JudikaturJustiz4Ob82/16m

4Ob82/16m – OGH Entscheidung

Entscheidung
26. September 2016

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Jensik, Dr. Musger, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Rassi als weitere Richter in der Rechtssache des Klägers W***** W*****, vertreten durch Dr. Karin Wessely, Rechtsanwältin in Wien, gegen die Beklagte F***** P*****, vertreten durch Mag. Karl Moser, Rechtsanwalt in Wien, wegen Unterhalts, über die Revision der Beklagten (Revisionsinteresse 1.800 EUR) gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 21. Jänner 2016, GZ 43 R 658/15f 35, womit das Urteil des Bezirksgerichts Leopoldstadt vom 11. November 2015, GZ 42 C 8/14y 30, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass das Urteil wie folgt zu lauten hat:

„1. Die Beklagte ist schuldig, dem Kläger binnen 14 Tagen an Unterhaltsrückstand für die Zeit ab 11. 7. 2014 bis 31. 3. 2015 einen Betrag von 1.020,94 EUR samt 4 % Zinsen seit 1. 4. 2015 sowie ab 1. 4. 2015 einen monatlichen Unterhalt von 131,46 EUR jeweils am Ersten eines jeden Monats samt 4 % Zinsen ab jeweiliger Fälligkeit zu zahlen.

2. Das Mehrbegehren, die Beklagte sei schuldig, dem Kläger an Unterhaltsrückstand für die Zeit vom 1. 12. 2013 bis 31. 3. 2015 weitere 5.549,14 EUR samt 4 % Zinsen aus 5.409,48 EUR seit 1. 4. 2015 sowie ab 1. 4. 2015 einen monatlichen Unterhalt von weiteren 278,54 EUR zu zahlen, wird abgewiesen.

3. Die Verfahrenskosten erster Instanz werden gegenseitig aufgehoben.

4. Die Beklagte haftet dem Bund gemäß § 70 ZPO für jene Barauslagen, von deren Entrichtung der Kläger gemäß § 64 Abs 1 Z 1 ZPO einstweilen befreit wurde (Pauschalgebühr).

5. Der Kläger ist schuldig, der Beklagten die mit 1.004,19 EUR (darin 144,53 EUR USt und 137 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.“

Text

Entscheidungsgründe:

Die Ehe der Streitteile wurde im Jahr 1989 aus dem alleinigen Verschulden der Beklagten geschieden.

Die 1954 geborene Beklagte bezog vor ihrer Pensionierung im Februar 2014 rund ein Jahr lang AMS Unterstützung. Davor hatte sie langjährig in einer Buchhandlung gearbeitet. Die durchschnittliche Monatsnettopension der Beklagten betrug im Jahr 2015 1.159,17 EUR.

Der 1947 geborene Kläger arbeitete bis zum Tod seines Vaters – somit bis zu seinem 41. Lebensjahr – unregelmäßig im Weinbaubetrieb seines Vaters, ohne sozialversichert zu sein. Nach der Scheidung verrichtete er nur Gelegenheitsarbeiten bzw lebte zehn Jahre lang vom Erbe seines Vaters. Anschließend bezog er Sozialhilfe und ab 2011 eine Berufsunfähigkeitspension. Diese betrug ab Februar 2014 monatlich netto 269,71 EUR, abzüglich eines Krankenversicherungsbeitrags von 31,31 EUR und zuzüglich einer Ausgleichszulage von 344,16 EUR. In diesem Jahr zog die Pensionsversicherungsanstalt als anrechenbare Unterhaltsleistung der Beklagten einen Betrag von 243,86 EUR heran. Mit Bescheid der Landesbehörde vom 5. 1. 2015 wurde dem Kläger bis 31. 10. 2015 Mindestsicherung von 231,43 EUR monatlich zuerkannt.

Der Kläger begehrt von der Beklagten (soweit im Revisionsverfahren noch relevant) Unterhalt nach § 66 EheG in Höhe von 40 % des gemeinsamen Einkommens minus Eigeneinkommen, welche Forderung er nach mehreren Klagseinschränkungen und -ausdehnungen wie folgt bezifferte: 6.570,08 EUR als Rückstand bis 31. 3. 2015 und monatlich 410 EUR ab 1. 4. 2015.

