JudikaturJustiz6Ob74/16z

6Ob74/16z – OGH Entscheidung

Entscheidung
20. Juli 2016

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Dr. Nowotny und Mag. Wurzer als weitere Richter in der Firmenbuchsache der Eintragungswerberin T***** GmbH, FN *****, mit dem Sitz in Wien und der Geschäftsanschrift *****, vertreten durch Dr. Rupert Brix, Notar in Wien, aus Anlass des Revisionsrekurses der Eintragungswerberin gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 23. Mai 2014, GZ 28 R 135/14z 7, womit der Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 31. März 2014, GZ 74 Fr 3035/14b 3, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Oberste Gerichtshof stellt gemäß Art 89 Abs 2 B VG (Art 140 B VG) an den Verfassungsgerichtshof den

Antrag ,

a) § 6 Abs 1 GmbHG, in eventu § 6 GmbHG, jeweils in der Fassung des Abgabenänderungsgesetzes 2014 (AbgÄG 2014, BGBl I 2014/13),

b) § 10 Abs 1 GmbHG, in eventu § 10 GmbHG, jeweils in der Fassung des Abgabenänderungsgesetzes 2014 (AbgÄG 2014, BGBl I 2014/13),

c) § 54 Abs 3 erster Satz GmbHG, in eventu § 54 Abs 3 GmbHG, in eventu § 54 GmbHG, jeweils in der Fassung des Abgabenänderungsgesetzes 2014 (AbgÄG 2014, BGBl I 2014/13) und

d) § 127 Abs 13 bis Abs 16 GmbHG in der Fassung des Abgabenänderungsgesetzes 2014 (AbgÄG 2014, BGBl I 2014/13)

als verfassungswidrig aufzuheben.

Gemäß § 62 Abs 3 VfGG wird mit der Fortführung des Verfahrens bis zur Zustellung der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs innegehalten.

Text

Begründung:

Dr. T***** B***** beantragte am 21. März 2014 als Geschäftsführer der T***** GmbH beim Erstgericht deren Neueintragung. Das Stammkapital wurde mit 10.000 EUR angemeldet.

Das Erstgericht wies diesen Antrag ab. Es begründete seine Abweisung damit, dass das Stammkapital gemäß § 6 GmbHG mindestens 35.000 EUR erreichen müsse und Dr. T***** B***** in einem Begleitschreiben mitgeteilt habe, er wolle das Gründungsprivileg nach § 10b GmbHG bewusst nicht in Anspruch nehmen, da er die geltende Gesetzeslage für verfassungswidrig halte.

Das Rekursgericht bestätigte den erstgerichtlichen Beschluss. Es führte in rechtlicher Hinsicht aus, die ohnehin in ihrer Belastung mit einem Zeitraum von zehn Jahren abgefederte gesetzliche Rückführung des Stammkapitalerfordernisses von 10.000 EUR auf wiederum mindestens 35.000 EUR gemäß § 10b Abs 5 GmbHG – wie es durch einen Zeitraum von mehr als 20 Jahren Bestand des österreichischen GmbH Rechts gewesen sei – nach einem Zeitraum von nur acht Monaten sei kein verfassungsrechtlich bedenklicher Schritt. Ob und welche Motive dabei in den Materialien für diesen Schritt genannt seien, spiele schon vor dem Hintergrund tatsächlich bestehender und beachtenswerter Gläubigerschutzerwägungen keine Rolle. Dem Gesetzgeber müsse es auch unbenommen bleiben, Schritte, die als nicht zielführend oder notwendig erkannt worden seien, wieder rückgängig zu machen. Im vorliegenden Fall sei ein Zeitraum von zehn Jahren bis zur Rückführung zur Verfügung gestellt worden. Neugründungen würden damit immer noch begünstigt. Alle GmbHs müssten aber in zehn Jahren über ein Mindeststammkapital von 35.000 EUR verfügen. Eine weitergehende Entkapitalisierung bereits bestehender GmbHs sei gestoppt worden. Angesichts der langen Geltung des Erfordernisses von 35.000 EUR könne durch die bereits nach kurzem Zeitraum wieder erfolgende Anhebung auf genau den durch mehr als 20 Jahre in allen Kreisen fest verankerten Betrag keine unverhältnismäßige Regelung erkannt werden.

