JudikaturJustiz7Ob297/65

7Ob297/65 – OGH Entscheidung

Entscheidung
09. Dezember 1965

Kopf

SZ 38/212

Spruch

Die Aufzählung in Art. 5 III Z. 9 (3) AHVB. ist taxativ.

Keine Erweiterung des Leistungsausschlusses über das Verhältnis "Pflegeeltern zu Pflegekind" hinaus

Entscheidung vom 9. Dezember 1965, 7 Ob 297/65

I. Instanz: Landesgericht Klagenfurt; II. Instanz: Oberlandesgericht Graz

Text

Der Kläger ist als Eigentümer eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebes bei der beklagten Partei gegen die Folgen der gesetzlichen Haftpflicht aus der Gefahrenquelle seines land- und forstwirtschaftlichen Betriebes versichert. In seinem Haus wohnt als Mieterin die Tochter des Klägers, Ludmilla Sch. mit ihrem Ehegatten Stefan Sch. Ludmilla Sch. arbeitet im landwirtschaftlichen Betrieb des Vaters mit. Die Eheleute Sch. haben auf Grund eines Pflegschaftsvertrages Renate W. in dauernde Pflege und Erziehung übernommen. Es ist beabsichtigt, für dieses Kind einen Adoptivvertrag abzuschließen. Am 31. Jänner 1964 hat der Kläger mit seinem Ziehsohn Johann W. im Hause Fleisch aus einer Hausschlachtung aufgearbeitet. Renate W., die ein sehr lebhaftes Kind ist, hat sich im gleichen Raum aufgehalten. Als Johann W. den Raum verließ, hat er die von ihm betriebene Fleischmaschine mit elektrischem Antrieb abgestellt und den Plastikverschluß in die Einlaßöffnung gegeben. Die Minderjährige hat ein Tablett mit Wurstfleisch vom Tisch auf den Boden geworfen. Um es aufzuheben, hat sich der Kläger bücken müssen. Dabei hat er dem Tisch den Rücken zugekehrt. Während dieser Zeit hat Renate W. den Plastikverschluß herausgenommen und mit der rechten Hand in die Einlauföffnung gegriffen. Gleichzeitig hat sie die elektrische Fleischmaschine eingeschaltet. Als der Kläger einen Schrei des Kindes hörte, stürzte er zur Maschine und schaltete sie ab. Die rechte Hand des Kindes war in der Maschine. Es war notwendig, diese auseinanderzunehmen, um das Kind zu befreien. Nach Anlegen eines Notverbandes ist das Kind ärztlich versorgt in das Landeskrankenhaus eingewiesen worden. Dort wurde ihr die rechte Hand in der Höhe des Handgelenkes abgenommen. Ludmilla Sch. war während dieses Unfalles in der Küche. Wegen dieses Vorfalles wurde der Kläger nach § 376 StG. schuldig erkannt. Die Beklagte lehnte den Eintritt in den Schadensfall ab mit der Begründung, daß nach den Versicherungsbedingugen (§ 5) Haftpflichtansprüche aus Schäden von Angehörigen und deren Kindern, auch Adoptiv- und Pflegekindern, von der Versicherung ausgeschlossen sind.

Das Erstgericht hat das Begehren des Klägers, die Beklagte sei schuldig, ihm aus dem Schadensereignis vom 31. Jänner 1964 Versicherungsschutz gegen allfällige Haftpflichtansprüche zu gewähren, andere begrundete Entschädigungsansprüche bis zu einem Höchstbetrag von 100.000 S zu befriedigen und unbegrundete Entschädigungsansprüche abzuwehren, abgewiesen. Das Erstgericht führte aus, daß auch das Pflegekind der Tochter des Versicherungsnehmers im Sinne der Versicherungsbedingungen vom Deckungsschutz ausgeschlossen sei, weil dort Pflegekinder unter den ausgeschlossenen Angehörigen neben Kindern und anderen aufgezählt seien. Unter Eltern werden jedoch in der Regel ohne Unterschied des Grades alle Verwandte in der aufsteigenden und unter der Bezeichnung Kinder alle in der absteigenden Linie inbegriffen (§ 42 ABGB.). Wenn daher die Pflegekinder ausdrücklich vom Deckungsschutz ausgeschlossen seien, dann seien sie ebenso wie Enkel auch dann ausgeschlossen, wenn es sich um Pflegekinder von Kindern, also gleichsam um Pflegeenkel handle.

