JudikaturJustiz8Ob136/10y

8Ob136/10y – OGH Entscheidung

Entscheidung
25. Mai 2011

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Spenling als Vorsitzenden und durch den Hofrat Hon. Prof. Dr. Kuras, die Hofrätin Dr. Tarmann Prentner sowie die Hofräte Mag. Ziegelbauer und Dr. Brenn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1) A***** R*****, Pensionist, *****, 2) E***** E*****, Zimmerer und Landwirt, *****, 3) J***** G*****, Landwirt, *****, alle vertreten durch Dr. Peter S. Borowan und Partner, Rechtsanwälte in Spittal an der Drau, gegen die beklagte Partei J***** O*****, Pensionist, *****, vertreten durch Dr. Margot Tonitz, Rechtsanwältin in Klagenfurt, wegen Entfernung einer Absperrung und Unterlassung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Berufungsgericht vom 19. August 2010, GZ 3 R 69/10x 46, mit dem über Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichts Spittal an der Drau vom 20. Jänner 2010, GZ 1 C 1216/07i 41, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass sie zu lauten haben:

„Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig,

1) die Absperrung, die im Bereich der Grundstücksgrenze zwischen den Grundstücken ***** und ***** je KG ***** über den dort befindlichen Weg auf dem Grundstück ***** errichtet wurde, zu entfernen und

2) jede Störung des Geh- und Fahrrechts der klagenden Parteien auf dem über das Grundstück ***** der KG ***** führenden Weg, insbesondere durch Errichten von Absperrungen oder ähnlichen Hindernissen, zu unterlassen,

wird abgewiesen.

Die klagenden Parteien sind schuldig, der beklagten Partei die mit 10.839,10 EUR (darin 1.706 EUR Umsatzsteuer und 603 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz und die mit 1.500,93 EUR (darin 155,65 EUR Umsatzsteuer und 567 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Verfahrens zweiter Instanz zu ersetzen.“

Die klagenden Parteien sind ferner schuldig, der beklagten Partei die mit 1.352,30 EUR (darin 107,12 EUR Umsatzsteuer und 709,60 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

1955 wurde von einer zu diesem Zweck gegründeten Weggenossenschaft der Almaufschließungsweg „M***** Almweg“ errichtet. 1963 errichtete die „S***** Weggenossenschaft“ den „S***** Almweg“. Der Erst-, der Drittkläger und der Beklagte sind Mitglieder beider Weggenossenschaften, der Zweitkläger ist Mitglied und Obmann der S***** Weggenossenschaft.

Anlässlich der Errichtung des S***** Almwegs wurde aus bautechnischen Gründen ein Verbindungsweg vom M***** Almweg zum S***** Almweg errichtet. Sämtliche Grundstücke, die bei der Errichtung des Verbindungswegs in Anspruch genommen wurden, gehörten Mitgliedern einer der beiden Weggenossenschaften. Unter anderem überquert der Weg das im Spruch genannte Grundstück, das seit 1995 dem Beklagten gehört.

2007 hat der Beklagte über den Verbindungsweg entlang der Grenze zwischen seinem Grundstück und dem östlich daran angrenzenden Grundstück eine Absperrung aus an mehreren Säulen befestigten Torstahlgittern errichtet.

Die Kläger , die im vorliegenden Verfahren ein Geh- und Fahrrecht am Verbindungsweg behaupten, begehren mit ihrer Klage, den Beklagten schuldig zu erkennen, diese Absperrung zu entfernen und jede Störung ihres Geh- und Fahrrechts an diesem Weg zu unterlassen. Der Weg sei von ihnen und einer Vielzahl anderer Personen seit seiner Errichtung immer wieder befahren und begangen worden. Der Beklagte, dem die Benützung des Wegs durch die Kläger zum Zeitpunkt des Erwerbs des Eigentums am betroffenen Grundstück bekannt gewesen sei, habe die Absperrung widerrechtlich errichtet.

