JudikaturJustiz4Ob94/20g

4Ob94/20g – OGH Entscheidung

Entscheidung
20. Oktober 2020

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Hon. Prof. Dr. Brenn, Priv. Doz. PD Dr. Rassi und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1) G* S*, und 2) Mag. S* S*, ebendort, beide vertreten durch Mag. Wolfgang Ruckenbauer, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Dr. G* Z*, vertreten durch Dr. Gernot Murko und andere Rechtsanwälte in Klagenfurt am Wörthersee, wegen 187.378 EUR sA und Feststellung (Streitwert 10.000 EUR), über die außerordentliche Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 17. April 2020, GZ 2 R 190/19g 105, mit dem das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt vom 11. September 2019, GZ 29 Cg 78/15m 100, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagenden Parteien sind schuldig, der beklagten Partei die mit 2.895,70 EUR (darin enthalten 482,62 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

[1] Die Kläger sind (unter anderem) zu je 127/864 Anteilen Miteigentümer an einer Liegenschaft in K*, mit denen Wohnungseigentum an der Wohnung W5 verbunden ist. Diese Wohnung ist durch einen Dachgeschossausbau entstanden, den die Beklagte aufgrund der baubehördlichen Bewilligung vom 24. Mai 2002 durchführen ließ. Die Fertigstellung des Dachgeschossausbaus wurde am 30. Mai 2005 der Baubehörde angezeigt. Mit Schreiben vom 6. Juni 2005 nahm die Baubehörde die Fertigstellung zur Kenntnis. In diesem Schreiben wurde ausgeführt:

„Nach Erstattung der Fertigstellungsanzeige und dem vollständigen Einlangen Ihrer Unterlagen darf Ihr Bauwerk nun benützt werden.“

[2] Mit Kaufvertrag vom 2. Juli 2008 verkaufte die Beklagte die Eigentumswohnung (samt den zugehörigen Liegenschaftsanteilen) um 428.000 EUR an die Kläger. Die Übergabe des Kaufobjekts an die Käufer erfolgte mit Unterfertigung des Kaufvertrags.

[3] Punkt V. des Kaufvertrags lautet:

„Die verkaufende Partei leistet keine Gewähr für eine bestimmte Beschaffenheit, Verwendbarkeit, ein bestimmtes Erträgnis, Ausmaß oder bestimmte Grenzen des Kaufobjekts, wohl aber haftet sie dafür, dass dasselbe frei von bücherlichen und außerbücherlichen Lasten in den bücherlichen Besitz der kaufenden Partei übergeht, ausgenommen die Vereinbarung über die Aufteilung der Aufwendungen gemäß § 32 WEG 2002 gemäß Pkt VI. des Wohnungseigentumsvertrags vom 13. April 2006. Die verkaufende Partei leistet jedoch Gewähr dafür, dass seitens der zuständigen Gemeinde oder sonstiger Behörden keine offenen Verfahren anhängig sind, keine zu erfüllenden Auflagen, Vorschreibungen u.ä. bestehen und dass der Kaufgegenstand nicht prozessverfangen ist.“

[4] Im August 2010 kam es zu einem Feuchtigkeitseintritt in den Dachboden. Im September 2012 meldete der Erstkläger der Hausverwaltung einen weiteren Vernässungsfleck. Der Dachausbau ist in bautechnischer Hinsicht mangelhaft ausgeführt. Für die Beseitigung der Mängel insbesondere an der Dachkonstruktion und der Dacheindeckung ist ein Kostenrahmen von rund 408.000 EUR brutto erforderlich. Der Beklagten waren die Mängel nicht bekannt.

