JudikaturJustiz5Ob284/65

5Ob284/65 – OGH Entscheidung

Entscheidung
16. Dezember 1965

Kopf

SZ 38/221

Spruch

Zum Wahlrecht des Legatars beim Gattungsvermächtnis

Entscheidung vom 16. Dezember 1965, 5 Ob 284/65

I. Instanz: Landesgericht Feldkirch; II: Instanz: Oberlandesgericht Innsbruck

Text

Der Beklagte ist der Sohn, der Kläger der Neffe der am 7. September 1961, unter Hinterlassung eines Testamentes verstorbenen Witwe Berta X. In ihrem Testament vom 1. Mai 1959 setzte Berta X. den Beklagten zum Universalerben ein und bedachte verschiedene Personen, darunter den Kläger mit Vermächtnissen. Die letztwillige Verfügung zugunsten des Klägers - soweit sie hier in Betracht kommt - lautet: "Von der Wiese soll mein Neffe den Boden vom Stall gegen Lawinenwall 800 m2 für ein Häuschen erhalten, auch Weg und Wasser dazu ...". Mit Beschluß des Bezirksgerichtes M. vom 16. Mai 1963 wurde der Nachlaß nach Berta X. dem Beklagten eingeantwortet.

Das Vermächtnis zugunsten des Klägers wurde bisher noch nicht erfüllt, weil sich die Streitteile über die Lage des abzutretenden Grundstückes nicht einig sind. Der Kläger verlangt ein anderes Teilstück der Wiese als jenes, das ihm der Beklagte anbot.

Mit der vorliegenden Klage begehrte der Kläger, den Beklagten schuldig zu erkennen, ihm einen Bauplatz im Ausmaß von 800 m2 aus Gp. 4581/1 in EZ. X., "welcher so zwischen dem dort befindlichen Stall und dem Lawinenwall liegt, daß die Nordgrenze im Abstand des gesetzlichen Bauabstandes von 4 m von der Südseite des Stalles Gp. 1090/2 parallel zu dieser Südseite verläuft, im Westen die Grenzlinie zwischen Gp 4581/1 und 4582/1 und im Osten die Grenzlinie zwischen Gp. 4581/1 und Gp. 4633/1 (Weg) schneidet (im Lageplan des Vermessungsamtes vom 12. November 1964, Mappenblatt Nr. 41, rot eingezeichnet), daß die Westgrenze mit der Grenze der Gp. 4581/1 zur Gp. 4582/1 und die Ostgrenzen der Grenze zwischen Gp. 4581/1 und Gp. 4633/1 Weg zusammenfällt", lastenfrei ins Eigentum zu übertragen und alle Willenserklärungen und Unterschriften abzugeben bzw. zu erteilen, die zur Vermessung dieses Bauplatzes und zur grundbücherlichen Einverleibung des Eigentumsrechtes des Klägers daran erforderlich sind. Er stützt sich darauf, daß die von der Erblasserin bei der Aussetzung des Vermächtnisses gebrauchten Worte "gegen Lawinenwall" so zu verstehen seien, daß der gesamte 800 m2 umfassende Grund lawinengeschützt liegen müsse.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Das Prozeßgericht nahm als erwiesen an, daß die Erblasserin dem Kläger mit den Worten, er erhalte "von der Wiese ... den Boden vom Stall weg gegen Lawinenwall 800 m2 für ein Häuschen ..." ein zur Gänze lawinensicheres und in seiner ganzen Ausdehnung beliebig verbaubares Grundstück im örtlichen Bereich vom Stall zum Lawinenschutzwall vermachen wollte.

Rechtlich würdigte das Erstgericht den Sachverhalt dahin, daß der vom Kläger geltend gemachte Anspruch gerechtfertigt sei, da er dem Willen der Erblasserin entspreche.

Das Berufungsgericht übernahm die erstrichterlichen Feststellungen, bestätigte das Ersturteil und sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes 15.000 S übersteigt.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Beklagten nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

In seiner Rechtsrüge wendet sich der Beklagte gegen die Auffassung der Vorinstanzen, daß die Worte "von der Wiese den Boden vom Stall gegen Lawinenwall" überhaupt einer Auslegung bedürfen. Ihre wörtliche Auslegung ergebe, daß eine Erfüllung des Legates auf mehrfache Weise, darunter in der Art, wie der Beklagte dem Kläger das Grundstück angeboten habe, zulässig sei. Eine andere Auslegung sei im Hinblick auf den Wortlaut des Vermächtnisses ausgeschlossen.

