JudikaturJustiz6Ob65/09s

6Ob65/09s – OGH Entscheidung

Entscheidung
16. Oktober 2009

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Tarmann-Prentner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. C***** K*****, 2. F***** K*****, beide *****, vertreten durch Dr. Martin Brandstetter Rechtsanwalt GmbH in Amstetten, gegen die beklagten Parteien 1. A***** F*****, 2. J***** F*****, beide *****, vertreten durch Dr. Josef Leitner, Rechtsanwalt in Waidhofen an der Ybbs, wegen Unterlassung, über die Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Berufungsgericht vom 27. November 2008, GZ 21 R 346/08b-59, mit dem infolge Berufung der klagenden Parteien das Urteil des Bezirksgerichts Amstetten vom 29. Juli 2008, GZ 20 C 570/06v-50, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagenden Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, den beklagten Parteien deren mit 855,77 EUR (davon 142,63 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

Die Kläger sind Eigentümer eines 810 m² großen Grundstücks im westlichen Niederösterreich, auf dem ein Wohnhaus errichtet ist. Die Beklagten sind Eigentümer eines 40.051 m² großen Waldes, der westlich an das Grundstück der Kläger angrenzt.

Die Liegenschaft der Kläger liegt am äußeren oberen Rand einer Siedlung und am Ortsrand. Sie ist an zwei Seiten (in etwa nördlich und westlich) von land- und forstwirtschaftlich genutzten Gebieten umgeben. In der Siedlung sind einzelne Zierbäume gepflanzt, von denen einige die Häuser überragen. Südöstlich der Siedlung befindet sich ein Waldbereich mit ähnlich großen bzw größeren Bäumen als jene unmittelbar an der Grenze des Waldes der Beklagten zur Liegenschaft der Kläger.

Das Haus der Kläger wurde in den Jahren 1978 bis 1981 am hinteren, schmäleren Teil des Grundstücks mit Keller und Erdgeschoß und Straßenfront nach Südost errichtet. Der Großteil des Gartens befindet sich vor dem Haus und wird durch die Garageneinfahrt in zwei asymmetrische Teile geteilt.

Das Esszimmer im Haus der Kläger befindet sich in der hinteren Haushälfte auf der Westseite. Über den gesamten Vormittag des Jahresverlaufs wird das westliche Fensterbrett des Esszimmers durch das eigene Bauwerk beschattet. Die höchstmögliche theoretische Sonneneinstrahlung von rund 2.150 Stunden pro Jahr wird durch den Bewuchs auf der Liegenschaft der Beklagten um rund 1.700 Stunden pro Jahr (das sind rund 79 %) vermindert.

Das Küchenfenster befindet sich an der nordwestlichen Seite des Hauses der Kläger (Rückseite). Dort ist auch ein kleiner befestigter Sitzplatz an einer Gebäudeinnenecke zwischen der Küche und dem Esszimmer situiert. Diese nordwestlich gelegene Terrasse wird über den gesamten Vormittag des Jahresverlaufs durch das eigene Bauwerk beschattet. Die höchstmögliche theoretische Sonneneinstrahlung von rund 1.125 Stunden im Jahr wird durch den Bewuchs auf der Liegenschaft der Beklagten rund 1.020 Stunden pro Jahr (das sind rund 21 %) vermindert.

Die Solaranlage der Kläger ist zweigeteilt. Zuerst wurde 1982 vor dem Haus unterhalb der Terrasse auf dem gesamten durch die unterirdische Kellerhälfte ausgebildeten „Hügel" eine Solaranlage zur Warmwasserbereitung installiert. Auf der Terrasse entsteht durch den Bewuchs auf der Liegenschaft der Beklagten keine wesentliche Verkürzung der Sonneneinstrahldauer. In den Wintermonaten kommt es am späten Nachmittag zu einer geringfügigen Beschattung. 1995 und 1996 wurde eine weitere Solaranlage zur Beheizung des Hauses in der Übergangszeit mit Ausrichtung nach Südwest auf dem Dach, das in Richtung der Liegenschaft der Beklagten zeigt, montiert. Für die Solaranlage geht die Sonne zwischen ca 8 Uhr und 9 Uhr auf, weil sie am Morgen zum Teil durch das Hausdach abgeschattet wird. Ohne Bäume würde die Sonne im Winter bis etwa 16 Uhr und im Sommer bis 20 Uhr auf die Anlage scheinen. Tatsächlich beginnt die Beschattung im Dezember schon um ca 11 Uhr und im Juni um ca 14:30 Uhr. Bei Nutzung der Anlage ausschließlich zum Heizen in den Monaten Oktober bis April ist durch die Räume in ihrer derzeitigen Höhe ein wesentlicher Minderertrag von 46 % gegeben. Im Ganzjahresbetrieb läge ein wesentlicher Minderertrag von 33 % vor.

