JudikaturJustiz6Ob290/99m

6Ob290/99m – OGH Entscheidung

Entscheidung
20. Januar 2000

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schiemer, Dr. Huber, Dr. Prückner und Dr. Schenk als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Margareta E*****, vertreten durch Dr. Gerhard Rössler, Rechtsanwalt in Zwettl, gegen die beklagte Partei B*****, vertreten durch Dr. Christian Beurle ua Rechtsanwälte in Linz, wegen Feststellung (Streitwert 200.000 S), über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht vom 10. Juni 1999, GZ 6 R 104/99b-12, womit das Urteil des Landesgerichtes Linz vom 16. Februar 1999, GZ 4 Cg 204/98g-4, aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Rekurs wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei hat der beklagten Partei die mit 9.900 S (darin 1.650 S Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Rekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

Die Klägerin hatte am 23. 12. 1993 mit der Rechtsvorgängerin der Beklagten ein Leistungs- und Lieferungsübereinkommen (im Folgenden LLÜ) geschlossen, wonach die Beklagte der Klägerin insgesamt 600.000 S bezahlt. Als Gegenleistung verpflichtete sich die Klägerin, in ihrer näher bezeichneten Gaststätte auf die Dauer von 10 Jahren ab Vertragsunterfertigung "die in der beiliegenden Marken-/Sortenliste angeführten Biere, in welchen Gebinden immer, zum jeweils allgemein geltenden Listenpreis für Wiederverkäufer ausschließlich und ununterbrochen" von der Beklagten bzw einer von dieser namhaft gemachten Drittfirma zu beziehen bzw beziehen zu lassen und den Bezug von diesem Vertrag unterliegenden Biersorten anderer Unternehmungen zu unterlassen. Sie verpflichtete sich ferner, auch die in der beiliegenden Marken-/Sortenliste angeführten alkoholfreien Getränke zu beziehen. Punkt 3 des Vertrages enthält überdies eine Mindestabnahmeverpflichtung der Klägerin von 150 hl Bier und 100 hl alkoholfreien Getränke pro Jahr auf die gesamte Vertragsdauer. Sollten diese Mengen nicht bezogen werden, sieht der Vertrag eine anteilige Rückerstattung des der Klägerin gewährten Betrages vor. Nach Punkt 13. des LLÜ soll die Nichtigkeit einzelner Teile der Vereinbarung die übrigen Bestimmungen nicht berühren. Anstelle unwirksamer Bedingungen sollen solche treten, die dem Gewollten am nächsten kommen. Die Vertragsteile stellen auch in Aussicht, eine Ersatzregelung zu treffen, wenn die Vereinbarung österreichischen oder Rechtsnormen der EG/des EWR nicht oder nicht mehr entsprechen sollte. Der Vertrag enthält den zusätzlichen Hinweis, dass bis zum Inkrafttreten der Wettbewerbsbestimmungen des EWR/EG eine ausschließliche Bezugsverpflichtung für Bier und alkoholfreie Getränke als vereinbart gilt und der Klägerin daher der Bezug, Ausschank oder Verkauf aller in- oder ausländischen Biere und alkoholfreier Getränke von Mitbewerbern generell untersagt ist. Dem LLÜ war eine Produktliste angeschlossen, die zu bestimmt angeführten Sorten jeweils mehrere Marken von Bieren enthält. Sie enthält ferner bestimmte Sorten alkoholfreier Getränke und diesen zugeordnet jeweils mehrerer bestimmte Marken.

Infolge wesentlicher Unterschreitung der vereinbarten jährlichen Mindestbezüge für Bier und alkoholfreie Getränke nahmen die Streitteile am 15./27. 5. 1997 eine Vertragsanpassung vor, wonach die Beklagte einen nicht amortisierten Teilbetrag von 261.975 S zuzüglich 20 % Umsatzsteuer zahlbar in monatlichen Raten zurückerhält und die Bezugsverpflichtung dahin abgeändert wird, dass sich die Klägerin nunmehr verpflichtet, Getränke bei der Beklagten auf die Dauer von 10 Jahren ab Vertragsschluss, mindestens jedoch bis zum Bezug von 750 hl Bier und 400 hl alkoholfreier Getränke zu beziehen, wobei als jährliche Mindestabnahmemenge 75 hl Bier und 40 hl alkoholfreier Getränke vereinbart wurden.