Damit zeigt der Revisionswerber keine maßgeblichen Gesichtspunkte auf. Es trifft zwar zu, daß nach den Auslegungsregeln des § 655 ABGB. Worte auch bei Vermächtnissen in erster Linie in ihrer gewöhnlichen Bedeutung zu nehmen sind. Ergibt sich aber daraus, wie diesfalls, keine jeden Zweifel ausschließende Verfügung, dann unterliegt die Erklärung des letzten Willens nach Lehre und Rechtsprechung (Zeiller, Komm., Anm. 3 und 5 zu § 655 ABGB.; Weiss in Klang Komm.[2] III 530 zu § 655 ABGB.; Krasnopolski, Österr. Erbrecht, S. 120 ff.; Ehrenzweig System II/2 418; SZ. XXV 203; 6 Ob 273/61; 6 Ob 21/64 u. v. a) den für Willenserklärungen bei Rechtsgeschäften geltenden Regeln. Es ist also der wahre Wille des Erblassers zu erforschen. Hiebei stellt die letztwillige Anordnung nicht die einzige Quelle der Auslegung dar, sondern es sind auch außerhalb dieser Anordnung liegende Umstände aller Art, sonstige mündliche oder schriftliche Äußerungen sowie ausdrückliche oder konkludente Erklärungen des Erblassers zur Auslegung heranzuziehen. Allerdings muß diese in der letztwilligen Verfügung irgendeinen, wenn auch noch so geringen Anhaltspunkt finden und darf dem in der Verfügung völlig unzweideutig ausgedrückten Willen des Erblassers nicht geradezu zuwiderlaufen (SZ. XXV 203, 6 Ob 273/61). Letzteres trifft aber im vorliegenden Fall nicht zu, sodaß entgegen den Ausführungen des Revisionswerbers nicht davon gesprochen werden kann, daß ein von der letztwilligen Verfügung abweichendes Vermächtnis geschaffen werde.

Es darf aber, wie der Oberste Gerichtshof bereits wiederholt ausgesprochen hat (SZ. XXV 85 und 203, 6 Ob 273/61 u. v. a.) nicht außer acht gelassen werden, daß die nicht bloß aus dem Inhalt der letztwilligen Verfügung, sondern auch aus sonstigen Beweismitteln gewonnene Auslegung eine Feststellung des Bewußtseinsinhaltes des Erblassers zur Zeit, als er die Verfügung getroffen hat, somit eine Feststellung tatsächlicher Art darstellt, die im Revisionsverfahren nicht mehr bekämpft werden kann.

Beide Vorinstanzen sind mit Recht davon ausgegangen, daß die Verfügung der Erblasserin keinesfalls eine unmißverständliche Erklärung ihres letzten Willens darstellt, die einer anderen als der von dem Beklagten vertretenen Auslegung nicht zugänglich wäre. Sie mußten daher auf die Erforschung des wahren Willens der Erblasserin eingehen. Wenn daher das Erstgericht zu den oben wiedergegebenen Feststellungen gelangte und das Berufungsgericht sie übernahm, so steht für den Obersten Gerichtshof als Tatsache unüberprüfbar fest, daß die Erblasserin dem Kläger ein zur Gänze lawinensicheres und in seiner ganzen Ausdehnung beliebig verbaubares Grundstück im örtlichen Bereich von Stall und Lawinenschutzwall vermachen wollte.

Frei vom Rechtsirrtum ist auch die Auffassung der Vorinstanzen, daß ein unechtes Gattungsvermächtnis vorliegt, da an den bedachten Kläger eine nur der Gattung nach bestimmte Sache aus dem Nachlaß zu leisten ist (Weiss in Klang Komm.[2] III 535 Punkt III). Wem das Wahlrecht zusteht, regelt die Bestimmung des § 656 ABGB. Danach steht dem Erben die Wahl zu, falls der Erblasser eine oder mehrere Sachen von gewisser Gattung, aber ohne nähere Bestimmung vermacht, und falls mehrere solcher Sachen in der Verlassenschaft vorhanden sind. Das Wahlrecht kommt dem als durch die letztwillige Verfügung beschwerten und leistungspflichtigen Erben somit zu, wenn es ihm vom Erblasser in der letztwilligen Verfügung eingeräumt wurde oder wenn der Erblasser darüber nichts bestimmt hat (Weiss in Klang Komm.[2] III 539 Punkt 5; Ehrenzweig System II/2 546; Krasnopolski, Österr. Privatrecht V 123, 124). Der Erbe muß aber gemäß § 656 zweiter Satz ABGB. ein Stück wählen, wovon der Legatar Gebrauch machen kann. Dazu gehört auch die Auswahl eines Stückes, das dem Willen des Erblassers entspricht und durch welches das Vermächtnis erfüllt wird. Hat der Erbe eine Wahl getroffen, so kann er davon nicht mehr abgehen, weil in sinngemäßer Anwendung der Bestimmung des § 906 zweiter Satz ABGB. angenommen werden muß, daß die Befugnis zur Rechtsgestaltung durch die Wahlerklärung des Erben, wenn sie einmal erfolgt ist, verbraucht ist (Klang-Komm.[2] III 539 Punkt 5).

Entspricht aber die vom Erben getroffene Wahl nicht dem Willen des Erblassers, so geht, wie das Berufungsgericht zutreffend hervorhebt, das Recht auf den Bedachten über, der den Erben auf Leistung einer dem Willen des Erblassers entsprechenden Sache aus dem Nachlaß klagen kann (Weiss in Klang Komm.[2] III 539 Punkt 5). Dem Willen der Erblasserin entsprach diesfalls das vom Beklagten angebotene Grundstück nach seiner Lage nicht, sodaß der Anspruch des Klägers auf Übergabe eines zur Gänze lawinensicheren und in seiner ganzen Ausdehnung beliebig verbaubaren Grundstückes im örtlichen Bereich von Stall und Lawinenschutzwall zu bejahen ist.

Der Revision war somit der Erfolg zu versagen.