Das Rekursgericht ließ den Revisionsrekurs zu, weil von der Neuregelung eine Vielzahl von zu gründenden Gesellschaften betroffen sei und eine Auseinandersetzung des Obersten Gerichtshofs mit etwaigen verfassungsrechtlichen Bedenken fehle.

Die Revisionsrekurswerberin regt – wie schon in ihrem Rekurs gegenüber dem Rekursgericht – an, der Oberste Gerichtshof möge an den Verfassungsgerichtshof den Antrag stellen, die in den §§ 6, 10 und 54 GmbHG in der Fassung des Abgabenänderungsgesetzes 2014 (AbgÄG 2014, BGBl I 2014/13) lautenden Beträge von 35.000 EUR bzw 17.500 EUR als verfassungswidrig aufzuheben und statt dessen die in diesen Bestimmungen in der Fassung des Gesellschaftsrechts-Änderungsgesetzes 2013 (GesRÄG 2013, BGBl I 2013/109) lautenden Beträge von 10.000 EUR bzw 5.000 EUR wieder in Kraft treten zu lassen. Die Revisionsrekurswerberin führt dazu einige Argumente ins Treffen.

Rechtliche Beurteilung

Der Oberste Gerichtshof hat dazu Folgendes erwogen:

1. Gesetzliche Grundlagen:

1.1. Mit der GmbH-Novelle 1980 (BGBl 1980/320) wurde in § 6 Abs 1 GmbHG das bis dahin geltende Mindeststammkapital von 100.000 ATS auf 500.000 ATS und in § 10 Abs 1 GmbHG die Mindesteinzahlung auf bar zu leistende Einlagen auf 250.000 ATS erhöht. In den erläuternden Bemerkungen (RV 5 BlgNR 15. GP 5 f) wird dazu angemerkt, dass die bis dahin geltenden Mindestbeträge für das Stammkapital (in der Regel 100.000 ATS) infolge der Geldwertverdünnung zum Schutz der Gesellschaftsgläubiger und zur Wahrung der Kapitalgrundlage der Gesellschaften nicht mehr ausreichten.

1.2. Von 1. 1. 1999 bis 30. 6. 2013 lauteten § 6 Abs 1 und § 10 Abs 1 GmbHG in der Fassung des 1. Euro Justiz-Begleitgesetzes ( BGBl I 1998/125):

§ 6. (1) Stammkapital und Stammeinlage müssen auf einen in Euro bestimmten Nennbetrag lauten. Das Stammkapital muss mindestens 35 000 Euro erreichen und besteht aus den Stammeinlagen der einzelnen Gesellschafter, deren jede mindestens 70 Euro betragen muss.“

§ 10 (1) Auf jede bar zu leistende Stammeinlage muss mindestens ein Viertel, jedenfalls aber ein Betrag von 70 Euro eingezahlt sein; soweit auf eine Stammeinlage weniger als 70 Euro bar zu leisten sind, muss die Bareinlage voll eingezahlt sein. Auf die bar zu leistenden Einlagen müssen mindestens insgesamt 17 500 Euro eingezahlt sein; sind sie gemäß § 6a Abs. 2 bis 4 niedriger, müssen sie bar voll eingezahlt sein. Insofern auf eine Stammeinlage nach dem Gesellschaftsvertrag die Vergütung für übernommene Vermögensgegenstände angerechnet werden soll, muss die Leistung sofort im vollen Umfang bewirkt werden.“

Mit der Umstellung der Schillingbeträge auf Eurobeträge war somit im Wesentlichen keine Veränderung der Höhe der Mindestkapitalaufbringung bei der GmbH verbunden, es wurden die umgerechneten Eurobeträge nur geringfügig auf runde Beträge abgerundet.

