JudikaturJustiz8Ob277/65

8Ob277/65 – OGH Entscheidung

Entscheidung
19. Oktober 1965

Kopf

SZ 38/165

Spruch

Der Notar als Urkundenverfasser muß sich nicht von der Handlungsfähigkeit des Hypothekarschuldners durch persönliche Fühlungnahme überzeugen

Entscheidung vom 19. Oktober 1965, 8 Ob 277/65

I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz; II. Instanz:

Oberlandesgericht Graz

Text

In der Notariatskanzlei des Beklagten wurde am 8. April 1960 ein Schuldschein über ein Darlehen von 20.000 S und am 31. Mai 1960 ein Schuldschein über 17.000 S errichtet. Darlehensgeberin war die Klägerin, Darlehensnehmer waren Franz B. und Alois U. Letzterer bestellte zur Sicherheit beider Darlehen seine landwirtschaftliche Liegenschaft EZ. 11 Katastralgemeinde Sch. zum Pfand.

Die Klägerin behauptet in der Klage, sie habe den Beklagten beauftragt, Darlehen an Interessenten gegen grundbücherliche Sicherstellung auf den ersten Satz zu vergeben. Sie habe als selbstverständlich vorausgesetzt, daß die Darlehen an Bewerber gegeben werden, die für die Bezahlung der Zinsen und Rückzahlung des Darlehens genug sicher seien. Gegen Franz B. seien ihre Forderungen uneinbringlich, weil dieser kein Vermögen habe, während ihre Klage gegen Alois U. deshalb keinen Erfolg gehabt habe, weil er zur Zeit des Abschlusses der Darlehensverträge geschäftsunfähig gewesen sei. Der Beklagte habe es unterlassen, sich vor Vertragsverfassung über die Darlehenswürdigkeit, insbesondere über die Handlungsfähigkeit des Alois U. zu informieren. Es sei seine Pflicht gewesen, sich zu überzeugen, ob Alois U. imstande gewesen sei, den Inhalt der Urkunden zu erfassen. Ihr sei durch die Pflichtverletzung des Beklagten ein Schaden entstanden, für den der Beklagte gemäß § 1299 ABGB. zu haften habe. Ihr Schaden betrage einschließlich des Zinsenverlustes und der Prozeßkosten 46.813.17 S. Diesen Betrag begehrt die Klägerin in der Klage.

Der Beklagte brachte dagegen vor, er habe von der Klägerin lediglich den Auftrag gehabt, die Verträge zu errichten und die Grundbuchsgesuche herzustellen, während die Auswahl der Darlehensnehmer und die Festlegung der Vertragsbedingungen Aufgabe der Firma Grundverkehrsgesellschaft W. Co. gewesen sei. Die Leistung der Unterschrift des Alois U. und deren Beglaubigung sei vor dem Bezirksgericht Bruck a. d. Mur erfolgt. Es sei nicht seine Pflicht gewesen, sich persönlich von der Zurechnungsfähigkeit der Vertragsteile zu überzeugen.

Das Erstgericht wies die Klage ab.

Das Berufungsgericht führte teilweise eine Beweiswiederholung und Beweisergänzung durch und gelangte zu einer Bestätigung des Ersturteils.

Nach den Feststellungen sei der rechtlichen Beurteilung folgender Sachverhalt zugrunde zu legen:

Bis zum Jahre 1959 gab der Beklagte, bzw. sein Sohn, der in der Notariatskanzlei beschäftigt war, für die Klägerin wiederholt Darlehen an Interessenten, die sich im Notariat meldeten. In diesen Fällen hatte der Beklagte die Güte des Darlehensnehmers und die Sicherheit der Anlage zu prüfen. In den Jahren danach beschränkte sich die Tätigkeit des Beklagten auf die Errichtung und Durchführung der Darlehensverträge.

