JudikaturJustiz6Ob190/06v

6Ob190/06v – OGH Entscheidung

Entscheidung
09. November 2006

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Schenk sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler und Univ. Doz. Dr. Kodek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Andreas F*****, vertreten durch Dr. Wolfgang Putz, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. Mag. Dr. Hans F*****, 2. Erna F*****, beide *****, vertreten durch Mag. Dr. Karlheinz Klema, Rechtsanwalt in Wien, wegen Abberufung eines Geschäftsführers (Streitwert 14.534,56 EUR), über die Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 28. April 2006, GZ 4 R 272/05g-227, mit dem das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 16. August 2005, GZ 33 Cg 51/93m-221, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die Beklagten sind zur ungeteilten Hand schuldig, dem Kläger die mit 962,86 EUR (darin 160,47 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

Entgegen dem - den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) - Ausspruch des Berufungsgerichts ist die ordentliche Revision nicht zulässig:

Das Berufungsgericht hat seinen Zulässigkeitsausspruch damit begründet, es fehle Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage, ob der auf Abberufung eines Gesellschafter-Geschäftsführers einer Gesellschaft mbH klagende Mitgesellschafter durch seine Beteiligung an den dem Gesellschafter-Geschäftsführer vorgeworfenen Pflichtverletzungen oder zumindest durch seine Mitwisserschaft seines Abberufungsrechts verlustig geht.

Der Kläger (zu 25 %), der Erstbeklagte (zu 50 %) und die Zweitbeklagte (zu 25 %) sind die Gesellschafter der seit 1986 zu FN ***** im Firmenbuch eingetragenen Dr. F***** GmbH; der Kläger und der Erstbeklagte sind Brüder, die Beklagten sind miteinander verheiratet. Der Erstbeklagte ist seit 21. 6. 1990 Alleingeschäftsführer der Gesellschaft, zuvor waren beide Brüder handelsrechtliche Geschäftsführer.

Die Gesellschaft betrieb zunächst ein Restaurant in W*****. Im Spätsommer 1989 stellte der Kläger seine Tätigkeiten im Betrieb ein, seit 1. 3. 1994 ist das Unternehmen verpachtet. Das vorliegende Verfahren ist seit 28. 1. 1993 anhängig; am 18. 10. 1995 wurde dem Erstbeklagten mit einstweiliger Verfügung die Befugnis zur Geschäftsführung und Vertretung der Gesellschaft entzogen und verboten. Seit 4. 1. 1996 vertritt ein Rechtsanwalt die Gesellschaft als Notgeschäftsführer gemäß § 15a GmbHG.

Der Kläger begehrt die Abberufung des Erstbeklagten als Geschäftsführer und die gerichtliche Ersetzung der Zustimmung der Zweitbeklagten dazu. Der Erstbeklagte habe der Gesellschaft und den Mitgesellschaftern erheblichen Schaden zugefügt. Er habe von 1987 bis 1993 Umsatzerlöse von monatlich rund 200.000 S nicht deklariert und schließlich das Unternehmen zu äußerst ungünstigen Bedingungen verpachtet.

Die Beklagten halten dem entgegen, tatsächlich habe der Kläger selbst „Schwarzumsätze" getätigt; er habe auch hohe Beträge entnommen, um seinen aufwändigen Lebensstil finanzieren zu können. Davon habe der Erstbeklagte nichts gewusst. Der infolge Verpachtung erzielte Pachtzins von 35.000 S sei angemessen.

