JudikaturJustiz8Ob120/03k

8Ob120/03k – OGH Entscheidung

Entscheidung
26. Februar 2004

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Petrag als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Rohrer, Dr. Spenling und Dr. Kuras sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofes Dr. Lovrek als weitere Richter in der Schuldenregulierungssache der Ingrid H*****, vertreten durch Kosesnik Wehrle Langer, Rechtsanwälte KEG in Wien, infolge Revisionsrekurses der Gemeinschuldnerin gegen den Beschluss des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 1. Juli 2003, GZ 47 R 479/03v 22, womit infolge Rekurses der Masseverwalterin Mag. Andrea Eisner, Rechtsanwalt, 1010 Wien, Mahlerstraße 7, der Beschluss des Bezirksgerichtes Fünfhaus vom 30. April 2003, GZ 17 S 16/02x 18, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

1. Die Revisionsrekursbeantwortung der Masseverwalterin wird zurückgewiesen.

2. Dem Revisionsrekurs wird teilweise Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben. Dem Erstgericht wird die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Text

Begründung:

Die allein stehende Revisionsrekurswerberin bewohnt ein Genossenschafts Reihenhaus mit einer Nutzfläche von 102,57 m 2 , bestehend aus Vorzimmer, Küche, Bad, Wohnzimmer, zwei Schlafräumen, Kabinett und Keller. Nach ihren eigenen Angaben hat sie dafür an Miete einschließlich Betriebskosten monatlich EUR 460,16 sowie für Strom und Gas monatlich EUR 105 zu bezahlen. Das durchschnittliche Monatsnettoeinkommen, 14 mal jährlich bezogen, beträgt EUR 1.647,86.

Mit Beschluss vom 29. 4. 2002 (ON 6) eröffnete das Erstgericht über das Vermögen der Revisionsrekurswerberin das Schuldenregulierungsverfahren und übertrug ihr die Verwaltung der Konkursmasse. In der Prüfungstagsatzung (ON 10) beantragte die Revisionsrekurswerberin die Ausscheidung der Nutzungsrechte an dem Genossenschafts Reihenhaus, wogegen sich die Gläubiger aussprachen. Laut Auskunft der Gemeinnützigen Wohnungs Aktiengesellschaft (ON 12) wäre bei Vertragsauflösung zum Stichtag 31. 8. 2002 ein Finanzierungsbeitrag gemäß § 17 WGG von EUR 29.830,85 an die Gemeinschuldnerin zurückzuzahlen. Mit Beschluss vom 21. 10. 2002 (ON 15) beschränkte daraufhin das Erstgericht die Eigenverwaltung der Schuldnerin und bestellte eine Masseverwalterin für den Geschäftskreis der Prüfung der Voraussetzungen für die Auflösung des zwischen der Wohnungs Aktiengesellschaft und der Schuldnerin abgeschlossenen Mietvertrags hinsichtlich des Reihenhauses sowie bei Vorliegen der Voraussetzungen für die Durchführung der Verwertung. Nach Vorliegen eines Berichts der Masseverwalterin, aus dem sich neben der eingangs wiedergegebenen Beschreibung des Reihenhauses die Tatsache ergibt, dass die Gemeinschuldnerin über keine andere zumutbare Wohnmöglichkeit verfügt, überließ das Erstgericht mit Beschluss vom 30. 4. 2003 (ON 18) der Schuldnerin gemäß § 5 Abs 4 KO die Miet und Nutzungsrechte an der Wohnung zur freien Verfügung, weil diese Wohnräume betreffen, die für die Schuldnerin unentbehrlich seien.

