JudikaturJustiz5Ob2/21m

5Ob2/21m – OGH Entscheidung

Entscheidung
11. März 2021

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Grohmann, die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Painsi und Dr. Steger als weitere Richter in der wohnrechtlichen Außerstreitsache der Antragstellerin K***** GmbH, *****, vertreten durch Mag. Vinzenz Fröhlich, Dr. Maria Christina Kolar Syrmas, Dr. Armin Karisch, Rechtsanwälte in Graz, gegen die Antragsgegner 1. Mag. Dr. R*****, 2. DI W*****, vertreten durch Dr. Annemarie Stipanitz Schreiner, Dr. Judith Kolb, Rechtsanwältinnen in Graz, und die übrigen Mit- und Wohnungseigentümer der Liegenschaft EZ *****, KG *****, wegen § 52 Abs 1 Z 9 iVm § 32 Abs 6 WEG, über den Revisionsrekurs der Erst- und Zweitantragsgegner gegen den Sachbeschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Rekursgericht vom 8. Oktober 2020, GZ 5 R 88/20b 25, mit dem der Sachbeschluss des Bezirksgerichts Graz Ost vom 30. März 2020, GZ 220 MSch 9/18a 19, bestätigt wurde, den

Sach beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben .

Die Erst- und Zweitantragsgegner sind schuldig, der Antragstellerin die mit 551,86 EUR (darin enthalten 91,98 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsrekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

[1] Die Streitteile sind Miteigentümer einer Liegenschaft, an der Wohnungseigentum begründet ist. Die Antragstellerin ist zugleich Verwalterin der Liegenschaft. Darauf befinden sich zwei selbständige Gebäude mit eigenständigen Anschriften, unter denen eine gemeinsame Tiefgarage errichtet ist. Insgesamt befinden sich auf dieser Liegenschaft jedenfalls mehr als 50 Wohnungseigentumsobjekte. Die Vereinbarung zur Begründung von Wohnungseigentum wurde im Jahr 2008 unterfertigt. Im Wohnungseigentumsvertrag wurde vereinbart, dass für die beiden Gebäude sowie die darunter befindliche Tiefgarage je ein eigener Abrechnungskreis vorzusehen ist, sodass drei getrennte Abrechnungseinheiten vorliegen (Punkt XII.). Von der Möglichkeit, den einzelnen Abrechnungseinheiten korrespondierende Abstimmungseinheiten zuzuordnen, wurde nicht bewusst Abstand genommen; diese Möglichkeit wurde schlichtweg nicht bedacht.

[2] Die Antragstellerin begehrte, auf der Liegenschaft zu den vereinbarten Abrechnungseinheiten jeweils nur diese betreffende Abstimmungseinheiten festzulegen, sodass mit den Abrechnungseinheiten für das Gebäude 1, das Gebäude 2 sowie für die unter diesen beiden Gebäuden befindliche separate Tiefgarage getrennte Abstimmungseinheiten verbunden werden. Bei Abschluss des Wohnungseigentumsvertrags sei es verabsäumt worden, entsprechend den Abrechnungseinheiten auch abweichende Abstimmungseinheiten vorzusehen. Zur leichteren Handhabung der Verwaltung der Liegenschaft sowie zur Vermeidung von Streitigkeiten sei es geboten, die Abstimmungseinheiten den Abrechnungseinheiten nachzubilden.

[3] Am Verfahren haben sich auf der Seite der Antragsgegner nur die Erstantragsgegnerin und der Zweitantragsgegner beteiligt. Sie wendeten ein, die Vereinbarung abweichender Abrechnungseinheiten sei nach dem 1. 1. 2000 zustande gekommen, weswegen unterstellt werden müsse, dass die Wohnungseigentümer von der Möglichkeit, abweichende Abstimmungseinheiten mit den vereinbarten abweichenden Abrechnungseinheiten zu verbinden, bewusst Abstand genommen hätten. Drei Abstimmungseinheiten seien untunlich und würden die Verwaltung faktisch unmöglich machen. Die Antragstellerin sei nicht nur Verwalterin, sondern auch Mehrheitseigentümerin der Liegenschaft, weswegen zu befürchten sei, dass bei der Installierung von unterschiedlichen Abstimmungseinheiten die Verwaltung eines der Gebäude unterbleiben werde, weil der (gemeint: rechnerische) Anteil der Antragstellerin daran unter 10 % liege. Bei getrennten Abstimmungseinheiten könne sich die Antragstellerin in ihrer Funktion als Verwalterin der Beauftragung von notwendigen Arbeiten entziehen.

