JudikaturJustiz7Ob66/21p

7Ob66/21p – OGH Entscheidung

Entscheidung
28. April 2021

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätin und die Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, MMag. Matzka und MMag. Sloboda als weitere Richter in der Rechtssache der gefährdeten Parteien 1. Mag. (FH) S***** T*****, und 2. M***** G*****, beide vertreten durch Dr. Peter Wallnöfer LL.M. und andere Rechtsanwälte in Innsbruck, gegen den Gegner der gefährdeten Partei Dr. N***** G*****, wegen Erlassung einer einstweiligen Verfügung nach §§ 382e, 382g EO, über den ordentlichen Revisionsrekurs des Gegners der gefährdeten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Innsbruck als Rekursgericht vom 22. Jänner 2021, GZ 3 R 212/20b 68, mit dem der Rekurs des Gegners der gefährdeten Partei gegen die einstweilige Verfügung des Bezirksgerichts Innsbruck vom 19. August 2020, GZ 47 C 2/20f 31, zurückgewiesen wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben. Der angefochtene Beschluss wird ersatzlos aufgehoben. Dem Rekursgericht wird die Entscheidung über den ihm vorliegenden Rekurs des Gegners der gefährdeten Partei unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.

Die Kosten des Revisionsrekursverfahrens sind weitere Kosten des Rekursverfahrens.

Text

Begründung:

[1] Die Antragsteller sind bei der Hausverwalterin eines Wohnungseigentums objekts tätig; der Antragsgegner ist dort Mit- und Wohnungseigentümer.

[2] Das Erstgericht erließ eine einstweilige Verfügung, mit der es dem Antragsgegner den Aufenthalt in den Räumlichkeiten der Hausverwalterin samt unmittelbarer Umgebung sowie Zusammentreffen und Kontaktaufnahme (mit Ausnahme schriftlicher Kontakte) mit den Antragstellern verbot.

[3] Der Antragsgegner erhob dagegen einen von ihm selbst unterfertigten Rekurs, den er per Post einbrachte. Er berief sich darin auf § 28 ZPO, er sei von 1983 bis 1988 eingetragener Rechtsanwalt gewesen, nunmehr emeritiert und habe auch Richteramts- und Notariatsprüfung abgelegt.

[4] Nachdem der Antragsgegner vergeblich zur Verbesserung durch Einbringung des Rekurses im elektronischen Rechtsverkehr (ERV) aufgefordert worden war, wies das Rekursgericht den Rekurs zurück. Der Antragsgegner sei nach § 89c Abs 5 Z 1 GOG auch als emeritierter Rechtsanwalt zur Teilnahme am ERV verpflichtet; diesen Formmangel habe er trotz Verbesserungsauftrags nicht behoben.

[5] Das Rekursgericht ließ den ordentlichen Revisionsrekurs zu Frage zu, ob ein emeritierter Rechtsanwalt in eigener Sache von der Teilnahme am ERV befreit sei.

[6] Mit seinem dagegen erhobenen ordentlichen Revisionsrekurs beantragt der Antragsgegner, den angefochtenen Beschluss ersatzlos zu beheben; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[7] Die Antragsteller beantragen in ihrer Revisionsrekursbeantwortung, den Revisionsrekurs zurückzuweisen, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[8] Der Revisionrekurs ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig und auch berechtigt.

[9] 1. Die Zurückweisung eines Rekurses gegen einen Beschluss des Erstgerichts durch die zweite Instanz ist mit Revisionsrekurs nach den Voraussetzungen gemäß (hier §§ 402, 78 EO iVm) § 528 ZPO anfechtbar (vgl R S0044501 [T18]; Musger in Fasching/Konecny 3 IV/1 § 528 ZPO [2019] Rz 3 mwN ).

[10] 2.1. Nach § 89c Abs 5 Z 1 GOG sind Rechtsanwälte – nach Maßgabe der technischen Möglichkeiten – zur Teilnahme am ERV verpflichtet. Ein Verstoß gegen diese Bestimmung ist wie ein Formmangel zu behandeln, der zu verbessern ist ( § 89c Abs 6 GOG ).

