JudikaturJustiz8Ob100/12g

8Ob100/12g – OGH Entscheidung

Entscheidung
04. März 2013

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Spenling als Vorsitzenden, den Hofrat Hon. Prof. Dr. Kuras, die Hofrätin Dr. Tarmann Prentner und die Hofräte Mag. Ziegelbauer und Dr. Brenn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei P***** R*****, vertreten durch Mag. Stefan Weiskopf, Dr. Rainer Kappacher, Rechtsanwälte in Landeck, gegen die beklagte Partei R***** GesmbH, *****, vertreten durch Kucera Rechtsanwälte GmbH in Hard, wegen Aufhebung eines Vertrags (Streitwert 100.000 EUR), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 11. Juli 2012, GZ 1 R 105/12v 93, mit dem das Urteil des Landesgerichts Feldkirch vom 27. März 2012, GZ 6 Cg 133/09p 85, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung über die Berufung der klagenden Partei an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Die Beklagte vermittelt Versicherungsverträge im Raum Tirol und Vorarlberg und arbeitet dabei auch mit selbstständigen Maklern zusammen. Der Kläger war Bankangestellter und trug sich Anfang des Jahres 2006 mit der Absicht, sich als Versicherungsmakler selbstständig zu machen. Er kam mit dem Geschäftsführer der Beklagten in Kontakt, der ihm anbot, den in Tirol gelegenen Kundenstock der Beklagten („Bestand im Bundesland Tirol“) zu „kaufen“ und als Makler weiter zu betreuen.

Nach längeren Verhandlungen unterfertigten die Streitteile schließlich am 23. Juni 2006 eine Vereinbarung über den Verkauf von „ namentlich genau definierten Kundenbeziehungen samt den dazu gehörigen Versicherungsverträgen zur freien und uneingeschränkten Bearbeitung bzw Verwaltung“ . Als Verkäuferin wurde in der Vertragsurkunde die Beklagte bezeichnet, als „Käufer“ an zwei Stellen eine „P***** R***** GmbH“, an einer anderen Stelle der Kläger selbst. Als Stichtag für die Übertragung wurde der 15. August 2006 vereinbart, der schriftlich festgelegte Kaufpreis von 200.000 EUR war bereits am 15. Juli 2006 zur Zahlung fällig. Unstrittig bezahlte der Kläger den Kaufpreis selbst aus einem von ihm dafür aufgenommenen Kredit. Eine „P***** R***** GmbH“ hat nie existiert.

Mit Erklärung vom 11. Juli 2006 gründete der Kläger die „R***** P***** GmbH“ als Einmanngesellschaft. Im September 2006 machten die Streitteile gemeinsam die „R***** P***** GmbH“ gegenüber einigen Versicherungsgesellschaften als neue „Provisionärin“ namhaft, die in konkret bezeichnete Versicherungsverträge an Stelle der Beklagten eintrete.

Der Kläger begehrt die Aufhebung der Vereinbarung vom 23. Juni 2006 wegen List, Irrtums und Verkürzung über die Hälfte des wahren Wertes. Die Beklagte habe ihre Verpflichtungen nicht erfüllt, sondern nur wenige Versicherungsverträge, die einen Bruchteil des ursprünglich vereinbarten Umfangs ausmachten, übertragen.

Der Kläger sei als Vertragspartner der Vereinbarung zu deren Anfechtung legitimiert, außerdem habe die R***** P***** GmbH ihm sämtliche ihr allenfalls daraus zustehenden Ansprüche abgetreten.

Die Beklagte wandte ein, ihre Vertragspartnerin sei die in Gründung befindliche R***** P***** GmbH gewesen, der Kläger sei nicht aktiv legitimiert. Das Klagebegehren sei auch nicht berechtigt, da die Verkäuferin keinerlei Zusagen über ein bestimmtes Vertragsvolumen oder über erzielbare Provisionserlöse gemacht habe. Sie habe sich nur verpflichtet, bestehende Kundenkontakte zur Verfügung zu stellen.