[4] Das Erstgericht gab dem Antrag statt. Die gerichtliche Festsetzung abweichender Abstimmungseinheiten gemäß § 32 Abs 6 WEG 2002 sei auch dann möglich, wenn die Wohnungseigentümer nach dem 1. 1. 2000 lediglich die Einrichtung abweichender Abrechnungseinheiten vereinbart haben, sofern nicht bewusst von der Einrichtung korrespondierender Abstimmungseinheiten abgesehen worden sei. Auf die Änderung der Nutzungsmöglichkeiten komme es in einem solchen Fall nicht an, weil der vom Gesetzgeber vorgesehene Gleichklang zwischen Abrechnungs- und Abstimmungseinheit erreicht werden solle. Der Einwand, in einem solchen Fall sei eine Erschwerung der Verwaltung zu befürchten, sei nicht nachvollziehbar.

[5] Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung. Bis zum 31. 12. 1999 habe keine Möglichkeit bestanden, (korrespondierend zu abweichende Abrechnungseinheiten) abweichende Abstimmungseinheiten festzulegen. Eine solche Möglichkeit sei mit § 19 Abs 3 WEG 1975 erst ab 1. 1. 2000 eröffnet worden. Für den Fall, dass durch die Mit- und Wohnungseigentümer vor dem 1. 1. 2000 eine von der Liegenschaft abweichende Abrechnungseinheit festgelegt worden sei, habe der Oberste Gerichtshof bereits ausgesprochen, dass die spätere Festlegung von mit diesen Abrechnungseinheiten korrespondierenden Abstimmungseinheiten durch gerichtliche Entscheidung gemäß § 32 Abs 6 WEG 2002 zulässig sei. Dies sei auch auf den vorliegenden Fall übertragbar, weil der Regelung des § 32 Abs 6 WEG 2002 die Intention zugrunde liege, dass es zu einem Gleichlauf von Abrechnungs- und Abstimmungseinheiten komme. Auf geänderte Nutzungsmöglichkeiten komme es nicht an, weil bei Abschluss des Wohnungseigentumsvertrags von der Möglichkeit der Schaffung von Abstimmungseinheiten nicht bewusst Abstand genommen worden, sondern diese Möglichkeit einfach nicht bedacht worden sei. Rechtsfolge (auch) unterschiedlicher Abstimmungseinheiten sei, dass es den jeweils betroffenen Wohnungseigentümern erleichtert wird, Mehrheitsbeschlüsse in Angelegenheiten zu fassen, welche (nur) diese abweichende Abrechnungseinheit betreffen und von der bestellten Hausverwalterin umzusetzen seien. Soweit die Erstantragsgegnerin und der Zweitantragsgegner dennoch Nachteile in der Verwaltung befürchten, weil die Antragstellerin auch Verwalterin des Hauses sei, sei darauf zu verweisen, dass das Wohnungseigentumsgesetz Rechtsfolgen vorsehe, wenn der Verwalter seinen Pflichten nicht nachkomme. Den Revisionsrekurs erklärte es für zulässig, weil zur gerichtlichen Festsetzung von getrennten Abstimmungseinheiten, wenn in einem nach dem 1. 1. 2000 abgeschlossenen Wohnungseigentumsvertrag bloß getrennte Abrechnungseinheiten vereinbart worden seien, noch Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs fehle.

Rechtliche Beurteilung

[6] Der von der Antragstellerin beantwortete Revisonsrekurs der Erstantragsgegnerin und des Zweitantragsgegners ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig; er ist aber nicht berechtigt.

[7] 1.1 Nach § 32 Abs 2 WEG können sämtliche Wohnungseigentümer einen von der allgemeinen Regelung des ersten Absatzes dieser Bestimmung abweichenden Aufteilungsschlüssel oder eine von der Liegenschaft abweichende Abrechnungseinheit festlegen; für die nur diese abweichende Abrechnungseinheit betreffenden Angelegenheiten kann auch eine von der Liegenschaft abweichende Abstimmungseinheit festgelegt werden. Auf Antrag eines Wohnungseigentümers kann das Gericht eine von der Liegenschaft abweichende Abrechnungseinheit festsetzen, wenn auf der Liegenschaft mehr als fünfzig Wohnungseigentumsobjekte oder eine gesondert abzurechnende Anlage, wie etwa eine Waschküche, ein Personenaufzug oder eine gemeinsame Wärmeversorgungsanlage, vorhanden sind. Eine solche Festsetzung ist ab der der Antragstellung nachfolgenden Abrechnungsperiode wirksam. Mit der Festsetzung einer abweichenden Abrechnungseinheit kann auch die Einrichtung einer von der Liegenschaft abweichenden Abstimmungseinheit für die nur diese Abrechnungseinheit betreffenden Angelegenheiten verbunden werden (§ 32 Abs 6 WEG).