Der Beklagte beantragte, das Klagebegehren abzuweisen. Der Verbindungsweg sei lediglich aus bautechnischen Gründen errichtet worden. Die Kläger hätten diesen Weg niemals befahren oder begangen. Sollten sie den Weg benützt haben, dann nicht in der Annahme einer Wegdienstbarkeit, sondern nur in der Annahme, dass es sich um einen allgemein und ohne besondere Bewilligung benutzbaren öffentlichen Weg handle. Die Absperrung habe er errichtet, weil die Gemeinde den Weg ohne seine Zustimmung als Mountainbike-Weg deklariert habe. Für ihn sei es daher notwendig gewesen, durch die Absperrung des Wegs eine allfällige Haftung für den Zustand des Wegs zu vermeiden.

Nachdem die Kläger bei ihrer Vernehmung als Parteien erklärt hatten, den Weg aufgrund ihrer Mitgliedschaft zu den beiden Weggenossenschaften benutzt zu haben, wendete der Beklagte die mangelnde Legitimation der Kläger ein, ein allenfalls einer der Weggenossenschaften zustehendes Geh- und Fahrrecht klageweise geltend zu machen. Die Kläger erklärten daraufhin, ihr Begehren darauf zu stützen, dass ihnen von den betroffenen Grundeigentümern (auch vom Beklagten) konkludent ein Geh- und Fahrrecht am in Rede stehenden Weg eingeräumt worden sei.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Über den eingangs wiedergegebenen Sachverhalt hinaus traf es folgende für die Entscheidung wesentliche Feststellungen:

Der Verbindungsweg wurde nach seiner Errichtung ungehindert von Mitgliedern beider Weggenossenschaften, aber auch von anderen Personen, unter anderem auch von Jägern und Touristen, begangen und befahren. Die betroffenen Grundeigentümer haben dies nie beanstandet. Der Weg konnte auch mit PKWs und landwirtschaftlichen Fahrzeugen befahren werden, was auch immer wieder geschehen ist. Fallweise wurden auch mittels Traktorgespann Gäste zu einer im Bereich der S***** Alm befindlichen Hütte über diesen Verbindungsweg transportiert.

Obwohl der Verbindungsweg nie behördlich in das Wegbauprojekt S***** Almweg einbezogen wurde, stellte er - weil ein anderer dafür vorgesehener Weg nicht erhalten wurde und verfiel - in der Realität den Zubringerweg zu einer Reihe von Grundstücken dar. Er wurde von der S***** Weggenossenenschaft als einer der vielen Zubringerwege zum Hauptweg angesehen und wegmäßig gewartet. Das wurde von den Mitgliedern dieser Weggenossenschaft auch nie beanstandet.

Auch der Beklagte, der den Weg zeitweise zur Bewirtschaftung einer gepachteten Weide benützt hat, hat den Verbindungsweg als Teil der Weganlage des S***** Almwegs gesehen. Mit einem an deren Obmann (den Zweitkläger) gerichteten Schreiben vom 30. 5. 2007 ersuchte er die Weggenossenschaft S*****, „dass der Weg … auch etwas hergerichtet gehört, dass man besser fahren kann“.

Seit Mitte der sechziger Jahre ist der Verbindungsweg als Wanderweg markiert. Die Initiative dafür ging vom Beklagten aus.

2001 wurde festgestellt, dass der Verbindungsweg nicht nur von Touristen zum Wandern, sondern auch zum Mountainbiken genutzt wurde. Die Gemeinde kam daraufhin mit den beiden Weggenossenschaften überein, dass dieser Weg als Mountainbike-Weg ausgeschildert wird. Hierfür wurde den beiden Weggenossenschaften (die diesem Vorschlag in Abwesenheit des Beklagten in Sitzungen zugestimmt hatten) ein Entgelt von je 400 EUR jährlich zugesagt. Zunächst wurde diese Ausschilderung nicht beanstandet. 2007 errichtete der Beklagte jedoch die streitgegenständliche Absperrung, die das Befahren des Wegs unmöglich macht.