Das Gericht zweiter Instanz änderte infolge Rekurses der Masseverwalterin diesen Beschluss dahin ab, dass es den Antrag der Schuldnerin, ihr gemäß § 5 Abs 4 KO die Nutzungsrechte am Genossenschafts Reihenhaus zur freien Verfügung zu überlassen, abwies. Es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstandes EUR 20.000 übersteige und dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Es könne kein Zweifel daran bestehen, dass die Schuldnerin für eine bescheidene Lebensführung kein dreigeschossiges Reihenhaus mit einer Gesamtnutzfläche von 103 m 2 benötige. Allerdings erlaube die Konfiguration der drei Etagen keine Überlassung einzelner Räume an die Schuldnerin und Verwertung der verbleibenden Flächen. Mit der Ratio des § 5 Abs 4 KO wäre es jedoch unvereinbar, der Schuldnerin aus diesem Grunde die Nutzungsrechte am gesamten Reihenhaus und damit auch das Anwartschaftsrecht auf einen Rückzahlungsbetrag zu überlassen, welcher auch unter Berücksichtigung der gebotenen Abschreibung (§ 17 Abs 4 WGG) in absehbarer Zeit weiterhin deutlich über EUR 20.000 liegen werde. Vielmehr könne der Schuldnerin zugemutet werden, um die derzeit aufgewendeten EUR 460,16 ein wesentlich kleineres Bestandobjekt anzumieten, was bei der derzeitigen Lage des Wiener Wohnungsmarktes gerichtsbekanntermaßen innerhalb weniger Wochen möglich sei. Da das Reihenhaus somit für die Schuldnerin nicht unentbehrlich sei, komme eine Überlassung gemäß § 5 Abs 4 KO nicht in Betracht. Vielmehr werde der Schuldnerin eine angemessene Frist zur Suche einer Ersatzwohnung zu gewähren sein. Nach Ablauf dieser Frist werde das Erstgericht die Masseverwalterin mit der Aufkündigung des genossenschaftlichen Nutzungsverhältnisses zu betrauen haben, damit auf diese Weise der Rückzahlungsbetrag für die Masse lukriert werden könne.

Rechtliche Beurteilung

Zu 1.: Die Revisionsrekursbeantwortung der Masseverwalterin ist unzulässig und daher zurückzuweisen, weil das Rekursverfahren mit Ausnahme des Konkurseröffnungsverfahrens ein einseitiges Verfahren ist (8 Ob 282/01f; 8 Ob 232/01b; 8 Ob 199/02a).

Zu 2.: Dem Revisionsrekurs kommt teilweise Berechtigung zu.

Gemäß § 5 Abs 4 KO hat das Konkursgericht dem Gemeinschuldner die Miet und sonstigen Nutzungsrechte an Wohnungen zur freien Verfügung zu überlassen, wenn sie Wohnräume betreffen, die für den Gemeinschuldner und die mit ihm im gemeinsamen Haushalt lebenden Familienangehörigen unentbehrlich sind. Diese als lex specialis zu § 119 Abs 5 KO aufzufassende Regelung ( Schubert in Konecny/Schubert , Insolvenzgesetze § 5 KO Rz 32; EvBl 2001/85), die durch die KO Novelle 1993 eingefügt wurde, ist Ausdruck des Grundsatzes, dass der Schuldner durch das Konkursverfahren seiner Existenz nicht gänzlich verlustig gehen soll. Es steht nun der Gedanke im Vordergrund, dass dem Gemeinschuldner das Notwendigste zum Leben und zum Wohnen zu überlassen ist ( Schubert aaO Rz 27). Liegen die Voraussetzungen des § 5 Abs 4 KO vor, hat der Gemeinschuldner ebenso wie nach dem für den Bereich des Konkursverfahrens in engem Zusammenhang zu sehenden § 42 Abs 4 MRG einen Rechtsanspruch auf die Freigabe (SZ 72/212; ZIK 2001/98; Rathauscher , Bestandrechte und Konkurs 212), auf welchen von Amts wegen Bedacht zu nehmen ist ( Rathauscher aaO; Riel , Die Mietwohnung des Gemeinschuldners, WoBl 1995, 40).