Mit Schreiben vom 9. 7. 1998 vertrat die Klägerin schließlich die Auffassung, das LLÜ verstoße gegen einschlägige europarechtliche Bestimmungen, sie sei an einer einvernehmlichen Beendigung der Vertragsbeziehung interessiert. Die Beklagte lehnte eine Vertragsbeendigung ab.

Die Klägerin begehrt die Feststellung, dass sie nicht verpflichtet sei, auf Grund des LLÜ einschließlich seiner Änderung bei der Beklagten Bier und/oder alkoholfreie Getränke abzunehmen. Die Ausschließlichkeitsverpflichtung zum Getränkebezug beziehe sich dem ersten Anschein nach zwar nur auf Bier. Tatsächlich erstrecke sie sich aber auch auf andere alkoholfreie Getränke, weil die Klägerin den vereinbarten Mindestbezug keinesfalls erreichen könne, wenn sie alkoholfreie Getränke dritter Lieferanten abnehmen würde. In der Realität habe sich auch gezeigt, dass sie die im Vertrag ursprünglich angenommenen Mengen nicht abnehmen könne, sodass der Vertrag durch die ergänzende Vereinbarung vom 15. 5. 1997 angepasst und die Bezugsverpflichtung reduziert worden sei. Die Klägerin habe die damals geschlossene Ratenvereinbarung aus wirtschaftlichen Überlegungen dennoch eingehalten, weil die Rückforderungen der Beklagten im Falle eines Unterliegens der Klägerin ihren wirtschaftlichen Ruin bedeuten würden. Die Beklagte sei in Österreich absoluter Marktführer und schließe mit einem Großteil ihrer Vertragspartner derartige Bündel von Verträgen ab. Diese Vertragsbündel beeinträchtigten den Handel und verletzten bzw schränkten den Wettbewerb ein. Der gegenständliche Vertrag sei daher gemäß Art 85 EG-Vertrag (nunmehr Art 81 EG) nichtig und somit von vornherein unwirksam.

Die Gruppenfreistellungsverordnung für Alleinbezugsverträge (GVO 1984/83) sei nicht anzuwenden, weil das LLÜ der GVO nicht in allen Punkten entspreche: Voraussetzung der Anwendbarkeit der GVO sei es, dass sich die Bezugsverpflichtung "auf bestimmte Biere oder auf bestimmte Biere und bestimmte andere Getränke" beziehe, was hier nicht der Fall sei, weil die abzunehmenden alkoholfreien Getränke nicht nach einem bestimmten Sortiment bezeichnet seien. Hinsichtlich der Biere werde wohl auf eine Sortimentsliste Bezug genommen, diese habe aber nicht Eingang in den Vertrag gefunden. Im Übrigen betrage die vereinbarte Vertragsdauer 10 Jahre, während Bierlieferungsverträge nach der GVO eine Höchstdauer von fünf Jahren nicht übersteigen dürften, wenn sich die Bezugsverpflichtung auf bestimmte Biere und bestimmte andere Getränke (wie hier) beziehe. Eine Einzelfreistellung sei nicht erfolgt.

Das rechtliche Interesse der Klägerin an der begehrten Feststellung liege darin, dass sie - sollte sie ihren Rechtsstandpunkt durch Verweigerung der Bierabnahme dokumentieren - Gefahr laufe, mit hohen Schadenersatzforderungen der Beklagten konfrontiert zu werden.