Die Beklagte wendete unter anderem ein, eine nach § 66 EheG bemessene Unterhaltsleistung an den Kläger würde ihren eigenen angemessenen Unterhalt gefährden und zum unbilligen Ergebnis führen, dass dem Kläger, der im Gegensatz zu ihr offensichtlich nie dazu bereit gewesen sei, selbst zu arbeiten, unter Berücksichtigung der ihm zugebilligten Ausgleichszulage ein höheres Einkommen zur Verfügung stünde als der Beklagten.

Das Erstgericht sprach dem Kläger für die Zeit vom 11. 7. 2014 (Klagszustellung) bis 31. 3. 2015 einen Betrag von 2.331,36 EUR sA an rückständigem Unterhalt sowie ab 1. 4. 2015 einen monatlichen Unterhalt von 281,46 EUR zu und wies das Mehrbegehren ab. Für die Ermittlung der Höhe des Unterhalts seien die Einkommensverhältnisse der Parteien heranzuziehen. Mindestsicherung und Ausgleichszulage zählten nicht zum anrechenbaren Eigeneinkommen des Klägers. Die Parteien bezogen im Jahr 2014 ein monatliches Gesamteinkommen von 1.406,33 EUR. 40 % dieses Betrags minus dem Eigeneinkommen des Klägers ergebe einen monatlichen Unterhaltsbetrag von 263,92 EUR. Abgezogen vom monatlichen Durchschnittseinkommen der Beklagten verbliebe ihr für Juli 2014 975,76 EUR und für August bis Dezember 2014 jeweils 843,80 EUR. Im Jahr 2015 bezogen die Parteien ein monatliches Gesamteinkommen von 1.462,85 EUR. 40 % dieses Betrags minus dem Eigeneinkommen des Klägers ergebe einen monatlichen Unterhaltsbetrag von 281,46 EUR. Abgezogen vom monatlichen Durchschnittseinkommen der Beklagten verblieben ihr im Jahr 2015 monatlich jeweils 877,71 EUR.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten, mit welcher diese eine Kürzung des Unterhaltsrückstands auf 1.020,94 EUR und des monatlichen Unterhalts auf 131,46 EUR beantragte (Entscheidungs-gegenstand somit 5.400 EUR), nicht Folge und sprach aus, dass die ordentliche Revision zur Frage, ob der Bestand „sonstiger Verpflichtungen“ im Sinn des § 67 Abs 1 EheG als eine Bedingung des Billigkeitsanspruchs oder bloß als eine Determinante der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des geldunterhaltspflichtigen Ehegatten zu werten sei, zulässig sei. Das Berufungsgericht hielt die erste Variante für zutreffend, sodass – in Ermangelung von Verpflichtungen der Beklagten im Sinn der genannten Gesetzesstelle – eine Kürzung des Prozentunterhalts nach Billigkeit nicht in Betracht komme. Zur Einwendung der Beklagten, dass die Bedürftigkeit des Klägers selbst verschuldet sei, führte das Berufungsgericht aus, dass die Arbeitsunfähigkeit unverschuldet sei, was durch den Pensionsbezug dokumentiert werde. Bezogen auf den hier maßgeblichen Unterhaltsbemessungszeitraum entfalle daher eine Beschränkung auf den notdürftigen Unterhalt, und diesbezüglich sei auch eine Anspannung des Klägers auf jegliches Erwerbseinkommen ausgeschlossen.

Mit ihrer Revision wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung beantragt die Beklagte (wie schon in der Berufung), den geschuldeten Unterhaltsrückstand auf 1.020,94 EUR und den monatlichen Unterhalt auf 131,46 EUR zu kürzen. Müsste die Beklagte den von den Vorinstanzen aufgetragenen Unterhalt leisten, blieben ihr von ihren monatlichen Bezügen nur Beträge, die unter dem jeweiligen Ausgleichszulagenrichtsatz (AZR) bzw ab 2015 nur knapp darüber lägen (2014: 843,80 EUR Restbetrag gegenüber 857,73 EUR AZR; 2015: 877,71 EUR Restbetrag gegenüber 872,31 EUR AZR), sodass ihr eigener angemessene Unterhalt nicht erreicht werde. Auch sei die Ursache der Bedürftigkeit des Unterhaltszahlungen fordernden Klägers (seine Arbeitsscheu) in die Billigkeitserwägungen einzubeziehen.