[5] Mit der am 13. August 2015 eingebrachten Klage begehrten die Kläger die Zahlung von 187.378 EUR sA an Schadenersatz nach § 933a ABGB; zudem stellten sie ein Feststellungsbegehren. Die Beklagte habe für die festgestellten Mängel aus den Titeln der Gewährleistung und des Schadenersatzes einzustehen. Ein umfassender Gewährleistungsverzicht sei nicht vereinbart worden; dieser beziehe sich nur auf Mängel, die für die Käufer durch Besichtigung oder Informationsaufnahme erkennbar gewesen seien. Die Mängel an der Dachkonstruktion und der Dacheindeckung seien erst anlässlich der Befundaufnahme am 18. Oktober 2012 erkannt worden. Es handle sich daher um verdeckte Mängel. Das Verfahren zur Erteilung der Benützungsbewilligung sei weiterhin offen, weil es an der erforderlichen rechtskonformen Fertigstellungsanzeige mangle. Auch dafür habe die Beklagte einzustehen.

[6] Die Beklagte entgegnete, dass die Gewährleistung vertraglich ausgeschlossen worden sei. Im Übrigen seien die Ansprüche verjährt, weil zwischenzeitlich sieben Jahre nach Abschluss und Durchführung des Kaufvertrags verstrichen seien. Es sei auch kein behördliches Verfahren offen.

[7] Das Erstgericht wies das Klagebegehren zur Gänze ab. Die Baubehörde habe die Fertigstellung des Bauwerks am 6. Juni 2005 zur Kenntnis genommen. Daraus folge, dass die dreijährige Gewährleistungsfrist spätestens am 6. Juni 2008 abgelaufen sei. Außerdem sei eine Haftung der Beklagten wegen Mängel vertraglich ausgeschlossen worden.

[8] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Die Ansicht der Kläger, dass wegen der bestehenden Mängel keine vollständige Fertigstellungsanzeige vorliege, sei nicht zielführend; die Kläger versuchten dadurch, die (nach den Feststellungen bestehenden) Sachmängel in einen Rechtsmangel zu verkehren. Auch für ein mit (verdeckten) Sachmängeln behaftetes Bauwerk, für das Gewähr zu leisten sei, könne gemäß § 30 Abs 1 NÖ BauO die Fertigstellung angezeigt werden, ohne dass dies eine unvollständige Fertigstellungsanzeige bewirke. Da weder ein baurechtliches Verfahren noch ein anderes Verfahren anhängig sei, liege kein Rechtsmangel vor, für den die Beklagte Gewähr zu leisten hätte. In Bezug auf Sachmängel seien die geltend gemachten Ansprüche verjährt. Gemäß § 933 Abs 1 ABGB beginne die hier dreijährige Verjährungsfrist mit dem Tag der Ablieferung der Sache. Nach der Rechtsprechung gelte dies auch für verdeckte Mängel. Im Anlassfall habe die Übergabe am 2. Juli 2008 stattgefunden. Die ordentliche Revision sei nicht zulässig, weil keine erhebliche Rechtsfrage zu lösen gewesen sei.

[9] Gegen diese Entscheidung richtet sich die außerordentliche Revision der Kläger, die auf eine Stattgebung des Klagebegehrens abzielt.

[10] Mit ihrer – vom Obersten Gerichtshof freigestellten – Revisionsbeantwortung beantragt die Beklagte, die Revision der Gegenseite zurückzuweisen, in eventu, dieser den Erfolg zu versagen.

Rechtliche Beurteilung

[11] Entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruch des Berufungsgerichts ist die Revision zulässig, weil zu den haftungsrechtlichen Wirkungen einer baurechtlichen Fertigstellungsanzeige eine Klarstellung durch den Obersten Gerichtshof geboten erscheint. Die Revision ist aber nicht berechtigt.

[12] I. Zu den geltend gemachten Sachmängeln:

[13] 1. Das von den Klägern geltend gemachte Schadenersatzbegehren auf Ersatz des Deckungskapitals zur Behebung der Sachmängel als Mangelschäden hat das Berufungsgericht wegen Verjährung abgewiesen und dazu beurteilt, dass die hier maßgebende dreijährige Verjährungsfrist schon vor Einbringung der Klage abgelaufen gewesen sei, weil diese Frist – auch für verdeckte Sachmängel – mit dem Tag der Übergabe der Wohnung begonnen habe.

