JudikaturJustiz7Os144/60

7Os144/60 – OGH Entscheidung

Entscheidung
10. Mai 1960

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 10. Mai 1960 unter dem Vorsitze des Senatspräsidenten Dr. Schmeisser in Gegenwart der Räte des Obersten Gerichtshofes Dr. Freiinger, Dr. Zacher, Dr. Pichler und Dr. Harlfinger als Richter, und des Richteramtsanwärters Tiefenbrunner als Schriftführers in der Strafsache gegen Hermann W***** wegen des Verbrechens des Mordes nach den §§ 134, 135 Z 1 StG und anderer strafbarer Handlungen über die von der Generalprokuratur gegen die Beschlüsse des Präsidenten des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 12. November 1958 und vom 13. Mai 1959, GZ 7 Vr 1467/54-137 und 154, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrages des Berichterstatters, Rates des Obersten Gerichtshofes Dr. Freiinger und der Ausführungen des Vertreters der Generalprokuratur, Erster Staatsanwalt Dr. Voglauer, zu Recht erkannt:

Spruch

Durch den Beschluß des Präsidenten des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 12. November 1958, womit der bereits am 9. März 1955 eingeleitete Vollzug der über Hermann W***** mit dem Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 13. August 1955, Bs 846/55, verhängten Strafe gemäß § 398 StPO bis 10. Mai 1959 gehemmt wurde, und durch den Beschluß des Präsidenten des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 13. Mai 1959, mit dem diese Strafvollzugshemmung bis 14. November 1959 verlängert wurde, wurde das Gesetz in den Bestimmungen der §§ 398 und 401 a StPO sowie des § 639 der Geo für die Gerichte erster und zweiter Instanz verletzt. Diese beiden Beschlüsse werden aufgehoben.

Text

Gründe:

Aus den Akten des Landesgerichtes für Strafsachen Graz 7 Vr 1467/54 ergibt sich nachstehender Sachverhalt:

Hermann W***** wurde mit dem Urteil des Geschwornengerichtes beim Landesgericht für Strafsachen Graz vom 9. März 1955, 7 Vr 1467/54-96, des Verbrechens des Meuchelmordes nach den §§ 134, 135 Z 1 StG, der Übertretung gegen die körperliche Sicherheit nach dem § 431 StG und des Vergehens nach den §§ 11, 26 Abs 1 Z 1 WaffenG schuldig erkannt und hiefür gemäß den §§ 136 und 52 StG unter Bedachtnahme auf den § 34 (richtig § 35) StG und unter Anwendung des § 339 StPO zur Strafe des schweren Kerkers in der Dauer von sechs Jahren, verschärft durch einsame Absperrung in dunkler Zelle an jedem Jahrestag der Tat, verurteilt. Mit dem Urteil des Oberlandesgerichtes Graz vom 13. August 1955, Bs 846/55-117, ist diese Strafe auf acht Jahre erhöht worden.

Nach dem Ergebnis seiner im Strafverfahren durchgeführten Psychiatrierung bestand beim Verurteilten zur Zeit seiner Straftaten (Juni bzw. Frühjahr 1954) wohl eine Debilität mit Anfälligkeit für eine schizophrene Erkrankung, die aber nicht als Vorstadium einer Schizophrenie aufzufassen ist, weshalb er sich nicht in einem Zustande des § 2 lit a, b oder c StG befunden hat. Die Geschwornen hatten daher die ihnen gestellte Zusatzfrage, ob Hermann W***** die ihm zur Last liegenden Straftaten im Zustande dauernder Sinnenverwirrung oder wenigstens im Zustande vorübergehender Sinnenverrückung verübt habe, im Stimmenverhältnis 3 : 5 verneint. Mit Beschluß des Bezirksgerichets für ZRS Graz vom 11. September 1957, 15 L 7/57, wurde Hermann W***** mit der Begründung, er sei infolge psychopathischer Abwegigkeit mit schizoidem Einschlag und damit verbundener Geistesschwäche mäßigen Grades zur gehörigen Verwaltung seines Vermögens nicht geeignet, wegen Geisteskrankheit beschränkt entmündigt.

