JudikaturJustiz6Ob288/04b

6Ob288/04b – OGH Entscheidung

Entscheidung
15. Dezember 2004

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Ehmayr als Vorsitzenden und die Richter des Obersten Gerichtshofs Dr. Huber, Dr. Prückner, Dr. Schenk und Dr. Schramm als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Abd El Q*****, vertreten durch Mag. Gabriel Wutti, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei V***** GmbH, *****, vertreten durch Lansky, Ganzger Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Unterlassung (Streitwert 19.620 EUR), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 5. Mai 2004, GZ 2 R 239/03m-42, womit über Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichts St. Pölten vom 12. August 2003, GZ 29 Cg 81/02z-32, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung, den Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird als nichtig aufgehoben und dem Berufungsgericht die neuerliche Entscheidung aufgetragen. Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Das Erstgericht gab dem Begehren des Klägers auf Unterlassung der Verbreitung bestimmter Behauptungen über den Kläger statt. Dagegen erhob die Beklagte Berufung. Der Kläger erstattete eine Berufungsbeantwortung. Im Vorlagebericht an das Berufungsgericht wird die Erstattung der Berufungsbeantwortung angeführt. Das Berufungsgericht änderte die erstinstanzliche Entscheidung in nichtöffentlicher Sitzung dahin ab, dass es das Klagebegehren abwies. Es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 4.000 EUR, nicht aber 20.000 EUR übersteige, und dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Das Berufungsgericht hielt in seiner Entscheidung fest, der Kläger habe sich am Berufungsverfahren nicht beteiligt. Der Kläger beantragte gemäß § 508 Abs 1 ZPO die Abänderung des Zulässigkeitsausspruchs dahin, dass die ordentliche Revision doch für zulässig erklärt werde, und führte die ordentliche Revision aus. Unter anderem machte er als Nichtigkeitsgrund geltend, dass das Gericht zweiter Instanz die Berufungsbeantwortung offenbar versehentlich nicht berücksichtigt habe.

Das Berufungsgericht änderte hierauf den gerügten Ausspruch dahin ab, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil in der die kostenrelevanten Schritte im genannten Verfahren beinhaltenden Aufzeichnung des Berufungsgerichts die Berufungsbeantwortung des Klägers nicht enthalten sei, was nunmehr vermuten lasse, dass sie damals im Akt nicht oder verreiht unter überzähligen Schriftsätzen/Ausfertigungen bzw in Beiakten enthalten gewesen sei. Dem nun vorgelegten Akt sei zu entnehmen, dass der Kläger rechtzeitig eine Berufungsbeantwortung erstattet habe. Um ihm die Aufgreifung einer allfälligen Nichtigkeit zu ermöglichen, sei dem Antrag stattzugeben gewesen.

Die Beklagte verwies in ihrer Revisionsbeantwortung darauf, die Nichtberücksichtigung der Berufungsbeantwortung verletze das rechtliche Gehör nicht, weil der Kläger an allen Verfahrenshandlungen der ersten Instanz ordnungsgemäß teilgenommen habe, in denen das Tatsachenvorbringen erstattet worden sei. Der Kläger habe somit jede Möglichkeit gehabt, durch Tatsachenbehauptungen und Beweise sein Vorbringen zu erhärten. Im Berufungsverfahren herrsche ein Neuerungsverbot. Der Nichtigkeitsgrund gemäß § 503 Z 1 iVm § 477 Abs 1 Z 4 ZPO liege somit nicht vor.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig und berechtigt.

Die Revision ist zulässig, weil das Urteil des Berufungsgerichts mit Nichtigkeit behaftet ist (1 Ob 295/02t mwN); das Gericht zweiter Instanz hat rechtlich unvertretbar ohne Beachtung der rechtzeitig erstatteten Berufungsbeantwortung entschieden; eine solche Vorgangsweise ist im Interesse der Rechtssicherheit und Rechtseinheit jedenfalls zu korrigieren (SZ 70/260).

§ 468 Abs 2 ZPO räumt dem Berufungsgegner zwingend das rechtliche Gehör in Form einer Berufungsbeantwortung ein.

Nach § 477 Abs 1 Z 4 ZPO (§ 503 Z 1 ZPO) ist das angefochtene Urteil und, soweit der Grund der Nichtigkeit das vorangegangenen Verfahren ergreift, auch dieses als nichtig aufzuheben, wenn einer Partei die Möglichkeit, vor Gericht zu verhandeln, durch ungesetzlichen Vorgang, insbesondere durch Unterlassung der Zustellung entzogen wurde. Die Nichtigkeit liegt in diesem Fall in einer Verletzung des rechtlichen Gehörs und wurde etwa auch dann angenommen, wenn das Berufungsgericht über eine Berufung ohne Kenntnis der Berufungsbeantwortung der Gegenpartei entschied (RIS-Justiz RS0041846; RS0042158; Kodek in Rechberger2, ZPO § 503 Rz 2), weil in diesem Fall durch einen ungesetzlichen Vorgang dem Berufungsgegner die Möglichkeit entzogen war, sich am Berufungsverfahren zu beteiligen und ihm auf diese Weise das rechtliche Gehör verweigert wurde. Das Berufungsgericht hat dem Kläger sein Gehör im Berufungsverfahren dadurch entzogen, dass es dessen rechtzeitige Berufungsbeantwortung - offenbar aus einem Versehen - unbeachtet ließ.

In Stattgebung der Revision ist daher das Urteil des Gerichts zweiter Instanz als nichtig aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 52 ZPO. Da nur die Entscheidung des Berufungsgerichts ohne ein vorausgegangenes Verfahren aufgehoben wurde, findet § 51 ZPO nicht Anwendung (1 Ob 295/02t mwN).