JudikaturJustiz6Ob792/82

6Ob792/82 – OGH Entscheidung

Entscheidung
03. November 1982

Kopf

SZ 55/166

Spruch

Der Geschäftsunfähige hat das Geld, das er auf Grund des ungültigen Rechtsgeschäftes erhalten hat, nur insoweit zurückzustellen, als es bei ihm noch vorhanden oder zu seinem Vorteil verwendet worden ist

OGH 3. November 1982, 6 Ob 792/82 (OLG Linz 2 R 135/82; LG Salzburg 12 a Cg 513/80)

Text

Die Klägerin begehrte von der Beklagten die Bezahlung des Betrages von 61 539 S samt Anhang mit der Begründung, sie habe der Beklagten einen bis spätestens 30. 9. 1980 fälligen Kredit gewährt, dessen Rückzahlungsraten größtenteils noch unberichtigt aushafteten.

Die Beklagte beantragte Abweisung des Klagebegehrens und wendete im wesentlichen ein, sie sei von ihrer früheren Arbeitskollegin Elfriede K unter Vorspiegelung falscher Tatsachen und Rückzahlungsversprechungen dazu bewogen worden, dieser ihre gesamten Ersparnisse auszuhändigen sowie Kredite, deren Aufnahme Elfriede K schon vorbereitet gehabt habe, aufzunehmen, weswegen diese auch wegen Verbrechens des schweren Betruges rechtskräftig verurteilt worden sei. Die Beklagte sei mit Beschluß des Bezirksgerichtes Villach vom 11. 12. 1980 beschränkt entmundigt worden und schon zum Zeitpunkt der Kreditaufnahme nicht in der Lage gewesen, die Tragweite ihrer Handlungsweise zu beurteilen, weshalb ihr bezüglich der Kreditaufnahme die Geschäftsfähigkeit gemangelt habe.

Die Klägerin entgegnete diesem Vorbringen, Elfriede K sei bei der Darlehensaufnahme nur Mitschuldnerin gewesen; die Beklagte habe auch einige Rückzahlungsraten geleistet. Für den Fall, daß dennoch das Gericht zur Auffassung kommen sollte, daß der abgeschlossene Kreditvertrag zwischen den Parteien nichtig sei, stütze die Klägerin das Klagebegehren zusätzlich auf den Titel der Bereicherung gemäß § 877 ABGB.

Die Beklagte sprach sich gegen die Zulassung der Klagsänderung aus.

Das Erstgericht ließ die Klagsänderung mit dem in die Endentscheidung aufgenommenen Beschluß zu und wies das Klagebegehren ab.

Es stellte folgenden wesentlichen Sachverhalt fest:

Die Beklagte traf 1979 zufällig ihre ehemalige Arbeitskollegin Elfriede K, welche sie in der Folge mehrmals besuchte und bei dieser Gelegenheit der Beklagten 100 000 S von deren Sparbuch entlockte, indem sie der leichtgläubigen und geistesschwachen Beklagten finanzielle Schwierigkeiten und Rückzahlungsfähigkeit und - willigkeit vorspiegelte. Außerdem überredete Elfriede K die Beklagte mehrmals, Kredite, die dann Elfriede K für sich verwendete, aufzunehmen. Dabei bereitete Elfriede K die Kreditaufnahmen jedesmal so weit vor, daß die Beklagte nur noch unterschreiben mußte. So nahm auch die Beklagte am 2.11. 1979 bei der Klägerin ein Darlehen über 70 000 S über Drängen der Elfriede K auf, die als Mitschuldnerin auftrat und behauptete, sie sei die Frau eines Oberstleutnants und verdiene als Köchin nebenbei 8000 S pro Monat. Den ausbezahlten Betrag von 69 440 S verwendete die Beklagte nicht für sich selbst, sondern gab ihn zur Gänze an Elfriede K weiter. Den monatlichen Rückzahlungsbetrag von 3288 S leistete die Beklagte nur einige Male. Der Verurteilung Elfriede Ks wegen des Verbrechens des schweren Betruges zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren lag zugrunde, daß sie in der Zeit vom 8. 8. 1979 bis Feber 1980 in wiederholten Angriffen der Beklagten durch Täuschung über ihre Rückzahlungsfähigkeit und -willigkeit und fälschliche Behauptungen mindestens 151 000 S herausgelockt habe. Bezüglich des gegenständlichen Darlehensvertrages wurde im Urteil dem Staatsanwalt die Verfolgung gemäß § 263 StPO vorbehalten, da Elfriede K im Verfahren nur zugestand, einen Betrag von 35 000 S erhalten zu haben. Die Beklagte, Mutter einer unehelichen Tochter, hat kein Vermögen und verdient als Küchenhilfe 4500 S monatlich netto. Sie ist örtlich, zeitlich und persönlich orientiert, leidet aber an hochgradigem angeborenem Schwachsinn und ist ausgeprägt psychoinfantil und debil. Es fehlt ihr das Verständnis für wirtschaftliche Angelegenheiten; Geschäfts- und Vertragsabschlüsse kann die Beklagte nicht überschauen. Auch zum Zeitpunkt des Abschlusses des in Rede stehenden Darlehensvertrages lagen sämtliche genannten Behinderungen vor. Mit Beschluß des Bezirksgerichtes Villach vom 5. 9. 1980, wurde die Beklagte dann auch wegen Geistesschwäche beschränkt entmundigt.

In rechtlicher Hinsicht vertrat das Erstgericht im wesentlichen die Auffassung, die Beklagte sei auf Grund ihres angeborenen Schwachsinnes nicht in der Lage gewesen, den Kreditvertrag verbindlich abzuschließen. Auf § 877 ABGB könne die Klägerin ihren Anspruch nicht stützen, weil diese Bestimmung voraussetzte, daß der andere Vertragsteil etwas zu seinem Vorteil erhalten habe. Dies sei aber auf Grund des festgestellten Sachverhaltes zu verneinen. Durch die Vorgangsweise der Elfriede K sei der Beklagten vielmehr ein Schaden, der weit höher als die zugezählte bzw. aus diesem Kreditvertrag aushaftende Darlehensvaluta sei, entstanden. Elfriede K habe das gesamte Geld, das über ihr Betreiben von der Beklagten beschafft worden sei, für sich verwendet.

