JudikaturJustiz6Ob247/97k

6Ob247/97k – OGH Entscheidung

Entscheidung
16. Oktober 1997

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kellner, Dr.Schiemer, Dr.Prückner und Dr.Schenk als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei K***** Pensionistenheime, ***** vertreten durch Dr.Herbert Schachter, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Edeltraud R*****, vertreten durch Dr.Heinz Wille, Rechtsanwalt in Wien, wegen Räumung, infolge außerordentlicher Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgerichtes vom 9.April 1997, GZ 41 R 181/97i-30, womit das Urteil des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 6.Dezember 1996, GZ 43 C 329/93i-25, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei hat der klagenden Partei die mit 2.436,48 S (darin 406,08 S Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die klagende Partei begehrt, die Beklagte zu verpflichten, das Appartement Nr 647 im Pensionistenheim ***** binnen 14 Tagen geräumt von eigenen Fahrnissen zu übergeben. Sie brachte dazu vor, der Beklagten sei 1990 das Recht auf einen austauschbaren Heimplatz eingeräumt worden. Seit 1991 verstoße die Beklagte gegen die dem Vertrag zugrundegelegte Heimordnung und lege durch fortgesetzte Beschimpfungen und Drohgebärden ein für Mitpensionäre und Personal untragbares Verhalten an den Tag, das nach der Hausordnung den Entzug des Heimplatzes rechtfertige. Mit Schreiben vom 24.5.1993 sei der bestehende Betreuungsvertrag zum 30.6.1993 aufgekündigt und die Beklagte zur Räumung aufgefordert worden.

Die Beklagte wandte ein, der zwischen den Streitteilen geschlossene Vertrag weise überwiegend Bestandcharakter auf; die klagende Partei habe die zwingenden Vorschriften der §§ 560 f ZPO nicht eingehalten. Die Beklagte habe keine Verstöße gegen die Heimordnung begangen.

Das Erstgericht gab der Klage unter Zugrundelegung folgender wesentlicher Feststellungen statt:

Die Beklagte schloß mit der klagenden Partei 1989 einen Vertrag, nach dem ihr in einem Pensionistenheim der klagenden Partei ein Heimplatz, bestehend aus Wohn-Schlafraum, Vorzimmer mit Einbauschrank und Kochgelegenheit, Badezimmer mit Duschecke, Waschgelegenheit und WC und eventuell Balkon oder Loggia zugewiesen wird. An weiteren Leistungen der klagenden Partei wurden täglich drei Mahlzeiten mit drei verschiedenen möglichen Kostarten, wöchentliche Reinigung des Appartements durch das Heimpersonal und ärztliche Betreuung bei Erkrankungen, die keine Spitalsbehandlung erfordern, im Heim gewährleistet. Die einen Vertragsbestandteil bildenden Richtlinien des K***** Pensionistenheime (Heimordnung) enthalten unter den allgemeinen Bedingungen für die Beendigung des Aufenthaltes die Bestimmung: "Jeder Pensionär kann unter Einhaltung einer einmonatigen Frist zum Ende eines jeden Kalendermonates schriftlich seinen Austritt aus dem Heim erklären. Der Heimbetreiber kann den Austritt aus dem Heim unter anderem verlangen, wenn der Pensionär gegen die Heimordnung oder gegen Anweisungen der Heimleitung verstößt und trotz schriftlicher Mahnung sein ordnungswidriges Verhalten fortsetzt oder eine ärztliche Untersuchung verweigert..... Wenn jemand durch sein Handeln, Tun oder Unterlassen Mitbewohner oder Personal gefährdet, stellt dies einen Grund zur Auflösung des Betreuungsvertrages dar". In den allgemeinen Regeln für das Zusammenleben im Heim wird darauf verwiesen, daß die Pensionäre Mitglieder einer großen Gemeinschaft sind und gebeten werden, Rücksicht auf ihre Mitbewohner zu nehmen. Die Beklagte war mit der Hausordnung und den Richtlinien, die sie unterschrieben hat, vertraut.