Das Erstgericht wies die Klage ab. Trotz Durchführung eines umfangreichen Beweisverfahrens erachtete es sich letztlich außer Stande, einen konkreten Vertragsinhalt zu ermitteln. Eine Beurteilung der geltend gemachten Anfechtungsgründe sei nicht möglich, weil weder die Zahl der übertragenen Kunden, noch das Prämienvolumen ihrer Versicherungsverträge, noch die vom Kläger damit erzielten Provisionseinkünfte bekannt seien.

Das Berufungsgericht gab dem Rechtsmittel des Klägers keine Folge und erklärte die ordentliche Revision für nicht zulässig.

Es hielt eine Auseinandersetzung mit der erhobenen Beweisrüge aus rechtlichen Gründen für entbehrlich, weil dem Kläger die aktive Klagslegitimation fehle. Er habe die angefochtene Vereinbarung deutlich erkennbar im Namen seiner in Gründung befindlichen GesmbH abgeschlossen, die dann im September 2006, innerhalb von drei Monaten nach ihrer Gründung, durch tasächliche Übernahme der Kundenbeziehungen schlüssig gemäß § 2 Abs 2 GmbHG an Stelle des Klägers in den Vertrag eingetreten sei. Auf den geänderten Firmenwortlaut komme es nicht an. Die Klagslegitimation könne auch nicht auf die vorgelegte Zessionserklärung gegründet werden, weil eine gesonderte Abtretung vertraglicher Gestaltungsrechte nicht möglich sei.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision des Klägers ist entgegen dem Ausspruch des Berufungsgerichts zulässig, weil es die Rechtslage verkannt hat und seine Entscheidung aus den Gründen des § 502 Abs 1 ZPO einer Korrektur bedarf. Die Beklagte hat nach Freistellung durch den Obersten Gerichtshof (§ 508a Abs 2 ZPO) eine Revisionsbeantwortung erstattet.

Die Revision ist im Sinne ihres Aufhebungsantrags berechtigt.

1. Eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung entsteht nach § 2 Abs 1 Satz 1 GmbHG erst mit ihrer Firmenbucheintragung; vor der Eintragung besteht die Gesellschaft als solche nicht. Nach herrschender Auffassung entsteht mit Abschluss des Gesellschaftsvertrags in der gesetzlichen Form eines Notariatsakts eine teilrechtsfähige Vorgesellschaft ( Nowotny in Kalss/Nowotny/Schauer , Gesellschaftsrecht [2008] Rz 4/82 ff mwN; RIS Justiz RS0111555), auf die insbesondere die Regelungen des § 2 GmbHG über Handelndenhaftung und Schuldübernahme anzuwenden sind.

Nach einem Teil der Lehre (ua Nowotny aaO Rz 4/79 ff; aA Koppensteiner/Rüffler GmbHG³ § 2 Rz 7; Reich-Rohrwig , GmbHR I² Rz 1/511) soll bereits im Stadium vor dem Abschluss des Gesellschaftsvertrags eine Vorgründungsgesellschaft bestehen, die entweder durch förmlichen Vorvertrag, nach anderer Ansicht auch schon durch den formlosen Zusammenschluss der künftigen Gesellschafter zur Vorbereitung der Gründung, zustandekommt. Abgesehen davon, dass die Annahme einer Vorgründungsgesellschaft wohl zumindest eine Personenmehrheit an Gründern voraussetzt, besteht in Lehre und Rechtsprechung dahin Einigkeit, dass auf eine Vorgründungsgesellschaft das GmbHG noch nicht anzuwenden ist ( Nowotny aaO Rz 4/81; Torggler in Straube [Hrsg], GmbHG § 2 Rz 30; RIS Justiz RS0109826). Im Vorgründungsstadium besteht keine rechtliche Möglichkeit, für die spätere GmbH zu handeln und unmittelbar für sie wirksam werdende Rechte und Pflichten zu begründen. Solche Rechte und Pflichten können daher nach Entstehung der Gesellschaft auch nicht automatisch auf sie übergehen, vielmehr bedarf es dazu einer ausdrücklichen vertraglichen Übernahme der Pflichten durch die Gesellschaft ( Nowotny aaO Rz 4/81; 1 Ob 70/99x).