1.3. Mit dem Gesellschaftsrechts-Änderungsgesetz 2013 (BGBl I 2013/109 GesRÄG 2013) wurden mit Wirksamkeit ab 1. 7. 2013 der Betrag in § 6 Abs 1 und § 54 Abs 3 GmbHG von 35.000 EUR durch den Betrag 10.000 EUR und in § 10 Abs 1 GmbHG der Betrag 17.500 EUR durch 5.000 EUR ersetzt.

In den Gesetzesmaterialien (ErläutRV 2356 BlgNR 24. GP 1) wird durchaus gesehen, dass sich durch die Absenkung des Mindeststammkapitals die Einnahmen aus der Körperschaftssteuer reduzieren werden. Weiters wird ausgeführt:

„Es besteht mittlerweile weitgehende Einigkeit darüber, dass das Mindeststammkapital – weil es eine abstrakte, nicht auf den Einzelfall abgestimmte Größe ist – keine dem Betrieb angemessene Kapitalausstattung garantiert und als Haftungsfonds im Krisenfall meist nicht mehr zur Verfügung steht, somit Gläubigerschutzzwecke nur eingeschränkt erfüllen kann. Darüber hinaus hat die wirtschaftliche Entwicklung insbesondere im Dienstleistungssektor zur Entstehung wenig betriebsmittel- und kapitalintensiver Unternehmensfelder geführt. Dem Mindeststammkapital kommt jedoch nach wie vor erhebliche Bedeutung als individuelle und für die Rechtsform der GmbH allgemein wichtige Seriositätsschwelle zu (…). Es stellt der Gesellschaft auch einen Kapitalpolster zur Verfügung, der deren Überschuldung bereits bei Unternehmensgründung verhindert und erste Anfangsverluste abfedern kann. Darüber hinaus soll der Zugang zur Haftungsbeschränkung der GmbH nicht allzu leicht ermöglicht werden. Leichtfertige und möglicherweise wenig erfolgversprechende Gründungen sollen verhindert werden.

Der erwünschten Erleichterung des Zugangs zur Rechtsform der GmbH steht somit die Notwendigkeit der Beibehaltung einer gewissen Seriositätsschwelle gegenüber. Auch für letztere lässt sich keine allgemein gültige, für alle Fälle adäquate Größe nennen. Ein Rechtsvergleich zeigt jedoch, dass ein Betrag von 10 000 Euro eine solche sinnvolle und wirksame Seriositätsschwelle sein kann.“ (aaO 13)

Zur Änderung des Betrags in § 54 Abs 3 GmbHG führen die Materialien aus:

„Da das Mindeststammkapital in Hinkunft nur mehr 10 000 Euro betragen soll, kann auch eine Herabsetzung des Stammkapitals bis zu diesem Betrag erfolgen. Diese Möglichkeit soll – unter den sonstigen Voraussetzungen der §§ 54 ff. GmbHG – auch Gesellschaften offen stehen, die bereits vor Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes gegründet wurden, weil eine auf neu gegründete Gesellschaften beschränkte Regelung wohl verfassungsrechtlichen Bedenken ausgesetzt wäre.“ (aaO 15)

1.4. Mit dem Abgabenänderungsgesetz 2014 (BGBl I 2014/13 AbgÄG 2014) wurden mit Wirksamkeit 1. 3. 2014 die durch das GesRÄG 2013 in den §§ 6, 10 und 54 GmbHG herabgeminderten Beträge wieder auf diejenigen vor dem GesRÄG 2013 hinaufgesetzt. Das Mindeststammkapital beträgt seither wieder 35.000 EUR.

Überdies wurde mit dem AbgÄG 2014 folgende Regelung neu eingeführt:

Gründungsprivilegierung

§ 10b (1) Im Gesellschaftsvertrag, nicht jedoch durch eine Abänderung des Gesellschaftsvertrags (§ 49), kann vorgesehen werden, dass die Gesellschaft die Gründungsprivilegierung nach Maßgabe der folgenden Absätze in Anspruch nimmt.