[8] 1.2 Das Wohnungseigentum wurde im zeitlichen Anwendungsbereich des § 32 WEG begründet. Sämtliche Mit- und Wohnungseigentümer haben im Wohnungseigentumsvertrag (Punkt XII.) vereinbart, dass für die beiden auf der Liegenschaft errichteten Gebäude sowie die darunter liegende Tiefgarage je ein eigener Abrechnungskreis vorzusehen ist, sodass drei getrennte Abrechnungseinheiten vorliegen. Bei Abschluss dieser Vereinbarung wurde die Möglichkeit, die jeweiligen Abrechnungseinheiten mit nur dafür wirksamen Abstimmungseinheiten zu verbinden, nicht bedacht.

[9] 2.1 Ihrem Wortlaut nach sieht die Bestimmung des § 32 Abs 6 WEG die Einrichtung abweichender Abstimmungseinheiten nur im Zusammenhang mit der Festsetzung abweichender Abrechnungseinheiten vor. Danach kann das Gericht mit der Festsetzung einer abweichenden Abrechnungseinheit auch die Einrichtung einer abweichenden Abstimmungseinheit verbinden. Das ist hier schon deshalb nicht möglich, weil der Wohnungseigentumsvertrag bereits eine entsprechende Regelung über abweichende Abrechnungseinheiten vorsieht. Ein Abgehen von dieser Vereinbarung der Wohnungseigentümer nach § 32 Abs 2 WEG (und Neufestsetzung im Sinn des § 32 Abs 6 WEG) ist auch nicht Gegenstand des Verfahrens.

[10] 2.2 Die Möglichkeit, im Rahmen der Vereinbarung einer abweichenden Abrechnungseinheit auch abweichende Abstimmungseinheiten festzulegen, geht auf die Novellierung des § 19 Abs 2 WEG 1975 durch die WRN 1999 (BGBl I 1999/147) zurück, die mit 1. 1. 2000 in Kraft getreten ist. Für den Fall, dass die Mit- und Wohnungseigentümer einer Liegenschaft eine von der Liegenschaft abweichende Abrechnungseinheit bereits vor Inkrafttreten der WRN 1999 festgelegt hatten, also zu einer Zeit, in der die Vereinbarung abweichender Abstimmungseinheit gesetzlich noch nicht vorgesehen war, hat der Fachsenat bereits in der Entscheidung zu 5 Ob 133/12p die nachträgliche selbständige Einrichtung von mit den vereinbarten Abrechnungseinheiten korrespondierenden Abstimmungseinheiten durch gerichtliche Entscheidung nach § 32 Abs 6 WEG zugelassen. Dem lag insbesondere die Erwägung zugrunde, dass sich abweichende Abrechnungseinheiten ohne gleichzeitig und entsprechend eingerichtete, abweichende Abstimmungseinheiten in der Praxis regelmäßig nicht bewähren und der Gesetzgeber der WRN 1999 gerade die Kombination von Abrechnungs- und Abstimmungseinheit ermöglichen wollte.

[11] 2.3 Im vorliegenden Fall haben die Mit- und Wohnungseigentümer nur eine Vereinbarung über abweichende Abrechnungseinheiten getroffen, obwohl es ihnen grundsätzlich möglich gewesen wäre, dazu einvernehmlich gemäß § 32 Abs 2 WEG auch entsprechende Abstimmungseinheiten festzusetzen. Dazu steht jedoch fest, dass diese Möglichkeit bei Abschluss des Wohnungseigentumsvertrags nicht bedacht worden war. Damit kann dieser Vereinbarung auch nicht der Inhalt unterstellt werden, die Mit- und Wohnungseigentümer hätten von der Vereinbarung korrespondierender abweichender Abstimmungseinheiten bewusst Abstand genommen (vgl dazu Kothbauer in Böhm / Pletzer / Spruzina / Stabentheiner , GeKo Wohnrecht II § 32 WEG 2002 Rz 57). Eine (schlüssige) Vereinbarung des Inhalts, es sollten keine Abstimmungseinheiten eingerichtet werden, liegt nicht vor. Soweit die Revisionsrekurswerber vom Gegenteil ausgehen und für ihren Standpunkt die Vertragstreue in Anspruch nehmen, ignorieren sie den festgestellten Sachverhalt.

