JudikaturJustiz7Ob569/93

7Ob569/93 – OGH Entscheidung

Entscheidung
13. Oktober 1993

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Warta als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Niederreiter, Dr.Schalich, Dr.Floßmann und Dr.I.Huber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Maria G*****, vertreten durch Dr.Otto Holter und andere Rechtsanwälte in Grieskirchen, gegen die beklagte Partei Rudolf G*****, vertreten durch Dr.Harald Humer, Rechtsanwalt in Eferding, wegen Ehescheidung und Unterhalt, infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Landesgerichtes Wels vom 5.Mai 1993, GZ R 419/93-10, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Haag am Hausruck vom 28.Jänner 1993, GZ C 683/92-6, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Dem Rekurs wird Folge gegeben, der angefochtene Beschluß aufgehoben und in der Sache selbst erkannt, daß das Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit insgesamt S 29.451 (darin S 2.908,50 Umsatzsteuer und S 12.000 Barauslagen) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin begehrte die Scheidung der Ehe aus dem Alleinverschulden des Beklagten und dessen Verpflichtung zur Unterhaltsleistung von S 4.000 monatlich.

Die Klage und die Ladung zur Tagsatzung am 26.11.1992 wurden dem Beklagten am 16.11.1992 zugestellt. Der Beklagte blieb jedoch der Tagsatzung unentschuldigt fern. Diese Tagsatzung wurde nach dem Vortrag der Klage und der Fassung des Beweisbeschlusses zur neuerlichen Vorladung des Beklagten und Aufnahme der beschlossenen Beweise - unter anderem der Parteienvernehmung des Beklagten - erstreckt. Zu der am 19.1.1993 anberaumten Tagsatzung wurde der Beklagte mit ZP-Form 44 als Partei unter Bekanntgabe des Themas seiner Vernehmung geladen. Diese Ladung wurde dem Beklagten am 14.12.1992 zugestellt. Der Beklagte erschien zu dieser Tagsatzung abermals nicht und entschuldigte sich auch nicht. Die Klägerin gab an, daß dem Beklagten der Verhandlungstermin bekannt sei. Er habe jedoch erklärt, daß er zur Verhandlung nicht kommen werde, weil auf der Ladung der 19.1.1992 als Termin bezeichnet sei. Nach Einvernahme der Klägerin schloß das Erstgericht die Verhandlung.

Das Erstgericht gab der Klage statt. Es traf der Aussage der Klägerin folgende Feststellungen und unterzog das prozessuale Verhalten des Beklagten einer Würdigung gemäß § 381 ZPO. In rechtlicher Hinsicht lastete es dem Beklagten schwere Eheverfehlungen im Sinn des § 49 EheG an. Aufgrund des festgestellten Einkommens des Beklagten und der Lebensverhältnisse beider Ehegatten sei der Beklagte gemäß § 66 EheG zu der begehrten Unterhaltsleistung verpflichtet.

Das Gericht zweiter Instanz verwarf die Berufung des Beklagten, soweit sie Nichtigkeit geltend machte. Im übrigen gab es der Berufung Folge, hob das angefochtene Urteil auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück. Das Verfahren sei mangelhaft geblieben, weil das Erstgericht in Entsprechung des § 460 Z 1 ZPO zunächst versuchen hätte müssen, das persönliche Erscheinen des Beklagten unter Anwendung der in § 87 GOG vorgesehenen Zwangsmittel zu veranlassen. Das Gericht zweiter Instanz erklärte den Rekurs an den Obersten Gerichtshof für zulässig, weil keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zur Frage vorliege, unter welchen Voraussetzungen Zwangsmaßnahmen im Sinn der §§ 460 Z 1 ZPO, 87 GOG zu ergreifen seien.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist zulässig und berechtigt.

Auch andere Gerichte zweiter Instanz vertraten bisher zum Teil die im angefochtenen Aufhebungsbeschluß zum Ausdruck kommende Ansicht, daß die Unterlassung der in § 460 Z 1 ZPO vorgesehenen Vorgangsweise eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens darstelle, und zwar insbesondere dann, wenn die Klarstellung der entscheidungswesentlichen Umstände von der Vernehmung beider Parteien als Streitteile abhänge; aus § 460 Abs 1 ZPO ergebe sich, daß der Gesetzgeber ein nur mit einer Partei durchgeführtes Scheidungsverfahren tunlichst vermieden haben wolle; das Absehen von der Parteienvernehmung sei nur zulässig, wenn wichtige Gründe dem Erscheinen einer Partei entgegenstünden (vgl OLG Wien in EFSlg 49.349, 52.202, 52.203, 55.055, 55.056; LG ZRS Wien in EFSlg 57.780, 60.864, 67.039, 67.040; ähnlich auch Schoibl, Neues Verfahrensrecht in Ehesachen, ÖJZ 1984, 543).