(2) Im Gesellschaftsvertrag ist für jeden Gesellschafter auch die Höhe seiner gründungsprivilegierten Stammeinlage festzusetzen, die nicht höher als die jeweils übernommene Stammeinlage sein darf. Die Summe der gründungsprivilegierten Stammeinlagen muss mindestens 10000 Euro betragen.

(3) Auf die gründungsprivilegierten Stammeinlagen müssen abweichend von § 10 Abs. 1 insgesamt mindestens 5000 Euro bar eingezahlt werden. Sacheinlagen sind ausgeschlossen.

(4) Während aufrechter Gründungsprivilegierung sind die Gesellschafter abweichend von § 63 Abs. 1 nur insoweit zu weiteren Einzahlungen auf die von ihnen übernommenen Stammeinlagen verpflichtet, als die bereits geleisteten Einzahlungen hinter den gründungsprivilegierten Stammeinlagen zurückbleiben. Dies gilt auch für den Fall, dass während aufrechter Gründungsprivilegierung ein Insolvenzverfahren über das Vermögen der Gesellschaft eröffnet wird.

(5) Die Gründungsprivilegierung gemäß Abs. 2 bis 4 kann durch eine Änderung des Gesellschaftsvertrags beendet werden, wobei vor Anmeldung der Änderung zum Firmenbuch (§ 51) die Mindesteinzahlungserfordernisse nach § 10 Abs. 1 zu erfüllen sind. Ansonsten endet die Gründungsprivilegierung spätestens zehn Jahre nach der Eintragung der Gesellschaft im Firmenbuch. Die Eintragungen betreffend die Gründungsprivilegierung im Firmenbuch (§ 5 Z 2a und 6 FBG) können erst entfallen, wenn zuvor die Mindesteinzahlungserfordernisse nach § 10 Abs. 1 erfüllt wurden.“

In § 11 GmbHG wurde durch das AbgÄG 2014 der Satz :

„Gegebenenfalls sind auch die Inanspruchnahme der Gründungsprivilegierung nach § 10b und die Höhe der für die einzelnen Gesellschafter festgesetzten gründungsprivilegierten Stammeinlagen einzutragen.“

hinzugefügt.

Nach § 127 Abs 13 GmbHG idF des AbgÄG 2014 treten die § 6 Abs 1, § 10 Abs 1, § 10b, § 11 und § 54 Abs 3 GmbHG idF des AbgÄG 2014 mit 1. März 2014 in Kraft.

Nach § 127 Abs 14 GmbHG idF des AbgÄG 2014 sind auf Gesellschaften, die vor dem 1. März 2014 zur Eintragung in das Firmenbuch angemeldet wurden (§ 9 Abs 1), § 6 Abs 1 und § 10 Abs 1 idF des GesRÄG 2013, BGBl I Nr 109/2013, weiter anzuwenden.

Nach § 127 Abs 15 GmbHG idF des AbgÄG 2014 ist auf Gesellschaften, die vor dem 1. März 2014 eine beabsichtigte Herabsetzung des Stammkapitals zum Firmenbuch angemeldet haben (§ 55 Abs 1), § 54 Abs 3 idF des GesRÄG 2013, BGBl I Nr 109/2013, weiter anzuwenden.

Nach § 127 Abs 16 GmbHG idF des AbgÄG 2014 haben Gesellschaften, deren Stammkapital 35.000 EUR nicht erreicht, bis längstens 1. März 2024 eine Kapitalerhöhung auf diesen oder einen höheren Betrag durchzuführen.

In den erläuternden Bemerkungen heißt es zu dieser Novelle:

„Aus steuerrechtlichen Erwägungen (siehe S. 105 des Regierungsprogramms für die XXV. Gesetzgebungsperiode) erscheint es geboten, das Mindeststammkapital der GmbH wieder auf den bis Mitte 2013 geltenden Betrag von 35 000 Euro zu erhöhen. Auch der gemäß § 10 Abs. 1 auf die Bareinlagen mindestens einzuzahlende Betrag soll – sofern die Gesellschaft nicht die Gründungsprivilegierung nach dem vorgeschlagenen § 10b in Anspruch nimmt – wieder 17 500 Euro betragen.