Die Bestimmung des § 5 Abs 4 KO erfasst unter anderem auch Genossenschaftswohnungen und überhaupt jede Art von Nutzungsrechten an Wohnungen (8 Ob 2233/96g = ZIK 1997, 141; Rathauscher aaO). Zu prüfen ist daher auch in diesen Fällen, ob und in welchem Umfang die von der Schuldnerin bisher benützten Wohnräume für sie unentbehrlich sind, wobei an die Unentbehrlichkeit ein strenger Maßstab anzulegen ist (ZIK 1997, 141). Diese Wertung ergibt sich schon aus § 5 Abs 1 KO, wonach der Gemeinschuldner nur Anspruch auf das hat, was zu einer bescheidenen Lebensführung unerlässlich ist. Wie der erkennende Senat jüngst in seiner ein Kleingartenhaus betreffenden Entscheidung 8 Ob 136/03p ausführlich dargestellt hat, folgt aus einer Gesamtsicht der Konkursordnung, dass dem Gesetzgeber ein absoluter zeitlich unbeschränkter Schutz des Wohnbedürfnisses des Verpflichteten fremd ist. Auch unter Gleichheitsgesichtspunkten wäre es nicht zu rechtfertigen, wenn durch die Rechtsform eines Bestandvertrages im Gegensatz zur Rechtslage bei Häusern oder Eigentumswohnungen erhebliche wirtschaftliche Werte dem Zugriff der Gläubiger auf Dauer entzogen werden könnten. Es ist daher davon auszugehen, dass § 5 Abs 4 KO den Fall, dass durch die Beendigung des entsprechenden Rechtsverhältnisses maßgebliche Beträge frei werden, nicht erfasst. Die rechtspolitische Rechtfertigung für § 5 Abs 4 KO (und § 42 Abs 4 MRG) liegt weniger in der Rechtsform der Wohnung als solcher, sondern vielmehr darin, dass bei den möglichen Verwertungsformen der zu erzielende Ertrag typischerweise eher gering ist. Das rechtfertigt bei jenen Bestandverträgen, auf die das nicht zutrifft, die Interessenabwägung anders ausfallen zu lassen. Daher kann die Masseverwalterin grundsätzlich sollte tatsächlich ein nicht unbedeutender Ablösewert der Masse zufließen den Bestandvertrag aufkündigen und auf diese Weise den Finanzierungsbeitrag gemäß § 17 WGG für die Masse lukrieren (siehe auch Kodek , Privatkonkurs, Rz 216 und 217, der es als denkbar erachtet, den Begriff der "Unentbehrlichkeit" nur im Sinn einer Mindestabsicherung zu verstehen, sodass darunter nicht Wohnräume fallen, hinter denen ein erheblicher Kapitaleinsatz steht).

Allerdings wurde bereits eingangs dargestellt, dass gemäß § 5 Abs 4 KO ein Rechtsanspruch des Gemeinschuldners auf die Überlassung unentbehrlicher bescheidener Wohnräume besteht, welcher von Amts wegen wahrzunehmen ist. Unter diesem Gesichtspunkt ist der vom Rekursgericht gewählte Weg, der Schuldnerin eine bestimmte Frist einzuräumen, innerhalb derer sie sich selbst um eine entsprechende Wohnung umzusehen habe, nicht gangbar. Vielmehr ist es Sache des Masseverwalters, der Schuldnerin soferne diese nicht selbst freiwillig aktiv wird eine entsprechende Wohnmöglichkeit anzubieten, wobei die allfällig mit dem Mietvertragsabschluss verbundenen Kosten ebenso wie die erforderlichen Übersiedlungskosten von der Masseverwalterin zur Verfügung zu stellen wären (8 Ob 136/03p). Erst wenn die mit der Beschaffung einer Ersatzwohnung und der Übersiedlung dorthin verbundenen Kosten konkret abgeschätzt werden können, wird vom Erstgericht unter Berücksichtigung einer dadurch bewirkten allfälligen Schmälerung des Gewinns für die Masse aus der Aufkündigung neuerlich zu entscheiden sein.

Dem Revisionsrekurs ist Folge zu geben.

Rechtssätze
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