JudikaturJustiz8Ob105/78

8Ob105/78 – OGH Entscheidung

Entscheidung
12. Juli 1978

Kopf

SZ 51/113

Spruch

Wird ein Motorfahrrad so verändert, daß eine Höchstgeschwindigkeit von 90 km/h erreicht werden kann, dann darf es nur mit einer Lenkerberechtigung für Motorräder (§ 65 Abs. 1 Z. 1 KFG) gelenkt werden

Zur Verschuldensaufteilung zwischen unbefugtem Lenker und mitfahrendem Zulassungsbesitzer

OGH 12. Juli 1978, 8 Ob 105/78 (OLG Wien 9 R 24/78; KG St Pölten 6 Cg 245/77)

Text

Am 19. Juli 1975 ereignete sich gegen 17.30 Uhr auf der Bundesstraße 39 bei Straßenkilometer 35.012 (Freilandstraße) im Gemeindegebiet von F ein Verkehrsunfall, durch den der bei der Klägerin sozialversicherte, damals 16jährige Maurerlehrling Rupert M verletzt wurde. Er war auf dem Soziussitz des von ihm gehaltenen, vom Beklagten gelenkten Mofas Hercules K 50 Sprint, Kennzeichen N 118.352, mitgefahren. Wegen dieses Unfalles wurde der Beklagte, ein damals 17jähriger Schlosserlehrling, mit Urteil des Bezirksgerichtes Scheibbs rechtskräftig eines Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs. 4 StGB schuldig erkannt, weil er infolge zu hoher Geschwindigkeit ins Schleudern und in der Folge zum Sturz kam, wodurch sein Mitfahrer Rupert M eine schwere Gehirnerschütterung mit Schädelbasisfraktur erlitt; der Ausspruch über die Strafe wurde gemäß § 13 JGG aufgeschoben.

Die Klägerin begehrt als Legalzessionar nach § 332 ASVG den Zuspruch von 35 355.32 S samt Anhang mit der Behauptung, sie habe Pflichtaufwendungen in dieser Höhe in der Zeit vom 19. Juli bis 2. November 1975 an M erbracht.

Der Beklagte bestritt und wendete ein, daß M ein mindestens 50%iges Mitverschulden treffe: Dieser habe durch Manipulationen an seinem Moped ermöglicht, die zulässige Geschwindigkeit von 40 km/h erheblich zu überschreiten. Er habe dem Beklagten die Lenkung des derart veränderten Fahrzeuges anvertraut und am Rücksitz Platz genommen, so daß er schlüssig mit der Geschwindigkeitsüberschreitung des Beklagten einverstanden gewesen sei.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt.

Es stellte im wesentlichen fest:

Der Beklagte lenkte das Mofa in der Rechtskurve der B 39 nächst dem km 35 mit etwa 60 km/h, obwohl die Grenzgeschwindigkeit dort bei trockener Fahrbahn bei zirka 50 km/h liegt. Da die Fahrbahn zur Unfallzeit feuchte Flecken aufwies, rutschte das Hinterrad des Mofas links weg. Hierauf führte der Beklagte eine Gegenlenkung durch, die das Fahrzeug an den linken Fahrbahnrand brachte, wo es gegen den Randstein, möglicherweise gegen die Felswand der Böschung stieß und zum Sturz kam, durch den M schwer verletzt wurde. M hatte vorher unter Mithilfe des Beklagten den Auspuff des Fahrzeuges ausgeräumt, d. h. die Drosselung entfernt, so daß mit dem Fahrzeug eine Höchstgeschwindigkeit von 90 bis 95 km/h zu erreichen war.

Hievon ausgehend lehnte das Erstgericht ein Mitverschulden Ms ab, weil nach dem Sachverständigengutachten die unfallskausale überhöhte Geschwindigkeit von etwa 60 km/h auch mit der handelsüblichen Ausführung des Fahrzeuges zu erzielen gewesen wäre und M vom Hintersitz aus keinen Einfluß auf die Geschwindigkeitswahl des Beklagten habe nehmen können.

Infolge Berufung des Beklagten hob das Berufungsgericht das Ersturteil, das hinsichtlich eines Zuspruches von 17 677.66 S samt Anhang als unangefochten unberührt blieb, im übrigen unter Rechtskraftvorbehalt zur Verfahrensergänzung auf.