Durch diese Maßnahmen kann der in der Regierungsvorlage zum GesRÄG 2013 (RV 2356 XXIV. GP) prognostizierte Steuerausfall (Körperschaftsteuer, Kapitalertragsteuer) vermieden und gleichzeitig eine günstige Gründungsmöglichkeit aufrechterhalten werden.“ (ErläutRV 24 BlgNR 25. GP 27)

Zur „Gründungsprivilegierung“ des § 10b GmbHG heißt es in den Materialien:

„Damit die Rechtsform der Gesellschaft mit beschränkter Haftung auch für Unternehmer mit geringen finanziellen Möglichkeiten attraktiv bleibt, soll es in der – auf maximal zehn Jahre befristeten (vgl. Abs. 7) – Anfangsphase der unternehmerischen Tätigkeit möglich sein, durch entsprechende Regelungen im Gesellschaftsvertrag Erleichterungen hinsichtlich des einzuzahlenden Betrags und der Verpflichtung zur Einzahlung weiterer Stammeinlagen in Anspruch zu nehmen.“ (aaO)

2. Verfassungsrechtliche Bedenken:

2.1. Der Rechtsmittelwerber hat in seinem Rekurs und im Revisionsrekurs verfassungsrechtliche Bedenken dahin geäußert, dass die seit dem Abgabenänderungsgesetz 2014 geltende Rechtslage dem Gleichheitsgrundsatz (Art 2 StGG, Art 7 Abs 1 B VG) widerspreche.

2.2. Fasst man die Gesetzeslage nach dem Inkrafttreten des Abgabenänderungsgesetzes 2014 zusammen, so können derzeit drei verschiedene Arten von GmbHs unterschieden werden.

a. Die GmbHs, die vor dem GesRÄG 2013 gegründet wurden und keinen Antrag auf Herabsetzung des Mindeststammkapitals gestellt haben und dementsprechend über ein Mindeststammkapital von 35.000 EUR verfügen müssen.

b. Die GmbHs, die nach dem GesRÄG 2013 zwischen 1. 7. 2013 und 28. 2. 2014 gegründet wurden und nur über ein Mindeststammkapital von 10.000 EUR verfügen müssen bzw jene alten GmbHs die von der Kapitalherabsetzungsmöglichkeit nach den §§ 54 ff GmbHG damals Gebrauch gemacht haben und weiter mit dieser geringeren Mindeststammkapitalausstattung arbeiten dürfen (vgl § 127 Abs 14 und 15 GmbHG). Allerdings müssen auch diese GmbHs nach § 127 Abs 16 GmbHG längstens bis 31. 3. 2024 wieder ein Stammkapital von 35.000 EUR erreichen.

c. Jene GmbHs, die seit dem 1. 3. 2014 gegründet werden und grundsätzlich ein Mindeststammkapital von 35.000 EUR aufweisen müssen, dieses aber unter Inanspruchnahme des „Gründungsprivilegs“ nach § 10b GmbHG, für eine Übergangsphase von 10 Jahren mit 10.000 EUR festlegen können.

Der Gesetzgeber hat einen gerade in diesen langfristig wirkenden Fragen ungünstigen doppelten rechtspolitischen Schwenk bei der Frage der erforderlichen Mindestkapitalausstattung gemacht. Er hat offensichtlich unter Beachtung auf den Vertrauensschutz derjenigen, die die Zwischenphase für die Gründung von „GmbH lights“ bzw zur Kapitalherabsetzung genutzt haben, ein letztlich ab 2024 wirkendes System etabliert, nach dem die GmbHs in ihrer Gründungsphase mit einer geringeren Mindest-kapitalausstattung arbeiten können, nach 10 Jahren aber die schon früher geltende Mindestkapitalausstattung von 35.000 EUR erreichen müssen.