Im Übrigen traf das Erstgericht umfangreiche Feststellungen, aus denen ersichtlich ist, dass die drei Kläger den Verbindungsweg in unterschiedlicher Intensität vor allem zu landwirtschaftlichen Zwecken, teilweise auch aus jagdlichen Gründen oder zur Nachbarschaftshilfe befahren und begangen haben. Diese Benützung war wie die Benützung durch zahlreiche andere Personen dem Beklagten „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ bekannt, wurde aber von ihm nie beanstandet. Die Kläger benützten den Verbindungsweg im Bewusstsein, dass er ein Teil des S*****- bzw des M***** Almaufschließungswegs und daher seine Benützung rechtens sei.

Aufgrund dieser Feststellungen ging das Erstgericht in seiner rechtlichen Beurteilung davon aus, dass zwischen den Klägern und dem Beklagten schlüssig ein Dienstbarkeitsvertrag zustande gekommen sei. Der Beklagte habe in Kenntnis des Umstands, dass der Weg auch von den Klägern immer wieder benützt worden sei, Wegpflegearbeiten geduldet. Der Beweis, dass nur eine jederzeitig widerrufbare Gebrauchsgestattung vorliege, sei ihm nicht gelungen. Zum Zeitpunkt, als er das betroffene Grundstück erworben habe, sei die Dienstbarkeit bereits offenkundig gewesen. Die Kläger erfüllten überdies sämtliche Voraussetzungen für den Erwerb der behaupteten Dienstbarkeit durch Ersitzung, der Drittkläger allerdings nur hinsichtlich der Dienstbarkeit des Gehens.

Das vom Beklagten angerufene Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und erklärte die ordentliche Revision für zulässig. Es ging ebenfalls davon aus, dass der Beklagte allen Klägern zumindest schlüssig ein Geh- und Fahrrecht über den auf seinem Grundstück verlaufenden Weg eingeräumt habe. Die Kläger bzw ihre Rechtsvorgänger hätten den Weg seit seiner Errichtung (der Drittkläger seit 1982) regelmäßig zum Gehen und zum Fahren benützt. Davon habe der Beklagte mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit (hinsichtlich des Erstklägers sogar mit Sicherheit) Kenntnis gehabt; er habe die Benützung aber nicht beanstandet. Gepflegt worden sei der Weg nur durch das Abschneiden von überhängenden Ästen; Gemeindearbeiter hätten Mäharbeiten durchgeführt. Von wesentlicher Bedeutung sei aber das Schreiben des Beklagten vom 30. 5. 2007 an den Zweitkläger als Obmann der Weggenossenenschaft S*****, in dem er ersuchte, den Weg so herzurichten, dass man besser fahren kann. Damit seien die Begehren der Kläger wegen der schlüssigen Einräumung eines Geh- und Fahrrechts berechtigt.

Die Revision sei zuzulassen, weil oberstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage, ob sich die schlüssige Einräumung eines Wegerechts an einzelne Mitglieder einer Weggenossenenschaft ohne dass die Begünstigten kostspielige Aufwendungen getätigt hätten auch aus einem vom Eigentümer des dienenden Grundstücks an die Weggenossenschaft gerichteten Ersuchen um Wegerhaltung ergeben kann.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Beklagten .

Die Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise, ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil das Berufungsgericht die Rechtslage verkannt hat; sie ist auch berechtigt.

Nach den Feststellungen der Vorinstanzen wurde der in Rede stehende Weg nicht nur von den Klägern, sondern von einem großen, nicht exakt abgrenzbaren Personenkreis benützt. Er diente als Zubringerweg für eine Reihe von Grundstücken, wurde aber auch von Jägern und Touristen und in den letzten Jahren auch von Mountainbikern benützt. Auch Hütten wurden über diesen Weg erreicht, wobei etwa festgestellt wurde, dass Besucher einer Hütte mit einem Traktorgespann über den Weg transportiert wurden. Dazu kommt, dass die Kläger den Weg im Bewusstsein benützten, dass er ein Teil des S*****- bzw des M***** Almaufschließungswegs und seine Benützung daher rechtens sei.