Das Berufungsgericht gab dem Klagebegehren statt. Die Abberufung eines Gesellschafter-Geschäftsführers setze gemäß § 16 Abs 2 GmbHG, §§ 117, 127 HGB einen wichtigen Grund voraus; ein solcher liege jedenfalls in einer groben Pflichtverletzung. Auch die Gefährdung der Belange der Gesellschaft sei beachtlich, ebenso der Umstand, dass die Beibehaltung der Geschäftsführertätigkeit für die anderen Gesellschafter unzumutbar ist. Abberufungsgründe seien die Unterlassung von für die Erreichung des Gesellschaftszwecks erforderlichen Tätigkeiten samt damit verbundener Schädigung der Gesellschaft, grobe Pflichtverletzungen bei der Buchführung wie etwa eine mangelhafte Führung des Kassabuchs, widerrechtliche Entnahmen und Schwarzverkäufe. Die vom Erstbeklagten vorgenommene Verschleierung von Schwarzumsätzen und das Fehlen von Aufzeichnungen des Rechnungswesens stellten daher jedenfalls grobe, die Abberufung rechtfertigende Pflichtverletzungen dar. Zwar sei bei dieser Entscheidung auf die Interessen aller und auch auf Verfehlungen der anderen Gesellschafter Bedacht zu nehmen; die Einhaltung der gesetzlichen Buchführungs- und Steuerverpflichtungen könne aber gesellschaftsvertraglich nicht abbedungen werden. An der Pflichtverletzung des Erstbeklagten ändere daher auch der Umstand nichts, dass der Kläger als Mitgesellschafter und seinerzeitiger (weiterer) Geschäftsführer von der unvollständigen Verbuchung von Umsätzen durch den Erstbeklagten wusste und diese Vorgangsweise zunächst auch billigte; es müsse einem Gesellschafter trotz eigener Verfehlungen unbenommen bleiben, dem rechtswidrigen Verhalten eines Mitgesellschafters Einhalt zu gebieten, käme doch eine Versagung des Abberufungsrechts einer Billigung des gesetzwidrigen und gesellschaftsschädigenden Verhaltens gleich. Im Übrigen sei gerade bei einer Familiengesellschaft auf die persönlichen Umstände Rücksicht zu nehmen; der Streit zwischen den Brüdern sei bereits 1990 ausgebrochen und habe zu einem so tiefgreifenden Zerwürfnis geführt, dass die Fortdauer der Geschäftsführertätigkeit des Erstbeklagten dem Kläger trotz eigenen Fehlverhaltens nicht mehr weiter zumutbar sei. Die Beklagten meinen in ihrer Revision, dem Kläger fehle es an der sittlichen Rechtfertigung seines Abberufungsbegehrens; ihm seien selbst schwerwiegende Malversationen vorzuwerfen. Von den hohen Entnahmen des Klägers habe der Erstbeklagte nichts gewusst, er habe sie auch nicht geduldet. Der Vorwurf der fehlenden Aufzeichnungen des Rechnungswesens sei unrichtig. Ein grobes Fehlverhalten des Erstbeklagten sei nicht gegeben gewesen. Bei der Interessenabwägung wäre auch zu berücksichtigen gewesen, dass der Erstbeklagte erhebliche Beträge für Steuernachzahlungen aufbrachte, während der Kläger die Gesellschaft im Stich gelassen habe.

Rechtliche Beurteilung

1. Nach § 16 Abs 2 GmbHG in Verbindung mit §§ 117, 127 HGB kann ein Gesellschafter-Geschäftsführer einer Gesellschaft mbH aus einem wichtigen Grund abberufen werden; ein solcher Grund ist insbesondere grobe Pflichtverletzung oder Unfähigkeit zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung.

Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ist ein

wichtiger Grund im Allgemeinen nur dann anzunehmen, wenn das weitere

Verbleiben des Gesellschafters in seiner Stellung als Geschäftsführer

nach den Umständen des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen

sämtlicher Gesellschafter den übrigen Gesellschaftern nicht mehr

zumutbar ist, weil die Fortdauer der Tätigkeit des betreffenden

Gesellschafter-Geschäftsführers die Belange der Gesellschaft

erheblich gefährden würde. Bei der Prüfung, ob ein ausreichender

Grund gegeben ist, ist auch auf das Verhalten der Mitgesellschafter

Bedacht zu nehmen, es ist also eine Gesamtschau vorzunehmen (4 Ob

507/90 = SZ 63/86 = ecolex 1990, 686 [Reich-Rohrwig/Thiery] = wbl

1990, 383 [Aicher]; 1 Ob 109/03s = RdW 2004/125 ua). Dass in diese

Gesamtschau - neben der bisherigen Tätigkeit des

Gesellschafter-Geschäftsführers und seinen allfälligen Verdiensten (4

Ob 507/90; U. Torggler/H. Torggler in Straube, HGB³ [2003] § 117 Rz

13 mwN) - das Verhalten der Mitgesellschafter miteinzubeziehen ist

und auch deren allfällige Verfehlungen zu berücksichtigen sind,

entspricht der herrschenden Auffassung (Neuwirth, Die Entziehung der

Geschäftsführungsbefugnis und Vertretungsmacht im Gesellschaftsrecht,

ÖJZ 1956, 289; Jabornegg in Jabornegg, HGB [1997] § 117 Abs 2; U.

Torggler/H. Torggler, aaO; Koppensteiner in Straube, HGB³ [2003] § 127 Rz 4; zum deutschen Recht vgl etwa Westermann, Personengesellschaften4 [1994] Rz 327; Emmerich in Heymann, HGB² [1996] § 117 Rz 7; Ulmer in GroßK HGB4 § 117 Rz 30; vgl auch 4 Ob 502/78 = GesRZ 1978, 170).

2. Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, dass etwa die mangelhafte Führung des Kassabuchs, widerrechtliche Entnahmen oder Schwarzverkäufe bzw Schwarzumsätze Pflichtverletzungen darstellen, die zur Abberufung eines Gesellschafter-Geschäftsführers führen können. Die Beklagten stellen dies in ihrer Revision auch nicht in Frage; sie bestreiten allerdings die sittliche Rechtfertigung eines Abberufungsbegehrens, wenn dem Mitgesellschafter selbst schwerwiegende „Malversationen" vorzuwerfen sind.