2.3. Der in Art 2 StGG und Art 7 Abs 1 B VG verankerte Gleichheitsgrundsatz verpflichtet den Gesetzgeber, an gleiche Tatbestände gleiche Rechtsfolgen zu knüpfen, aber andererseits bei entsprechenden Unterschieden im Tatsächlichen auch unterschiedliche Regelungen vorzusehen (RIS Justiz RS0053509 mwN; zum Nachweis der verfassungsrechtlichen Judikatur etwa Mayer/Muzak , B VG 5 [2015] Art 2 StGG III.1.). Es wird ausgehend von einem breiten rechtspolitischen wirtschaftspolitischen Ermessen des Gesetzgebers und einer Durchschnittsbetrachtung doch innerhalb dieser Zielsetzungen eine sachliche Regelung für erforderlich erachtet (vgl dazu RIS Justiz RS0053889; zum Nachweis der verfassungsrechtlichen Rechtsprechung Mayer/Muzak aaO ff).

2.4. Betrachtet man nun die Funktionen des Mindeststammkapitals, wie sie der Gesetzgeber selbst etwa in den Gesetzesmaterialien zum Gesellschaftsrechts-Änderungsgesetz 2013 dargestellt hat, so geht es im Rahmen des Gläubigerschutzzwecks um einen angemessenen Haftungsfonds und besonders in der Gründungsphase um eine „Seriositätsschwelle“ sowie einen Kapitalpolster, der eine Überschuldung in dieser Phase abfedern kann.

2.5. Die im Zusammenhang mit dem Gesellschaftsrechts Änderungsgesetz 2013 dargestellten Überlegungen und auch die literarischen Stellungnahmen – wie sie insbesondere auch vom Rekursgericht dargestellt wurden – zeigen (auch im internationalen Vergleich), dass es dem Gesetzgeber im Rahmen seines rechtspolitischen Ermessens wohl frei stehen muss, die Mindeststammeinlage in der einen oder anderen Höhe festzulegen und auch Änderungen Rechnung zu tragen. Bedenken bestehen aber dahin, dass die Schaffung des Systems, wie sie vom Gesetzgeber mit dem Abgabenänderungsgesetz 2014 erfolgte, in sich inkonsequent ist und dass „alte“ GmbHs benachteiligt werden.

2.6. Mit der „Gründungsprivilegierung“ gemäß § 10b GmbHG erlaubt der Gesetzgeber die Gründung einer GmbH mit jener Kapitalausstattung, wie sie die Eintragungswerberin aufweist (Stammkapital 10.000 EUR, davon eingezahlt 5.000 EUR). Dennoch verlangt das Gesetz auch für gründungsprivilegierte GmbHs formell die Einhaltung des Mindeststammkapitals von 35.000 EUR, das aber bis längstens zehn Jahre nach der Eintragung faktisch keine Bedeutung, nicht einmal in der Insolvenz der Gesellschaft (§ 10b Abs 4 GmbHG), hat, sofern die Gesellschafter nicht schon früher freiwillig das volle Stammkapital von 35.000 EUR einzahlen. Das Stammkapital von 35.000 EUR hat daher für die zehn Jahre der Gründungsprivilegierung tatsächlich keinen realen Gehalt und steht nur auf dem Papier (vgl H. Herda , GmbH „light“ - Die Reform der Reform, wbl 2014, 361 [367: „Die Summe der gründungsprivilegierten Stammeinlagen bildet für max 10 Jahre nur de facto das Stammkapital“]). Der Oberste Gerichtshof schließt sich dieser Ansicht Herdas an.

2.7. Zutreffend verweist die Rechtsmittelwerberin darauf, dass empirisch belegt ist, dass die meisten Insolvenzen bei Unternehmen in den ersten Jahren nach der Gründung eintreten. So schreibt der Kreditschutzverband von 1870 in seinem Bericht über die Unternehmensinsolvenzen für das Jahr 2013, dass von allen 2013 eingetretenen Insolvenzen 24 % Unternehmen ab dem Gründungsjahr 2010, 31 % Unternehmen von den Gründungsjahren 2005 bis 2009, also allein in den ersten neun Jahren somit 55 % betroffen waren. Je älter die Unternehmen waren, desto geringer ist die Zahl der Insolvenzen (in diesem Sinn auch H. Herda aaO 367).