Die Beklagte ist eine Einzelgängerin, die nicht bereit ist, sich Gruppen im Heim anzuschließen. Sie schließt sich eher ab und leidet unter Verfolgungs- und Angstzuständen. Im Herbst 1990 begannen mit der Beklagten über die üblichen Eingewöhnungsschwierigkeiten hinausgehende Probleme mit den übrigen Pensionären und dem Hauspersonal. Sie beschimpfte Mitbewohner, ohne daß Provokationen vorausgegangen wären, laufend mit groben Ausdrücken, spuckte aus, wenn sie an einer Gruppe vorbeiging und verbot den Mitbewohnern das Betreten von Gemeinschafts- und Gesellschaftsräumen, wenn sie sich dort aufhielt. Die betroffenen Mitbewohner brachten ihre Beschwerden gegen das Verhalten der Beklagten bei der Heimleitung vor. Die zuletzt auch schriftliche Aufforderung der Heimleitung, zur Vermeidung von Verstopfungen der Regenrinne das Füttern von Vögeln am Fenstervorsprung zu unterlassen, beantwortete die Beklagte durch Zurückschicken des Briefes an die Verwaltung unter Beifügung eines unflätigen Vermerkes. Sie "bombardierte" die Betreuungsstation und auch die Küche mit lautstarken Telefonaten und Beschwerden, die zumeist in Beschimpfungen und Verdächtigungen ausarteten, wobei sie sich nicht beschwichtigen ließ. Die Beklagte stellte übergebührliche Sonderwünsche, die das Pflegepersonal, das sie immer wieder verdächtigte, sie zu vergiften, bei der zu erledigenden Arbeit behinderten. Die Verwalterin begann im Winter 1991 die sich häufenden Vorfälle an Beschimpfungen von Mitpensionären, aggressiven Telefonaten, Verdächtigungen und Behinderungen des Personals schriftlich aufzuzeichnen. Bei mehrfachen, in regelmäßigen Abständen stattfindenden Gesprächen zur Entschärfung der Situation, bei denen teilweise auch die Tochter der Beklagten um Mithilfe zur Befriedung gebeten wurde, zeigte sich die Beklagte völlig uneinsichtig. Auf den Vorschlag, die Beklagte einer psychiatrischen Untersuchung zu unterziehen, was diese ablehnte, reagierte deren Tochter, die um Geltendmachung ihres Einflusses zur Besänftigung ihrer Mutter gebeten wurde, und selbst Ärztin ist, durch Übermittlung eines psychiatrischen Gutachtens.

Am 9.7.1992 übernahm die Beklagte einen eingeschriebenen Brief der klagenden Partei, in dem die Beklagte einträglich ersucht wurde, künftig sowohl ehrenrührige oder beleidigende Äußerungen gegen Personal und Mitpensionäre als auch unsinnige unbegründete Beschuldigungen zu unterlassen und die Heimordnung, die keine zusätzlichen Dienstleistungen des Personals ermögliche, einzuhalten. Die Beklagte wurde ausdrücklich darauf hingewiesen, daß mit ihr über den Austritt aus dem Pensionistenheim gesprochen werden müsse, wenn sie sich weiterhin über die Grundsätze des Zusammenlebens hinwegsetze. Die geschilderten Verhaltensweisen der Beklagten änderten sich auch nach Erhalt dieses Schreibens nicht, sie wurden vielmehr unvermindert fortgesetzt.

Mit Schreiben vom 24.5.1993 teilte der Rechtsvertreter der klagenden Partei der Beklagten mit, daß der bestehende Betreuungsvertrag zum 30.6.1993 aufgekündigt werde und die Beklagte bis zu diesem Termin verpflichtet sei, das benützte Appartement zu räumen. Nachdem der Rechtsvertreter der Beklagten schriftlich erklärt hatte, diese Kündigung nicht zu akzeptieren, brachte die klagende Partei am 3.8.1993 die Räumungsklage ein.

