JudikaturJustiz6Ob251/64

6Ob251/64 – OGH Entscheidung

Entscheidung
07. Oktober 1964

Kopf

SZ 37/136

Spruch

Ein allein auf Gedächtnislücken des Erblassers beruhendes Verkennen des tatsächlichen Umfanges des frei verfügbaren Vermögens durch den Testator ist ein Fall der irrtümlichen Bezeichnung im Sinne des § 571 ABGB.

Entscheidung vom 7. Oktober 1964, 6 Ob 251/64. I. Instanz:

Landesgericht Feldkirch; II. Instanz: Oberlandesgericht Innsbruck.

Text

Josef D., Schulrat i. R., ist am 22. Jänner 1961 verstorben. Die Klägerin (geboren am 30. März 1949) ist die Tochter des Josef D. aus dessen zweiter Ehe mit Paula, verwitweter K., geborene R., die er nach dem Ableben (18. April 1944) seiner ersten Ehegattin Anna, geborene H., eingegangen war. Die Beklagte ist die Adoptivtochter des Verstorbenen.

Sie war die Pflegetochter seiner ersten Gattin und wurde von ihm mit dem Adoptionsvertrag vom 17. April 1946 adoptiert. Während des Bestandes der ersten Ehe waren Josef D. und Anna D. je zur Hälfte Eigentümer der Liegenschaften EZ. 3183 Katastralgemeinde D., Grundstück Nr. 2797 Schmelzhütten, Wohnhaus Nr. 30 M.-straße, Grundstück Nr. 8660/3 Garten, und EZ. 5264 KatGem. D., Grundstück Nr. 8659/2 Schmelzhütten-Garten. Nach dem Tode der Anna D. wurde ob deren Hälfteanteilen an diesen Liegenschaften das Eigentumsrecht des Josef D. mit der Beschränkung durch die fideikommissarische Substitution auf den Überrest zugunsten der Maria H. (Adoptivtochter), der nunmehrigen Beklagten, eingeantwortet. Diese Liegenschaftshälften waren im Zeitpunkt des Todes des Josef D. unveräußert. Josef D. errichtete am Tage vor seinem Tod, am 21. Jänner 1961, ein Privat-Testament. In diesem Testament heißt es in den entscheidenden Punkten: "Als Erben meines gesamten, wie immer Namen habenden, beweglichen und unbeweglichen Nachlasses setze ich zu gleichen Teilen ein a) meine Adoptivtochter Maria, geb. H., verehelichte F. ..., b) meine Tochter aus zweiter Ehe mit Paula geb. R., nämlich die mj. Waltraud.

Für meine vorgenannte Ehegattin Paula D. geb. R., ist hinlänglich gesorgt ...

Mein Nachlaß besteht insbesondere aus dem von meiner ersten Ehe herrührenden Mobiliar (Küche, Doppelschlafzimmer und Wohnzimmereinrichtung) und dem Wohnhaus in D., M.-straße 30. Meine Nachlaßverbindlichkeiten haben meine berufenen Erben gleichteilig zu tragen ..."

Der Substitutionsnachlaß ist der Beklagten bereits eingeantwortet worden. Die Erbfolge in den frei vererblichen Nachlaß des Josef D. ist streitig.

Die klagende Partei macht im vorliegenden Rechtsstreit geltend, der Erblasser habe nur über einen Hälfteanteil an den erwähnten Liegenschaften frei verfügen können. Es sei sein ausdrücklicher Wille gewesen, daß die Liegenschaften der Klägerin und der Beklagten je zur Hälfte zufallen sollten. Bei Testamentserrichtung habe er die Nacherbschaft zugunsten der Adoptivtochter übersehen und sich sohin in einem Irrtum über sein frei vererbliches Vermögen befunden. Wäre er sich seiner wirklichen Vermögenslage bewußt gewesen, so hätte er den frei vererblichen Hälfteanteil an den Liegenschaften der Klägerin allein zugewendet. Die klagende Partei begehrt die urteilsmäßige Feststellung dahin, daß das Testament des Josef D. insoweit ungültig sei, als es eine Erbeneinsetzung der Beklagten an den frei vererblichen Liegenschaftsanteilen enthalte und verlangt weiter die Feststellung, daß die frei vererblichen Hälfteanteile der Liegenschaften der Klägerin als Vorausvermächtnis zustehen. Der Beklagte erhebt auf Grund des Testamentes Anspruch auf den halben Nachlaß nach Josef D. Mit dem Ersturteil wurde das Klagebegehren abgewiesen. Das Erstgericht stellte fest, der Wille des Erblassers bei Errichtung des Testamentes vom 21. Jänner 1961 sei dahin gegangen, daß das Haus je zur Hälfte an beide Töchter falle. Dem Erblasser sei dabei jedoch nicht mehr gegenwärtig gewesen, daß er nur über eine Hälfte der Liegenschaft(en) letztwillig frei verfügen könne.