[11] Im Einklang damit bestimmen auch die Richtlinien für die Ausübung des Rechtsanwaltsberufs, dass der Rechtsanwalt unter anderem dafür Sorge zu tragen hat, dass ihm Einrichtungen zur Beteiligung am ERV mit den Gerichten zur Verfügung stehen, die zur Wahrung, Verfolgung und Durchsetzung der ihm anvertrauten Interessen notwendig sind ( § 40 Abs 4 RL BA ).

[12] § 89c Abs 5 GOG erfasst auch Eingaben von Rechtsanwälten in eigener Sache ( RS0128266 [T21]).

[13] 2.2. Die Verpflichtung zur Teilnahme am ERV wurde durch das BRÄG 2006, BGBl I 2 005/ 164 , eingeführt, und richtete sich nach den Materialien vorerst an Notare und Rechtsanwälte „als berufsmäßige Parteienvertreter“ ( ErläutRV 1169 BlgNR 22. GP 36 ).

[14] Mit dem BBG 2011, BGBl I 2010/111 , wurden Kredit- und Finanzinstitute sowie inländische Versicherungsunternehmen und durch BGBl I 2012/26 diverse Sozialversicherungsträger und -einrichtungen zur Teilnahme am ERV verpflichtet, was nach den Materialien jeweils damit begründet wurde, dass dessen Einsparungspotenzial nun auch in weiteren Bereichen genutzt werden solle, da die einbezogenen Institutionen einen großen Teil von nicht elektronisch an die Gerichte übermittelten Eingaben an Gerichte ausmachen würden und verpflichtende Teilnahmen am ERV sich in der Praxis bewährt und zu bedeutenden Einsparungen geführt hätten (vgl ErläutRV 981 BlgNR 24. GP 97 f ; 1676 BlgNR 24. GP 3 ).

[15] Die Einbeziehung der Rechtsanwaltskammern mit BGBl I 2013/119 wurde in den Materialien damit begründet, dass der mit diesen in den Verfahrensordnungen vorgesehene Verkehr (etwa in Verfahrenshilfeangelegenheiten) äußerst aufwändig und nicht mehr zeitgemäß sei; die gleichzeitige Einbeziehung der Finanzprokuratur sei ein konsequenter weiterer Schritt bei der Ausweitung des Teilnehmerkreises, aus der sich auch gewisse Entlastungen bzw Umschichtungsmöglichkeiten und Verwaltungsvereinfachungen ergäben ( ErläutRV 2 306 BlgNR 24. GP 10).

[16] Bei der Neufassung des VAG 2016, BGBl I 2015/34, wurden bei den zur Teilnahme verpflichteten der Beaufsichtigung unterliegenden Versicherungsunternehmen insbesondere kleine Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit „aus Gründen der Proportionalität“ ( ErläutRV 354 BlgNR 25. GP 71 ) ausdrücklich ausgenommen.

[17] Von der Verpflichtung von Sachverständigen und Dolmetschern zur Teilnahme am ERV wurde zuletzt durch BGBl I 2019/44 dann ausdrücklich abgesehen, wenn dies im Einzelfall nicht zumutbar ist, insbesondere dann, wenn sie mit einem unverhältnismäßigen Aufwand verbunden wäre, etwa im Hinblick auf die geringe Zahl an Bestellungen.

[18] 3. Nach § 28 Abs 1 ZPO bedürfen Rechtsanwälte (so wie Notare, zur Ausübung des Richteramts befähigte Personen und Beamte der Finanzprokuratur, die die Rechtsanwaltsprüfung abgelegt haben), wenn sie in einem Rechtsstreit als Partei einschreiten, weder in der ersten noch in einer höheren Instanz der Vertretung durch einen Rechtsanwalt.

[19] Hat ein Rechtsanwalt auf die Ausübung der Rechtsanwaltschaft verzichtet, bleibt er demnach – wie ein pensionierter Richter – in eigenen Angelegenheiten von der Anwaltspflicht befreit; das Privileg des § 28 Abs 1 ZPO gilt somit nur, wenn ein emeritierter Rechtsanwalt „als Partei“ ( RS0119575 [insb T3, T5]), nicht aber, wenn er als Parteienvertreter einschreitet (vgl RS0119575 [T6]).