Im Mischwald der Beklagten stehen Bäume unterschiedlicher Höhe. Der Bestand im Grenzbereich der Grundstücke ist nicht einheitlich. Der Großteil der Bäume an der Grundstücksgrenze ist höher als das Haus der Kläger. Auf dem Nordteil wächst geschlossenes, sehr stammzahlreiches Stangenholz (ca 50 % Bergahorn und 50 % Fichte) mit einem durchschnittlichen Alter von ca 25 Jahren. Im unmittelbaren Grenzbereich befinden sich einige Akazien. Auf dem Südteil stocken drei Eschen mit einem Alter von ca 50 bis 60 Jahren. In unmittelbarer Umgebung dieser Eschen wachsen geschlossenes, stammzahlreiches Stangenholz (50 % Fichte, 30 % Bergahorn, 20 % Akazien) und einige Kirschenbäume mit einem durchschnittlichen Alter von ca 15 bis 18 Jahren. Eine Gefährdung durch die Bäume oder durch herabfallende Äste ist nicht zu erwarten. Der gesamte Waldbestand ist aus forstwirtschaftlicher Sicht für die Durchführung eines Kahlschlags als hiebunreif zu bezeichnen. Eine stärkere Durchforstung des Bestands am Waldrand wäre trotz Hiebunreife möglich, forsttechnisch sinnvoll und naturschutzfachlich vorteilhaft.

Auf der Liegenschaft der Beklagten gibt es seit mehreren Generationen Waldbestand. Zu Beginn des Hausbaus der Kläger stand dort Hochwald. Zu Beginn der 1980er Jahre wurde dieser durch Windwurf bzw mehrere Windstürme mehrfach in großem Umfang beschädigt. Dieser Bereich wurde dann einige Zeit später - mit Ausnahme dreier Laubbäume - geschlägert und neu aufgeforstet. Die letzten erheblichen Windwürfe hat es in etwa um 1990 herum gegeben. Vor dem Bau des Hauses der Kläger befand sich an der Grundstücksgrenze der Liegenschaften der Kläger und der Beklagten eine „Vertiefung", die einvernehmlich mit Aushubmaterial der Kläger verfüllt wurde. Ob es sich dabei um einen Graben oder um einen Hohlweg handelte und wie dieser bewachsen war, konnte nicht festgestellt werden.

Weder die zur Straße hin ausgerichtete Dachfläche des Hauses der Kläger noch der linke vordere Gartenteil oder der Bereich der Warmwassersolaranlage wären zur Installation einer Solaranlage zum Heizen im Winter gut geeignet. Der vordere Bereich der rechten Gartenseite wäre ein guter Aufstellungsort für eine Solaranlage, die dann aber eher unüblich im Garten platziert wäre. Bei dieser Aufstellvariante wäre mit erhöhten Verteilverlusten aufgrund längerer Leitungen zu rechnen.