Die Beklagte anerkannte das Klagebegehren insoweit, als die Klägerin nicht (mehr) verpflichtet sei, auf Grund des LLÜ (einschließlich der Änderung vom 15. 5. 1997) alkoholfreie Getränke bei der Beklagten abzunehmen. Die im Punkt 17. getroffene Ausschließlichkeitsvereinbarung hinsichtlich Bier und alkoholfreier Getränke sei nur acht Tage wirksam gewesen, da Österreich mit Wirkung ab 1. 1. 1994 Mitglied des EWR geworden sei, womit auch die Wettbewerbsbestimmungen der EG in Kraft getreten seien. Ab diesem Zeitpunkt gelte nur mehr die Vereinbarung gemäß Punkt 2 LLÜ, sodass die Ausschließlichkeitsvereinbarung nur hinsichtlich Bier bestehe. Die Klägerin sei seit 1. 1. 1994 nicht mehr verpflichtet, alkoholfreie Getränke allein bei der Beklagten zu beziehen. Beziehe die Klägerin allerdings keine alkoholfreien Getränke oder diese nur in einem unter der vereinbarten Mindestbezugsmenge liegenden Ausmaß, wäre eine Voraussetzung und Bedingung für die gewährte Zuzählung weggefallen. Die Beklagte hätte dann die Möglichkeit, nach Punkt 3 zweiter Absatz des LLÜ die gewährten Beiträge teilweise oder gemäß Punkt 4 des LLÜ zur Gänze zurückzuverlangen.

Die Klägerin habe für die von ihr behauptete Nichtigkeit des LLÜ nach Art 85 Abs 1 EG-Vertrag (nun Art 81 EG) den Beweis zu erbringen. Sollte tatsächlich eine Nichtigkeit vorliegen, erfülle das LLÜ jedenfalls die Voraussetzungen der GVO 1984/83, es beziehe sich auf "bestimmte Biere" und im Übrigen auch auf bestimmte andere (alkoholfreie) Getränke.

Sollte das LLÜ ganz oder teilweise verboten und damit nichtig sein, sei in Punkt 13. des Vertrages eine Anpassung an die jeweils geltenden Bestimmungen vorgesehen, die Klägerin habe niemals versucht, eine derartige allenfalls notwendige Anpassung vorzunehmen oder anzuregen, ihre Klageführung sei daher unzulässig und rechtsmissbräuchlich.

Das Erstgericht gab dem Feststellungsbegehren statt. Es stellte noch fest, dass die Beklagte in Österreich "absoluter Marktführer" sei und mit einer großen Anzahl von Wiederverkäufern von Bier und alkoholfreien Getränken Alleinbezugsvereinbarungen schließe. Es vertrat die Auffassung, das LLÜ sei (nur) bis zum EWR-Beitritt Österreichs am 1. 1. 1994 wettbewerbsrechtlich unbedenklich gewesen, nach diesem Zeitpunkt erfülle es den Tatbestand des Art 85 Abs 1 EG-Vertrag (nunmehr Art 81 EG). Bedingung des Bargelderhaltes sei (auch) der Bezug alkoholfreier Getränke, wobei sich auch hier die Mindestbezugsmenge am Absatz der Klägerin orientiere. Der so vereinbarten Mindestbezugsmenge an alkoholfreien Getränken komme somit die gleiche Wirkung wie der Vereinbarung einer ausschließlichen Bezugspflicht zu. Die dadurch bewirkte Einengung der wirtschaftlichen Bewegungsfreiheit des Gastwirtes bewirke - zusammen mit gleichartigen Vereinbarungen zwischen der Beklagten und weiteren Wiederverkäufern - eine Beschränkung des Wettbewerbs in einem von der GVO 1984/83 nicht mehr gedeckten Ausmaß, bewirke sie doch de facto eine ausschließliche Bezugspflicht für bestimmte Biere und bestimmte andere Getränke und sei somit - da für einen Zeitraum von mehr als fünf Jahren abgeschlossen - nach Art 85 Abs 2 EG-Vertrag nichtig. Die Nichtigkeit erfasse zwar grundsätzlich nur die Bestimmungen der Vereinbarung, die gegen Art 85 Abs 1 verstießen. Da sich jedoch die verstoßenden Teile nicht von den übrigen trennen ließen, sei die gesamte Vereinbarung nichtig und die Klägerin nicht verpflichtet, bei der Beklagten Bier und/oder alkoholfreie Getränke abzunehmen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten Folge, hob das angefochtene Urteil auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurück. Es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstandes 52.000 S, nicht aber 260.000 S übersteige und der Rekurs nach § 519 Abs 1 Z 2 und Abs 2 ZPO zulässig sei, weil Rechtsprechung zur Frage fehle, welcher sachliche und räumliche Markt für die Beurteilung der Wettbewerbsbeschränkung maßgeblich sei und welche Kriterien im Einzelnen bei der Prüfung der Nichtigkeit heranzuziehen seien.

In rechtlicher Hinsicht vertrat das Berufungsgericht die Auffassung, die hier getroffene Vereinbarung erfülle nicht die in der Gruppenfreistellungsverordnung für Alleinbezugs- vereinbarungen Nr 1984/83 vom 22. 6. 1983 aufgestellten Bedingungen und komme daher nicht in den Genuss einer Freistellung vom Kartellverbot gemäß Art 81 Abs 3 EG. Der Anwendbarkeit der GVO stehe zwar nicht entgegen, dass der Wiederverkäufer bestimmte zusätzliche Verpflichtungen (wie zum Beispiel jene zur Abnahme von Mindestmengen) eingehe, die denen in Art 2 Abs 3 der GVO 1984/83 entsprechen. Die Vereinbarung der regelmäßigen Abnahme einer bestimmten Mindestmenge von Waren sei aber nur bei exklusiv bezogenen Waren, somit nur bei jenen unbedenklich, hinsichtlich derer sich die Klägerin zum Alleinbezug verpflichtet habe. Produkte, die von der Alleinbezugsklausel nicht erfasst seien, dürften auch nicht Gegenstand der Mindestmengenvereinbarung sein. Im vorliegenden Fall sei die Klägerin seit 1. 1. 1994 nicht verpflichtet, alkoholfreie Getränke ausschließlich bei der Beklagten zu beziehen. Der Vertrag enthalte demgegenüber jedoch eine Verpflichtung zur Abnahme einer Mindestbezugsmenge, sohin eine Wettbewerbsbeschränkung, die Art 2 Abs 3 lit b der GVO 1984/83 nicht entspreche. Nach dem "alles oder nichts"-Prinzip werde daher die zwischen den Streitteilen getroffene Vereinbarung (die eine Laufzeit von mehr als fünf Jahren aufweise) durch die Gruppenfreistellungsverordnung nicht vom Verbot des Art 81 Abs 1 EG freigestellt.

Die hier getroffene Vereinbarung sei aber nur dann nichtig, wenn sie im Sinn des Art 81 Abs 1 EG (unter Bedachtnahme auf die "Bündeltheorie") einerseits geeignet sei, den Handel zwischen Mitgliedstaaten spürbar zu beeinträchtigen und andererseits eine spürbare Beschränkung des Wettbewerbs innerhalb des gemeinsamen Marktes bewirke. Der Vereinbarung könne ein wettbewerbsbeschränkte Wirkung nicht von vornherein abgesprochen werden, weil die auf dem gleichen Markt tätigen Unternehmer autonome Entscheidungen nicht mehr im gleichen Umfang treffen, wie sie dies - ohne Vorhandensein der Vereinbarung - tun würden. Eine den zwischenstaatlichen Handel beeinträchtigende Wirkung der Vereinbarung sei damit nicht ausgeschlossen. Ihre mögliche Nichtigkeit zeige sich schon allein in der Tatsache, dass die Kommission eine - auch Bierbezugsverträge einschließende - Gruppenfreistellungsverordnung für Alleinbezugsverträge erlassen habe. Nicht jede Abrede, die diese Voraussetzungen grundsätzlich erfülle, falle aber unter das Verbot des Art 81 Abs 1 EG. Zur Beurteilung der dafür relevanten Rechtsfragen bedürfe es eines konkreten, über die hier getroffenen Feststellungen (dass die Beklagte Marktführer sei und Alleinbezugsverträge mit einer großen Anzahl von Wiederverkäufern von Bier und alkoholfreien Getränken schließe) hinausgehenden Tatsachensubstrates. Der Europäische Gerichtshof habe im Fall Delimitis dargelegt, wie die Prüfung der tatsächlichen Verhältnisse auf dem Markt vorzunehmen sei. Nach diesen Kriterien sei zunächst zu prüfen, ob der Zugang von Konkurrenten zum betroffenen Markt (hier dem Handelsverkehr für Bier zwischen Brauereien und Gaststätten in Österreich) beeinträchtigt werde, wobei das Bestehen eines Bündels gleichartiger Verträge, die eine bedeutende Zahl von Verkaufsstellen an einige inländische Erzeuger binden und der Umfang dieser Bindung maßgebliche zu prüfende Faktoren darstellten. Die Prüfung der Zugänglichkeit des relevanten Marktes sei erforderlich, um beurteilen zu können, ob eine spürbare Beschränkung des Wettbewerbs und eine spürbare Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels vorliege. Dabei sei entscheidend, ob sich die gleichgelagerten Vereinbarungen insgesamt dahingehend auswirken, dass neuen inländischen wie auch ausländischen Mitbewerbern (aus anderen Mitgliedsstaaten) der Marktzutritt verschlossen sei. Ergebe nämlich die Prüfung, dass der relevante Markt schwer zugänglich sei, so sei zu unterscheiden, inwieweit die von der Beklagten abgeschlossenen Verträge zur kumulativen Wirkung beitragen. Sei dieser Beitrag unerheblich, fielen die Verträge der Beklagten nicht unter das Verbot des Art 81 Abs 1 EG. Anderfalls sei zu prüfen, ob der fragliche Einzelvertrag in erheblichem Maß zur Abschottung des Marktes beitrage, wobei die Bedeutung des Vertrages von der Stellung der Vertragspartner auf dem Markt und von der Vertragsdauer abhänge. Dabei könnten die von der Kommission in ihren Bekanntmachungen über Bierlieferungsverträge und über Vereinbarungen von geringer Bedeutung veröffentlichten Zahlen und Prozentsätze als Beurteilungshilfe herangezogen werden.

Diese (wenngleich schwierigen und umfangreichen) Tatsachenerhebungen seien für die Beurteilung der Nichtigkeit der getroffenen Vereinbarung erforderlich. Ein Vorabentscheidungsersuchen sei vor Aufnahme der gebotenen Beweise nicht zielführend.

Das Berufungsgericht hat den Rekurs gegen seinen Aufhebungsbeschluss aus der Erwägung zugelassen, es fehle Rechtsprechung zur Frage, welcher sachliche und räumliche Markt für die Beurteilung der Wettbewerbsbeschränkung maßgeblich sei und welche Kriterien im Einzelnen bei der Prüfung der Nichtigkeit heranzuziehen wären.

Rechtliche Beurteilung

Entgegen dem - den Obersten Gerichtshof nicht bindenden - Ausspruch des Berufungsgerichtes ist der Rekurs gegen seinen Aufhebungsbeschluss nicht zulässig:

Der EuGH hat im Zusammenhang mit der Beurteilung der Vereinbarkeit von Alleinbezugsverträgen für Bier mit Art 81 EG (Slg 1991 I 935 - Delimitis) den nationalen Markt für den Vertrieb von Bier in Gaststätten als sachlich und räumlich relevanten Markt bezeichnet und auf diesen abgestellt. Es entspricht ständiger Rechtsprechung, dass Urteile des Europäischen Gerichtshofes objektives Recht schaffen und die nationalen Gerichte auch in anderen als den Anlassfällen binden (SZ 69/56; ÖBl 1998, 250 - News Gewinnspiel; ÖBl 1998, 344 - Eismann). Dass daher im vorliegenden Fall der nationale Markt für den Vertrieb von Bier in Gaststätten relevant ist - wovon auch das Berufungsgericht insoweit unbekämpft ausgeht - unterliegt keinem Zweifel und stellt keine im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO erhebliche Rechtsfrage dar.