Franz B. sprach im Februar oder März 1960 im Vermittlungsbüro W. Co. wegen eines Darlehens vor. Der Angestellte dieser Firma Georg R. erklärte ihm, er könne ihm kein Darlehen verschaffen, wenn er nicht eine Sicherstellung auf einer Realität beibringe. B. brachte dann U. zu R. Gemeinsam besprachen sie die Darlehensgewährung und die Sicherstellung im Grundbuch auf der Liegenschaft des U. Georg R. beschaffte mit Unterstützung des B. einen Grundbuchsauszug, den Grundbesitzbogen und die Feuerversicherungspolizze über die Liegenschaft des U. Diese Unterlagen übergab Georg R. der Kanzlei des Beklagten mit dem Vermerk, daß von der Klägerin ein Darlehen von 20.000 S gegeben werde und die Sicherstellung im Grundbuch nach einer dort vorhandenen Hypothek üben 30.000 S vorzunehmen sei. Einige Zeit darauf erschien B. in der Kanzlei des Beklagten, der mit ihm die Darlehensgewährung besprach und ihn aufforderte, mit U. zur Leistung der Unterschrift auf dem Schuldschein in sein Büro zu kommen. B. kam dann aber allein und erklärte, U. sei schwer abkömmlich und ersuche, die Urkunde durch ihn in Bruck a. d. Mur beim Bezirksgericht unterschreiben zu lassen. B. übernahm den Schuldschein mit der Aufforderung, diesen durch U. beim Gericht unterfertigen zu lassen. Am 8. April 1960 unterschrieb U. vor einem Beamten des Bezirksgerichtes Bruck a. d. Mur, der die Beglaubigung vornahm. B. ließ sich nach der Verbücherung des Pfandrechtes in der Kanzlei des Beklagten auf Grund einer schriftlichen Anweisung des U., die von der Kanzlei des Beklagten entworfen und von U. unterschrieben worden war, das Darlehen auszahlen. Das Geld war von der Klägerin Anfang April 1960, nachdem sie von R. verständigt worden war, daß sich ein Darlehenswerber gefunden habe, im Büro des Beklagten erlegt worden.

Im Mai 1960 kam B. wieder zu R. und ersuchte ihn um ein weiteres Darlehen von 17.000 S. R. übermittelte der Kanzlei des Beklagten einen Zettel, auf dem der Darlehensbetrag und die Darlehensnehmer mit dem Beisatz vermerkt waren, daß das Darlehen zu den gleichen Bedingungen wie das über 20.000 S zu geben sei. Fernmündlich teilte er noch mit, die Klägerin werde den Betrag zum Beklagten bringen.

Der weitere Vorgang war der gleiche wie beim ersten Darlehen: B. übernahm den Schuldschein und ließ diesen durch U. beim Bezirksgericht in Bruck a. d. Mur am 31. Mai 1960 beglaubigt unterschreiben. Der Darlehensbetrag wurde dem B. am 1. Juni 1960 durch die Kanzlei des Beklagten ausgefolgt, nachdem B. eine Anweisung des U. auf Auszahlung an ihn vorgelegt hatte.

Als die zunächst fälligen Zinsen von den Darlehensnehmern nicht bezahlt wurden, erhob die Klägerin gegen sie die Klage auf Rückzahlung des Darlehens von 17.000 S. Gegen B. erging ein Versäumungsurteil. U. wandte Nichtigkeit des Vertrages wegen seiner Handlungsunfähigkeit zur Zeit der Darlehensgewährung ein. Die Klage gegen ihn wurde abgewiesen, weil er infolge Geistesschwäche nicht handlungsfähig gewesen sei. Auf Antrag der Ehefrau des U. leitete das Bezirksgericht Bruck a. d. Mur gegen U. ein Entmündigungsverfahren ein und sprach am 27. August 1962 die beschränkte Entmündigung wegen Geistesschwäche aus. Der Geisteszustand des U. ist ebenso wie zur Zeit der Unterfertigung der beiden Schuldscheine den geistigen Fähigkeiten eines Kindes zwischen sieben und vierzehn Jahren gleich zu halten. Er war damals nicht fähig, die Tragweite seiner Schuldverpflichtungen einzusehen und danach zu handeln.