[14] Dazu führen die Kläger in der Revision nur aus, dass ihnen die in Rede stehenden Mängel erst durch Einholung eines (außergerichtlichen) Sachverständigengutachtens im Oktober 2012 zur Kenntnis gelangt seien, weshalb sie die Klage innerhalb der Verjährungsfrist erhoben hätten.

[15] Auf die Begründung des Berufungsgerichts zum Beginn der dreijährigen Verjährungsfrist nach § 933 Abs 1 ABGB gehen die Kläger in ihrem Rechtsmittel nicht ein. Damit treten sie der Abweisung des Begehrens wegen der geltend gemachten Sachmängel nicht mit tauglichen Argumenten entgegen.

[16] II. Zur vertraglichen Haftungsklausel für offene behördliche Verfahren:

[17] 2. Die (Haupt-)Argumentation der Kläger in der Revision bezieht sich auf die vertragliche „Haftungsklausel“, wonach die Verkäuferin dafür Gewähr zu leisten hat, dass in Bezug auf den Kaufgegenstand keine offenen behördlichen Verfahren anhängig sind und keine zu erfüllenden Auflagen oder Vorschreibungen bestehen. Dazu meinen sie, dass bei Vorliegen von Sachmängeln die baurechtliche Fertigstellungsanzeige nach § 30 NÖ BauO nicht ordnungsgemäß und daher nicht vollständig sei und gemäß Abs 4 leg cit als nicht abgegeben gelte, weshalb das Verfahren über die Berechtigung der Benützung der Wohnung noch offen sei.

[18] 3.1 Die Reichweite der „Haftungsklausel“ in Punkt V. des Kaufvertrags ist durch Auslegung zu bestimmen. Mit der Wendung „keine offenen behördlichen Verfahren, keine zu erfüllenden Auflagen, Vorschreibungen u.ä.“ , soll bei verständiger Betrachtung nach dem objektiven Erklärungswert ausgedrückt werden, dass die Beklagte dafür einzustehen hat, dass kein behördliches Verfahren anhängig ist, in dem ein Bescheid oder ein behördlicher Auftrag ergehen kann, der sich auf die Ausführung oder die Verwendung des Bauwerks auswirkt.

[19] 3.2 § 30 NÖ BauO lautet auszugsweise:

„(1) Ist ein bewilligtes Bauvorhaben (§ 23) fertiggestellt, hat der Bauherr dies der Baubehörde anzuzeigen.

(2) Der Anzeige nach Abs 1 sind anzuschließen:

...

Z 3: Eine Bescheinigung des Bauführers (§ 25 Abs 2) ... über die bewilligungsgemäße Ausführung (auch Eigenleistung) des Bauwerks;

...

(4) Ist die Fertigstellungsanzeige nicht vollständig, gilt sie als nicht erstattet.

...“

[20] Nach dem eindeutigen Wortlaut bezieht sich die Fertigstellungsanzeige auf den Umstand der Fertigstellung des Bauwerks und auf dessen bewilligungsgemäße Ausführung. Die Fertigstellungsanzeige ist demnach nur an die Fertigstellung des Bauwerks, also an den Abschluss der Bauführung geknüpft. Diese ist dann als vollendet anzusehen, wenn das Gebäude nach außen abgeschlossen ist und alle bauplanmäßigen konstruktiven Merkmale verwirklicht wurden (LVwG NÖ-AV 377/001 2018 unter Hinweis auf VwGH Zl 96/05/0188, 99/05/0196, 2002/06/0130 und 2003/06/0067). Die Bescheinigung des Bauführers bezieht sich darauf, dass das Bauwerk plan- und bescheidgemäß errichtet wurde (vgl 8 Ob 116/16s).