Hiezu in Widerspruch stehen die in EFSlg 49.348, 49.350, 52.201 und

52.204 veröffentlichten Entscheidungen des OLG Wien, wonach das Erscheinen der Parteien nur in Ausnahmefällen nach § 87 GOG durchzusetzen sei; so etwa, wenn dies zur Vermeidung von Nichtigkeitsgründen wegen begründeter Bedenken gegen die Prozeßfähigkeit oder die inländische Gerichtsbarkeit notwendig sei. Unter Berufung auf Schalich, Das neue streitige Eheverfahren, RZ 1985, 29, wird auch ausgeführt, daß die Bestimmung des § 460 Z 1 ZPO kein Relikt des Untersuchungsgrundsatzes beinhalte. Es solle damit der aussageunwilligen Partei auch nicht zu einem Verfahrensmangel verholfen werden.

Schalich vertritt aaO mit dem Hinweis auf die bisherige Rechtsprechung zu § 12 JMV weiters die Auffassung, daß sich diejenige Partei, die unentschuldigt der Ladung zur Parteienvernehmung ferngeblieben sei, nicht dadurch beschwert erachten könne, daß über sie keine Zwangsmittel verfügt worden seien. Die Verhängung von Zwangsmitteln diene nicht dem Säumigen, sondern demjenigen, der seine Behauptung nur mit Hilfe der Aussage des Unwilligen beweisen könne.

Der Oberste Gerichtshof hatte sich in jüngerer Zeit ebenfalls mit dem hier anstehenden Problem zu befassen: In dem der im Rekurs zitierten Entscheidung 6 Ob 715/89 (= NRSpr 1990/110) zugrunde liegenden Fall leistete die Beklagte ihrer Ladung zur Parteienvernehmung vor dem Berufungsgericht, das eine Beweiswiederholung beschlossen hatte, unentschuldigt keine Folge. Das Berufungsgericht nahm von der Anwendung von Zwangsmitteln Abstand und würdigte das Ausbleiben der Partei gemäß § 381 ZPO zu ihren Lasten. Es legte seiner abändernden Entscheidung einen in wesentlichen Punkten von den erstinstanzlichen Feststellungen abweichenden Sachverhalt zugrunde.

Der Oberste Gerichtshof verneinte das Vorliegen eines Verfahrensmangels und führte aus:

"Die durch das Bundesgesetz vom 11.November 1983 über Änderungen des Personen-, Ehe- und Kindschaftsrechtes, BGBl Nr.566 formulierte Fassung des § 460 Z 1 ZPO bezweckte zwar die Übernahme der Regelung nach § 12 JMV vom 9.Dezember 1897 betreffend das Verfahren in streitigen Eheangelegenheiten, RGBl Nr.283, erfuhr aber gleichzeitig gegenüber der Vorgängerbestimmung insofern eine wesentliche Einengung des praktischen Anwendungsbereiches, als das im § 12 JMV umschriebene Erfordernis des persönlichen Erscheinens der Parteien (Wichtigkeit für die amtliche Untersuchung) in den nicht in § 460 Z 4 ZPO erwähnten Verfahren, also insbesondere im Verfahren über ein Scheidungsbegehren, nur noch höchst ausnahmsweise gegeben sein wird (etwa bei der amtswegigen Prüfung der Prozeßfähigkeit, der Prüfung von Prozeßvoraussetzungen, unter Umständen auch von Statusfragen im Zusammenhang mit einer kollisionsrechtlichen Anknüpfung). Soweit also das Erscheinen der Partei vor Gericht ausschließlich Beweisaufnahmezwecken dienen soll, besteht im Scheidungsverfahren (seit dem Wegfall einer den § 10 JMV entsprechenden Regelung) grundsätzlich kein Bedarf, das Erscheinen einer Partei zwangsweise durchzusetzen. Die Regelung des § 460 Z 1 ZPO ist damit vornehmlich (vgl die oben erwähnten Fälle amtswegiger Prüfung) auf die im § 460 Z 4 ZPO genannten Verfahren beschränkt. Das Ausbleiben einer zu ihrer Vernehmung geladenen Partei ist im Scheidungsverfahren, wie im allgemeinen Zivilprozeß auch, gemäß § 381 ZPO zu würdigen. War die Anordnung der Beweisaufnahme fehlerfrei, ist die gebotene Würdigung aller Umstände reine Beweisfrage."

