JudikaturJustiz4Ob608/69

4Ob608/69 – OGH Entscheidung

Entscheidung
16. Dezember 1969

Kopf

SZ 42/190

Spruch

Im Falle des § 7 ZPO. hat das mit der Sache befaßte Gericht höherer Instanz die Nichtigkeit des Verfahrens auch dann auszusprechen, wenn infolge des nicht beseitigten Mangels ein zulässiges Rechtsmittel nicht vorliegt.

Der Rechtsanwalt, der als Geschäftsführer einer GesmbH. eine Klage einbringt, bedarf dazu keiner Vertretung durch einen anderen Rechtsanwalt.

Entscheidung vom 16. Dezember 1969, 4 Ob 608/69.

I. Instanz: Landesgericht Klagenfurt; II. Instanz: Oberlandesgericht Graz.

Text

Am 9. August 1966 brachte die klagende Partei, vertreten durch ihren Geschäftsführer Rechtsanwalt Dr. Wilhelm L., eine Klage gegen den Beklagten ein. Das Verfahren endete nach Aufnahme verschiedener Beweise mit Abweisung der Klage. Gegen das Ersturteil erhob Dr. Wilhelm L. namens der klagenden Partei Berufung. Im Zuge des Berufungsverfahrens wurde vom Berufungsgericht von Amts wegen festgestellt, daß Rechtsanwalt Dr. Wilhelm L. seit 11. März 1967 nicht mehr Geschäftsführer der klagenden Partei ist. Die Aufforderung, eine Prozeßvollmacht vorzulegen, beantwortete Doktor Wilhelm L. dahin, daß er aus internen Gründen eine solche nicht nachbringen könne. Daraufhin forderte das Erstgericht die klagende Partei zu Handen ihres derzeitigen Geschäftsführers R., auf eine dem Rechtsanwalt Dr. L. erteilte Prozeßvollmacht oder eine einem anderen österreichischen Rechtsanwalt erteilte Prozeßvollmacht vorzulegen und zu erklären, daß sie die Prozeßführung durch Dr. L. in der Zeit seit dem Erlöschen seiner Geschäftsführereigenschaft nachträglich genehmige. Andernfalls würde die von Dr. L. eingebrachte Berufung zurückgewiesen und gemäß § 7 ZPO. das vom Mangel der gesetzlichen Vertretung der Klägerin betroffene Verfahren seit 11. März 1967 mit allfälligen Kostenfolgen für die klagende Partei gemäß § 51 ZPO. für nichtig erklärt werden.

Als die klagende Partei dieser Aufforderung innerhalb der gesetzten Frist nicht nachkam, wies das Berufungsgericht mit dem nunmehr angefochtenen Beschluß die von Dr. Wilhelm L. überreichte Berufung als unzulässig zurück, weil Dr. L. zur Zeit der Einbringung des Rechtsmittels weder Geschäftsführer noch Bevollmächtigter der klagenden Partei gewesen sei und sein Einschreiten für die klagende Partei von dieser auch nicht nachträglich genehmigt worden sei. Eine Nichtigerklärung der vorausgehenden vor Vertretungsmangel berührten Prozeßhandlungen könnte nicht erfolgen, weil das Berufungsgericht nur dann einschreiten dürfe, wenn ein Rechtsmittel statthaft sei und von einem hiezu Legitimierten ergriffen werde.

Gegen diesen Beschluß der zweiten Instanz erhob die klagende Partei Rekurs. Sie behauptete nicht, daß die von Dr. L. eingebrachte Berufung zulässig und daher sachlich zu erledigen sei, sie strebte vielmehr an, sowohl die angefochtene Entscheidung als auch das Urteil der ersten Instanz zu beheben, das gesamte Verfahren für nichtig zu erklären und die Klage zurückzuweisen.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurse der klagenden Partei teilweise Folge und änderte den Beschluß der II. Instanz dahin ab, daß er zu lauten habe:

Aus Anlaß der Berufung wird das Urteil des Erstgerichtes und das diesem vorangegangene Verfahren ab 11. März 1967 aufgehoben. Die Berufung wird auf diese Entscheidung verwiesen.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Es ist zwar richtig, daß in der Regel ein Rechtsmittelgericht nur aus Anlaß eines zulässigen Rechtsmittels prüfen darf, ob nicht eine Nichtigkeit des Verfahrens in den Unterinstanzen vorliegt (SZ. XXX 48 u. v. a.). Allein für den hier vorliegenden Fall des Mangels der gesetzlichen Vertretung enthalten die §§ 6 und 7 ZPO. Sondervorschriften. Nach dem im Akt erliegenden Handelsregisterauszug war Dr. Wilhelm L. vom 9. April 1966 bis 11. März 1967 alleiniger Geschäftsführer der klagenden Partei. Kraft dieser seiner Organstellung war er berechtigt, namens der klagenden Partei eine Klage einzubringen und den vorliegenden Prozeß zu führen. Da Dr. Wilhelm L. außerdem Rechtsanwalt war (und ist), bedurfte er nach § 28 (1) ZPO. keiner Vertretung durch einen anderen Rechtsanwalt. Bis 11. März 1967 war daher die klagende Partei ordnungsgemäß durch einen Rechtsanwalt vertreten.

Ab 11. März 1967 war aber die klagende Partei durch ein Gesellschaftsorgan nicht mehr vertreten. Da Dr. Wilhelm L. auch keine Prozeßvollmacht erteilt wurde, war ab 11. März 1967 die klagende Partei im Verfahren unvertreten. Mit Recht hat daher das Berufungsgericht das im § 6 (2) ZPO. vorgesehene Verfahren zur Beseitigung des aufgezeigten Mangels der gesetzlichen Vertretung eingeleitet. Da aber die klagende Partei dem Auftrag zur Vorlage einer Prozeßvollmacht und zur Genehmigung des Verfahrens ab 11. März 1967 nicht nachgekommen ist, eine Sanierung des Verfahrens also nicht erfolgte, hätte das Berufungsgericht gemäß § 7 (1) ZPO. die Nichtigkeit des Verfahrens ab 11. März 1967 aussprechen müssen. Insoweit ist der Rekurs der klagenden Partei begrundet. Ein Anlaß, auch die Nichtigkeit des Verfahrens, soweit es vor dem 11. März 1967 durchgeführt wurde, auszusprechen, besteht nicht, weil bis zu diesem Zeitpunkt die klagende Partei ordnungsgemäß durch ihren Geschäftsführer Rechtsanwalt Dr. Wilhelm L. vertreten war. Aus diesem Gründe kann auch die von Dr. L. eingebrachte Klage nicht zurückgewiesen werden. In teilweiser Stattgebung des Rekurses der klagenden Partei ist daher wie im Spruch zu entscheiden.