Der Kläger beantragte in seiner Revisionsbeantwortung , „die Anträge der Beklagten … abzuweisen“.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig ; sie ist auch berechtigt .

1.1. Gemäß § 66 EheG hat der allein oder überwiegend schuldige Ehegatte dem anderen, soweit dessen Einkünfte aus Vermögen und die Erträgnisse einer Erwerbstätigkeit, die von ihm den Umständen nach erwartet werden kann, nicht ausreichen, den nach den Lebensverhältnissen der Ehegatten angemessenen Unterhalt zu gewähren.

1.2. Der Unterhaltsanspruch des verdienenden Geschiedenen beträgt grundsätzlich 40 % des gemeinsamen Einkommens abzüglich des eigenen Einkommens ( Gitschthaler in Gitschthaler/Höllwerth , Ehe und Partnerschaftsrecht – EuPR [2011] § 66 EheG Rz 10 mwN).

1.3. Würde der allein oder überwiegend schuldige Ehegatte durch Gewährung des im § 66 EheG bestimmten Unterhalts bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen den eigenen angemessenen Unterhalt gefährden, so hat er gemäß § 67 Abs 1 Satz 1 EheG nur so viel zu leisten, als es mit Rücksicht auf die Bedürfnisse und die Vermögens- und Erwerbsverhältnisse der geschiedenen Ehegatten der Billigkeit entspricht.

2.1. Der Wortlaut des § 67 Abs 1 Satz 1 EheG lässt sowohl die Auslegung zu, dass die Wortfolge „bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen“ eine Bedingung des Billigkeitsanspruchs statuiert, als auch die Auslegung, sie sei als bloße Determinante der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des geldunterhalts-pflichtigen geschiedenen Ehegatten zu verstehen.

2.2. Im Schrifttum werden beide Auslegungsvarianten vertreten.

2.2.1. Nach Volkmar/Antoni , Großdeutsches Eherecht [1939] § 67 Anm 3, 261 (vgl auch Maßfeller , Das neue Ehegesetz [1938], § 67 Anm 3; Rilk , Das neue Eherecht [1938] § 67 Anm 3), kommt die Herabsetzung auf einen Billigkeitsunterhalt nur dann in Betracht, wenn den Verpflichteten außer der Unterhaltspflicht noch andere Verbindlichkeiten treffen und wenn infolge des Zusammentreffens dieser verschiedenartigen Verbindlichkeiten eine Gefährdung des eigenen angemessenen Unterhalts des Verpflichteten eintritt. Sei dies nicht der Fall, so sei für die Bemessung des Unterhalts ausschließlich § 66 EheG maßgebend (so auch Hoffmann/Stephan , dtEheG [1950] § 59 Anm 2, 293). Zankl/Mondel (in Schwimann/Kodek , ABGB Praxiskommentar 4 § 67 Rz 2), die sich auf die genannten Literaturstellen berufen, vertreten ebenfalls, dass § 67 EheG nur unter der Voraussetzung anzuwenden sei, dass zu der Unterhaltspflicht gegenüber dem geschiedenen Ehegatten weitere Verpflichtungen hinzutreten und gerade dadurch der eigene angemessene Unterhalt des Verpflichteten gefährdet werde (zustimmend auch Gitschthaler in Gitschthaler/Höllwerth , EuPR § 67 Rz 4; vgl auch Feil/Marent , Familienrecht § 63 EheG Rz 3; Feil , Ehegesetz § 67 Rz 1). Gitschthaler verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass die Berücksichtigung der sonstigen Verpflichtungen ohnehin dem allgemeinen Grundsatz entspreche, wonach konkurrierende Sorgepflichten und bestimmte Abzugsposten von der Unterhaltsbemessungs-grundlage bei der Unterhaltsbemessung zu berücksichtigen seien.

