JudikaturJustiz6Ob260/68

6Ob260/68 – OGH Entscheidung

Entscheidung
09. Oktober 1968

Kopf

SZ 41/132

Spruch

Zum Begriff der "Parteifähigkeit".

Entscheidung vom 9. Oktober 1968, 6 Ob 260/68. I. Instanz:

Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz; II. Instanz:

Oberlandesgericht Graz.

Text

Im Grundbuch des Bezirksgerichtes F. ist die klagende Partei seit den Jahren 1881 bzw. 1887 als Eigentümerin der Liegenschaften EZ. 32 und 208 der Katastralgemeinde Bad G. eingetragen.

Nach den vorliegenden "Statuten" vom April 1859 ist die klagende Partei ein auf Veranlassung des Grafen Mathias Konstantin von W. aus milden Beiträgen entstandenes wohltätiges Privatinstitut, das ganz armen oder wenigstens mittellosen Personen beiderlei Geschlechts, denen der Gebrauch der G. Heilquelle ärztlich verordnet wird, während der Kurdauer unentgeltlich eine angemessene Unterkunft, ärztlichen Beistand, die nötigen Medikamente und häusliche Pflege verschaffen soll. Zur Oberaufsicht und Besorgung der Angelegenheiten der klagenden Partei, insbesondere der Vermögensgebarung, bestand eine Verwaltung, der der Gründer als Vorsitzender sowie der Brunnenarzt und der Brunnenverwalter des G. Aktienvereines als Mitglieder angehörten.

Trotz wiederholter Bemühungen wurde die klagende Partei niemals als Stiftung anerkannt, sie hat sich aber auch nicht als Verein im Sinne des Vereinsgesetzes konstituiert. Auf Antrag der beklagten Partei wurde mit dem in Rechtskraft erwachsenen Beschluß des Landesgerichtes für ZRS. Graz vom 4. Februar 1955, P .../55, des Bezirksgerichtes F., Alfred B. und nach dessen Tod Dr. Th. zum Kurator der klagenden Partei bestellt.

Am 15. Dezember 1965 wollte der Kurator die beiden Liegenschaften der klagenden Partei begehen, doch wurde ihm von der beklagten Partei der Zutritt mit der Begründung verwehrt, die Liegenschaften seien herrenloses Gut, das sich die Beklagte zugeeignet habe.

Mit der am 21. Jänner 1966 eingebrachten Klage begehrt die klagende Partei von der beklagten Partei die Herausgabe der beiden Liegenschaften.

Das Erstgericht erklärte das bisherige Verfahren für nichtig und wies die Klage zurück. Es führte hiezu folgendes aus:

Die klagende Partei sei nach ihren Statuten eine Stiftung. Eine solche bedürfe, um eine juristische Person zu werden, der staatlichen Genehmigung. Da eine solche niemals erteilt wurde und die klagende Partei auch unter keinem anderen Gesichtspunkt Rechtspersönlichkeit besitze, sei sie weder partei- noch prozeßfähig, welcher Mangel in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen wahrzunehmen sei und zur Nichtigerklärung des bisherigen Verfahrens sowie zur Zurückweisung der Klage führen müsse.

Zufolge Rekurses der klagenden Partei behob das Rekursgericht diesen Beschluß und trug dem Erstgericht die Fortsetzung des gesetzmäßigen Verfahrens auf. Es begrundete seine Entscheidung folgendermaßen:

Zwar lasse die Aktenlage nicht erkennen, daß der klagenden Partei Rechtspersönlichkeit zukomme. Deswegen könne ihr jedoch nicht Partei- und Prozeßfähigkeit abgesprochen werden, da Rechtsträger im Sinne der Prozeßgesetze auch andere Gebilde, insbesondere Vermögensmassen, sein könnten. So könnten die Verlassenschaft, die Konkursmasse, die unter öffentlicher Verwaltung stehende Vermögensmasse sowie die Zwangsverwaltungsmasse klagen und geklagt werden.

Auch im vorliegenden Fall sei Vermögen der klagenden Partei, nämlich zwei Grundstücke, vorhanden, zu dessen Verwaltung und Vertretung vom Außerstreitrichter rechtskräftig ein Kurator bestellt wurde. Diesem müsse die Befugnis zuerkannt werden, sich nötigenfalls im Klagewege den Besitz und die Verwaltung des Vermögens zu verschaffen, wenn es ihm von dritter Seite entzogen werde. In diesem Sinne könne eine beschränkte Parteifähigkeit der klagenden Partei nicht verneint werden. Darauf, als was die klagende Partei ursprünglich hätte konstituiert werden können, komme es ebensowenig an, wie auf die Bezeichnung, unter der die klagende Partei auftrete.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Revisionsrekurs der beklagten Partei nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Wie Fasching (Komm. II S. 109) überzeugend darlegt, enthält die österr. Zivilprozeßordnung keine gesetzliche Formulierung des Begriffes der Partei im Zivilprozeß. Dieser ergibt sich vielmehr aus dem Wesen und der Aufgabe des Zivilprozesses. Wesentliche Merkmale des Parteibegriffes sind:

a) die Eigenschaft als Rechtsträger,

b) die Rechtsschutzhandlung muß im Namen des Rechtsträger für oder gegen ihn begehrt werden.