[21] 3.3 Der von den Klägern ins Treffen geführte Abs 4 leg cit bezieht sich auf die Vollständigkeit der anzuschließenden Unterlagen nach Abs 2 leg cit. Dementsprechend wird in den Gesetzesmaterialien zu Abs 4 ausgeführt, dass eine vollständig und ordnungsgemäß belegte Fertigstellungsanzeige das Recht auf die Benützung des Bauwerks nach sich zieht (vgl Riegler/Koizar , NÖ BauO 4 § 30 Rz 10). In diesem Sinn wird auch im Schreiben der Baubehörde vom 6. Juni 2005 ausgeführt, dass nach Erstattung der Fertigstellungsanzeige und dem vollständigen Einlagen der Unterlagen das Bauwerk benützt werden darf.

[22] Eine aus baurechtlicher Sicht vollständige Fertigstellungsanzeige hat zur Folge, dass das Bauwerk nach Maßgabe der Bauvorschriften zulässigerweise benützt werden darf; ein Benützungsbewilligungsbescheid ist nach der NÖ BauO nicht vorgesehen. Hingegen hat die Mängelfreiheit des Bauwerks nach Gewährleistungsrecht oder damit im Zusammenhang stehendem Schadenersatzrecht für die Fertigstellungsanzeige keine Bedeutung. Allgemein beziehen sich die öffentlich-rechtlichen Bauvorschriften grundsätzlich nur auf das Verhältnis und die Verantwortung des Bauherrn gegenüber der Baubehörde und die Wahrung des öffentlichen Interesses (vgl 8 Ob 95/16b). Eine zivilrechtliche Haftung kommt allenfalls dann in Betracht, wenn eine konkrete öffentlich-rechtliche Norm als Schutzgesetz nach § 1311 ABGB qualifiziert wird (vgl RS0087587). Derartiges steht hier allerdings nicht in Frage.

[23] 3.4 Ausgehend von diesen Grundsätzen ist die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass auch für ein mit Sachmängeln behaftetes Bauwerk die Fertigstellung nach § 30 Abs 1 NÖ BauO angezeigt werden kann, ohne dass dies im Sinn des Abs 4 leg cit zu einer unvollständigen Fertigstellungsanzeige führt, nicht zu beanstanden.

[24] Da hier eine Fertigstellungsanzeige erfolgt ist, die Baubehörde dies zur Kenntnis genommen und die Vollständigkeit der Unterlagen bestätigt hat und nach der NÖ BauO kein Benützungsbewilligungsbescheid vorgesehen ist, ist im Anlassfall kein behördliches Verfahren mehr offen. Das Bauverfahren selbst war bereits durch die Erteilung der Baubewilligung abgeschlossen (LVwG NÖ-S 2210/001 2019 unter Hinweis auf VwGH Zl 0639/74).

[25] Damit ist auch die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass weder ein baurechtliches Verfahren noch ein anderes Verfahren anhängig ist, für das die Beklagte Gewähr zu leisten hätte, zutreffend. Anders wäre die Sachlage etwa dann, wenn die Baubehörde ein Verfahren zur Erlassung eines Sanierungs- oder Beseitigungsbescheids oder eines Untersagungsbescheids betreffend die Benützung des Bauwerks führen oder Auflagen erteilen würde.

[26] 4. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass das Vorliegen von Sachmängeln an einem Bauwerk und deren Geltendmachung für sich allein die Fertigstellungsanzeige nach § 30 NÖ BauO nicht hindern und dass nach Erstattung einer formell vollständigen Fertigstellungsanzeige im Regelfall kein baubehördliches Verfahren mehr anhängig ist.

[27] Die Vorinstanzen haben damit auch das auf die vertragliche „Haftungsklausel“ gestützte Begehren der Kläger zu Recht abgewiesen. Der Revision war daher der Erfolg zu versagen.

[28] Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.