JudikaturJustiz8Nc55/21m

8Nc55/21m – OGH Entscheidung

Entscheidung
22. Oktober 2021

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen Dr. Tarmann Prentner und Mag. Korn, den Hofrat Dr. Stefula und die Hofrätin Mag. Wessely Kristöfel als weitere Richter in der Rechtshilfesache des Bezirksgerichts Leibnitz, AZ 6 Hc 1/21s, zu der beim Landesgericht Innsbruck zu AZ 63 Se 4/21s anhängigen Insolvenzantragssache der Schuldnerin G* GmbH, * (Antragstellerin: Österreichische Gesundheitskasse, 6021 Innsbruck, Klara Pölt Weg 2), über das Ersuchen des Landesgerichts Innsbruck vom 7. September 2021 um Entscheidung nach § 37 Abs 6 JN in Hinsicht auf sein (wiederholtes) Rechtshilfeersuchen vom (zuletzt) 12. Juli 2021 den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Bezirksgericht Leibnitz wird die Erledigung des Rechtshilfeersuchens vom 12. Juli 2021, GZ 63 Se 4/21s 28, aufgetragen.

Text

Begründung:

[1] Zur Vermeidung von Wiederholungen ist auf den im Verfahren ergangenen Beschluss des Senats vom 3. 8. 2021, 8 Nc 40/21f, zu verweisen.

[2] Über Verfügung des Bezirksgerichts Leibnitz vom 31. 8. 2021 wurde der Akt unter Hinweis auf den Beschluss des Obersten Gerichtshofs, das unerledigte Rechtshilfeersuchen und die Begründung des Bezirksgerichts Leibnitz vom 19. 7. 2021 für die Verweigerung der Rechtshilfe dem Landesgericht Innsbruck rückübermittelt. Dieses legt den Akt nunmehr dem Obersten Gerichtshof zur Entscheidung nach § 37 Abs 6 JN vor.

[3] Die Verweigerung der Rechtshilfe durch das Bezirksgericht Leibnitz ist nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

[4] Nach § 37 Abs 3 JN ist ein Rechtshilfeersuchen abzulehnen, „wenn der ersuchte Richter zu der betreffenden Handlung örtlich unzuständig ist“. Nach ständiger Rechtsprechung kann die Erledigung eines Rechtshilfeersuchens vom Rechtshilferichter zudem bei Unzulässigkeit des Rechtswegs für die begehrte Rechtshilfehandlung sowie deren Unerlaubtheit und deren Unbestimmtheit abgelehnt werden. Die Prüfung der Zweckmäßigkeit und der prozessualen Richtigkeit des Rechtshilfeersuchens ist dem ersuchten Gericht hingegen versagt (RIS Justiz RS0046235; Mayr in Rechberger/Klicka , ZPO 5 § 37 JN Rz 1).

[5] Das Rechtshilfeersuchen des Landesgerichts Innsbruck um (zuletzt) „zwangsweise Vorführung und Einvernahme der Geschäftsführerin der Antragsgegnerin zur amtswegigen Abklärung des Vorhandenseins von kostendeckendem Vermögen“ ist entgegen der Ansicht des Bezirksgerichts Leibnitz nicht unerlaubt .

[6] Gemäß § 70 IO ist auf Antrag eines Gläubigers das Insolvenzverfahren unverzüglich zu eröffnen, wenn er glaubhaft macht, dass er eine – wenngleich nicht fällige – Insolvenzforderung oder Forderung aus einer Eigenkapital ersetzenden Leistung hat und dass der Schuldner zahlungsunfähig ist (Abs 1). Der Antrag ist dem Schuldner zuzustellen (Abs 2 Satz 1). Das Gericht hat den Schuldner und sonstige Auskunftspersonen (§ 254 Abs 5 IO) zu vernehmen, wenn es rechtzeitig möglich ist (Abs 2 Satz 3 Halbs 1 IO). Weitere Voraussetzung für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist gemäß § 71 Abs 1 IO das Vorhandensein kostendeckenden Vermögens. Der Schuldner hat gemäß § 71 Abs 4 IO „bei seiner Einvernahme ein Vermögensverzeichnis vorzulegen und vor Gericht zu unterfertigen (§§ 100a, 101 [IO])“. Nach der verwiesenen Vorschrift des § 101 IO kann das Insolvenzgericht den Schuldner zwangsweise vorführen lassen, wenn er Ladungen nicht Folge leistet (Abs 1 Satz 1). Nach der allgemeinen Vorschrift des § 87 GOG können Personen, die einer gerichtlichen Ladung nicht Folge leisten, unter Androhung einer Ordnungsstrafe neuerlich geladen und durch die Verhängung dieser Strafe zum Erscheinen genötigt werden. (Abs Satz 1). Im Falle fortgesetzten Ausbleibens kann die Ordnungsstrafe innerhalb des gesetzlichen Ausmaßes verdoppelt und in dringenden Fällen die zwangsweise Vorführung durch den Gerichtsdiener angeordnet werden (Abs 1 Satz 2).