Am 18. Oktober 1958 wurde Hermann W***** von der Männerstrafanstalt Graz, in der er sich zur Strafverbüßung befand, wegen Geisteskrankheit in die Landes-Heil- und Pflegeanstalt für Geisteskranke Graz-Feldhof abgegeben, wo die Diagnose "Debilität mit schizophrener Aufpfropfung" erstellt wurde. Da der Leiter des Anstaltsspitals der Männerstrafanstalt Graz in seinem über diese Transferierung erstatteten Bericht die Ansicht äußerte, daß die Geisteskrankheit des Hermann W*****, wenn auch nicht ausgeprägt, schon zur Zeit der Einleitung des Strafvollzuges vorhanden gewesen sei, weil der Genannte während seiner Strafhaft bereits zweimal kurzdauernde geistige Veränderungen gezeigt und schon zur Zeit seiner Aufnahme in die Strafanstalt ein absonderliches Verhalten an den Tag gelegt habe, ordnete der Präsident des Landesgerichtes für Strafsachen Graz am 12. November 1958 die Hemmung des Strafvollzuges an Hermann W***** gemäß § 398 StPO bis 10. Mai 1959 mit der Begründung an, daß der Genannte laut gerichtsärztlichem Gutachten schwer krank sei.

Am 21. November 1958 brachte Hermann W***** beim Landesgericht für Strafaschen Graz einen Antrag auf Wiederaufnahme des Strafverfahrens mit der Behauptung ein, daß er zur Tatzeit des Gebrauches der Vernunft ganz beraubt gewesen sei, zumindestens aber die Straftaten in einer Sinnenverrückung begangen habe. Zur Unterstützung seines Standpunktes berief er sich auf den Inhalt der Akten 15 L 7/57 des Bezirksgerichtes für Zivilrechtssachen Graz, betreffend seine am 11. September 1957 erfolgte Entmündigung, auf die Krankengeschichte der Landes-Heil- und Pflegeanstalt für Geisteskranke Graz-Feldhof aus dem Jahre 1958 und auf das einzuholende Gutachten zweier ärztlicher Sachverständiger. Das Landesgericht für Strafsachen Graz gab jedoch diesem Antrag mit dem Beschluß vom 19. März 1959 im wesentlichen mit der Begründung keine Folge, daß die in den Jahren 1957 und 1958 festgestellten geistigen Erkrankungen des Antragstellers erst unter dem ungünstigen Einfluß der Strafhaft auf den für eine schizophrene Erkrankung anfälligen Verurteilten aufgetreten seien und daher zur Begründung der Annahme einer bei diesem bereits zur Zeit seiner Straftaten vorhanden gewesenen Unzurechnungsfähigkeit nicht geeignet seien. Diese Entscheidung erwuchs in Rechtskraft.

Da nach dem Bericht der Landes-Heil- und Pflegeanstalt für Geisteskranke Graz-Feldhof vom 12. Mai 1959 Hermann W***** noch immer geistesgestört war, ordnete der Präsident des Landesgerichtes für Strafsachen Graz am 13. Mai 1959 gemäß § 398 StPO eine weitere Hemmung des Stafvollzuges bis 14. November 1959 an. In einem ergänzenden Berichte der genannten Heilanstalt vom 13. Mai 1959 wurde darauf hingewiesen, daß es sich bei Hermann W***** um einen akuten Schub von Schizophrenie handle, welcher während der Strafhaft in der Männerstrafanstalt Graz aufgetreten und bisher noch nicht abgeklungen sei.

Da in einem weiteren Berichte der genannten Heilanstalt vom 25. September 1959 der Geisteszustand des Hermann W***** als gebessert und der Genannte wieder als strafhaftfähig bezeichnet wurde, wurde der Verurteilte am 1. Oktober 1959 in das Gefangenhaus des Landesgerichtes für Strafsachen Graz (Inquisitenspital) zur Fortsetzung des Strafvollzuges eingeliefert.

Rechtliche Beurteilung

Die Beschlüsse des Präsidenten des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 12. November 1958 und 13. Mai 1959 stehen mit dem Gesetz nicht im Einklang.

Gemäß § 398 StPO hat bei Geisteskrankheit oder schwerer körperlicher Krankheit eines zum Tode oder zu einer Freiheitsstrafe Verurteilten - worunter erst der Ausbruch einer solchen Krankheit und nicht schon das bloße Vorhandensein der Wurzeln und Anlagen für eine solche zu begreifen ist - die Vollstreckung der Strafe solange zu unterbleiben, bis dieser Zustand aufgehört hat. Ein solcher Strafvollzugshemmungsgrund muß aber nach dem Wortlaut des § 398 StPO bereits in dem Zeitpunkte bestehen, in dem ansonsten die Strafe in Vollzug gesetzt werden sollte. Nach erfolgtem Strafantritt ist daher eine Strafvollzugshemmung gemäß § 398 StPO nur dann denkbar, wenn der Hemmungsgrund zur Zeit des Strafantrittes bereits gegeben war, aber erst nachher erkannt wurde (EvBl 416/59).