Die Kläger begehren, den Beklagten gemäß § 364 Abs 3 ABGB aufzutragen, die von den auf ihrer Liegenschaft befindlichen Bäumen ausgehenden Beeinträchtigungen der Liegenschaft der Kläger „in Form von Entzug von Licht in einem Ausmaß, dass das nach den örtlichen Verhältnissen gewöhnliche Maß überschreitet und die Benützung der Liegenschaft für die Kläger unzumutbar beeinträchtigt" zu unterlassen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Durch den Wald der Beklagten werde nicht die gesamte Liegenschaft der Kläger beschattet. So seien zum Beispiel die Terrasse der Kläger zur Straßenseite hin und der vorliegende größere Gartenteil samt Solaranlage zur Warmwasserbereitung zur Gänze unbeeinträchtigt. Nicht einmal der Rasenbereich entlang der Grenze zur Liegenschaft der Beklagten sei nennenswert vermoost, geschweige denn versumpft. Die auf dem Dach installierte Solaranlage sei durch den Wald zwar nicht unwesentlich beeinträchtigt, aber keineswegs „gänzlich unbrauchbar". Sie werfe bei Verwendung zum Heizen noch 54 % Ertrag und bei Ganzjahresbetrieb noch 67 % Ertrag ab. An einem strahlenden Sommertag gegen Mittag sei sie nicht beschattet. Der Bewuchs auf der Liegenschaft der Beklagten führe nur am Nachmittag zu einem früheren „Sonnenuntergang" für die Solaranlage. Diese sei 1995 und 1996 - also nach der letzten Aufforstung der Liegenschaft der Beklagten - montiert worden. Zu diesem Zeitpunkt sei für die Kläger schon absehbar gewesen, dass die gepflanzten Bäume bei normalem Wachstum zu mehr Schatten am Standort der Solaranlage führen würden. Bei Bedachtnahme auf die damalige Bepflanzung hätte ein anderer Montageort in Betracht gezogen werden müssen, um Beeinträchtigungen gänzlich zu vermeiden. Dem Esszimmer der Kläger werde nicht nur durch den Wald, sondern auch durch den Dachvorsprung und die Lage an der Westseite, nur wenige Meter von der immergrünen Thujenhecke entfernt, Licht entzogen. Sowohl das Esszimmer als auch die hinter dem Haus gelegene Terrasse würden über den gesamten Vormittag des Jahresverlaufs durch das Bauwerk der Kläger und nicht durch den Wald beschattet. Es sei auch zu berücksichtigen, dass die Bäume auf der Liegenschaft der Beklagten gepflanzt worden seien, als eine Regelung wie die des § 364 Abs 3 ABGB noch nicht absehbar gewesen sei. Da sich die Liegenschaft der Kläger zudem am Rand sowohl der Siedlung als auch der Ortschaft befinde, an zwei Seiten von land- und forstwirtschaftlich genutztem Gebiet umgeben sei und in der Nähe ein weiterer Wald mit gleich hohen bzw höheren Bäumen wachse, würden die Zumutbarkeitsgrenzen verschoben. Auch als die Kläger das Grundstück erworben und mit dem Hausbau begonnen hätten, sei auf dem Nachbargrundstück Wald gestanden. Die Kläger hätten somit deutlich erkennbar ein Grundstück am Waldrand erworben. Es sei daher davon auszugehen, dass die Beeinträchtigungen eher an der Grenze der Ortsüblichkeit liegen, weshalb die erforderliche unzumutbare Beeinträchtigung der Benutzung des Grundstücks nicht gegeben sei.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 4.000 EUR übersteige und die ordentliche Revision zulässig sei, weil der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 6 Ob 51/07d ausdrücklich offen gelassen habe, ob die von der Lehre gegen die ständige Judikatur zu § 364 Abs 2 ABGB, wonach sich neu hinzugekommene Nachbarn mit der im konkreten Gebiet herrschenden Immission abfinden müssten, vorgetragenen Bedenken nicht doch beachtlich seien. Gerade diese Judikatur sei vom Berufungsgericht (wie schon vom Erstgericht) als wesentliches Element einer Verschiebung der Unzumutbarkeitsgrenze zu Lasten der Kläger herangezogen worden.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Kläger ist entgegen dem - den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) - Ausspruch des Berufungsgerichts mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig. Die auf den konkreten Umständen des Einzelfalls beruhende Auslegung des Begriffs der „Unzumutbarkeit" begründet - vom Fall einer auffallenden Fehlbeurteilung abgesehen - keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO (6 Ob 160/08k mwN). Zu § 364 ABGB entspricht es aber ständiger Rechtsprechung, dass sich neu hinzukommende Nachbarn grundsätzlich mit der im Gebiet vorherrschenden Immission abfinden müssen, zumal in immissionsbelasteteren Gebieten auch die Grundstückspreise entsprechend niedriger sind (jüngst 6 Ob 160/08k; RIS-Justiz RS0112502).