Dass derartige „Malversationen" bei Beurteilung der Frage, ob ein wichtiger Grund vorliegt, nicht unbeachtet bleiben können, wurde bereits dargelegt. Diese Frage ist aber nicht generell beantwortbar. Es kommt dabei nämlich auf Art und Schwere der Verfehlungen ebenso an wie auf den Umstand, inwieweit die Verfehlungen der einzelnen Mitgesellschafter in einem Verhältnis zueinander stehen, ob also etwa die Verfehlungen des einen Gesellschafters Verfehlungen eines anderen Gesellschafters ausgelöst, ermöglicht oder erleichtert haben. Insbesondere darf aber auch nicht außer Acht gelassen werden, dass es nicht nur um die Belange der Gesellschafter, sondern - wie bereits dargestellt - auch um jene der Gesellschaft geht. Die Auffassung des Berufungsgerichts, es müsse einem Gesellschafter trotz eigener Verfehlungen unbenommen bleiben, dem rechtswidrigen Verhalten eines Mitgesellschafters Einhalt zu gebieten, käme doch eine Versagung des Abberufungsrechts einer Billigung des gesetzwidrigen und gesellschaftsschädigenden Verhaltens gleich, begegnet daher jedenfalls dann keinen Bedenken des Obersten Gerichtshofs, wenn die Interessen der Gesellschaft selbst (neben jenen des Mitgesellschafters) durch das Verhalten des Gesellschafter-Geschäftsführers beeinträchtigt werden. Nach den Feststellungen der Vorinstanzen war der Erstbeklagte für das Rechnungswesen verantwortlich, er sollte die Grundaufzeichnungen ordnen, ein Kassabuch führen und die Unterlagen an den Steuerberater weiterleiten. Diesen Verpflichtungen ist er aber nicht nachgekommen. Er wusste von den Schwarzerlösen und damit der Unrichtigkeit der Grundaufzeichnungen. Diese Unrichtigkeiten führten zu falschen Abgabenerklärungen und in der Folge zu erheblichen Nachforderungen der Abgabenbehörden gegenüber der Gesellschaft. Damit wurden aber insbesondere deren Belange beeinträchtigt.

Die „Malversationen" des Klägers nehmen ihm daher nicht vor Vorneherein das Recht, die Abberufung des Erstbeklagten zu fordern. Die Frage, ob konkret ein „wichtiger Grund" gegeben ist, hängt aber so sehr von den Umständen des Einzelfalls ab, dass sie regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO bildet, der über den Einzelfall hinaus Bedeutung zukäme (1 Ob 109/03s mwN; 9 Ob 33/04z = RdW 2005/129).

3. Die Beklagten setzen sich in ihrer Revision ausführlich mit den Feststellungen der Vorinstanzen auseinander, die sie zum Teil für unrichtig, zum Teil für unvollständig halten. Sie erkennen dabei aber selbst, dass der Oberste Gerichtshof keine Tatsacheninstanz und an diese Feststellungen gebunden ist. Im Übrigen hat sich das Berufungsgericht ausführlich mit den von beiden Seiten erhobenen Feststellungsrügen auseinandergesetzt und die Feststellungen des Erstgerichts für unbedenklich angesehen. Eine nochmalige Überprüfung durch den Obersten Gerichtshof kommt nicht in Betracht. Es sei aber lediglich darauf verwiesen, dass das Erstgericht ganz deutlich zum Ausdruck gebracht hat, beide Brüder hätten von der Erzielung der Schwarzerlöse gewusst; es sah sich lediglich nicht in der Lage festzustellen, in welchem Ausmaß die beiden von den Schwarzumsätzen profitierten. Im Rahmen seiner Beweiswürdigung legte das Erstgericht auch dar, dass die beiden Brüder übereingekommen waren, den Gewinn aus dem Unternehmen zu teilen, wobei beiden bekannt war, dass Teile der erzielten Umsätze steuerlich nicht deklariert werden würden; dabei sei der Erstbeklagte in die Verschleierung der Schwarzerlöse aus buchhalterischer Sicht eingebunden gewesen. Die Brüder seien über die Höhe der Entnahmen aus dem Betrieb „in Uneinigkeit geraten". Wenn die Beklagten daher in der Revision dahin argumentieren, alleiniger Nutznießer der Schwarzerlöse sei der Kläger gewesen, der Erstbeklagte habe davon nicht einmal gewusst, entspricht dies nicht den Feststellungen der Vorinstanzen. Dies gilt auch für die Frage der Vollständigkeit des Rechnungswesens. Hier hat das Erstgericht die Mängel detailliert festgestellt.

Damit war aber die Revision zurückzuweisen.

Rechtssätze
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