JudikaturJustiz8ObA268/94

8ObA268/94 – OGH Entscheidung

Entscheidung
31. August 1994

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Huber als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Petrag und Dr.Langer sowie die fachkundigen Laienrichter Edeltraut Haselmann und Alfred Klair als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Herlinde H*****, ***** vertreten durch Dr.Werner Goeritz, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Dr.Wolfgang W*****, *****vertreten durch Dr.Christian Jelinek, Rechtsanwalt in Wien, wegen 57.011,74 S brutto sA, infolge Revision der Klägerin gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 22. November 1993, GZ 32 Ra 139/93-22, womit infolge Berufung der Klägerin das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 23. Februar 1993, GZ 4 Cga 2561/91-15, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt und beschlossen:

Spruch

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird teilweise dahin abgeändert, daß das erstgerichtliche Urteil als Teilurteil zu lauten hat:

"Der Beklagte ist schuldig, der Klägerin einen Betrag von 19.366,67 S brutto samt 4 % Zinsen seit 3.Dezember 1991 binnen vierzehn Tagen bei Exekution zu bezahlen."

Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens erster, zweiter und dritter Instanz bleibt insoweit der Endentscheidung vorbehalten.

Im übrigen - bezüglich eines Begehrens von 37.645,07 S brutto samt 4 % Zinsen aus 57.011,74 S brutto vom 21.Mai 1991 bis 2.Dezember 1991 und aus 37.645,07 S brutto seit 3.Dezember 1991 - werden die Urteile der Vorinstanzen aufgehoben; die Rechtssache wird in diesem Umfang zur Ergänzung des Verfahrens und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind insoweit weitere Verfahrenskosten.

Entscheidungsgründe:

Text

Die Klägerin war ab 1.Dezember 1987 als Ordinationshilfe beim Beklagten angestellt. Zuletzt bezog sie 8.300 S monatlich brutto, vierzehnmal jährlich. Am 21.Dezember 1990 hatte die Klägerin einen schweren Verkehrsunfall und war deswegen bis zum 20.Mai 1991 durchgehend im Krankenstand. Auf eigenen Wunsch wurde die Klägerin per 20.Mai 1990 gesundgeschrieben, weil sie ihre Arbeit beim Beklagten nicht verlieren wollte. Sie hatte schon einige Tage vorher mit dem Beklagten vereinbart, daß sie ab 21.Mai 1991 wieder bei ihm arbeiten werde. Am 15.Mai 1991 wurde die Klägerin verhaftet und befand sich vom 17.Mai bis 8.Juli 1991 in Untersuchungshaft. Der Klägerin und ihrem Gatten wurde vorgeworfen, die Bekanntgabe einer Person zu verweigern, die mittels einer gestohlenen Visa-Karte Straftaten verübt habe. Anläßlich einer Hausdurchsuchung am 15.Mai 1991 gelang es der Klägerin, mit ihrer Schwester Gabriele H***** zu sprechen. Sie sagte ihr lediglich, sie solle dem Beklagten mitteilen, daß die Klägerin am 21.Mai 1991 nicht kommen könne; dies allerdings nur, sofern sie bis dahin nicht enthaftet worden sein sollte. Gabriele H***** teilte dem Beklagten am 20.Mai 1991 mit, daß die Klägerin am 21.Mai 1991 nicht kommen könne und bat ihn, sie neuerlich krank zu schreiben. Als der Beklagte dies verweigerte und die Klägerin zu sprechen wünschte, antwortete ihm Gabriele H***** ausweichend, dies sei nicht möglich, weil die Klägerin nicht da sein. Dies antwortete sie auch am 21.Mai 1991, als sie von der Gattin des Beklagten in der Wohnung der Klägerin telefonisch erreicht wurde. Am 21. Mai 1991 richtete der Beklagte folgendes, von seinem Steuerberater verfaßtes Schreiben an die Klägerin: "Ich habe die Verständigung durch Ihre Schwester erhalten, daß Ihr Krankenstand mit 20.5.1991 zu Ende ist und Sie ihre Beschäftigung nicht mehr fortsetzen wollen. Ich betrachte die vorzeitige Lösung des Dienstverhältnisses als vorzeitigen Austritt durch Sie und werde, falls keine Äußerung von Ihnen bis 24.5.1991 erfolgt, die entsprechende Abmeldung durchführen. Die Endabrechnung sowie Ihre Papiere werden Ihnen nach Rückgabe der Ordinationsschlüssel ausgefolgt." Am 22.Mai 1991 fragte Gabriele H***** beim Beklagten telefonisch an, ob der Brief an die Klägerin wichtig sei. Als ihr die Gattin des Beklagten erklärte, daß es sich dabei sehr wohl um etwas Wichtiges handle, teilte ihr Gabriele H***** mit, daß sich die Klägerin und ihr Gatte in Untersuchungshaft befänden. Nach Mitteilung dieses Umstandes verfaßte der Steuerberater des Beklagten am 23.Mai 1991 ein mit 21.Mai 1991 datiertes Schreiben, mit dem die Entlassung der Klägerin ausgesprochen wurde. Dieses Schreiben wurde am 27.Mai 1991 zur Post gegeben. Der Beklagte stellte keinerlei Nachforschungen über die Untersuchungshaft der Klägerin an.

