JudikaturJustiz7Ob571/94

7Ob571/94 – OGH Entscheidung

Entscheidung
08. März 1995

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Warta als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Niederreiter, Dr.Schalich, Dr.Tittel und Dr.I. Huber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei R***** registrierte Genossenschaft mbH, ***** vertreten durch Dr.Johann Kahrer und Dr.Christian Haslinger, Rechtsanwälte in Ried im Innkreis, wider die beklagte Partei Theresia H*****, vertreten durch Dr.Johann Rathbauer, Rechtsanwalt in Linz, wegen S 1,346.079,31 s.A., infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht vom 13.April 1994, GZ 6 R 59/94-34, womit die Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Ried im Innkreis vom 24.September 1993, GZ 13 Cg 26/93-21, zurückgewiesen wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Rekurs wird Folge gegeben. Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben. Dem Berufungsgericht wird die Entscheidung über die Berufung der beklagten Partei unter Abstandnahme von dem gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.

Die Rekurskosten sind weitere Kosten des Berufungsverfahrens.

Text

Begründung:

Das der Klage stattgebende Urteil des Landesgerichtes Ried im Innkreis vom 24.September 1993 wurde dem Beklagtenvertreter, der sich im Verfahren auf die ihm erteilte Vollmacht berufen hatte, am 6. Oktober 1993 zugestellt. Mit einem am 2.November 1993 zur Post gegebenen Schriftsatz beantragte die Beklagte die Bewilligung der Verfahrenshilfe einschließlich der Beigebung eines Rechtsanwaltes und gab gleichzeitig die Auflösung des Vollmachtsverhältnisses zu ihrem gewählten Vertreter bekannt. Die Gründe für die Auflösung des Vollmachtsverhältnisses lägen in ihrer wirtschaftlichen Situation, weil sie mit ihrer Kostenzahlung rückständig sei.

Mit Beschluß des Landesgerichtes Ried im Innkreis vom 3.Jänner 1994 wurde der Beklagten - nach Aufhebung eines diesen Antrag zunächst abweisenden Beschlusses - die Verfahrenshilfe gemäß § 64 Abs 1 Z 1 lit a-f und Z 3 ZPO bewilligt. Mit Bescheid des Ausschusses der oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer vom 11.Jänner 1994 wurde Rechtsanwalt Dr.Johann K***** zum Verfahrenshelfer bestellt; der Bescheid über die Bestellung wurde dem Verfahrenshelfer am 13.Jänner 1994 zugestellt. Mit Bescheid des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer für Oberösterreich vom 17.Jänner 1994 wurde über Ersuchen des Dr.Johann K***** Dr.Manfred L*****, Rechtsanwalt in Braunau zum Verfahrenshelfer der Beklagten umbestellt.

Der Umstellungsbeschluß wurde ihm am 18.1.1994 zugestellt.

Am 15.Februar 1994 langte beim Erstgericht die Berufung der Beklagten vertreten durch ihren seinerzeitigen und nunmehr wieder bevollmächtigten freigewählten Rechtsanwalt Dr.Johann Rathbauer ein.

Das Berufungsgericht wies die Berufung als verspätet zurück. Der von der Beklagten am 2.November 1993 zur Post gegebene Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe und Beigebung eines Rechtsanwaltes sei zwar rechtzeitig im Sinne des § 464 Abs 3 ZPO. Der Sinngehalt dieser Bestimmung liege aber darin, daß der Partei, die sich die Erhebung des Rechtsmittels durch ihren freigewählten Vertreter nicht mehr leisten könne, die gleiche Berufungsfrist für die Erhebung des Rechtsmittels durch den Verfahrenshelfer eingeräumt werde. Dieser Bestimmung könne aber nicht unterstellt werden, daß ihr Sinngehalt der Prozeßverschleppung diene, denn nur so könne das Verhalten der Beklagten gewertet werden. Die Beklagte wäre daher verhalten gewesen, die Berufung durch ihren freigewählten Vertreter innerhalb von 4 Wochen nach Zustellung des Ersturteils an diesen einzubringen.

Rechtliche Beurteilung

Der - ohne die Beschränkungen nach den §§ 502, 528 ZPO - zulässige Rekurs der Beklagten ist berechtigt.

