JudikaturJustiz7Ob33/91

7Ob33/91 – OGH Entscheidung

Entscheidung
30. Januar 1992

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurz als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Egermann, Dr. Niederreiter, Dr. Redl und Dr. Schalich als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei INTERUNFALL-RAS Versicherungs-Aktiengesellschaft, Klagenfurt, Burggasse 14, vertreten durch Dr. Anton und Dr. Peter Gradischnig, Rechtsanwälte in Villach, wider die beklagte Partei Adrian S*****, vertreten durch Dr. Peter Krassnig, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wegen S 103.174,- s.A. infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 30. August 1991, GZ 1 R 176/91-10, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt vom 14. Juni 1991, GZ 29 Cg 197/90-6, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 5.657,40 (darin S 942,90 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Beklagte hat für den von ihm bei der AVA-Bank geleasten PKW mit dem Kennzeichen K***** bei der klagenden Partei eine Vollkaskoversicherung abgeschlossen. Am 29. 9. 1989 geriet er gegen 1,30 Uhr auf der regennassen Fahrbahn auf der Höhe von Klein St.Veit bei einer Geschwindigkeit von 60 bis 70 km/h mit dem PKW über die Böschung. Das Fahrzeug überschlug sich und kam am angrenzenden Acker auf dem Dach liegend zum Stillstand. Dabei zersplitterte die Windschutzscheibe, aus dem Auto wurden etwa 400 Blätter herausgeweht. Der Beklagte hielt den nachkommenden PKW-Lenker Fritz SCH***** an. Er ersuchte ihn, den Abschleppdienst zu rufen und alles Notwendige zu veranlassen, und soweit dies erforderlich, auch die Gendarmerie zu verständigen. SCH***** sagte ihm dies zu, verständige aber nur den Abschleppdienst. Während dieses Telefonats SCH***** sammelte der Beklagte seine verwehten Unterlagen ein. Nachdem das Unfallsfahrzeug auf den Abschleppwagen verfrachtet worden war, wurde mit dessen Suchscheinwerfer noch die Unfallsstelle nach Papieren abgesucht. Es konnten keine Schäden am Acker wahrgenommen werden. SCH***** verständigte deshalb auch nicht die Gendarmerie. Bei Abgabe der (sonst ordnungsgemäß ausgefüllten) Schadensmeldung in einer Filiale der klagenden Partei in Wolfsburg erklärte der Beklagte über Befragen, daß der Unfall der Gendarmerie angezeigt worden sei und erklärte sich bereit, die entsprechende Aktenzahl bekanntzugeben. Der Gendarmeriebeamte im Posten Völkermarkt teilte ihm jedoch in der Folge mit, daß keine Anzeige erstattet worden sei und eine solche auch nicht erforderlich gewesen wäre, ein Beamter sei an der Unfallsstelle vorbeigefahren und habe dort keinen Schaden bemerkt. Die Klägerin bezahlte dem Leasinggeber am 3. 11. 1989 die Reparaturkosten von S 103.174,-.

Die dem Kaskoversicherungsvertrag zwischen den Streitteilen zugrundeliegenden Bedingungen (KKB 1986), die auf Art. 5 der Allgemeinen Bedingungen für die Fahrzeugkaskoversicherung und für die Fahrzeuginsassen-Unfallversicherung (AFIB 1986) verweisen, normieren als Obliegenheit, deren Verletzung den Versicherer von der Leistung befreit (§ 6 Abs.3 VersVG), nach Möglichkeit zur Feststellung des Sachverhaltes beizutragen und dem Versicherer innerhalb einer Woche den Versicherungsfall unter möglichst genauer Angabe des Sachverhaltes sowie die Einleitung eines damit im Zusammenhang stehenden verwaltungsbehördlichen oder gerichtlichen Verfahrens schriftlich mitzuteilen.

Die Klägerin begehrt vom Beklagten den Rückersatz der von ihr beglichenen Reparaturkosten von S 103.174,- s.A., weil dieser trotz Beschädigung von fremdem Grund und Boden keine Gendarmerieanzeige erstattet habe. Der Beklagte habe gegen die Vorschrift des § 4 Abs.5 StVO verstoßen. Durch eine Beiziehung der Gendarmerie hätte eine möglicherweise gegebene Alkoholisierung des Beklagten geklärt werden können. Der Beklagte habe mit seiner Behauptung, der Unfall sei bei der Gendarmerie angezeigt worden, unwahre Behauptungen gegenüber der klagenden Partei gemacht und seine Aufklärungspflicht kraß verletzt.