Rechtsträger (und damit parteifähig) sind alle physischen und juristischen Personen und darüber hinaus jene Gebilde, denen die Rechtsordnung durch besondere Vorschriften die Fähigkeit, zu klagen oder geklagt zu werden, verliehen hat, ohne ihnen im übrigen die Rechtspersönlichkeit zuzuerkennen. Solche Gebilde sind Personenvereinigungen oder bestimmte Vermögensmassen, wie z. B. die Zweckvermögen. Zweckvermögen sind einem bestimmten Zweck dienende Vermögen, die, wenn auch vom materiellen Recht nicht mit Rechtspersönlichkeit ausgestattet, dennoch kraft positiver Rechtsvorschrift klagen und geklagt werden können. Maßgeblich für die Zuerkennung der Parteifähigkeit ist somit ausschließlich die faktische oder gesetzliche Anerkennung des Prozeßsubjektes als Rechtsträger bzw. die faktische Tätigkeit oder gesetzliche Anerkennung seiner Fähigkeit, zu klagen oder geklagt zu werden.

Ähnlich führt Neumann (Komm. I S. 385) aus:

"Parteifähig sind 1. alle physischen, 2. alle juristischen Personen und 3. nach der neueren Theorie Personenvereine und Vermögensmassen, denen Rechtssubjektivität zukommt."

In Anwendung dieser Grundsätze hat der Oberste Gerichtshof beispielsweise der Verlassenschaft (ZBl. 1924, Nr. 170), auch der armutshalber abgetanen Verlassenschaft (NotZ. 1930, S. 141), der Zwangsverwaltungsmasse wie auch einer Sondermasse (SZ. XXI 150), einer Agrargemeinschaft (SZ. XXIV 98), der Konkursmasse (SZ. XXV 329) u. a. Parteifähigkeit zuerkannt.

Dem Rekursgericht ist vollkommen darin zuzustimmen, daß die gleichen Erwägungen auch im vorliegenden Fall Platz greifen. Mag die klagende Partei auch weder als Stiftung noch als Verein Rechtspersönlichkeit genießen, so stellt sie doch eine Vermögensmasse dar, zu deren Verwaltung und Vertretung mit Recht ein gerichtlicher Kurator bestellt wurde. Diesem muß auf Grund der faktischen Verhältnisse das Recht zu klagen eingeräumt werden, weil die beklagte Partei gegenüber dieser Vermögensmasse Rechte geltend macht, indem sie behauptet, sich die beiden Grundstücke, aus denen die Vermögensmasse besteht, als herrenloses Gut zugeeignet zu haben und daher berechtigt zu sein, dem Kurator den Zutritt zu den Liegenschaften zu verweigern. Würde der klagenden Partei die Parteifähigkeit nicht zuerkannt werden, dann wäre trotz der grundbücherlichen Eintragung überhaupt niemand vorhanden, der gegen die von der beklagten Partei behaupteten Ansprüche Stellung nimmt und die beklagte Partei könnte diese ihr nicht gehörigen Grundstücke behalten, ohne daß jemand das Vorliegen der Voraussetzungen hiefür überprüfen zu lassen imstande wäre.

In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, daß die beklagte Partei hinsichtlich einer in ihrem Eigentum befindlichen Heilquelle das Zurechtbestehen einer seit dem Jahre 1834 einverleibten Dienstbarkeit bestritten hat, nach der "jedermann" aus dieser Quelle Wasser zum eigenen Bedarf in unverkorkten Gefäßen holen darf. Auch für diesen unbegrenzten Personenkreis "Jedermann" wurde vom Pflegschaftsgericht ein Kurator bestellt und vom Obersten Gerichtshof die Parteifähigkeit bejaht (SZ. XLI 29).

Auf die Ausführungen des Revisionsrekurses, in denen versucht wird, Unterschiede zwischen dem vorliegenden Fall und anderen Vermögensmassen, denen Parteifähigkeit zuerkannt wurde, aufzuzeigen, braucht im einzelnen nicht eingegangen zu werden, da solche Unterschiede zweifellos bestehen. Sie sind jedoch unerheblich. Entscheidend ist, daß auf den vorliegenden Fall die eingangs dargelegten allgemeinen Erwägungen Anwendung finden, was zur Bejahung der Parteifähigkeit der klagenden Partei führen muß.