JudikaturJustiz7Ob185/23s

7Ob185/23s – OGH Entscheidung

Entscheidung
22. November 2023

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Solé als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, Dr. Weber und Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei C* R*, vertreten durch Poduschka Partner Anwaltsgesellschaft mbH in Linz, gegen die beklagte Partei A* SE *, vertreten durch Themmer, Toth Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Feststellung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 30. Mai 2023, GZ 4 R 191/22w 21, womit das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 8. November 2022, GZ 34 Cg 24/22v 16, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 1.410,90 EUR (darin enthalten 235,16 EUR an USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

Text

Begründung:

[1] Dem Rechtsschutzversicherungsvertrag zwischen der Klägerin als Versicherungsnehmerin und der Beklagten lagen die Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung (ARB 2003) und Ergänzende Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung (ERB 2005 zu den ARB 2003) zugrunde.

Die ARB lauten auszugsweise:

Artikel 8

Welche Pflichten hat der Versicherungsnehmer zur Sicherung seines Deckungsanspruches zu beachten? (Obliegenheiten)

1. Verlangt der Versicherungsnehmer Versicherungsschutz, ist er verpflichtet,

1.1. den Versicherer unverzüglich, vollständig und wahrheitsgemäß über die jeweilige Sachlage aufzuklären und ihm alle erforderlichen Unterlagen auf Verlangen vorzulegen.

[...]

2. Verletzt der Versicherungsnehmer eine der vorstehend genannten Obliegenheiten, ist der Versicherer gemäß § 6 VersVG von der Verpflichtung zur Leistung frei.

[...]

Artikel 9

Wann und wie hat der Versicherer zum Deckungsanspruch des Versicherungsnehmers Stellung zu nehmen?

Was hat bei Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Versicherer und dem Versicherungsnehmer über die Art der Vorgangsweise oder die Erfolgsaussichten zu geschehen? (Schiedsgutachterverfahren)

[...]

2. Davon unabhängig hat der Versicherer das Recht, jederzeit Erhebungen über den mutmaßlichen Erfolg der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung anzustellen. Kommt er nach Prüfung des Sachverhaltes unter Berücksichtigung der Rechts und Beweislage zum Ergebnis:

[...]

2.3. dass erfahrungsgemäß keine Aussicht auf Erfolg besteht, hat er das Recht, die Kostenübernahme zur Gänze abzulehnen.“

Rechtliche Beurteilung

[2] Da die Beklagte in ihrer Revision das Vorliegen der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht zu begründen vermag, war die Revision entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig. Die Zurückweisung eines ordentlichen Rechtsmittels wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO).

[3] 1.1 In der Rechtsschutzversicherung ist bei Beurteilung der Erfolgsaussichten kein strenger Maßstab anzulegen (RS0081929). Offenbar aussichtslos ist eine Prozessführung, die schon ohne nähere Prüfung der Angriffsmittel oder Verteidigungsmittel als erfolglos erkannt werden kann, wie insbesondere bei Unschlüssigkeit des Begehrens oder bei unbehebbarem Beweisnotstand. Eine nicht ganz entfernte Möglichkeit des Erfolgs genügt (RS0117144).

[4] 1.2 Die Versicherungsnehmerin hat während des versicherten Zeitraums einen gebrauchten Diesel Pkw mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung erworben und mittlerweile veräußert. Sie begehrt Rechtsschutzdeckung für die Geltendmachung eines auf § 1295 ABGB sowie § 874 ABGB gestützten Anspruchs auf Ersatz des Minderwerts (30 % des Kaufpreises) gegen die V* AG als Herstellerin und die P* GmbH Co KG als Verkäuferin. Gegen Letztere stützt sie ihre Ansprüche auch auf Gewährleistung.

[5] 1. 3 Die von der Beklagten erstmals in ihrer Revision getätigten Ausführungen, die beabsichtigte Klage sei unschlüssig und daher ohne Aussicht auf Erfolg, weil die V* AG nicht Herstellerin des gegenständlichen Kraftfahrzeugs Audi A1 gewesen sei, verstoßen gegen das Neuerungsverbot und sind damit unbeachtlich. Inwieweit sich diese behauptete Unschlüssigkeit auf die Ansprüche gegenüber der Verkäuferin auswirken sollte, bleibt unerfindlich.