Nach Art 81 Abs 1 EG (vormals Art 85 Abs 1 EGV) sind mit dem gemeinsamen Markt unvereinbar und verboten unter anderem alle Vereinbarungen zwischen Unternehmen, die den Handel zwischen den Mitgliedsstaaten zu beeinträchtigen geeignet sind und eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des gemeinsamen Marktes bezwecken oder bewirken. Gemäß Art 81 Abs 2 EG (vormals Art 85 Abs 2 EGV) sind die nach diesem Artikel verbotenen Vereinbarungen nichtig. Die betreffende Vereinbarung muss einerseits geeignet sein, den Handel zwischen Mitgliedsstaaten spürbar zu beeinträchtigen, andererseits muss sie eine spürbare Beschränkung des Wettbewerbs innerhalb des gemeinsamen Marktes bewirken. Der EuGH prüft das Erfordernis der "Spürbarkeit" wie auch jenes der Handelsbeeinträchtigung und Wettbewerbsbeschränkung im wirtschaftlichen und rechtlichen Gesamtzusammenhang der Vereinbarung, ihrer Zwecke und Wirkungen und berücksichtigt dabei auch den kumulativen Effekt bestehender Parallelverträge. Unter Hinweis auf herrschende Lehre und in Übereinstimmung mit dieser Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (Slg 1967, 525; Slg 1991, 935 uva) hat der Oberste Gerichtshof bereits ausgesprochen (SZ 69/238 mwN; RIS-Justiz RS0106872), die in Art 81 EG vorgesehene Rechtsfolge setze im Einzelfall nicht den Nachweis voraus, dass die verpönte Maßnahme den Handel zwischen Mitgliedsstaaten tatsächlich beeinträchtigt, es genüge vielmehr, dass sie geeignet sei, eine derartige Wirkung zu entfalten. Eine Beeinträchtigung bzw die Eignung zu dieser sei dann anzunehmen, wenn sich anhand einer Gesamtheit objektiver rechtlicher oder tatsächlicher Umstände mit hinreichender Wahrscheinlichkeit voraussehen lässt, dass die Maßnahme den Warenverkehr zwischen Mitgliedsstaaten unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potenziell beeinflussen und dadurch der Errichtung eines einheitlichen Marktes zwischen den Mitgliedsstaaten hinderlich sein könne. Um festzustellen, ob Alleinbezugsverträge vom Verbot des Art 81 Abs 1 EG (vormals Art 85 Abs 1 EGV) erfasst werden, sei zu prüfen, ob sich aus der Gesamtheit aller auf dem relevanten Markt bestehenden gleichartigen Vereinbarungen und aus den übrigen wirtschaftlichen und rechtlichen Begleitumständen der fraglichen Verträge ergebe, dass diese die kumulative Wirkung haben, neuen inländischen und ausländischen Wettbewerbern den Zugang zu diesem Markt zu verschließen. Sei dies nicht der Fall, können die einzelnen Verträge, aus denen das Bündel der Vereinbarungen bestehe, den Wettbewerb nicht im Sinn des genannten Artikels beschränken. Sei der Markt hingegen schwer zugänglich, müsse noch geprüft werden, wie weit die streitigen Vereinbarungen zu der kumulativen Wirkung beitragen. Dabei seien nur jene Verträge verboten, die zu einer etwaigen Abschottung des Marktes in erheblichem Maß beitragen. Bei der Beurteilung des Einflusses der Netze von Ausschließlichkeitsverträgen auf den Marktzugang sei das Verhältnis zwischen der Zahl der vertraglich an die Erzeuger gebundenen Verkaufsstätten und der Zahl der nicht gebundenen Händler, die durch die eingegangenen Verpflichtungen erfassten Mengen und das Verhältnis zwischen diesen Mengen und denjenigen, die über nicht gebundene Händler abgesetzt werden, sowie die Tatsachen zu berücksichtigen, dass der Bindungsgrad, der sich aus solchen Netzen ergebe, zwar von gewisser Bedeutung sei, aber nur einen von mehreren Faktoren des wirtschaftlichen und rechtlichen Zusammenhangs bilde, in dem die Beurteilung vorzunehmen sei. Es müsse sich daher anhand der Gesamtheit objektiver rechtlicher oder tatsächlicher Umstände mit hinreichender Wahrscheinlichkeit voraussehen lassen, dass sie den Handel zwischen Mitgliedsstaaten unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potenziell in einer die Verwirklichung eines einheitlichen Marktes zwischen den Mitgliedsstaaten behindernden Weise beeinflussen könne.