Bei Abschluss der Vereinbarung vom 23. Juni 2006 existierten weder eine „P***** R***** GmbH“, noch die erst später gegründete „R***** P***** GmbH“, der Kläger hatte vielmehr überhaupt noch keinen Gesellschaftsvertrag abgeschlossen. Die Erwähnung einer GmbH in der Vereinbarung deutete allenfalls auf die Absicht und das Einverständnis der Vertragsteile hin, die Rechte und Pflichten daraus zu gegebener Zeit an eine künftige Gesellschaft zu übertragen. Selbst wenn man dieses Stadium der beabsichtigten Gesellschaftsgründung hier als Einmann Äquivalent einer Vorgründungsgesellschaft ansehen wollte, war darauf das GmbHG nicht anzuwenden. Allein der Kläger selbst konnte Rechte und Pflichten aus dem Kaufvertrag erwerben, ein automatischer Vertragsübergang nach § 2 Abs 2 GmbHG kam entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts hier noch nicht in Frage.

Für die alternative Annahme einer rechtsgeschäftlichen Vertragsübernahme durch die später gegründete R***** P***** GmbH bieten aber weder das Beklagtenvorbringen, noch der festgestellte Sachverhalt eine taugliche Grundlage. Der Kläger hat den vereinbarten Kaufpreis selbst bezahlt, sodass seine Verpflichtung aus der Vereinbarung vom 23. 6. 2006 infolge Tilgung keinesfalls von der Gesellschaft übernommen werden konnte. Dadurch, dass der Kläger seine GmbH im September 2006 als „Provisionärin“ gegenüber bestimmten Versicherungsgesellschaften genannt hat, hat er lediglich die vertragliche Gegenleistung (und auch nur beschränkt auf jenen Teil, der von der Beklagten tatsächlich erfüllt wurde) in die Gesellschaft eingebracht. Eine Übertragung darüber hinausgehender Rechte oder Pflichten an die Gesellschaft ist den Feststellungen nicht zu entnehmen. Der Kläger ist daher weiterhin zur Anfechtung der Vereinbarung vom 23. 6. 2006 aktiv legitimiert.

Auf die vom Berufungsgericht ohne weitere Begründung verneinte, in der Literatur und Judikatur allerdings differenziert beurteilte Möglichkeit einer Zession von Gestaltungsrechten in Verbindung mit der daraus abgeleiteten Forderung (vgl Thöni in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang³ , § 1393 Rz 52; P. Bydlinski , Die Übertragung von Gestaltungsrechten, 103 f; 6 Ob 501/93; vgl auch RIS Justiz RS0032651; RS00332864; RS0032906) muss bei diesem Ergebnis nicht eingegangen werden.

2.. Aufgrund seiner vom erkennenden Senat nicht geteilten Rechtsansicht hat das Berufungsgericht die im Rechtsmittel des Klägers erhobene Verfahrens und Beweisrüge nicht behandelt. Da dieses Berufungsvorbringen einer Beurteilung durch den Obersten Gerichtshof entzogen ist, ist das angefochtene Urteil aufzuheben und die Rechtssache an das Berufungsgericht zur neuerlichen Entscheidung zurückzuverweisen.

Dabei wird insbesondere zu beachten sein, dass die Ermittlung des Umfangs der nach der Vereinbarung vom 23. Juni 2006 geschuldeten Leistung als Frage der Vertragsauslegung (§ 914 ff ABGB) nach den festgestellten schriftlichen und mündlichen Erklärungen der Streitteile im Lichte des jeweiligen Empfängerhorizonts der rechtlichen Beurteilung zuzurechnen ist. Vorhandene Widersprüche in den festgestellten Erklärungen der Vertragsteile rechtfertigen es nicht, sich dieser Beurteilung zu verweigern.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.

Rechtssätze
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