Der erkennende Senat findet keinen Anlaß, von dieser im wesentlichen bereits in einigen Entscheidungen des Oberlandesgerichtes Wien zum Ausdruck kommenden Ansicht abzugehen. Sie stellt die konsequente Folge aus dem durch die Novelle BGBl 1983/566 bewirkten Wegfall der Offizialmaxime im Ehescheidungsverfahren (vgl EFSlg 57.776, 57.777 ua) dar. Ebenso überzeugt das bereits dargelegte Argument, daß es ansonsten die aussageunwillige Partei trotz der Dispositionsmaxime und der Beseitigung des Untersuchungsgrundsatzes im Scheidungsverfahren an der Hand hätte, einen Verfahrensmangel geltend zu machen und dadurch oder auch durch andere Aktionen (Provozieren mehrmaliger vergeblicher Versuche, ihr Erscheinen zu erreichen) das Scheidungsverfahren ungebührlich zu verzögern.

Im vorliegenden Verfahren ließ der Beklagte sowohl die erste als auch die zweite Vorladung, die seiner Einvernahme als Partei dienen sollte, unbeachtet. Er behauptet selbst gar nicht, vom zweiten Termin keine sichere Kenntnis gehabt zu haben. Er verweist vielmehr in seiner Berufung auf das hiezu seitens der Klägerin erstattete Vorbringen. Aus diesem ergibt sich aber, daß der Beklagte sehr wohl vom Termin wußte und er den Schreibfehler im Datum (19.1.1992 statt 19.1.1993) zum Anlaß nahm, der Ladung nicht Folge zu leisten. Dieser offensichtliche (das Jahr 1992 war ja kürzlich abgelaufen) und von ihm auch erkannte Schreibfehler kann daher, wie das Gericht zweiter Instanz im Rahmen der Behandlung seiner Nichtigkeitsberufung zutreffend ausführte, nicht als ein das Fernbleiben rechtfertigender Ladungsfehler angesehen werden. Zudem räumt der Beklagte in seiner Rekursbeantwortung ein, daß der Schreibfehler "willkommener Anlaß" gewesen sei, die Ladung nicht zu befolgen.

Die in der Rekursbeantwortung aufgestellte Behauptung, der Beklagte sei niemals über die allfälligen Folgen seines Ausbleibens belehrt worden, ist aktenwidrig. Denn in der dem Beklagten übermittelten Ladung, die er seiner Rekursbeantwortung im Original beilegte, findet sich nicht nur der maschinschriftlich eingefügte Satz: "Sollten Sie dieser Streitverhandlung wiederum unentschuldigt fernbleiben, so kann Ihr Erscheinen durch Verhängung von Ordnungsstrafen erzwungen werden". Der Vordruck des hier verwendeten ZP-Form 44 enthält im letzten Satz auch den Hinweis, daß die Gelegenheit versäumt werden kann, im laufenden Verfahren als Partei auszusagen, wenn der Ladung ohne hinreichenden Grund nicht Folge geleistet wird. Der Beklagte wurde somit über sämtliche mögliche Folgen seines Ausbleibens hinlänglich informiert, so daß er sich nicht auf seine "Unerfahrenheit mit dem Gerichtsalltag" berufen kann.

Die Vorgangsweise des Erstgerichtes, das keinen Anlaß hatte, am Vorliegen der Prozeßvoraussetzungen wie insbesondere der Prozeßfähigkeit des Beklagten zu zweifeln, war daher nicht mit dem vom Beklagten im Rechtsmittelverfahren geltend gemachten und vom Gericht zweiter Instanz angenommenen Mangel behaftet.

Eine Beweisrüge und eine vom festgestellten Sachverhalt ausgehende Rechtsrüge wurde nicht erhoben, so daß ohne weitere Prüfung in der Sache selbst im Sinne des Ersturteiles entschieden werden konnte (§ 519 Abs 2 letzter Satz ZPO).

Die Entscheidung über die Kosten des Berufungs- und des Rekursverfahrens gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.