Die Klägerin begehrte 57.011,74 S brutto sA und zwar drei Monatsbezüge Kündigungsentschädigung (29.050 S), zwei Monatsbezüge Abfertigung (19.366,67 S) und Urlaubsentschädigung für 30 Werktage abzüglich der gezahlten Urlaubsabfindung (11.173,07 S abzüglich 2.578 S, sohin 8.595,07 S). Der Beklagte habe wegen der Untersuchungshaft der Klägerin nicht die Entlassung aussprechen dürfen, sondern zuwarten müssen, bis sie selbst eine Erklärung zum Sachverhalt hätte abgeben können. Die Klägerin sei dem Beklagten als fleißige, verläßliche und unbescholtene Mitarbeiterin bekannt gewesen, weshalb die bloße Information, über die Klägerin sei Untersuchungshaft verhängt worden, nicht ausreichen könne, um der Klägerin Vertrauensunwürdigkeit vorwerfen zu können.

Der Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Die Klägerin sei zur vereinbarten Wiederaufnahme ihrer Tätigkeit beim Beklagten am 21.Mai 1991 nicht erschienen. Nach ausweichenden Auskünften über den Verbleib der Klägerin habe die Schwester der Klägerin ihm schließlich mitgeteilt, daß sich die Klägerin und ihr Mann seit ca einer Woche in Untersuchungshaft befänden. Nachdem sich der Beklagte durch Rückfrage beim Landesgericht für Strafsachen Wien von der Richtigkeit dieser Mitteilung überzeugt habe, habe er die Entlassung der Klägerin ausgesprochen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab und führte zur Begründung aus, daß die Verbüßung einer fast zwei Monate dauernden Untersuchungshaft der Dienstverhinderung durch eine längere Freiheitsstrafe gemäß § 27 Z 5 AngG gleichzuhalten sei.

Das Berufungsgericht bestätigte das erstgerichtliche Urteil. Auf die Rüge der Berufungswerberin, die Entlassung könne nicht schon zu Beginn der Dienstverhinderung durch die Untersuchungshaft ausgesprochen werden, ging das Berufungsgericht nicht ein, sondern begnügte sich mit dem Hinweis auf die Dauer der Untersuchungshaft und die von der Berufungswerberin gar nicht in Zweifel gezogene Möglichkeit, die Entlassung bis zum Ende des durch die Untersuchungshaft bewirkten Dauerzustandes auszusprechen.

Gegen das berufungsgerichtliche Urteil richtet sich die Revision der Klägerin aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, es im Sinne der Stattgebung des Klagebegehrens abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Beklagte hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist berechtigt.

Zunächst ist klarzustellen, daß die Dienstverhinderung durch Verbüßung einer Untersuchungshaft nicht als Dienstverhinderung durch eine längere Freiheitsstrafe im Sinne der ersten Modifikation des Entlassungstatbestandes des § 27 Z 5 AngG zu qualifizieren ist, sondern einen Fall der zweiten Modifikation dieses Tatbestandes "Abwesenheit während einer den Umständen nach erheblichen Zeit" bildet (siehe Kuderna Entlassungsrecht2 119; Mayer-Maly-Marhold Arbeitsrecht I 195; Grillberger in Schwimann ABGB IV/2 § 1162 Rz 86; SozM I A/d 901; JBl 1961, 374 = SozM I A/d 427). Als Untergrenze dieser "erheblichen" Zeit ist im Hinblick auf die rechtsähnliche Bestimmung des § 82 lit i GewO 1859 ein Zeitraum von vierzehn Tagen anzusehen (siehe Kuderna aaO 119; Grillberger aaO Rz 87), doch können eine die Gründe für die Untersuchungshaft berücksichtigende Interessenabwägung und die Bedachtnahme auf die Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung im Einzelfall dazu führen, daß die "den Umständen nach erhebliche Zeit" vierzehn Tage überschreitet (siehe Kuderna aaO

119; vgl JBl 1961, 374; Arb 9.297 = ZAS 1974/23 [im Ergebnis

zustimmend Schnorr] = DRdA 1974, 149 [ablehnend Hagen]). Da die Entlassung nicht auf Gründe gestützt werden kann, die sich nach ihrem Ausspruch - etwa auch während ihrer Übermittlung - ereignet haben (Kuderna aaO 12 und 13 Anm 1; Krejci in Rummel ABGB2 I § 1162 Rz 37; Schaub Arbeitsrechtshandbuch7 § 125 IV 3 a; Arb 10.649; Arb 9.492 ua), wird ein Ausspruch der Entlassung zu einem Zeitpunkt, zu dem die Dienstverhinderung noch nicht erhebliche Zeit gedauert hatte, nicht dadurch nachträglich saniert, daß die Dienstverhinderung nach dem Zeitpunkt des Ausspruches der Entlassung andauert (siehe Kuderna aaO 119 f; JBl 1961, 374). Da der Beklagte die Entlassung der Klägerin mit einem am 27.Mai 1991 zur Post gegebenen Schreiben vor Ablauf der als Untergrenze anzusehenden vierzehntägigen Dauer der Dienstverhinderung ausgesprochen hat, war die Entlassung jedenfalls als unberechtigt zu qualifizieren, ohne daß es einer Bedachtnahme auf die Gründe der Haft und die allfällige Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung der Klägerin durch den Beklagten bedurfte.

Der Klägerin gebührt daher gemäß § 23 Abs 1 und 7 AngG die begehrte Abfertigung in Höhe von zwei Monatsbezügen inklusive anteiliger Sonderzahlungen (siehe Martinek-M. und W.Schwarz Angestelltengesetz7 449) im Betrage von 19.366,67 S. In diesem Umfang war daher dem Klagebegehren mit Teilurteil stattzugeben.

Zur Beurteilung der Höhe der Ansprüche auf Kündigungs- und Urlaubsentschädigung bedarf es hingegen einer weiteren Erörterung sowie ergänzender Feststellungen. Gemäß § 29 Abs 1 AngG gebührt der Klägerin Kündigungsentschädigung in Höhe ihres fiktiven Entgeltes bis zur Beendigung des Dienstverhältnisses durch ordnungsgemäße Dienstgeberkündigung. Gemäß § 29 Abs 2 AngG kann der Angestellte, soweit dieser Zeitraum drei Monate nicht übersteigt, das gesamte für diese Zeit gebührende Entgelt sofort und ohne Abzug fordern. Da während des Zeitraumes der Dienstverhinderung durch Untersuchungshaft kein Entgelt gebührt, steht der Klägerin Kündigungsentschädigung jedenfalls erst für den Zeitraum ab 9.Juli 1991 zu. Da in § 29 Abs 2 AngG mit der Wortfolge "Soweit der im Absatz 1 genannte Zeitraum drei Monate nicht übersteigt" ausdrücklich auf den im § 29 Abs 1 AngG genannten Zeitraum von der Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Entlassung ohne wichtigen Grund bis zur fiktiven Beendigung durch ordnungsgemäße Dienstgeberkündigung Bezug genommen wird, beginnt der im § 29 Abs 2 AngG genannte Dreimonatszeitraum bereits mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses, ohne daß es darauf ankäme, ob bereits ab diesem Zeitpunkt Entgeltfortzahlungspflicht bestünde. Es bedarf daher ergänzender Behauptungen des hiefür beweispflichtigen Beklagten über den Zugang der Entlassungserklärung; sollte sie mehr als drei Monate vor dem gemäß § 20 Abs 2 AngG maßgeblichen Kündigungstermin zugegangen sein, wäre für den drei Monate übersteigenden Zeitraum - im Falle entsprechender Behauptung und Beweisführung durch den Beklagten (siehe Martinek-M. und W.Schwarz AngG7 667) - eine Anrechnung dessen vorzunehmen, was die Klägerin anderweitig erworben oder absichtlich zu erwerben versäumt hat.

Was die Urlaubsentschädigung betrifft, hat der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 9 ObA 38/94 unter Berufung auf Schrank (Aktuelle Rechtsfragen zu Ausmaß und Verbrauch des Urlaubs ZAS 1992, 181 ff [183 f]) und Tomandl (Die Vergütung nicht verbrauchten Urlaubs ZAS 1987, 1 ff und 45 ff [10]) ausgesprochen, daß analog zu den Vorschriften der §§ 15 Abs 3 MSchG, 9 Abs 1 und 2 APSG, 4 Abs 1, 5 und 6 BUAG sowie 119 Abs 2 ArbVG aus entgeltfortzahlungsfreien Dienstzeiten ein Urlaubsanspruch (und demgemäß auch ein Anspruch auf Urlaubsentschädigung) nicht abzuleiten ist. Geht man entsprechend dem Beginn des Dienstverhältnisses von einem jeweils mit 1.Dezember beginnenden Urlaubsjahr aus, dann fielen bereits in den Zeitraum vor Beginn der Untersuchungshaft der Klägerin zufolge Auslaufens des Entgeltfortzahlungsanspruches nach § 8 Abs 1 AngG entgeltfortzahlungsfreie Zeiten, die ebenso wie die entgeltfortzahlungsfreie Zeit der Dienstverhinderung durch Untersuchungshaft zur entsprechenden Minderung des Urlaubsanspruches (und damit des Anspruches auf Urlaubsentschädigung) führen. Die grundsätzlich für das gesamte Urlaubsjahr gebührende Urlaubsentschädigung wäre daher im Ausmaß der auf den entgeltfortzahlungsfreien Zeitraum entfallenden Urlaubstage (für den Zeitraum der Fortzahlung des halben Entgeltes um die Hälfte der darauf entfallenden Urlaubstage) zu kürzen und der verbleibende, der Bemessung der Urlaubsentschädigung zugrunde zu legende Urlaubsanspruch analog § 9 Abs 1 APSG und § 15 Abs 3 MSchG auf ganze Werktage aufzurunden.

Schließlich ist auch die Fälligkeit und damit der Beginn der Verzinsung der zuerkannten Abfertigung gemäß § 23 Abs 4 AngG vom Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Zugang der Entlassungserklärung abhängig, sodaß Zinsen nur ab Klagsbehändigung zuerkannt werden konnten; auch über das weitere Zinsenbegehren wird im fortgesetzten Verfahren zu entscheiden sein.

Der Revision war daher bezüglich des Anspruches auf Kündigungs- und Urlaubsentschädigung sowie eines Teiles des zum Anspruch auf Abfertigung geltend gemachten Zinsenbegehrens im Sinne des eventualiter gestellten Aufhebungsantrages Folge zu geben.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf § 52 Abs 2 iVm § 392 Abs 2 ZPO.