Rechtlich beurteilte das Erstgericht den Sachverhalt dahin, daß der abgeschlossene Heimplatzvertrag gemäß § 1 Abs 2 Z 1 MRG nicht den Bestimmungen dieses Gesetzes unterliege. Nach den einen Vertragsbestandteil bildenden Richtlinien (Heimordnung) könne von einem Pensionär, der trotz schriftlicher Mahnung sein ordnungswidriges Verhalten fortsetze, der sofortige Austritt verlangt werden. Die Verhaltensweisen der Beklagten durch fast drei Jahre seien grobe Verstöße gegen die Heimordnung, die die klagende Partei berechtigten, den Austritt der Beklagten aus dem Heim zu fordern.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten keine Folge. Der abgeschlossene Pensionsvertrag sei ein gemischter Vertrag, der Elemente eines Bestand-, Dienst- und Werkvertrages aufweise und mangels Anwendbarkeit des MRG als Dauerschuldverhältnis nach den dispositiven konkret vereinbarten Vertragsbeendigungsgründen aufgelöst werden könne. Die Voraussetzungen für eine sofortige Vertragsauflösung seien nach dem abgeschlossenen Vertrag (Heimordnung) zu prüfen. Das insbesondere gegen Mitbewohner festgestellte rücksichtslose Verhalten, das sich auch nach Erhalt einer eingeschriebenen Mahnung nicht geändert habe, rechtfertige die Vertragsauflösung.

Das Berufungsgericht sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes 50.000 S übersteige und die ordentliche Revision nicht zulässig sei, weil keine Rechtsfragen von erheblicher Bedeutung zu lösen gewesen seien.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil der Oberste Gerichtshof zur Qualifikation von Verträgen über den Aufenthalt in Pensionistenheimen, insbesondere zu deren möglicher Auflösung bisher noch nicht Stellung genommen hat und solche Verträge für eine steigende Anzahl alter Menschen über den Einzelfall hinaus Bedeutung zukommt. Die Revision ist aber im Ergebnis nicht berechtigt.

Verträge über die Aufnahme in ein Pensionistenheim sind in der Regel auf die entgeltliche Überlassung der Nutzung von Wohnräumen gerichtet, wobei sich der Betreiber der Einrichtung aber überdies zur Erbringung näher definierter sonstiger Dienst- und Betreuungsleistungen verpflichtet. Es liegt daher jedenfalls kein reiner Mietvertrag, sondern ein gemischtes Vertragsverhältnis vor. Nach dem klaren Wortlaut des § 1 Abs 2 Z 1 MRG (Mietgegenstände, die im Rahmen eines Betriebes eines Heimes.... für betagte Menschen vermietet werden) unterliegen solche Verträge nicht dem Mietrechtsgesetz, so daß die Auflösung eines solchen Dauerschuldverhältnisses grundsätzlich nach den dispositiven Bestimmungen des ABGB und damit im Rahmen der Vertragsfreiheit zu beurteilen wäre. Die immer mehr ansteigende Bedeutung von Pensionistenheimen, in denen betagte Menschen, die auf Unterstützung und Pflege zur Bewältigung ihres Alltages angewiesen sind, ihren Lebensabend verbringen, hat dazu geführt, daß gesetzliche Regelungen, die die vertragliche Beziehung zwischen Heimträger und Heimbewohner sowie die daraus resultierenden gegenseitigen Ansprüche näher definieren, gefordert wurden (vgl die Darstellung und Vorschläge de lege ferenda von Schauer in WoBl 1996, 52 und Granner/Barta, Betreuung und Wohnen im Alter JRP 1997, 86). Aufgrund eines Feststellungsantrages der Bundesregierung, nachdem ein Entwurf für ein Bundespflegeheimgesetz erstellt worden war, hat der Verfassungsgerichtshof erkannt, daß die im Entwurf geregelten Angelegenheiten in die Kompetenz der Länder fallen. Daraufhin haben einige Bundesländer Landesgesetze bzw eine Verordnung erlassen, nach denen das Verhältnis zwischen Heimträger und Heimbewohner entweder durch einen Heimvertrag zu regeln ist, für den gewisse Inhalte vorgegeben werden, oder bestimmte Bewohnerrechte zwingend für das Heimstatut, das als eine Art allgemeine Geschäftsbedingungen Vertragsbestandteil wird, vorgeschrieben werden. Alle Landesgesetze enthalten Bestimmungen über die Vertragsauflösung. Nach dem Steiermärkischen Pflegeheimgesetz LGBl 1994/108 kann der Heimträger den Vertrag nur aus wichtigen Gründen kündigen, die beispielsweise angeführt werden, darunter, wenn der Heimbewohner für den Heimbetrieb eine unzumutbare Belastung darstellt. Nach dem Burgenländischen Altenwohn- und Pflegeheimgesetz LGBl 1996/61 kann der Heimträger den Vertrag nur aus wichtigen Gründen kündigen, unter anderem, wenn der Heimbewohner wiederholt schwerwiegend gegen die vom Heimträger zu erlassende Hausordnung verstoßen hat. Die Alten- und Pflegeheimverordnung LGBl 1996/29 sieht eine Berechtigung des Heimträgers zur Kündigung wegen schwerwiegender Verstöße des Heimbewohners gegen Interessen des Heimträgers, anderer Heimbewohner oder des Personals vor. Schließlich normiert das Kärntner Heimgesetz LGBl 1996/7 eine Kündigungsmöglichkeit des Heimträgers nur aus wichtigen Gründen, unter anderem wenn sich der Bewohner, ohne daß dies durch Krankheit bedingt ist, fortgesetzt gemeinschaftswidrig verhält und dieses Verhalten für die Mitbewohner nicht mehr vertretbar ist.