[20] 4.1. Aus dem Wortlaut des § 89c GOG und den Materialien ist der Zweck des Gesetzes abzuleiten, Personenkreise und Institutionen zur Teilnahme am ERV zu verpflichten, die dadurch aufgrund der Anzahl ihrer schriftlichen Kontakte mit Gerichten Kosten und Aufwand der Erstellung und Übermittlung einer Vielzahl von Schriftsätzen und Dokumenten und deren Behandlung bei Gericht merklich verringern.

[21] 4.2. Diese Voraussetzungen liegen bei in eigener Sache einschreitenden „emeritierten“ Rechtsanwälten nicht vor:

[22] Die Gründe, aus denen die Berechtigung zur Ausübung der Rechtsanwaltschaft erlischt, sind in § 34 RAO geregelt. Aus dem Umstand, dass „emeritierte“ Rechtsanwälte nach § 28 Abs 1 ZPO in eigener Sache grundsätzlich keiner Vertretung durch Anwälte bedürfen ergibt sich nicht, dass sie trotz des Erlöschens der Rechtsanwaltschaft der Verpflichtung nach § 89c GOG unterliegen, am ERV teilzunehmen. Gegenteiliges ist auch nicht aus 5 Ob 54/20g ( NZ 2021/23, 91 [ Bittner ]) abzuleiten, da in jenem Fall die Anrufung des Obersten Gerichtshofs jedenfalls unzulässig war.

[23] 5. Die Zurückweisung des Rekurses des Antragsgegners durch das Rekursgericht ist daher zu Unrecht erfolgt und war ersatzlos zu beheben. Das Rekursgericht wird den Rekurs des Antragsgegners ohne Bedachtnahme auf das Unterbleiben der Einbringung im ERV zu behandeln haben.

[24] 6. Der Kostenvorbehalt stützt sich auf § 393 Abs 2 EO iVm § 52 Abs 1 ZPO.

Rechtssätze
2
  • RS0128266OGH Rechtssatz

    03. März 2022·3 Entscheidungen

    Gemäß § 89c Abs 5 Z 1 GOG idF BGBl I 2012/26 sind Rechtsanwälte nach Maßgabe der technischen Möglichkeiten zur Teilnahme am elektronischen Rechtsverkehr verpflichtet. Ein Verstoß gegen diese Bestimmung ist wie ein Formmangel zu behandeln, der zu verbessern ist (§ 89c Abs 6 GOG idF BGBl I 2012/26). Für Eingaben eines Rechtsanwalts ab dem maßgeblichen Stichtag 1. 5. 2012 (§ 98 Abs 15 Z 1 GOG), die auf dem Postweg und nicht im elektronischen Rechtsverkehr eingebracht werden, ist demnach ein Verbesserungsverfahren durchzuführen. Die bisherige Rechtsprechung (RIS‑Justiz RS0124215; RS0124335; RS0124555), die in der nicht auf elektronischem Weg eingebrachten Eingabe keinen die geschäftsordnungsgemäße Behandlung hindernden Formmangel erkannte und von einem folgenlosen Verstoß gegen eine reine Ordnungsvorschrift ausging, kann infolge Änderung der Rechtslage für solche Eingaben seit 1. 5. 2012 nicht mehr aufrecht erhalten werden. In gewollter Abkehr von dieser Judikatur müssen die im neu gefassten § 89c Abs 5 GOG idF BGBl I 2012/26 genannten ERV‑Teilnehmer/innen in Hinkunft den elektronischen Rechtsverkehr zwingend verwenden. Das gesetzwidrige Absehen von der Nutzung des elektronischen Rechtsverkehrs durch zur Nutzung Verpflichtete soll ‑ als Verletzung einer zwingend einzuhaltenden Formvorschrift (§ 89c Abs 6 GOG idF BGBl I 2012/26) ‑ zu einem Verbesserungsverfahren und bei einem Ausbleiben der Verbesserung zur Zurückweisung der Eingabe führen.