Dies trifft aber im vorliegenden Falle nicht zu. Nach der Aktenlage ging das Landesgericht für Strafsachen Graz in dem über Hermann W***** gefällten Urteil davon aus, daß der Genannte im Zeitpunkte der Begehung seiner Straftaten nicht an Schizophrenie erkrankt war, sondern lediglich eine Anfälligkeit für eine schizophrene Erkrankung aufgewiesen habe, die aber nicht als Vorstadium einer Schizophrenie aufzufassen sei, und sich daher nicht in einem Zustande des § 2 lit a, b oder c StG befunden habe. Der Inhalt der Akten bietet auch keine Anhaltspunkte für die Annahme, daß der Verurteilte zwischen der Verübung seiner Straftaten und der Einleitung des Strafvollzuges an Schizophrenie erkrankt sei. Aber auch für den Zeitpunkt der Einleitung des Strafvollzuges wäre eine solche Annahme nicht begründet, da der Bericht, den die Leitung des Anstaltsspitals der Männerstrafanstalt Graz über die am 18. Oktober 1958 erfolgte Abgabe des Verurteilten in die Landes-Heil- und Pflegeanstalt für Geisteskranke Graz-Feldhof erstattet hat, nur dahin lautet, daß sich bei Aufnahme des Verurteilten in die Strafanstalt, dessen Anlagen zur Schizophrenie in Form eines absonderlichen Verhaltens gezeigt haben, nicht aber besagt, daß beim Verurteilten zu diesem Zeitpunkte diese Krankheit etwa schon ausgebrochen wäre. Der Ausbruch dieser Krankheit ist vielmehr, wie aus dem erwähnten Bericht, ferner aus dem Berichte der Landes-Heil- und Pflegeanstalt für Geisteskranke Graz-Feldhof vom 13. Mai 1959 (ON 155/II) und schließlich aus der Entscheidung des Landesgerichtes für Stafsachen Graz über den Antrag des Verurteilten auf Wiederaufnahme des Strafverfahrens hervorgeht, erst während der Strafhaft erfolgt, weil sich, wie in dieser Entscheidung festgestellt wurde, die Strafhaft auf den für eine schizophrene Erkrankung anfälligen Verurteilten ungünstig ausgewirkt hatte. Die Voraussetzungen für die Anwendung des § 398 StPO lagen demnach im vorliegenden Falle nicht vor. Soferne in den erwähnten Beschlüssen des Präsidenten des Landesgerichtes für Strafsachen Graz dennoch das Vorliegen dieser Voraussetzungen offenbar deshalb angenommen wurde, weil bei Hermann W***** zur Zeit der Einleitung des Strafvollzuges bereits die Anlagen für eine Schizophrenie vorhanden waren, so beruht diese Auffassung auf einer Verkennung des Begriffes der schweren Erkrankung im Sinne der angeführten Gesetzesstelle (SSt XIV/85). Die Einleitung des Strafvollzuges an Hermann W***** entsprach daher dem Gesetze, weil er nach der Aktenlage zur Zeit des Stafantrittes weder an einer Geisteskrankheit, noch an einer schweren körperlichen Krankheit litt, die seine Strafhaft ausgeschlossen hätte. Ist aber eine Freiheitsstrafe gesetzmäßigerweise in Vollzug gesetzt worden, dann darf der Strafvollzug in der Regel nicht unterbrochen werden (§ 401 a StPO). Eine erst nach Strafantritt auftretende Geisteskrankheit oder schwere körperliche Erkrankung eines Verurteilten kann im Hinblick auf § 401 a StPO niemals den Anlaß zu einer Strafunterbrechung bilden. In einem solchen Fall ist bei richtiger Rechtsanwendung vielmehr gemäß § 639 der Geo für die Gerichte erster und zweiter Instanz (BGBl. Nr. 264/1951) vorzugehen. Danach hätte Hermann W*****, da die Behandlung seiner während des Stafvollzuges ausgebrochenen Geisteskrankheit im Inquisitenspital des der Sachlage nach zu seiner Aufnahme zuständig gewesenen Gefangenhauses des Landesgerichtes für Strafsachen Graz nicht möglich war, seine Reststrafe in einem öffentlichen Krankenhaus, nämlich in der Landes-Heil- und Pflegeanstalt für Geisteskranke Graz-Feldhof, wohin er abgegeben worden ist, verbüßen müssen, wobei die in einer Krankenanstalt verbrachte Zeit in die Strafhaft einzurechnen ist. Der von der Generalprokuratur erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes war daher Folge zu geben und wie im Spruche zu erkennen.