Nach den zitierten erläuternden Bemerkungen zum GesRÄG 2013 kann das Mindeststammkapital Gläubigerschutzzwecke nur eingeschränkt erfüllen. Darüber hinaus habe die wirtschaftliche Entwicklung insbesondere im Dienstleistungssektor zur Entstehung wenig betriebsmittel- und kapitalintensiver Unternehmensfelder geführt.

Daher setzte der Gesetzgeber des GesRÄG 2013 das Mindeststammkapital auf 10.000 EUR herab.

2.7.1. Es ist in der Tat nicht zu sehen, dass sich bereits acht Monate nach Inkrafttreten des GesRÄG 2013, nämlich im Zeitpunkt des Inkrafttretens des AbgÄG 2014 am 1. 3. 2014, die Verhältnisse so grundlegend geändert hätten, dass nunmehr wieder entgegen den dargelegten Erwägungen des Gesetzgebers des GesRÄG 2013 ein höheres Stammkapital von Nöten wäre.

2.7.2. Sowohl unter den genannten Aspekten des Gläubigerschutzes als auch der „Seriositätsschwelle“ bei der Gründung scheint eine Regelung, die nach den klaren statistischen Werten erst eine Erhöhung der Mindeststammeinlage vorsieht, wenn die Schwelle der Unternehmensgründung lange überschritten und die Gefahr einer Unternehmensinsolvenz deutlich gesunken ist, nicht dem Sachlichkeitsgebot zu entsprechen.

2.7.3. Es lassen also sowohl der doppelte Schwenk des Gesetzgebers in der rechtspolitischen Bewertung als auch das im Ergebnis geschaffene System keine sachliche Begründung aus den Funktionen des Mindeststammkapitals erkennen.

2.8. Bereits der Gesetzgeber des GesRÄG 2013 hatte – wie sich aus den oben zitierten Materialien ergibt – Bedenken, dass die Möglichkeit, Neugründungen von GmbHs mit einem Mindeststammkapital von 10.000 EUR zuzulassen und gleichzeitig aber für Altgesellschaften keine Möglichkeit, das Stammkapital (von mindestens 35.000 EUR) auf 10.000 EUR herabzusetzen, zuzulassen, verfassungswidrig sein könnte, weil es zu einer sachlich nicht zu rechtfertigenden Ungleichbehandlung von Alt- und Neugesellschaften käme. Deshalb entschloss sich der Gesetzgeber des GesRÄG 2013 dazu, in § 54 Abs 3 GmbHG den Betrag, auf den GmbHs, und zwar auch Altgesellschaften, die Kapitalherabsetzung durchführen können, auf 10.000 EUR abzusenken.

Durch das AbgÄG 2014 wurde das Mindeststammkapital, auf das das Stammkapital herabgesetzt werden kann, wieder auf 35.000 EUR erhöht. Dadurch entsteht aber im Endeffekt genau jene bedenkliche Ungleichbehandlung zwischen einerseits solchen GmbHs, die entweder zwischen 1. 7. 2013 und 28. 2. 2014 mit einem Stammkapital von 10.000 EUR gegründet wurden (und dieses Stammkapital bis 1. 3. 2024 beibehalten dürfen, vgl § 127 Abs 16 GmbHG idF des AbgÄG 2014) oder seit 1. 3. 2014 die Gründungsprivilegierung des § 10b GmbHG für zehn Jahre ab Eintragung in Anspruch nehmen können, und andererseits jenen Altgesellschaften, die zwischen 1. 3. 2004 und dem Inkrafttreten des GesRÄG 2013 (1. 7. 2013) zwingend mit mindestens 35.000 EUR Stammkapital gegründet werden mussten und jetzt – auch bis 1. 3. 2024 – aber keine Möglichkeit mehr haben, das Stammkapital auf 10.000 EUR herabzusetzen oder die Gründungsprivilegierung des § 10b GmbHG in Anspruch zu nehmen.