Er sei sich seiner wirklichen Vermögenslage nicht bewußt gewesen. Daß der Erblasser, wenn er sich seiner wirklichen Vermögenslage bewußt gewesen wäre, die Klägerin etwa als Alleinerbin eingesetzt und die Beklagte übergegangen hätte, sei nicht erwiesen. Es könne nicht angenommen werden, daß der Erblasser das Testament einzig aus dem Gründe errichtet habe, der Klägerin das halbe Haus zukommen zu lassen. Vielmehr stehe seine Absicht, die Beklagte zu berücksichtigen, fest. Im Sinne des § 572 ABGB. sei demnach das Testament gültig.

Das Berufungsgericht bestätigte infolge Berufung der klagenden Partei das Ersturteil und sprach gemäß § 500 (2) ZPO. aus, daß der Wert des Streitgegenstandes, über den es entschied, 15.000 S übersteige. Das Berufungsgericht übernahm die erstgerichtlichen Feststellungen als unbedenklich und führte in rechtlicher Beziehung aus, der Erblasser habe nicht den Gegenstand der letztwilligen Anordnung "verfehlt" (§ 570 ABGB.). Er habe sich nur über den Umfang seines Eigentumsrechtes geirrt. Es sei dem Erblasser ein Rechtsirrtum unterlaufen, der zu einer falschen Bezeichnung einer zu seinem Nachlaß gehörigen Liegenschaft führte. Das Testament sei daher gemäß § 571 ABGB. gültig.

Im übrigen sei die letztwillig verfügte, in einem Satz enthaltene Erbeneinsetzung der Streitteile zu gleichen Teilen eine Anordnung die nicht - wie in der Klage begehrt - in ihre Bestandteile aufgelöst werden könne. Es sei daher unzulässig, den letzten Willen des Erblassers durch teilweise Ungültigerklärung der darin enthaltenen Verfügungen gänzlich zu verändern, durch Elimination der Erbeneinsetzung einer Tochter zur Einsetzung der Klägerin als Universalerbin gelangen zu wollen. Sei die Erbeneinsetzung wegen Irrtums ungültig, so könne sie nur als ganzes ungültig sein. Am wenigstens sei es möglich, den Testamentsinhalt in dem Sinn abzuändern, daß der gesamte erblasserische Liegenschaftsnachlaß als Vorausvermächtnis der Klägerin zugewendet werde.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Klägerin nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Daß ein Motivirrtum im Sinne des § 572 ABGB., zweiter Halbsatz, im vorliegenden Fall außer Betracht zu bleiben hat und daß überhaupt - wie schon das Berufungsgericht entgegen dem Erstgerichte erkannte - von einem Motivirrtum nicht die Rede sein kann, räumt die Revision als zutreffend ein. Im übrigen aber ist der Rechtsrüge folgendes entgegenzuhalten:

Es steht fest, daß der Erblasser aus Untreue seines Gedächtnisses von der falschen Annahme ausging, er könne über alles, worüber er in seinem Testament letztwillig verfügte, auch tatsächlich frei verfügen. Die bestehende Beschränkung durch das Substitutionsband war seinem Gedächtnis entfallen. Deshalb bildete er sich ein, er besitze "ein Haus in D.". Diese auf Untreue des Gedächtnisses basierende Vorstellung allein war maßgebend für seine dem Notar gegenüber abgegebene Erklärung, daß seine Töchter dieses Haus je zur Hälfte erben sollten und für die bei Formulierung des Testamentes gewählte nähere Textierung. Ein derartiges, auf Gedächtnislücken beruhendes Verkennen des tatsächlichen Umfanges des frei verfügbaren Vermögens, wie es dem Erblasser unterlaufen ist, wird (so auch Weiss in Klang[2] III S. 283, 285) als ein Fall irrtümlicher Bezeichnung (falsa demonstratio) angesehen, was auch das Berufungsgericht im Endergebnis richtig erkannte. Diese irrtümliche Bezeichnung schadet nicht und vermag gemäß § 571 ABGB. an der Gültigkeit der letztwilligen Verfügung nichts zu ändern, die im übrigen mit der nach den Beweisergebnissen klar zutage getretenen Tendenz des Erblassers im Einklang steht, "beide Töchter" hinsichtlich dessen, worüber er letztwillig rechtmäßig verfügen konnte, nach dem Gleichbehandlungsgrundsatz zu bedenken. Es fehlt daher der Anfechtung des hier in Betracht kommenden Testamentes und damit auch dem Klagebegehren die rechtliche Grundlage, ohne daß es noch eines näheren Eingehens auf die Frage der Möglichkeit oder Unmöglichkeit (vgl. hiezu auch Weiss in Klang[2] III S. 291) einer Teilanfechtung des konkreten Testamentes bedürfte.