Der Beklagte beantragte die Klagsabweisung und bestritt eine Obliegenheit verletzt zu haben. Er sei wegen Aquaplanings von der Straße abekommen. Er habe sich durch eine nachträgliche Besichtigung der Unfallsstelle davon überzeugt, daß dem Grundeigentümer kein Schaden entstanden sei. Er sei daher zu keiner Gendarmerieanzeige verpflichtet gewesen.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Da durch die Splitter der zertrümmerten Windschutzscheibe des PKWs des Beklagten am an die Straße angrenzenden Grund möglicherweise ein Schaden eingetreten sei, wäre der Beklagte verpflichtet gewesen, den Unfall bei der Gendarmerie anzuzeigen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Beklagten Folge und änderte diese Entscheidung in eine Klagsabweisung ab. Es erklärte die Revision für zulässig. Es folgerte rechtlich aufgrund der übernommenen Feststellungen des Erstgerichtes, daß nur der Eintritt eines konkreten Schadens an Gütern eines Dritten den Beklagten zur Anzeigeerstattung verpflichtet hätte. Geringfügige Spuren, deren Folgen ohne besonderen Aufwand beseitigt werden können, seien kein Sachschaden im Sinne des § 4 Abs.5 StVO. Außerdem mangle es an der weiteren Voraussetzung für die Leistungsfreiheit des Versicherers, nämlich an einem groben Verschulden des Beklagten, zumal dieser sich mit SCH***** über mögliche Unfallsfolgen nach dem Abschleppen seines PKWs vergewissert habe. Die klagende Partei habe auch nicht bewiesen, daß im konkreten Fall vom Beklagten relevante Umstände zur Aufklärung des Schadensereignisses unterschlagen worden und daß ihr dadurch Beweismittel verlorengegangen seien. Für den ganz allgemein ausgesprochenen Verdacht einer Alkoholisierung des Beklagten habe sich kein Anhaltspunkt ergeben. Es liege auch keine Täuschung der Klägerin vor, weil der Beklagte subjektiv bei Abgabe der Schadensmeldung der Meinung gewesen sei, SCH***** habe die Gendarmerie verständigt. Aus der objektiv unrichtigen Behauptung über die Anzeigeerstattung sei der Klägerin keinerlei Nachteil erwachsen.

Die gegen diese Entscheidung erhobene Revision ist nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Nach ständiger Rechtsprechung ist vom Versicherungsnehmer in Entsprechung der Obliegenheit laut Art. 5 AFIB 1986 iVm § 4 Abs.5 StVO nach einem Unfall, in jedem Fall einer wahrgenommenen Verletzung einer Person oder der Beschädigung von fremden Sachgütern ohne jede Rücksicht auf die anscheinende Geringfügigkeit dieses Schadens eine Gendarmerie- oder Polizeianzeige zu erstatten (zuletzt SZ 53/55 = JBl. 1981, 101). Es wurde aber bereits mehrfach vom Obersten Gerichtshof ausgesprochen, daß, sollte bei einem Unfall ausschließlich das eigene (hier das versicherte) Fahrzeug beschädigt worden sein, eine Unfallmeldung unterbleiben kann (ZVR 1978/133 uva). Wie das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat, stellen geringfügige Spuren, deren Folge ohne Kostenaufwand beseitigt werden können oder vom Betroffenen gar nicht als Beschädigung aufgefaßt werden, keinen Sachschaden im Sinn des § 4 Abs.5 StVO dar. Darunter fallen zweifellos Spurrillen auf der Ackeroberfläche, die von nicht sehr gewichtigen Fahrzeugen, wie es der PKW des Beklagten darstellt, zurückgelassen werden. Auch kleine Glassplitter stellen, da es sich dabei nicht um störend große Mengen handelt, auf einem nicht mehr bewirtschafteten Feld oder einer Grünfläche keine Verschmutzung dar, die ein Landwirt beseitigen läßt. Überdies wären derartige Splitter durch ein bloßes Zusammenkehren zu beseitigen. Die klagende Partei hat keine über diese bei einem derartigen Unfall, wie ihn der Beklagte erlitten hat, üblichen Unfallsfolgen hinausgehende Schäden behauptet und bewiesen; vielmehr hat der Beklagte unter Beweis gestellt, trotz Absuchens der Unfallsstelle mit einem Suchscheinwerfer keinerlei Schäden gesehen zu haben, was ihm auch vom Gendarmerieposten Völkermarkt am folgenden Tag bestätigt wurde. Damit traf den Beklagten keine Anzeigeverpflichtung nach § 4 Abs.5 StVO (vgl. MGA StVO8 § 4/179 und 190). Die Sorgfaltspflicht nach Art. 5 AFIB geht in diesem Punkt nicht über jene der vorzitierten Norm hinaus.

Soweit dem Beklagten vorgeworfen wird, eine Angestellte der Klägerin mit der Mitteilung, der Unfall sei bei der Gendarmerie gemeldet worden, vorsätzlich getäuscht zu haben, geht die Revision nicht vom festgestellten Sachverhalt aus, weil der Beklagte danach der begründeten Auffassung war, SCH***** habe nicht nur den Abschleppdienst, sondern auch die Gendarmerie verständigt. Dem Beklagten kann auch nicht vorgeworfen werden, daß er sich keine Gewißheit darüber verschafft hat, ob die Anzeige tatsächlich auch erstattet worden ist (vgl. MGA StVO8 § 4/129 und 145), ihn die Gendarmerie im Hinblick auf die nicht gegebene Anzeigepflicht wieder nach Hause geschickt hätte. In diesem Zusammenhang kann dem Beklagten auch nicht einmal Fahrlässigkeit bei der Erstellung seiner Schadensmeldung vorgeworfen werden. Er hat seinen Irrtum nach Vorsprache beim Gendarmerieposten Völkermarkt gegenüber der klagenden Partei sofort aufgeklärt.

Auch der Vorwurf, der Beklagte habe die Klägerin nicht (oder nicht ausreichend) über die Vorgänge vor dem Unfall aufgeklärt, möglicherweise eine Alkoholisierung verschwiegen, geht nicht von den Feststellungen aus. Alle Spekulationen der Klägerin über die angeblich nicht aufgeklärte Unfallsursache, die auf eine Alkoholisierung hinweise, wurden durch die von den Vorinstanzen als glaubwürdig verurteilten Aussagen des Beklagten und des Zeugen SCH***** widerlegt. Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.