Dies kann auch nicht durch den Hinweis entkräftet werden, dass diese alten GmbHs ihr Mindeststammkapital ja nach der „Zwischenrechtslage“ hätten herabsetzen können, weil sich der Bedarf dazu auch nach dem 28. 2. 2014 ergeben kann.

Auch unter diesem Aspekt bestehen somit Bedenken, dass die geltende Rechtslage insoweit gegen den Gleichheitsgrundsatz verstoßen könnte.

2.9. Das Rekursgericht hat verschiedene Autoren bzw Stellungnahmen, die sich mit dem GesRÄG 2013 und/oder dem AbgÄG 2014 im hier einschlägigen Aspekt befassen, zitiert ( Torggler in seiner Stellungnahme der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien [38/SN 500/ME XXIV. GP]; Schummer [Institut für Österreichisches und Internationales Unternehmens- und Wirtschaftsrecht, Rechtswissenschaftliche Fakultät der Universität Graz, 32/SN 500/ME XXIV. GP]; Dachorganisation ASB Schuldnerberatungen GmbH [7/SN 500/ME XXIV. GP]; Kreditschutzverband von 1870 [33/SN 500/ME XXIV. GP]; Schauer [139/SN 3/ME XXV. GP]; Hügel [71/SN 3/ME XXV. GP und 27/SN 500/ME XXV. GP]; Walch [Die gründungsprivilegierte GmbH nach dem Abgabenänderungsgesetz 2014, ecolex 2014, 335]; Kalss [Editorial GesRZ 2014, 1]).

Eine Auseinandersetzung mit diesen Stellungnahmen ist entbehrlich, weil sich keine einzige davon ausdrücklich mit der hier allein entscheidenden Frage befasst, ob gegen die Rechtslage nach dem AbgÄG 2014 verfassungsrechtliche Bedenken bestehen.

3.1. Die angezogenen Gesetzesbestimmungen § 6 Abs 1 GmbHG, in eventu § 6 GmbHG, und § 10 Abs 1 GmbHG, in eventu § 10 GmbHG, jeweils idF des AbgÄG 2014 sind für den vorliegenden Fall präjudiziell. Würde die Rechtslage nach dem GesRÄG 2013 gelten oder würde der Verfassungsgerichtshof gemäß Art 140 Abs 6 B VG anderes aussprechen, so stünde der Eintragung der Eintragungswerberin mit einem Stammkapital von 10.000 EUR kein Hindernis entgegen.

3.2. Die ebenfalls zur Aufhebung beantragten Gesetzesbestimmungen § 54 Abs 3 erster Satz GmbHG, in eventu § 54 Abs 3 GmbHG, in eventu § 54 GmbHG, und § 127 Abs 13 bis 16 GmbHG, jeweils idF des AbgÄG 2014 sind hier zwar nicht anzuwenden und daher – wie der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis G 495/2015 8 ausgesprochen hat – nicht präjudiziell; sie stehen aber mit den anderen präjudiziellen Gesetzesstellen (3.1.) in einem untrennbaren Zusammenhang, sodass sie gegebenenfalls nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs ebenfalls präjudiziell wären ( Mayer/Muzak , B VG 5 Art 89 II.2. lit c mwN). Sollte nämlich § 54 Abs 3 GmbHG nicht mitaufgehoben werden, entstünde eine sinnwidrige Antinomie im GmbHG, weil dann zwar die Gründung einer GmbH mit weniger als 35.000 EUR Stammkapital möglich wäre, nicht aber eine entsprechende nachträgliche Kapitalherabsetzung. Bei § 127 Abs 13 bis 16 GmbHG handelt es sich um die Inkrafttretensbestimmungen, die für sich allein nicht sinnvoll bestehen bleiben könnten.