Das Bundesland Wien (und die übrigen nicht genannten Bundesländer) hat bisher kein entsprechendes Gesetz erlassen, so daß grundsätzlich die vertraglichen und ergänzend die gesetzlichen Bestimmungen über die Auflösung eines solchen Vertrages zur Anwendung kommen. Allerdings müßte eine Heimordnung, die eine jederzeitige Auflösung des Dauerschuldverhältnisses durch den Heimträger ohne Vorliegen eines wichtigen Grundes oder auch schon bei geringfügigen Verletzungen der Heimordnung vorsieht, als der Natur, dem Zweck und der zu unterstellenden Parteiabsicht, den Heimplatz auf Lebenszeit, jedenfalls aber solange dies der Gesundheitszustand des Bewohners erlaubt, zur Verfügung zu stellen und in Anspruch zu nehmen, widersprechend als grob benachteiligend und sittenwidrig beurteilt werden. Es bedarf daher auch ohne ausdrückliche landesgesetzliche Regelung zur Auflösung eines Altenheimvertrages auf seiten des Heimträgers eines wichtigen Grundes.

Ein Verstoß eines Pensionärs gegen die Heimordnung oder gegen Anweisungen der Heimleitung trotz schriftlicher Mahnung, wie dies nach den hier vertraglich vereinbarten Richtlinien des K***** (Heimordnung) als vertraglich vereinbarter Grund für den Heimträger, "den sofortigen Austritt zu verlangen", vorgesehen ist, könnte daher nur dann für die Vertragsauflösung ausreichen, wenn nicht bloß eine geringfügige, wenn auch fortgesetzte Regelwidrigkeit oder Widersetzlichkeit gegen schikanöse Anordnungen vorliegt, sondern ein schwerwiegender Grund, der die Interessen der übrigen Heimbewohner oder des Heimbetriebes grob verletzt. Ein solches durch Jahre und auch noch nach schriftlicher Mahnung fortgesetztes Verhalten der Beklagten wurde von der klagenden Partei aber im vorliegenden Verfahren behauptet und auch festgestellt, so daß die Vertragsauflösung aus wichtigem Grund hier berechtigt ist.

Eine Auflösungserklärung kann als gelinderes Mittel auch in Form einer Kündigung ausgesprochen werden. Das Schreiben der klagenden Partei vom 24.5.1993 würde aber selbst den Vorschriften des § 1116 ABGB und § 560 ZPO über Kündigungsfristen und -termine entsprechen. Die Revision der Beklagten erweist sich daher im Ergebnis als nicht berechtigt.

Der Ausspruch über die Kosten der Revisionsbeantwortung beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.