JudikaturJustiz6Ob190/15g

6Ob190/15g – OGH Entscheidung

Entscheidung
23. Oktober 2015

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ. Prof. Dr. Kodek und durch die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Kodek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei G***** AG, *****, vertreten durch Dr. Wilhelm Schlein Rechtsanwalt GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei „G*****“ Gesellschaft mbH, *****, vertreten durch Ebert Huber Swoboda Oswald Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Aufkündigung, über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 1. April 2015, GZ 38 R 86/15a 22, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 22. Jänner 2015, GZ 43 C 162/14i-19, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Rekurs wird zurückgewiesen .

Die Klägerin hat die Kosten ihrer Rekursbeantwortung selbst zu tragen.

Text

Begründung:

Entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (vgl § 508a Abs 1 ZPO) Ausspruch des Berufungsgerichts ist der Rekurs an den Obersten Gerichtshof nicht zulässig:

Das Berufungsgericht hat seinen Zulässigkeitsausspruch damit begründet, es bestünden in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs unterschiedliche Ansichten zum Erfordernis des tatsächlichen Verständnisses eines Erklärungsempfängers (Erklärungsempfängerbewusstsein) für das Zustandekommen eines konkludenten Verzichts auf die Geltendmachung von Kündigungsgründen bei Bestandverträgen.

Die Beklagte ist seit 1952 Bestandnehmerin von Räumlichkeiten, in denen sie vereinbarungsgemäß ein Garagierungsunternehmen betreibt. Bereits im Jahr 2011 warf die klagende Bestandgeberin der Beklagten den Nichtbetrieb einer mechanischen Lüftungsanlage im Bestandobjekt vor; dies sei der Grund für Schäden im Zusammenhang mit der Durchfeuchtung des Objekts (Feuchtigkeitsschäden am Mauerwerk und am Verputz). Seit dem Jahr 2010 behing zunächst bei der Schlichtungsstelle und dann beim Bezirksgericht Innere Stadt Wien über Antrag der Beklagten ein Verfahren betreffend die Durchführung notwendiger Erhaltungsarbeiten am Bestandobjekt.

Das Erstgericht erachtete ohne Durchführung eines Beweisverfahrens die Aufkündigung der Klägerin vom 7. 7. 2014 für unwirksam. Die Klägerin habe durch das lange Zuwarten in Kenntnis des Kündigungsgrundes auf dessen Geltendmachung verzichtet. Das Berufungsgericht verwies die Rechtssache an das Erstgericht zurück; nach der Vertrauenstheorie sei für die Beurteilung eines stillschweigenden Verzichts der Empfängerhorizont maßgeblich, ob also die Beklagte einen Verzicht erschließen habe dürfen und auch erschlossen habe, wozu Feststellungen fehlten.

Rechtliche Beurteilung

1. Ein Verzicht auf die Geltendmachung eines Kündigungsgrundes darf nur angenommen werden, wenn der Vermieter die Kündigung trotz Kenntnis des rechtsbegründenden Sachverhalts ohne die Säumnis erklärende Gründe während längerer Zeit unterließ (stRsp, siehe bloß 1 Ob 68/03m); im Zweifel ist ein konkludenter Verzicht des Vermieters auf das Kündigungsrecht jedoch nicht anzunehmen (4 Ob 2050/96s). Bei Dauertatbeständen ist bei der Beurteilung, ob im Zuwarten mit der Kündigung ein Verzicht auf die Geltendmachung des Kündigungsgrundes erblickt werden kann, ein besonders strenger Maßstab anzulegen (stRsp, RIS-Justiz RS0014420; 9 Ob 16/08f SZ 2008/145; 1 Ob 254/00k).

2. Weder die vom Berufungsgericht als erheblich bezeichnete Rechtsfrage des Erklärungsempfängerverständnisses noch die von der Beklagten in ihrem Rekurs als solche bezeichnete Frage, „wie lange ein Vermieter mit dem Ausspruch der Kündigung zuwarten darf“, können losgelöst von konkreten Umständen des Einzelfalls beantwortet werden, woraus das Fehlen ihrer Qualifikation im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO folgt.

Dass wie das Erstgericht meinte ein Verzicht auf den geltend gemachten Kündigungsgrund bei der im vorliegenden Fall zu beurteilenden Situation nicht so ohne weiteres angenommen werden kann, zeigt jedoch ein Vergleich mit der Entscheidung 3 Ob 268/02m. Dort wurde nämlich klargestellt, dass der Umstand, dass die Vermieterin nicht sogleich eine Aufkündigung eingebracht, sondern mit Antrag bei der Schlichtungsstelle die Beseitigung vorgenommener Veränderungen am Bestandobjekt begehrt hatte, in keiner Weise als Tolerierung der vom Mieter vorgenommenen baulichen Maßnahmen und als Verzicht auf die Geltendmachung des Kündigungsgrundes des erheblich nachteiligen Gebrauchs angesehen werden konnte; im Gegenteil habe die Vermieterin damit klar zum Ausdruck gebracht, mit den vom Mieter eigenmächtig vorgenommenen baulichen Veränderungen nicht einverstanden zu sein. Auch wenn im vorliegenden Verfahren nicht die Klägerin als Bestandgeberin, sondern die Beklagte als Bestandnehmerin ein Verfahren betreffend die Durchführung notwendiger Erhaltungsarbeiten am Bestandobjekt einleitete, so brachte doch die Klägerin in diesem Verfahren klar zum Ausdruck, dass sie die Ursache für die eingetretenen Schäden ausschließlich der Sphäre der Beklagten zurechnete und deren Untätigkeit als gröbliche Vernachlässigung ihrer bestandrechtlichen Verpflichtungen ansah. Beim gebotenen strengen Maßstab, der an das Verhalten des Bestandgebers anzulegen ist (1 Ob 254/00k), kann somit ein konkludenter Verzicht der Klägerin auf den geltend gemachten Kündigungsgrund nicht erblickt werden.

3. Damit wird das Erstgericht im fortzusetzenden Verfahren die Berechtigung dieses Kündigungsgrundes zu prüfen und bei dieser Prüfung auch die Ergebnisse des zwischen den Parteien behängenden Verfahrens betreffend die Durchführung notwendiger Erhaltungsarbeiten am Bestandobjekt zu beachten haben. Inwieweit sich aus der zwischenzeitig ergangenen Entscheidung 5 Ob 143/14m eine maßgebliche Grundlage für die hier relevante Beurteilung einer Verletzung der Vertragspflichten durch die Beklagte ergibt, vermag der Rekurs nicht darzustellen.

4. Die Klägerin hat in der Rekursbeantwortung auf die Unzulässigkeit des Rekurses nicht hingewiesen. Der Schriftsatz ist daher nicht als zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendig anzusehen. Die Klägerin hat dessen Kosten selbst zu tragen.