[12] 2.4 Auf eine wesentliche Änderung der Nutzungsmöglichkeiten kommt es bei dieser Sachlage nicht an (vgl dazu allgemein 5 Ob 53/07s; auch Würth / Zingher / Kovanyi , Miet- und Wohnrecht²³ § 32 WEG Rz 12 unter Verweis auf 5 Ob 133/12p).

[13] 3.1 Eine mit der schriftlichen Vereinbarung aller Mit- und Wohnungseigentümer nach § 32 Abs 2 WEG über die abweichenden Abrechnungseinheiten korrespondierende Einigung über die Einrichtung von Abstimmungseinheiten im Nachhinein ist zwar theoretisch möglich, in der Praxis jedoch schwer zu realisieren und kaum jemals zu erwarten (5 Ob 133/12p; Würth / Zingher / Kovanyi aaO § 32 WEG Rz 12). Ziel des Gesetzgebers war es, kleinere und überschaubare Abrechnungseinheiten zu ermöglichen, um die in Großanlagen auftretenden Probleme leichter beherrschbar zu machen ( Würth / Zingher / Kovanyi aaO Rz 13). Allein die von der Liegenschaft abweichenden Abrechnungseinheiten, ohne gleichzeitig entsprechend abweichende Abstimmungseinheiten einzurichten, bewähren sich in der Praxis aber regelmäßig nicht (vgl Call in wobl 2008/74 [Anm zu 5 Ob 53/07s]).

[14] 3.2 Absicht des Gesetzgebers der WRN 1999 war es, die Kombination aus korrespondierenden abweichenden Abrechnungs- und Abstimmungseinheiten zu ermöglichen (AB zur WRN 1999, 2056 BlgNR 20. GP 10). Dieser Gesetzeszweck lebt in der Bestimmung des § 32 Abs 2 und Abs 6 WEG 2002 fort. Ihm ist nach Ansicht des Fachsenats auch dann Rechnung zu tragen, wenn – wie im vorliegenden Fall – zwar im Wohnungseigentumsvertrag von der Liegenschaft abweichende Abrechnungseinheiten vereinbart wurden, die einvernehmliche Einrichtung von dazu korrespondierenden Abstimmungseinheiten aber nur deshalb unterblieb, weil eine solche Möglichkeit einfach nicht in Betracht gezogen worden ist, sie also nicht bedacht wurde. Anknüpfend an die tragenden Erwägungen der Entscheidung zu 5 Ob 133/12p ist die Festlegung korrespondierender Abstimmungseinheiten durch gerichtliche Entscheidung nach § 32 Abs 6 WEG daher auch dann zulässig, wenn eine Vereinbarung über abweichende Abrechnungseinheiten getroffen wurde, zugleich aber erwiesen ist, dass damit nicht auch von der Einrichtung korrespondierender Abstimmungseinheiten Abstand genommen werden sollte.

[15] 4.1 Die Voraussetzungen zur gerichtlichen Festsetzung gesonderter Abrechnungseinheiten (und damit der dazu korrespondierenden Abstimmungseinheiten) sind in formaler Hinsicht erfüllt. In Anbetracht des Umstands, dass sich zumindest die Erstantragsgegnerin und der Zweitantragsgegner der Einrichtung von Abstimmungseinheiten, deren Aufgabenkreis mit jenen Angelegenheiten beschränkt ist, die ausschließlich Angelegenheiten der jeweiligen, bereits bestehenden Abrechnungseinheiten betreffen (vgl 2056 BlgNR 20. GP 10), widersetzen, ist eine (einvernehmliche) Vereinbarung nicht zu erwarten. Damit ist die gerichtliche Festsetzung dieser Einheiten im Sinn des Begehrens der Antragstellerin sachgerecht.

[16] 4.2 Die Revisionsrekurswerber vermögen diesem Begehren inhaltlich auch nichts entgegenzusetzen. Warum bei Festlegung von Abstimmungseinheiten im begehrten Umfang die Verwaltung desjenigen Gebäudes unterbleiben sollte, an dem der rechnerische Anteil der Antragstellerin nach ihrer Darstellung unter 10 % liegt, ist nicht nachvollziehbar. Soweit sie befürchten, die Antragstellerin werde als Verwalterin der Liegenschaften ihre Pflichten vernachlässigen, wenn die von dieser begehrten Abstimmungseinheiten festgesetzt werden, hat sie bereits das Rekursgericht zutreffend auf die Bestimmung des § 21 Abs 3 WEG verwiesen.

[17] 5. Dem Revisionsrekurs ist damit ein Erfolg zu versagen.

[18] 6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 37 Abs 3 Z 17 MRG iVm § 52 Abs 2 WEG.