Die gegen dieses Urteil erhobene Berufung der Klägerin blieb erfolglos. Das Berufungsgericht verneinte das Vorliegen eines Verfahrensmangels, erachtete die Tatsachenrüge als unberechtigt und führte in rechtlicher Hinsicht im wesentlichen aus: Bei einer Geistesschwäche minderen Grades, die eine beschränkte Entmündigung rechtfertige, sei von Fall zu Fall zu prüfen, ob die Person im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses in der Lage gewesen sei, die Tragweite des jeweiligen Geschäftes zu beurteilen. Solange jemand nämlich nicht entmundigt sei, könne die Anfechtung eines Vertrages gemäß § 865 ABGB nur bei Vorliegen von Handlungsunfähigkeit erfolgreich sein, hingegen nicht bei Bestehen einer nur für die beschränkte Entmündigung ausreichenden beschränkten Handlungsfähigkeit. Da grundsätzlich von Handlungsfähigkeit auszugehen sei, müsse es in der Natur des geschlossenen Vertrages oder in sonstigen besonderen Umständen gelegen sein, wenn die betreffende Person rechtlich als handlungsunfähig behandelt werden solle. Das Erstgericht habe in der rechtlichen Beurteilung zutreffend ausgeführt, daß die Beklagte den Gebrauch der Vernunft nicht habe und daher zum Zeitpunkt des Abschlusses des in Rede stehenden Kreditvertrages geschäftsunfähig gewesen sei. Wenn die Klägerin meine, daß geringere Intelligenz keine Handlungsunfähigkeit begrunde, treffe dies zwar zu, der Beklagten sei jedoch in den Gutachten nicht nur geringere Intelligenz, sondern angeborener hochgradiger Schwachsinn bescheinigt worden. Zu Recht habe das Erstgericht auch dem Begehren der Klägerin in Richtung des § 877 ABGB nicht Folge gegeben, weil der geschäftsunfähige Darlehensnehmer auf Grund des § 877 ABGB zu keiner Rückstellung verpflichtet sei, wenn er den erhaltenen Betrag selbst weiter verliehen habe. Sei das Geld weder vorhanden noch zu seinem Nutzen verwendet worden, wie es hier auf Grund der Feststellungen der Fall sei, komme § 877 ABGB nicht zur Anwendung.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Klägerin nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Die aus dem festgestellten Sachverhalt gewonnene Schlußfolgerung, die Beklagte sei im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses handlungsunfähig gewesen und das Rechtsgeschäft daher nichtig, ist unbedenklich. Nach der herrschenden Rechtsprechung ist eine Person, deren Geisteszustand dem eines Kindes zwischen 7 und 14 Jahren gleichzusetzen ist, nicht absolut unfähig, die Folgen ihrer Handlungen einzusehen, sie kann aber relativ unfähig sein, die Folgen eines bestimmten Geschäftes zu erfassen. Die Grenzen ihrer Handlungsfähigkeit sind daher, solange eine beschränkte Entmündigung nicht vorliegt, von Fall zu Fall zu prüfen. Dabei ist entscheidend, ob die Person im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses in der Lage war, die Tragweite des konkreten Vertrages zu beurteilen. Das in Betracht kommende Geschäft muß von der Geistesstörung "tangiert" worden sein. Es ist in analoger Anwendung des § 865 ABGB zu beurteilen, ob die geistige Fähigkeit der handelnden Person gerade für den konkreten Akt ausreichte (vgl. MietSlg. 22 068; JBl. 1960, 558; JBl. 1977, 537; 8 Ob 580/77; 6 Ob 848/81 ua.; Ehrenzweig, System[2] I/1, 180; Koziol - Welser, Grundriß des bürgerlichen Rechts[5] I 50).

Der Geschäftsunfähige hat das Geld, das er auf Grund des ungültigen Rechtsgeschäftes erhalten hat, nur insoweit zurückzustellen, als es bei ihm noch vorhanden oder zu seinem Vorteil verwendet worden ist (Gschnitzer in Klang[2] IV/1, 158). Im vorliegenden Fall steht nicht nur fest, daß die Beklagte das zugezählte Geld an Elfriede K ausgehändigt und diese das erhaltene Geld für sich verwendet hat, sondern auch, daß Elfriede K von der Beklagten durch Täuschung über ihre Rückzahlungsfähigkeit und -willigkeit, nämlich durch Verschweigen ihrer anderen hohen Verbindlichkeiten, schon vorher 151 000 S herausgelockt hatte. Sie wurde deshalb mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt vom 30. 5. 1980 zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von drei Jahren verurteilt, nachdem sie schon mit rechtskräftigem Urteil desselben Gerichtes ebenfalls wegen des Verbrechens des schweren Betruges bedingt zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von achtzehn Monaten verurteilt worden war. Es kann somit weder von einer zum Nutzen der Beklagten erfolgten Weiterverleihung des von der Klägerin zugezählten Geldes noch davon die Rede sein, das Geld wäre von Elfriede K im Zeitpunkt des Schlusses der Verhandlung in erster Instanz einbringlich gewesen. Die getroffenen Feststellungen reichen für die vorstehende Beurteilung aus, weshalb kein Feststellungsmangel vorliegt. Da nach diesen Ausführungen aber auch eine Einbringlichkeit nicht gegeben ist, kann die Frage auf sich beruhen, ob die Einbringlichkeit des weiterverliehenen Geldes für die Klagsstattgebung ausreichen würde.