JudikaturJustiz8Ob125/18t

8Ob125/18t – OGH Entscheidung

Entscheidung
26. November 2018

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann-Prentner und Mag. Korn, den Hofrat Dr. Stefula und die Hofrätin Mag. Wessely Kristöfel als weitere Richter in der Erwachsenenschutzsache des Dipl. Ing. W*****, Verfahrensvertreter S*****, beide vertreten durch Dr. Karl-Heinz Plankel, Rechtsanwalt in Wien, über den Revisionsrekurs der betroffenen Person gegen den Beschluss des Landesgerichts Klagenfurt als Rekursgericht vom 4. Juli 2018, GZ 2 R 74/18m 49, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Villach vom 6. März 2018, GZ 29 P 71/17i 41, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der Beschluss des Rekursgerichts wird aufgehoben; dem Rekursgericht wird die neuerliche Entscheidung aus Anlass des Rekurses der betroffenen Person gegen den Beschluss des Erstgerichts vom 6. 3. 2018 aufgetragen.

Die betroffene Person hat die Kosten ihres Revisionsrekurses jedenfalls selbst zu tragen.

Text

Begründung:

Der Betroffene leidet an einem organischen Psychosyndrom nach einem bei einem Verkehrsunfall am 24. 6. 2017 erlittenen Schädel-Hirn-Trauma.

Über Verständigung nach § 6a ZPO durch den Richter im Zwangsversteigerungsverfahren 17 E ***** des Bezirksgerichts Villach vom 18. 7. 2017 leitete das Erstgericht ein Verfahren zur Bestellung eines Sachwalters ein.

Nachdem der Betroffene zuerst seine Lebensgefährtin D***** als Verfahrensvertreterin namhaft gemacht hatte, schritt zuletzt sein Sohn S***** als Verfahrensvertreter ein.

Das Erstgericht bestellte mit Beschluss vom 6. 3. 2018 (nach der damals geltenden Rechtslage) den Rechtsanwalt Dr. R***** zum Sachwalter für den Betroffenen zur Vertretung vor Ämtern, Gerichten und Behörden sowie zur Verwaltung des Vermögens ausgenommen des laufenden Einkommens nach Abzug der Fixkosten. Trotz Besserung des Gesundheitszustands seit dem Verkehrsunfall sei aufgrund der organisch-psychischen Erkrankung des Betroffenen zu befürchten, er könnte sich bei der Verwaltung seiner Geldangelegenheiten massiv schädigen. Der Betroffene sei nicht in der Lage, Vollmachten zu erteilen. Auch bei Hilfe eines Rechtsanwalts würde er bei angedachten Lösungen in paranoide Deutungen kippen, was wiederum zu einem selbstschädigenden Verhalten führen würde. Das sehr resolute Auftreten des Betroffenen verhindere, dass Außenstehenden die nach wie vor bestehenden Gedächtnisdefizite auffallen würden. Familienangehörige wären aufgrund der in den Krankenhäusern beobachteten Ratlosigkeit und Ohnmacht gegenüber dem sehr selbstbewussten Auftreten des Betroffenen nicht in der Lage, Maßnahmen durchzusetzen, die nicht seinem Willen entsprechen würden. Aufgrund der komplexen Gerichtsverfahren mit hohem Streitwert sei auch die Beigebung eines rechtkundigen Sachwalters angebracht.

Das Rekursgericht gab dem dagegen vom Betroffenen erhobenen Rekurs mit Beschluss vom 4. 7. 2018 nicht Folge und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Der Rekurswerber begründe nicht, warum die Bestellung eines Sachwalters zu Unrecht erfolgt wäre. Das Erstgericht habe hier mit der Bestellung einer außerhalb der Familie stehenden Person nicht gegen die Kriterien des § 279 ABGB (aF) verstoßen. Einerseits erfordere die Besorgung der Angelegenheiten des Betroffenen angesichts der Vielzahl der Gerichtsverfahren vorwiegend Rechtskenntnisse, andererseits habe das Erstgericht festgestellt, dass die Familienangehörigen nicht in der Lage wären, Maßnahmen gegen den Willen des Betroffenen durchzusetzen. In einer solchen Situation den Sohn des Betroffenen oder ein anderes Familienmitglied zum Sachwalter zu bestellen, liefe den wohlverstandenen Interessen des Betroffenen zuwider.

Dagegen richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs des Betroffenen mit den Anträgen, den angefochtenen Beschluss ersatzlos aufzuheben; hilfsweise seinen Sohn S***** zum Erwachsenenvertreter zu bestellen; hilfsweise die Entscheidungen der Vorinstanzen aufzuheben und die Rechtssache zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an die Vorinstanzen zurückzuverweisen; hilfsweise die Rechtssache gemäß § 207m AußStrG dem Erstgericht zu überweisen und von diesem fortsetzen zu lassen.