Das Berufungsgericht hat diese in der Rechtsprechung des EuGH entwickelten und vom Obersten Gerichtshof auch bisher angewendeten Kriterien übernommen und auf dieser Grundlage eine Verfahrensergänzung als erforderlich erachtet. Da die zu prüfenden Umstände nach den vom EuGH entwickelten Kriterien zu den anspruchsbegründenden Voraussetzungen des Klageanspruches gehören, ist es dem Obersten Gerichtshof, der nicht Tatsacheninstanz ist, verwehrt, diesem Auftrag zur Verfahrensergänzung entgegenzutreten (JBl 1991, 580; JBl 1990, 322). Im Übrigen steht nur fest, dass die Beklagte "Marktführerin" sei (auf welchem Markt blieb ungeklärt) und dass sie "eine große Zahl derartiger Verträge" schließe. Schon der Europäische Gerichtshof hat in der Entscheidung Delimitis darauf hingewiesen (Erwägungsgrund 20), dass das Bestehen eines Bündels gleichartiger Verträge, selbst wenn es die Möglichkeiten des Marktzuganges wesentlich beeinflusse, für sich allein noch nicht die Feststellung einer Abschottung des relevanten Marktes rechtfertige, sondern nur einen unter mehreren Beurteilungsfaktoren darstelle. Nach dieser - auch für den vorliegenden Fall maßgeblichen - Entscheidung ist auch zu berücksichtigen, unter welchen Bedingungen der Wettbewerb auf dem relevanten Markt stattfindet, wobei es nicht nur um die Zahl und die Größe der auf dem Markt tätigen Erzeuger, sondern auch um dessen Sättigungsgrad und die Treue der Verbraucher zu bestehenden Marken geht (Erwägungsgrund 22). Überdies muss zur Beurteilung der Bedeutung des Beitrages von Bierlieferungsverträgen einer Brauerei im Hinblick auf eine Abschottungswirkung auch die Stellung ihrer Vertragspartner auf dem Markt berücksichtigt werden (Erwägungsgrund 25).

Das Berufungsgericht hat daher die erforderlichen Verfahrensergänzungen in Übereinstimmung mit den vom Europäischen Gerichtshof im Zusammenhang mit einem vergleichbaren Bierlieferungsvertrag entwickelten Grundsätzen und der dazu ergangenen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes aufgezeigt. Eine darüber hinausgehende erhebliche Rechtsfrage ist nicht hervorgekommen.

Soweit die Beklagte in ihrer Rekursbeantwortung (neuerlich) geltend macht, die gegenständliche Vereinbarung falle unter die Gruppenfreistellungsverordnung für Alleinbezugsvereinbarungen 1984/83 und verstoße schon aus diesem Grund nicht gegen Art 81 EG, entzieht sich diese Frage derzeit einer Überprüfung durch den Obersten Gerichtshof. Auf diese Frage wird aber im fortzusetzenden Verfahren nach wie vor Bedacht zu nehmen sein, wobei ein Wegfall der Freistellung durch die genannte GVO dann denkbar sein könnte, wenn die vereinbarte Mindestbezugsmenge für alkoholfreie Getränke so hoch angesetzt wäre, dass sie dem gesamten Bedarf der Klägerin entspricht und damit einer Alleinbezugsverpflichtung im Sinne einer Exklusivbindung gleichkommt. Die für die Beurteilung dieser Frage erforderlichen Feststellungen wurden bislang jedoch nicht getroffen. Zu beachten wird auch sein, dass die Mindestbezugsmenge für ein Produkt vereinbart wurde, das von der Alleinbezugsklausel nicht erfasst ist. Zur Frage der Auslegung des Art 2 Abs 3 lit b GVO 1984/83 könnte sich in weiterer Folge auch ein Vorabentscheidungsersuchen an den Europäischen Gerichtshof als erforderlich erweisen. Erörtert wurde auch nicht, ob eine Einzelfreistellung beantragt ist.

Die Rekurswerberin hat keine erheblichen Rechtsfragen an den Obersten Gerichtshof herangetragen, sodass ihr Rekurs gegen den Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichtes zurückgewiesen wird.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41 und 50 ZPO. Die Rekursbeantwortung diente der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung, weil sie auf die Unzulässigkeit des Rekurses hingewiesen hat.

Rechtssätze
3