[6] 1.4 Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass ausgehend vom anspruchsbegründenden Vorbringen eine nicht ganz entfernte Möglichkeit des Erfolgs bestehe und die von der Beklagten erhobenen Einwände (bei der Geltendmachung eines bloßen Geldersatzanspruchs sei eine Vorteilsanrechnung infolge Benützung vorzunehmen; Berücksichtigung des Alters und des erzielten Wiederverkaufserlöses bei der Schadensberechnung; Sittenwidrigkeit der Anspruchsstellung) als Tat- und – von österreichischen Gerichten jedenfalls zum Zeitpunkt des Schlusses der Verhandlung erster Instanz nicht gelöste – Rechtsfragen im Haftpflichtprozess zu beurteilen und daher für die Deckungspflicht unbeachtlich seien, ist nicht zu beanstanden.

[7] 2. Die Beklagte beruft sich weiters auf eine Verletzung der in § 33 Abs 1 VersVG normierten, mit Art 8.1.1. (iVm Art 8.2.) ARB auch vertraglich umgesetzten Obliegenheit zur unverzüglichen Anzeige eines Versicherungsfalls nach bereits erfolgter Beendigung des Versicherungsvertrags.

[8] 2.1 Richtig ist, dass nach der Rechtsprechung der Versicherungsnehmer (im Gegensatz zur laufenden Rechtsschutzversicherung – vgl 7 Ob 140/16p mwN) nach Ablauf des Vertrags und Ablauf einer allfälligen im Vertrag vorgesehenen Ausschlussfrist grundsätzlich gehalten ist, den Versicherungsfall dem Versicherer unverzüglich zur Kenntnis zu bringen und nicht mit der Anspruchsverfolgung zu zögern oder zuzuwarten, bis sich kostenauslösende Maßnahmen abzeichnen (7 Ob 95/21b mwN). Andernfalls hätte er es nämlich durch das Zuwarten mit der Anspruchserhebung in der Hand, die in der Ausschlussklausel vereinbarte Nachhaftungsfrist nach Belieben hinauszuschieben, was mit dem Zweck einer Ausschlussklausel unvereinbar ist (7 Ob 31/20i; 7 Ob 48/22t).

[9] 2.2 Die Klägerin ging nach Durchführung von Software-Updates 2015 und 2017 davon aus, dass der Fehler damit behoben war und sich das Fahrzeug in einem ordnungsgemäßen Zustand befand. Von der Untauglichkeit des Software Updates erfuhr die Klägerin erstmals Anfang 2022. Das Berufungsgericht vertrat vor diesem Hintergrund, dass die Klägerin unverschuldet auch erst zu diesem Zeitpunkt Kenntnis vom Versicherungsfall erlangt habe. Selbst wenn die Deckungsanfrage im Hinblick auf den 2016 beendeten Rechtsschutzversicherungsvertrag nicht als unverzüglich angesehen würde, läge weder grob fahrlässiges noch (schlicht) vorsätzliches Verhalten oder gar dolus coloratus vor, sondern sei der Klägerin in Hinblick auf die Einholung rechtlichen Rats zur Klärung möglicher Ansprüche nur leichte Fahrlässigkeit an der verspäteten Schadensmeldung anzulasten und bliebe eine Obliegenheitsverletzung im hier vorliegenden Einzelfall daher sanktionslos.

[10] 2.3 Mit diesen Argumenten des Berufungsgerichts setzt sich die Beklagte nicht auseinander (vgl RS0043603) wenn sie ihnen bloß die von ihr vertretene Gegenposition entgegenhält, wonach die Klägerin diesen Skandal und die mögliche Betroffenheit des eigenen Fahrzeugs seit 2015 kenne.

[11] 3. Die Revision ist daher zurückzuweisen.

[12] 4. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 50, 41 ZPO. Die Klägerin hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.