Ausgehend von der Tatsachengrundlage des Ersturteils lastete das Berufungsgericht M ein Mitverschulden von einem Viertel an, weil dieser durch die gemeinsam mit dem Beklagten vorgenommene Veränderung seines Fahrzeuges die Überschreitung der zulässigen Geschwindigkeit durch den Beklagten in Kauf genommen habe und nicht einmal behauptet wurde, daß der Kläger etwa den Beklagten zu langsamer Fahrt aufgefordert hätte. Eine Verschuldensaufteilung im Verhältnis von 1: 3 zu Lasten des schuldigen Lenkers entspreche der Sachlage. Gleichwohl sei dem Berufungsgericht verwehrt, eine entsprechende Abänderung des Urteils des Erstgerichtes vorzunehmen, weil dieses jedwede Feststellungen über die Leistungen der Klägerin, über das erzielbare Einkommen des Beklagten usw. sowie über jedwede Erörterung des Deckungsfonds unterlassen habe.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs des Beklagten nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Der Rekursantrag, den Beschluß des Berufungsgerichtes dahin abzuändern, daß das "über den Betrag von 17 677 S hinausreichende Klagebegehren abgewiesen werde", ist zwar verfehlt, weil im Rekursverfahren gegen einen Aufhebungsbeschluß des Berufungsgerichtes der OGH nicht meritorisch in der Sache selbst entscheiden kann, doch steht dies einer Erledigung des Rekurses nicht entgegen.

Der Rekurs ist nicht gerechtfertigt.

Der Rekurs strebt mit seinen Ausführungen die Annahme eines gleichteiligen Verschuldens der Unfallbeteiligten an. Seine Argumente sind jedoch nicht stichhältig.

Entgegen den Rekursausführungen stellt der Ankauf eines typengenehmigten Mofas trotz der Möglichkeit, damit eine höhere Geschwindigkeit als 40 km/h zu erzielen, an sich kein Verschulden dar. Richtig hebt der Rekurs hervor, daß der Ausgangspunkt für die Verschuldensaufteilung in der - nach den Feststellungen allerdings von beiden Unfallbeteiligten vorgenommenen - technischen Veränderung des Kraftrades liege, die eine erzielbare Höchstgeschwindigkeit von 90 bis 95 km/h ermöglichte. Damit wurde das Kraftrad des Klägers in einer Weise verändert, daß es nicht mehr der Bestimmung des § 2 Z. 14 KFG unterlag, so daß hiefür auch die Lenkerprivilegierung des § 64 Abs. 1 2. Halbsatz KFG nicht mehr in Frage kam, sondern - wie der Rekurs selbst zutreffend hervorhebt - als Motorrad nur unter den Voraussetzungen der §§ 64, 65 (1) Z. 1 KFG (vollendetes 18. Lebensjahr, Führerschein Gruppe A) hätte gelenkt werden dürfen (VwGH 994/76, Slg. 9175/A; 10 Os 175/77). Hieraus folgt, daß der Beklagte als 17jähriger ohne Führerschein durch Übernahme der Lenkung eines derart veränderten Fahrzeuges ein Verstoß gegen die Schutznorm der §§ 64, 65 KFG zu vertreten hat. Andererseits fällt M zur Last, daß er als Zulassungsbesitzer die Lenkung seines Fahrzeuges einem unberechtigten Lenker überließ (§ 103 Abs. 2 KFG) und sich ihm zur Mitfahrt anvertraute, wiewohl ihm der Mangel der Lenkerberechtigung des Beklagten und der Fähigkeit, ein derart verändertes Fahrzeug zu lenken, nach den Umständen bekannt sein mußte. Berücksichtigt man aber ferner, daß dem Beklagten die zum Unfall führenden krassen Verkehrswidrigkeiten (Schleudern infolge überhöhter Geschwindigkeit in nasser Kurve, Gegenlenkung nach links gegen Randstein und Felswand) anzulasten sind, dann erscheint die vom Berufungsgericht vorgenommene Verschuldensaufteilung gerechtfertigt.

Ausgehend von dieser Verschuldensaufteilung wird das Erstgericht im fortgesetzten Verfahren die Leistungen der Klägerin zugunsten Ms und den dafür in Betracht kommenden sachlich und zeitlich kongruenten Deckungsfonds zu ermitteln haben.