Die vom Berufungsgericht geäußerte Rechtsansicht, die Berufungsfrist für eine die Verfahrenshilfe genießende Partei beginne nur dann neu zu laufen, wenn die Berufung auch vom beigestellten Verfahrenshelfer erhoben wurde, nicht aber, wenn sie nach Zustellung des Bescheides über die Bestellung eines Verfahrenshelfers durch einen freigewählten Rechtsanwalt verfaßt wurde, ist zwar in der Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 2.10.1957, 3 Ob 338/57 = RZ 1958, 14 geteilt worden, kann aber nach neuerlicher Prüfung der Rechtslage nicht mehr aufrecht erhalten werden.

§ 464 Abs 3 ZPO wurde durch die ZPO-Novelle 1955, BGBl 1955/282, eingeführt und im hier maßgeblichen Wortlaut durch das Verfahrenshilfegesetz, BGBl 2973/569 nicht geändert. Durch diese Bestimmung sollte für die (arme) Partei die Ausnützung der vollen Berufungsfrist möglichst gesichert werden (ErläutRV 565 BlgNR 7. GP, 10), weil zuvor die Berufungsfrist durch die für Beigabe und Bestellung des (Armenanwaltes) erforderliche Zeit verkürzt war. Demnach beginnt die Berufungsfrist für eine die Verfahrenshilfe beantragende Partei mit der Zustellung des Bescheides über die Bestellung des Rechtsanwaltes und einer schriftlichen Urteilsausfertigung an diesen Rechtsanwalt. Weder dem Wortlaut des Gesetzes noch den Erläuternden Bemerkungen ist aber zu entnehmen, daß dadurch der neuerliche Fristenlauf nur für den Verfahrenshelfer, nicht aber für einen in der Folge frei gewählten Vertreter in Gang gesetzt werden soll. Das Gesetz spricht vielmehr davon, daß bei rechtzeitiger Antragstellung für die Verfahrenshilfe beantragende Partei die Berufungsfrist von neuem zu laufen beginnt (arg: "so beginnt für sie" ...). Hätte dies der Gesetzgeber gewollt, hätte er den neuerlichen Fristenlauf wohl nur für den Verfahrenshelfer angeordnet und nicht für die Partei (siehe dazu Müller, AnwBl 1983, 481). Entgegen der in der E RZ 1958, 14 vertretenen Rechtsmeinung läßt sich daher weder aus dem Gesetz noch aus den Erläuternden Bemerkungen ableiten, daß es sich bei dieser Bestimmung um eine Ausnahmebestimmung zugunsten des Verfahrenshelfers handle.

Soweit das Berufungsgericht auf die Möglichkeit der Prozeßverschleppung durch mißbräuchliche Inanspruchnahme des Instituts der Verfahrenshilfe verweist, ist dem entgegenzuhalten, daß der Gesetzgeber für diesen Fall im § 69 ZPO als Mutwillensstrafe Geldstrafen (bis zur Höhe von S 400.000,-) ferner eine Verdoppelung der Gerichtsgebühren sowie die Pflichtanzeige bei der Staatsanwaltschaft angedroht hat. Weitere prozessuale Konsequenzen anderer Art (etwa rückwirkende Beseitigung der solcherart erschlichenen Verfahrenshilfe oder bereits eingetretener Fristunterbrechung) sind im Gesetz nicht einmal für die Erschleichung der Verfahrenshilfe vorgesehen. Um so weniger ist die Annahme solcher weitreichenden Konsequenzen für den Fall zulässig, daß die Verfahrenshilfe zu Recht gewährt wird, sich die Partei jedoch aus in ihrem Bereich liegenden Erwägungen nachträglich eines Rechtsanwaltes ihrer Wahl bedient, so zum Beispiel wenn sie nach Bewilligung der Verfahrenshilfe infolge Änderung der Vermögensverhältnisse nunmehr in der Lage ist, die (weitere) Führung des Prozesses ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhaltes zu bestreiten.

Da nach § 464 Abs 3 ZPO für eine die Verfahrenshilfe beantragende Partei die Berufungsfrist mit der Zustellung des Bescheides über die Bestellung des Rechtsanwaltes und einer schriftlichen Unrteilsausfertigung an ihn neu zu laufen beginnt, ist es nach Ansicht des erkennenden Senates für die Rechtzeitigkeit der Berufung ohne Bedeutung, ob diese vom Verfahrenshelfer oder von einem freigewählten Rechtsanwalt eingebracht wird.

Der in § 471 Z 2 ZPO bezeichnete Zurückweisungsgrund liegt daher nicht vor. In Stattgebung des Rekurses war daher der Zurückweisungsbeschluß des Berufungsgerichtes ersatzlos zu beheben.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO.