildung fortgezahlten Lohns getroffen, die sich auf den theoretischen Teil der Ausbildung (600 Stunden) und auf die Zeit der externen Praxis (120 Stunden) bezieht. Die Zeit der internen Praxis ist von dieser Vereinbarung - offenbar im Sinne der oben wiedergegebenen Rechtsprechung - ohnedies nicht umfasst. Gegenstand der Vereinbarung ist also eine Ausbildungszeit von insgesamt 650 Stunden, sodass im Sinne der oben zitierten Ausführungen Reissners von einer länger dauernden Ausbildung gesprochen werden muss. Den Feststellungen ist auch zu entnehmen, dass die Klägerin während der von der Vereinbarung erfassten Ausbildung (theoretische Ausbildung und externe Praxis) von ihrer Arbeitsleistung freigestellt und - als Küchenhilfe - auch nicht zur Absolvierung der Ausbildung verpflichtet war. Die Zeit der Ausbildung kann daher nicht als Erfüllung des Dienstvertrags gewertet werden; der auf diese Zeit entfallende Lohn ist vereinbarungsgemäß nicht Entgelt für die Arbeitsleistung. Der Umstand, dass die gesamte Ausbildungszeit nicht in einem Zug, sondern in (durch mehr oder weniger große Zeiträume unterbrochenen) Abschnitten von jeweils meist drei bis fünf Tagen absolviert wurde, ist daher ohne Bedeutung. Ein rechtfertigender Grund, davon die Rückforderbarkeit des während der Ausbildung fortgezahlten Lohns abhängig zu machen, ist nicht erkennbar.

Einwände gegen die Berechnung des von der Beklagten einbehaltenen Betrags wurden im Revisionsverfahren nicht erhoben. In Stattgebung der Revision war daher das Ersturteil wiederherzustellen.

Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens gründet sich auf die §§ 41, 50 Abs 1 ZPO.