[7] Die Betrachtung dieser Vorschriften ergibt, dass im Verfahren über einen Gläubigerantrag auf Insolvenzeröffnung bei Nichterscheinen eines Schuldners zur Schuldnereinvernahme trotz gehöriger Ladung zur Klärung, ob kostendeckendes Vermögen vorhanden ist, jedenfalls im Rahmen des § 87 GOG seine zwangsweise Vorführung grundsätzlich statthaft ist. Die Richtigkeit dessen ist in der Lehre anerkannt ( Schumacher in Bartsch/Pollak/Buchegger , Österreichisches Insolvenzrecht II/2 [2004] § 70 Rz 77; ders in KLS [2020] § 70 Rz 49; Schneider in Konecny , Insolvenzgesetze [2016] § 71 IO Rz 68). Auch die zweitinstanzliche Rechtsprechung hält eine zwangsweise Vorführung des zur Einvernehmungstagsatzung unentschuldigt nicht erschienen Schuldners prinzipiell für erlaubt (und notwendig), wenn das Vorliegen eines kostendeckenden Vermögens zweifelhaft ist (OLG Linz 2 R 134/15m = ZIK 2016/95; OLG Innsbruck 1 R 281/06t = Mohr , IO 11 § 70 E 201; OLG Wien 28 R 225/06y = ZIK 2007/41; 28 R 291/08g = Mohr , IO 11 § 70 E 202; 6 R 85/20v = ZIK 2021/72 ua).

[8] Uneinigkeit besteht allein dahin, ob bereits bei Nichtbefolgung einer einzigen Ladung oder erst bei mehrmaliger Säumnis eine Vorführung zulässig ist (für ersteres zB OLG Wien 28 R 291/08g = Mohr , IO 11 § 70 E 200; 6 R 85/20v = ZIK 2021/72; G. Kodek in Bartsch/Pollak/Buchegger , Österreichisches Insolvenzrecht IV [2006] § 101 Rz 3 f; für zweiteres: Hierzenberger/Riel in Konecny/Schubert , Insolvenzgesetze [1997] § 101 KO Rz 2; Reisch in KLS [2019] § 101 IO Rz 6). Strittig ist auch, ob § 101 IO lex specialis gegenüber § 87 GOG ist (so zB G. Kodek und Hierzenberger/Riel aaO) oder ob § 87 GOG ergänzend zu beachten ist (so offenbar Schumacher aaO [„mit den Mitteln des § 87 GOG])“. Diese Fragen können hier offen bleiben, weil sie an der grundsätzlichen Erlaubtheit einer Vorführung des ausgebliebenen Schuldners dann, wenn seine Einvernahme zur Klärung des Vorhandenseins kostendeckenden Vermögens erforderlich ist, nichts ändern. Selbst wenn das einmalige Ausbleiben des Schuldners noch nicht ausreichen sollte, um dessen Vorführung zu veranlassen, wäre ein auf Einvernahme nach zwangsweiser Vorführung lautendes Rechtshilfeersuchen nicht unerlaubt, sondern müsste das ersuchte Gericht zuvor nur noch jene Maßnahme(n) setzen, bei deren Erfolglosigkeit die zwangsweise Vorführung jedenfalls statthaft ist (vgl Mayr in Rechberger/Klicka , ZPO 5 § 37 JN Rz 3).

[9] Auch die Ausführungen des Bezirksgerichts Leibnitz vermögen an der Richtigkeit der allgemeinen Auffassung, dass eine zwangsweise Vorführung des unerlaubt zu seiner Einvernahme im Insolvenzeröffnungsverfahren nicht erschienenen Schuldners jedenfalls bei Klärungsbedarf, ob kostendeckendes Vermögen vorhanden ist, im Prinzip erlaubt ist, keine Zweifel zu erwecken:

[10] Sein Hinweis auf die Ausführungen von Übertsroider (in Konecny , Insolvenzgesetze [2010] § 70 IO Rz 119) verfängt nicht , betont diese Autorin doch, dass die zwangsweise Vorführung dem Untersuchungsgrundsatz dient, wenn eine Klärung durch Einvernahme des Schuldners erwartet werden kann. Daraus erhellt, dass sich Übertsroider gerade nicht gegen jegliche zwangsweise Vorführung des Schuldners im Insolvenzeröffnungsverfahren ausspricht.

[11] Dass – wie im Rechtssatz RS0120938 festgehalten – der Untersuchungsgrundsatz im Insolvenzverfahren keine uferlose Nachforschungspflicht begründet, bedeutet nicht die generelle Unerlaubtheit einer zwangsweisen Vorführung eines trotz gehöriger Ladung ausgebliebenen Schuldners zur Klärung der Frage des Bestehens kostendeckenden Vermögens.

[12] Besagtes lässt sich ebensowenig aus der Aussage in den ErläutRV 770 BlgNR 27. GP 71 (zu § 188 Abs 3 IO), dass eine Vorführung des Schuldners zur Prüfungstagsatzung unverhältnismäßig wäre, ableiten.

[13] Dass die Regeln über die Vorführung einer Schuldnerin, die eine natürliche Person ist, auf die Vorführung der organschaftlichen Vertreterin einer Schuldnerin, die juristische Person ist, umzulegen sind, hat das Bezirksgericht Leibnitz nicht in Abrede gestellt (vgl OLG Wien 28 R 88/08d = ZIK 2009/163).

[14] Mangels Unerlaubtheit der vom Landesgericht Innsbruck gewünschten Rechtshilfehandlung war d em Bezirksgericht Leibnitz die Erledigung des Rechtshilfeersuchens aufzutragen.