B. wurde vom Landesgericht für Strafsachen Graz am 22. Februar 1961 wegen Verbrechens des Betruges verurteilt, weil er dem U. durch Zusicherung der Lieferung von landwirtschaftlichen Maschinen die Bürgschaft für die Schulden von 20.000 S und 17.000 S herausgelockt habe.

Das Berufungsgericht gelangte zur Annahme, es sei dem Beklagten nur die Vertragsverfassung und deren Durchführung übertragen worden, nachdem sich durch die Einschaltung eines Vermittlers die Parteien bereits über die wirtschaftliche Seite einig und dem Beklagten sowohl Darlehensgeber als auch Darlehensnehmer vom Vermittler, der für die Klägerin tätig geworden war, namhaft gemacht worden waren. Bedenken in wirtschaftlicher oder persönlicher Hinsicht habe der Beklagte nicht hegen müssen. Das Bestehen auf Unterschriftsleistung in seiner Kanzlei oder gar eine besondere Überprüfung der Geschäftsfähigkeit des U. sei nicht Pflicht des Beklagten gewesen. Eine Pflichtverletzung und damit ein Verschulden des Beklagten könne in seinem Verhalten nicht gesehen werden.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Klägerin nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichtes hält die Klägerin in mehrfacher Richtung für unrichtig. Vorerst stellt sie in Abrede, daß der Notar nur bei Verschulden zur Haftung herangezogen werden könne. Der Beklagte sei zwar haftbar nach den §§ 1299, 1300 ABGB., doch seien diese Bestimmungen so auszulegen, daß bloße Erfolgshaftung genüge. Grundsätzlich kann Schadenersatz nach dem ABGB. nur bei Verschulden verlangt werden. Der Beklagte hatte bei Errichtung von privaten Urkunden, wenn er also außerhalb seiner Amtswirksamkeit im Sinne des § 1 NotO. tätig wurde, mit Redlichkeit, Genauigkeit und Fleiß nach den bestehenden Rechtsvorschriften vorzugehen (§ 5 (2) NotO. in der Fassung vor dem Gesetz: Bl. Nr. 139/1962). Seine diesbezügliche Tätigkeit steht mit der eine Rechtsanwaltes gleich. Die Bestimmungen der §§ 34, 36 NotO. finden keine Anwendung (GZ. 1905 S. 185). Der Notar haftet nach den Bestimmungen des § 1299 ABGB. (SZ. XXXIV 130). Er hat den Mangel der nötigen Sorgfalt zu vertreten und haftet also nicht gemeinhin für jeden Schaden, sondern nur, wenn ihm ein Versehen unterlaufen ist, das auf einer schuldhaften Verletzung seiner Pflichten beruht. Er hat nur für ein Verschulden einzustehen.

Der Beklagte war als hiezu Beauftragter Urkundenverfasser und zugleich Treuhänder für die Vertragsteile (JBl. 1958, S. 122 ff.). Er hatte für die Klägerin und auch für U. die ihm übertragenen Geschäfte genauest zu besorgen und alle Mittel anzuwenden, die mit der Natur der Geschäfte notwendig verbunden waren (8 Ob 166/64). Nachdem ihm die Vertragspartner und die Vertragsbestimmungen bereits durch das Vermittlungsbüro bekannt geworden waren, hatte er die Aufgabe, die Darlehensverträge in die entsprechende rechtliche Form zu bringen sowie die Verbücherung der Pfandrechte auf der Liegenschaft des U. zu veranlassen und, nachdem ihm von der Klägerin die Darlehensvaluta überbracht worden war, diese auszuzahlen. Wenn die Klägerin behauptet, dem Beklagten sei von ihr mehr als die Vertragsverfassung und die grundbücherliche Durchführung aufgetragen worden, nämlich die "Veranlagung" ihrer Gelder, woraus sie den Schluß ableitet, der Beklagte sei verpflichtet gewesen, die Interessen der Klägerin in jeder Hinsicht zu wahren und ihr Geld so anzulegen, daß ihr kein Schaden erwachsen hätte können, so geht sie nicht von den Feststellungen des Berufungsgerichtes aus, nach denen der Beklagte nicht mit dem Auffinden, der Auswahl und der Prüfung der Darlehensinteressenten seitens der Klägerin beauftragt war. Andererseits steht nicht die Kreditunwürdigkeit und die mangelnde wirtschaftlich; Sicherheit des U. zur Entscheidung, weil die Klägerin nicht behauptet hat, im Falle der rechtlich wirksamen Verpflichtungsfähigkeit des U. wären ihre Darlehensforderungen wegen mangelnder Deckung uneinbringlich gewesen. Maßgeblich ist vielmehr die Beurteilung der Rechtsfrage, ob der Beklagte als Beauftragter der Klägerin im Rahmen der Errichtung der Darlehensverträge seine Pflichten, die er gemäß § 5 (2) NotO. in der Fassung vor dem Gesetz BGBl. Nr. 139/1962 zu beachten hatte, dadurch vernachlässigt hat, daß er U. weder zur Abfassung der Urkunden beizog, noch sich persönlich überzeugte, ob U. selbständig verpflichtungsfähig sei.