Unter diesen Umständen kann von einem schlüssig zustande gekommenen Dienstbarkeitsvertrag zwischen den Klägern einerseits und dem Beklagten (oder dessen Rechtsvorgängern) andererseits nicht die Rede sein:

Die Kläger haben nach den Feststellungen die im Übrigen durchaus im Einklang mit ihren Parteiangaben stehen ihr Recht zur Benützung aus der Mitgliedschaft zu den beiden Weggenossenschaften abgeleitet. Sie haben daher das ihre Wegbenützung duldende Verhalten des Beklagten (bzw seiner Rechtsvorgänger) nicht dahin verstanden, dass ihnen persönlich ein von einem allfälligen Recht der Weggenossenschaften unabhängiges Benützungsrecht eingeräumt wird. Es ist auch kein Verhalten des Beklagten ersichtlich, das objektiv im Sinne der Einräumung irgendwelcher vom allgemeinen Gebrauch abweichender Individualrechte der Kläger verstanden werden konnte.

Es braucht hier nicht geprüft zu werden, welche Rechtsverhältnisse der allgemeinen Nutzung des Wegs zugrunde liegen bzw welche Rechte dadurch entstanden sind. Denkbar sind etwa Rechte der Weggenossenschaften, aber auch der Erwerb einer Dienstbarkeit durch die Gemeinde (RIS-Justiz RS0010120); für die Annahme eines Dienstbarkeitsvertrags zwischen den Klägern und der Beklagten besteht aber keinerlei Grundlage.

Dass der Beklagte „mit größter Wahrscheinlichkeit“ die Nutzung des Wegs durch die Kläger geduldet hat, steht damit nicht im Widerspruch, weil jegliche Anhaltspunkte fehlen, dass er damit eine vom allgemeinen Gebrauch bzw von allfälligen Rechtspositionen der Weggenossenschaften oder der Gemeinde abweichende Sondernutzung durch die Kläger - eine solche ist in keiner Weise ersichtlich - hinnehmen wollte. Ebenso bedeutungslos ist, dass er die Weggenossenschaft S***** um die Durchführung von Erhaltungsmaßnahmen am Weg ersucht hat. Wenn überhaupt, lassen sich darüber Rückschlüsse auf allfällige Vereinbarungen oder Rechtsbeziehungen mit der Weggenossenschaft ziehen, nicht aber auf die Einräumung eines Rechts an die Kläger persönlich.

Auf den von ihnen behaupteten Dienstbarkeitsvertrag können sich die Kläger daher nicht mit Erfolg berufen.

Aus den dargestellten Gründen ist aber auch auszuschließen, dass die Kläger die von ihnen behauptete Dienstbarkeit ersessen haben. Auch in diesem Zusammenhang ist entscheidend, dass die Kläger ihr Benützungsrecht aus ihrer Mitgliedschaft bei der Weggenossenschaft abgeleitet haben. Sie haben daher kein ihnen als Personen zustehendes (von allfälligen Rechten der Weggenossenschaften oder auch von Rechten der Gemeinde abweichendes) Individualrecht in Anspruch genommen und können ein solches Recht daher auch nicht ersessen haben.

Auf Rechte der Weggenossenschaften oder der Gemeinde haben die Kläger ihr Begehren nicht gestützt; sie haben auch nicht dargelegt, aus welchen Gründen sie persönlich berechtigt sein sollten, Rechte der Weggenossenschaften oder der Gemeinde klageweise geltend zu machen.

In Stattgebung der Revision waren daher die Entscheidungen der Vorinstanzen im Sinne der Abweisung der Begehren der Kläger abzuändern.

Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO. Die Äußerung des Beklagten vom 26. 8. 2009 war nicht zu honorieren. Der von ihm verzeichnete Kostenvorschuss wurde ihm teilweise zurücküberwiesen. Im Revisionsverfahren hat der Beklagte die ERV-Gebühr überhöht verzeichnet.