Der Rechtsanwalt Dr. R*****, dem die Erstattung einer Revisionsrekursbeantwortung freigestellt wurde (6 Ob 157/15d), hat sich am Revisionsrekursverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist entgegen dem nicht bindenden Zulässigkeitsausspruch des Rekursgerichts zulässig; er ist auch berechtigt, weil das Rekursgericht die Änderung der Rechtslage durch das mit 1. 7. 2018 in Kraft getretene 2. Erwachsenenschutz-Gesetz, BGBl I Nr 59/2017 (2. ErwSchG), nicht beachtet hat.

1. Gemäß § 1503 Abs 9 Z 4 ABGB sind, soweit im Folgenden nichts anderes bestimmt ist, die nach Z 1 leg cit mit 1. 7. 2018 in Kraft tretenden Bestimmungen auf Sachverhalte anzuwenden, die sich nach dem 30. 6. 2018 ereignen oder über diesen Zeitpunkt hinaus andauern. Damit soll zum Ausdruck gebracht werden, dass zum Zeitpunkt des Inkrafttretens bestehende Vertretungsverhältnisse nach der jeweils verbindlichen Rechtslage („sukzessives Anknüpfungselement“) zu beurteilen sind, also bis zum 30. 6. 2018 nach den bisherigen Vorschriften, danach nach den neuen Regelungen (ErläutRV 1461 BlgNR 25. GP 57).

Den Umgang mit am 1. 7. 2018 anhängigen Verfahren über die Bestellung eines Sachwalters regelt § 207m Abs 3 AußStrG idF BGBl I Nr 59/2017. Demnach ist ein im Zeitpunkt des Inkrafttretens des 2. ErwSchG anhängiges Verfahren über die Bestellung eines Sachwalters nach den §§ 116a bis 126 AußStrG in der Fassung des 2. ErwSchG in erster Instanz fortzusetzen; ein in höherer Instanz anhängiges Verfahren ist – wenn noch Entscheidungsgrundlagen fehlen – dem Erstgericht zu überweisen und von diesem so fortzusetzen, als ob das Rechtsmittelgericht die Entscheidung aufgehoben und das Verfahren an die erste Instanz zurückverwiesen hätte. Es liegt im Ermessen des Gerichts, ob es den Erwachsenenschutzverein (§ 1 ErwSchVG) mit einer Abklärung im Sinn des § 117a AußStrG beauftragt.

Die ErläutRV 1461 BlgNR 25. GP 78 führen zu § 207m AußStrG aus, dass ein „zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Gesetzes bereits anhängiges Verfahren über die Bestellung eines Sachwalters (nach Abs 4 ebenfalls ein bereits anhängiges Verfahren über die Änderung, Übertragung und Beendigung der Sachwalterschaft) … nach den neuen Verfahrensvorschriften (ausgenommen § 127) fortzusetzen“ ist, „weil ab dem Inkrafttreten dieses Gesetzes kein Sachwalter mehr bestellt (bzw dessen Wirkungsbereich verändert oder die Sachwalterschaft übertragen oder beendet) werden kann“.

Die Regelung des § 207m Abs 3 AußStrG entspricht mit Ausnahme der Einschränkung „wenn noch Entscheidungsgrundlagen fehlen“ jener des Sachwaltergesetzes 1983 (ErläutRV 1461 BlgNR 25. GP 78). Die Verpflichtung des Instanzgerichts, das Verfahren an die erste Instanz zu überweisen, gilt daher dann nicht, wenn bereits alle Entscheidungsgrundlagen vorliegen, um auch nach den Bestimmungen des 2. ErwSchG entscheiden zu können ( Fritz , Neuerungen im Verfahrensrecht nach dem 2. Erwachsenenschutz-Gesetz, iFamZ 2017, 177, 181).

2. Damit hätte das Rekursgericht im vorliegenden Fall eine Entscheidung nach den Bestimmungen des 2. ErwSchG zu treffen oder – bei Fehlen von Entscheidungsgrundlagen – das Verfahren nach § 207m Abs 3 AußStrG an die erste Instanz zu überweisen gehabt, das von diesem so fortzusetzen gewesen wäre, als ob das Rechtsmittelgericht die Entscheidung aufgehoben und das Verfahren an die erste Instanz zurückverwiesen hätte. Der nach der alten Rechtslage nach dem 1. 7. 2018 ergangene Beschluss des Rekursgerichts ist demgegenüber verfehlt und war daher aufzuheben. Das Rekursgericht wird nunmehr zu beurteilen haben, ob es eine Entscheidung nach den Bestimmungen des 2. ErwSchG treffen kann. Eine inhaltliche Überprüfung im Sinn des § 207m Abs 3 AußStrG durch den Obersten Gerichtshof hat hier daher vorweg zu unterbleiben.

3. Ein Kostenzuspruch kommt im Verfahren zur Bestellung eines Sachwalters grundsätzlich nicht in Betracht, weil dieses Verfahren nicht für die Durchsetzung oder Abwehr widerstreitender Parteiinteressen konzipiert ist. Damit fehlt es aber an der in § 78 AußStrG vorgesehenen kontradiktorischen Verfahrenssituation für eine Kostenersatzpflicht (RIS Justiz RS0120750). Daran hat sich durch das 2. ErwSchG nichts geändert (vgl Obermaier , Kostenhandbuch³ Rz 4.92).