Die Sorgfaltspflicht des Notars als Urkundenverfassers darf nicht überspannt werden (7 Ob 87/64). Für den Beklagten bestanden hinsichtlich der Geschäftsfähigkeit des U. keinerlei Bedenken. Er mußte deshalb keinen Verdacht aus dem Umstand schöpfen, daß U. zur Vertragserrichtung nicht erschienen war. Es ist dem Notar nicht vorgeschrieben, bei der Abfassung von Privaturkunden die persönliche Anwesenheit der Parteien zu verlangen. Erfahrungsgemäß werden derartige Rechtsgeschäfte, bei denen ein Rechtsanwalt oder Notar als Schriftenverfasser fungiert, häufig durch Vertreter oder auf schriftlichem Wege abgeschlossen. Daß gerade ein Notar, der hier keine andere Stellung hat als ein Rechtsanwalt, Urkunden auf diese Art nicht errichten dürfte, ist nicht einzusehen. Der Beklagte hätte die Handlungsfähigkeit des U. dann prüfen müssen, wenn er in dieser Beziehung durch konkrete Anhaltspunkte hätte Verdacht schöpfen müssen. Der von B. vorgebrachte Vorwand, U., der im Gerichtsbezirk Bruck a. d. Mur wohnte, sei unabkömmlich, war einleuchtend und auch die Beglaubigung der Unterschrift war durch einen Gerichtsbeamten unbeanstandet vorgenommen worden. Den Notar trifft auch nicht die Pflicht, den Inhalt der Schuldurkunde mit den Parteien selbst durchzubesprechen, wenn sich diese beim Geschäftsabschluß vertreten lassen. Würde man diese strenge Anforderung stellen, wäre jede Möglichkeit der rechtsgeschäftlichen Vertretung vor einem Notar ausgeschlossen. Wollte die Klägerin unbedingte Gewißheit über die Verpflichtungsfähigkeit des Darlehensnehmers haben, hätte sie dem Notar einen besonderen Auftrag zur Überprüfung erteilen oder sich selbst oder durch ihren Vermittler diese Gewißheit verschaffen müssen, da sie dem Beklagten durch einen Vermittler den Darlehensabschluß aufgetragen hatte und nicht der Beklagte es war, der den Darlehenswerber ausfindig gemacht hatte. Daß B. die Darlehen zu seinen Handen auszahlen ließ und zu diesem Zweck eine schriftliche Zustimmungserklärung des U. beibrachte, mußte beim Beklagten keinen Verdacht erregen. Im Innenverhältnis der beiden Darlehensnehmer war U. derjenige, der das Pfand bestellte, während B. der eigentliche Darlehensempfänger war. Deshalb war es nicht ungewöhnlich, daß B. die Darlehenssumme in Empfang nahm.

Es kann sohin dem Beklagten als Urkundenverfasser eine schuldhafte Vernachlässigung seiner Pflichten gegenüber der Klägerin nicht zum Vorwurf gemacht werden. Die rechtliche Beurteilung der Untergerichte war zu billigen.