Das Berufungsgericht hat dem Klagebegehren Folge gegeben. Das Berufungsgericht führte aus, daß die AHVB. die Angehörigen des Versicherungsnehmers ausdrücklich anführe, wobei es auf die vom Erstgericht erwähnte, nach der deutschen Fassung der AHVB. notwendige Hausgemeinschaft nicht ankomme. Die Anführung der Angehörigen sei nach dem eindeutigen Wortlaut keineswegs ein bloß demonstrative, sondern eine taxative Aufzählung von Ausnahmen, die nach Allgemeinen Rechtsgrundsätzen nicht ausdehnend interpretiert werden könne. Pflegekinder von Kindern werden gleich wie etwa Urenkel in der Ausschlußklausel nicht angeführt und seien daher vom Versicherungsschutz nicht ausgenommen. Daß der Begriff "Kinder" in der Ausschlußklausel nicht im Sinne des § 42 ABGB. zu verstehen sei, zeige die Tatsache, daß die Ausschlußklausel ausdrücklich Enkel anführe, was nicht erforderlich wäre, wenn der Begriff Kinder im Sinne des § 42 ABGB. zu verstehen wäre. Die strafgerichtliche Verurteilung des Klägers habe bindende Wirkung nur dahin, daß dem Kläger die Verletzung einer Aufsichtspflicht zur Last fällt. Das maßgebende familienrechtliche Verhältnis der Minderjährigen zum Kläger werde durch diese Verurteilung in keiner Weise geändert.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Beklagten nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Die Rechtsrüge stützt sich zunächst auf die Bestimmung der Versicherungsbedingungen, in der die außereheliche Gemeinschaft in ihre Auswirkungen der ehelichen gleichgehalten wird. Sie meint, daß es daher nicht auf die Frage der Blutsverwandtschaft, sondern auf die Frage der Gemeinschaft ankomme, im Sinne des Zusammenlebens einer großen Familie. Die außereheliche Gemeinschaft des Pflegekindes mit dem Vater der Pflegemutter sei daher gegeben. Richtigerweise sei auch die Bestimmung des § 42 ABGB. heranzuziehen, denn aus der Aufzählung der Verwandten ergebe sich, daß es keinen Sinn hätte, den Urenkel anders zu stellen, dessen Grund der Verwandschaft inniger sei als Schwiegerkinder, Kinder von Geschwistern oder Geschwister des Ehegatten. Die Aufzählung der Angehörigen in Pkt. 9 des Art. 5/III habe daher lediglich demonstrativen Charakter. Außerdem könne unter Pflegekind unter Heranziehung der Bestimmungen des Jugendwohlfahrtsgesetzes nur das Verhältnis verstanden werden, das durch die Übernahme in fremde Pflege geschaffen wird, nicht allein durch behördlich genehmigten Pflegevertrag, sondern auch unter allen anderen im § 5 JWG. genannten Voraussetzungen. Der Kläger sei daher aus mehrfachen Gründen zur Minderjährigen in einem solchen Verhältnis gestanden, das den Versicherungsschutz durch die Beklagte nicht entstehen ließ.

Der Oberste Gerichtshof schließt sich der Auslegung des Berufungsgerichtes an. Die Aufzählung in Art. 5/III Z. 9 der AHVB. ist taxativ. Dies ergibt eindeutig die Wortinterpretation. Es fehlt jeder Zusatz, der auf eine beispielsweise Aufzählung hinweisen würde. Mit Recht verweist das Berufungsgericht auch darauf, daß § 42 ABGB. deshalb nicht angewendet werden könne, weil es sonst völlig überflüssig gewesen wäre, neben den Kindern auch Enkelkinder anzuführen und neben den Eltern die Großeltern. Es war daher nur zu untersuchen, ob das verletzte Kind als Pflegekind des Klägers angeführt werden kann. Die weite Auslegung des Begriffes der außerehelichen Gemeinschaft hilft dabei nicht, weil Pflegeeltern und Pflegekinder in der taxativen Aufzählung genannt sind, jede Erweiterung der Angehörigeneigenschaft im Pflegeverhältnis daher in der Aufzählung selbst hätte genannt werden müssen. Zu Unrecht beruft sich die Revision aber auch auf die Bestimmungen des Jugendwohlfahrtsgesetzes. § 5 handelt von der Übernahme in fremde Pflege (Pflegekinder). Eine Definition des "Pflegekindes" wird darin aber nicht gegeben. Es wird lediglich die Übernahme in fremde Pflege von der Bewilligung der Bezirksverwaltungsbehörde abhängig gemacht, wenn nicht einer der im Gesetz genannten Tatbestände vorliegt, nämlich, daß es sich bloß um eine Aufsicht und Pflege von vorübergehender Dauer handelt, für einen Teil des Tages durch Lehrherrn oder durch Anstalten und Inhaber von Heimen. Schon der Sprachgebrauch ergibt, daß es sich bei diesen Ausnahmefällen nicht um solche handelt, durch die das übernommene Kind zum Pflegekind wird. Die Pflegekindschaft enthält das Moment der Dauer. Dies ergibt sich auch aus den Bestimmungen des ABGB. § 186 ABGB. definiert zwar ebenfalls nicht, er spricht nur von Kindern, die in Pflege genommen werden. Jedenfalls hat aber die Übernahme in Pflege Rechtsfolgen im Verhältnis zwischen Pflegeeltern und Pflegekind; vor allem die Erziehungsgewalt der Pflegeeltern. Sie kommt aber nur den Pflegeeltern selbst zu, nicht den Verwandten der Pflegeeltern; die Nahbeziehung besteht daher nur zwischen Pflegeeltern und Pflegekind selbst. Nach Wussow (AHB. Anm. 80) ist der Grund für die Leistungsfreiheit, daß die Gefahr eines dem Versicherer nachteiligen Zusammenwirkens zwischen Geschädigtem und Versicherungsnehmer infolge der persönlichen Beziehungen besonders groß ist und solche Ansprüche normalerweise auch gar nicht geltend gemacht werden, auch wenn sie rechtlich begrundet sind. Da das Pflegekind weiterhin durch seinen ehelichen Vater als gesetzlichen Vertreter vertreten wird, ist weder die Gefahr einer Verabredung besonders groß, noch könnte man annehmen, daß rechtlich begrundete Schadenersatzansprüche vom gesetzlichen Vertreter des Pflegekindes nicht erhoben würden. Im vorliegenden Falle ist dies auch tatsächlich geschehen. Es sprechen daher auch allgemeine Erwägungen, die zum Leistungsausschluß geführt haben, nicht für eine Erweiterung des Leistungsausschlusses über das Verhältnis Pflegeeltern zu Pflegekind hinaus. Der in Anspruch genommene Leistungsausschluß ist daher nicht gegeben. Weder durch das unmittelbare Verhältnis des Klägers zur verletzten Minderjährigen noch gegenüber dem Vater der Pflegemutter oder durch die mit der Minderjährigen bestehende häusliche Gemeinschaft.