Es entspricht auch der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, dass bei der Unzumutbarkeitsprüfung nach § 364 Abs 3 ABGB in Rechnung zu stellen ist, ob und in welchem Maß bei Bedachtnahme auf den (damals bestehenden) Zustand des Grundstücks des Beklagten bei der Errichtung eines Gebäudes eine Beeinträchtigung durch den Schattenwurf von Bäumen auf dem Nachbargrund vermieden werden konnte (10 Ob 16/06f; vgl 6 Ob 94/08d). So hat der Oberste Gerichtshof bereits entschieden, dass, auch wenn § 364 Abs 3 ABGB den Begriff der Ortsüblichkeit nicht ausdrücklich erwähnt, die konkreten örtlichen Gegebenheiten die Zumutbarkeitsgrenzen zu Lasten des Nachbarn verschieben können. Habe der Kläger ein Grundstück samt Gebäude „inmitten eines Waldgebiets" erworben, so sei die Auffassung der Vorinstanzen, er könne nunmehr nicht die Beseitigung des Waldes fordern, ebenfalls im Ergebnis nicht zu beanstanden (6 Ob 51/07d). Erst jüngst hat der erkennende Senat im Zusammenhang mit einem Unterlassungsbegehren nach § 364 Abs 3 ABGB an der Rechtsprechung festgehalten, dass sich neu hinzukommende Nachbarn grundsätzlich mit der im Gebiet vorherrschenden Immission abfinden müssen (6 Ob 160/08k). Der Oberste Gerichtshof hat ferner bereits entschieden, dass der Umstand, dass ein bestimmter Zustand bereits seit längerer Zeit besteht, zwar die Anwendung des § 364 Abs 3 ABGB nicht ausschließt (10 Ob 60/06f), aber im Rahmen der nach dieser Bestimmung vorzunehmenden Interessenabwägung zu berücksichtigen ist. Weiters hat er die Rechtsauffassung gebilligt, dass in die Interessenabwägung eine vorhersehbare Entwicklung des Lichtentzugs durch Schattenwurf aufgrund der natürlichen Beschaffenheit des Geländes maßgeblich zu berücksichtigen ist (6 Ob 94/08d). Der Unterlassungsanspruch nach § 364 Abs 3 ABGB besteht nur dann, wenn der Entzug des Lichts sowohl ortsunüblich als auch unzumutbar ist. Zwischen den Kriterien besteht zwar ein Zusammenhang:

Unzumutbarkeit wird um so weniger anzunehmen sein, je näher eine - als solche ortsunübliche - Beeinträchtigung an der Grenze zur Ortsüblichkeit liegt (jüngst 4 Ob 13/09g; RIS-Justiz RS0121873). Ist die Beeinträchtigung jedoch ohnehin ortsüblich, so ist eine gesonderte Prüfung der Zumutbarkeit nicht mehr erforderlich; solche Immissionen sind jedenfalls zu dulden (4 Ob 13/09d). Der Oberste Gerichtshof hat bereits ausgesprochen, dass bei einer Lage des Hauses des Klägers am Rand eines Siedlungsgebiets, an das der über zwei Hektar große Wald des Beklagten anschließt, der Entzug von Licht durch einen unmittelbaren angrenzenden Wald alles andere als ortsunüblich ist (4 Ob 13/09d). Der Anlassfall ist dem dieser Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt vergleichbar. Auch hier haben sich die Kläger in ländlicher Umgebung unmittelbar am Waldrand angesiedelt. Sie haben die durch waldbedingten Lichtentzug verursachte Beeinträchtigung ihrer Liegenschaft als ortsüblich hinzunehmen. Diese Beeinträchtigung lag schon bei Erwerb der Liegenschaft durch die Kläger vor. Sie war auch bei der Errichtung des Hauses angesichts des Alters der Bäume und der zu erwartenden (ortsüblichen) Bewirtschaftung des Waldes (zumindest) vorherzusehen. Die Zurückweisung einer ordentlichen Revision wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage (§ 502 Abs 1 ZPO) kann sich auf die Angabe der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO). Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 Abs 1 ZPO.

Rechtssätze
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