JudikaturJustiz6Ob201/21h

6Ob201/21h – OGH Entscheidung

Entscheidung
22. Dezember 2021

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden, die Hofräte Univ. Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny, die Hofrätin Dr. Faber und den Hofrat Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei I* W*, vertreten durch die Pressl Endl Heinrich Bamberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, gegen die beklagte Partei L* W*, vertreten durch Mag. Andreas Hertl, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen 15.361,83 EUR sA und vertretbare Handlung, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Salzburg als Rekursgericht vom 23. September 2021, GZ 22 R 225/21y 12, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird gemäß § 526 Abs 2 Satz 1 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 528a iVm § 510 Abs 3 ZPO).

Text

Begründung:

[1] Im Vorprozess zog die Klägerin die am 12. 3. 2021 eingebrachte Klage noch vor Zustellung an die Beklagte mit Schriftsatz vom 15. 3. 2021 unter Anspruchsverzicht zurück, was das Erstgericht am selben Tag mit Beschluss zur Kenntnis nahm, den es lediglich der Klägerin zustellte. Ebenfalls noch am selben Tag langte ein Berichtigungsantrag der Klägerin beim Erstgericht ein, in dem sie vorbrachte, sie habe die Klagezurücknahme irrtümlich unter Anspruchsverzicht erklärt; tatsächlich habe sie die Klage ohne Anspruchsverzicht zurückziehen wollen, was sie hiermit erkläre. Mit Beschluss vom 22. 3. 2021 nahm das Erstgericht die Klagerücknahme ohne Anspruchsverzicht zur Kenntnis und stellte diesen Beschluss der Klägerin sowie der Beklagten (dieser auch die Klage, die Klagezurückziehung unter Anspruchsverzicht sowie den Berichtigungsantrag) zu. Den gegen diesen Beschluss gerichteten Rekurs der Beklagten wies das Rekursgericht mit Beschluss vom 27. 5. 2021 zurück.

[2] Im vorliegenden Verfahren stellt die Klägerin im Wesentlichen dasselbe Rechtsschutzbegehren wie im Vorprozess (mit dem einzigen Unterschied, dass das Zahlungsbegehren um 978,88 EUR wegen zweier weiterer geltend gemachter Monate an eingeklagter Mietzinsminderung höher als im Vorprozess ist).

[3] Das Erstgericht wies die Klage wegen des „Prozesshindernisses der Klagerücknahme unter Anspruchsverzicht“ zurück.

[4] Das Rekursgericht hob diesen Beschluss auf und trug dem Erstgericht die Fortsetzung des Verfahrens unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund auf. Es ließ den ordentlichen Revisionsrekurs nicht zu.

Rechtliche Beurteilung

[5] Der außerordentliche Revisionsrekurs der Beklagten zeigt keine erhebliche Rechtsfrage auf:

[6] Das Rekursgericht hat sich auf die Entscheidung 1 Ob 218/97h (= JBl 1998, 782 [zust Deixler Hübner ]) sowie Fasching ( Zivilprozessrecht² Rz 1540) gestützt. Nach dort vertretener Ansicht genießt bei zwei miteinander in unlösbarem Widerspruch stehenden materiell rechtskräftigen Entscheidungen die zweite, also die zeitlich spätere , den Vorrang; sie sistiert die Rechtskraft der Vorentscheidung. Begründet wird dies mit dem Wiederaufnahmegrund nach § 530 Abs 1 Z 6 ZPO, der bei anderer Sicht keinen Anwendungsbereich hätte (vgl ebenso Jelinek in Fasching/Konecny 3 IV/1 § 530 ZPO Rz 138 mit zahlreichen Literaturnachweisen in FN 251 und Klicka ebenda § 411 ZPO Rz 135).

[7] Gege n diese Ansicht kann der Revisionsrekurs nichts Stichhaltiges ins Treffen führen: Entgegen seinen Ausführungen kann weder der zitierten Entscheidung noch der Literatur entnommen werden, dass der genannte Grundsatz nur dann gälte, wenn die beiden miteinander in Widerspruch stehenden Entscheidungen in unterschie dlichen Verfahren gefällt wurden. Der Bindungskonflikt zwischen zwei widersprechenden Entscheidungen stellt sich genauso auch dann, wenn diese – wie hier – im selben Verfahren ergingen. Mag auch die jüngere Entscheidung im Vorprozess gegen den Grundsatz „ne bis in idem“ gefasst worden sein, so ändert dies nichts am Bestehen zweier rechtskräftiger widersprechender Entscheidungen.

[8] Angesichts der vom Rekursgericht zutreffend beurteilten Lösung des Bindungskonflikts der beiden einander widersprechenden Beschlüsse im Vorverfahren anhand der zitierten Entscheidung kommt es auf die Beantwortung der weiteren Frage, ab welchem Verfahrensstadium eine Klagezurückziehung unter Anspruchsverzicht gegenüber dem Beklagten Rechtswirkung entfaltet, nicht an.