2.2.2. Nach Schwind (in Klang 2 I, 878) kann die Verkürzung der Angemessenheit des Unterhalts des Verpflichteten bereits aus der Relation zwischen seinen durch die Unterhaltspflicht gekürzten Mitteln und seinen Bedürfnissen entstehen. Auch Hirsch (Der Billigkeitsbegriff im nachehelichen Unterhaltsrecht, JBl 2008, 545 [546]) hält ein nach § 67 EheG mögliches Abgehen von dem nach § 66 EheG bestimmten Unterhalt bereits dann für geboten, wenn der verpflichtete Ehegatte „dadurch“ seinen angemessenen Unterhalt gefährden würde. Ähnlich vertreten Hopf/Kathrein (Eherecht, § 67 EheG Rz 1), dass § 67 EheG den Unterhaltsanspruch nach § 66 EheG auf einen Anspruch nach „Billigkeit“ einschränkt, wenn der Unterhaltspflichtige sonst den eigenen angemessenen Unterhalt gefährdet. „Dabei“ sind die „sonstigen Verpflichtungen“ des Unterhaltsschuldners, insbesondere seine Unterhaltspflichten gegenüber Kindern und gegenüber einem neuen Ehegatten, zu berücksichtigen (vgl auch Koch in KBB 4 § 67 EheG Rz 1).

2.3. Der Senat schließt sich der zuletzt genannten Auffassung an. Die Wortfolge in § 67 Abs 1 Satz 1 EheG „bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen“ ist dahin auszulegen, dass diese „sonstigen Verpflichtungen“ bloß als eine von mehreren Determinanten der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des geldunterhaltspflichtigen geschiedenen Ehegatten zu verstehen ist. Dafür spricht nämlich, dass § 66 EheG keine Grundlage für eine Unterhaltsbemessung nach Billigkeit bietet, mag diese Bestimmung auch unbestimmte Gesetzesbegriffe enthalten (1 Ob 231/10t mwN), während die Gefährdung des angemessenen Unterhalts des schuldig geschiedenen Ehegatten nach dem Zweck des § 67 EheG jedenfalls eine Beschränkung der Unterhaltspflicht nach Billigkeit gebietet, unabhängig davon, welche Umstände zu einer derartigen Gefährdung geführt haben. Eine Differenzierung nach Ursachen der Gefährdung wäre auch sachlich schwer zu rechtfertigen.

3.1. Zur Höhe des Abzugs nach Billigkeit führt die Revisionswerberin aus, dass ihr angesichts des Umstands, dass sich bei Erfüllung der nach § 66 EheG bemessenen Unterhaltszahlungen ihr Pensionseinkommen im Wesentlichen auf die Höhe des Ausgleichszulagenrichtsatzes vermindern würde, gerade noch der „notdürftige Unterhalt“ (iSd § 73 Abs 1 EheG), nicht jedoch der ihr zustehende höhere „angemessene Unterhalt“ verbliebe. Eine Reduktion des nach § 66 EheG bemessenen monatlichen Unterhaltsbeitrags um 150 EUR auf Basis von § 67 Abs 1 EheG sei daher gerechtfertigt.

3.2. Der Senat hält eine Herabsetzung nach Billigkeit in der von der Beklagten beantragten Höhe – auch unter Berücksichtigung von Anlass und Grund der Bedürftigkeit des Klägers (vgl Zankl/Mondel in Schwimann/Kodek , ABGB 4 , § 67 EheG Rz 13), der im Gegensatz zur Beklagten kaum je einer regelmäßigen Erwerbsarbeit nachgekommen ist und auch aus diesem Grund über ein derartig bescheidenes Pensionseinkommen verfügt – für angemessen.

4. Der Revision der Beklagten ist somit Folge zu geben und die Entscheidungen der Vorinstanzen sind dahin abzuändern, dass die der Beklagten auferlegten Unterhaltsbeiträge entsprechend zu reduzieren sind.

5. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 43, 50 und 70 ZPO. In erster Instanz ist der Kläger unter Bedachtnahme auf die Verfahrensabschnitte nach den jeweiligen Klagseinschränkungen und -ausdehnungen mit rund der Hälfte seiner Ansprüche durchgedrungen, was zur Kostenaufhebung führt. Die von der Beklagten zu ersetzenden – im unteren zweistelligen Bereich liegenden – Barauslagen werden durch ihren geringfügigen Überhang hinsichtlich der Obsiegensquote kompensiert. Die Pauschalgebühr ist in jenem Verfahrensabschnitt angefallen, in dem die Beklagte zur Gänze unterlag, sodass sie (aufgrund der Verfahrenshilfe des Klägers) gemäß § 70 ZPO zum Ersatz zu verpflichten ist. Im Rechtsmittelverfahren hat die Beklagte zur Gänze obsiegt, weshalb der Kläger ihre diesbezüglichen Kosten zu ersetzen hat.