JudikaturJustiz4Ob23/24x

4Ob23/24x – OGH Entscheidung

Entscheidung
19. März 2024

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Schwarzenbacher als Vorsitzenden sowie den Vizepräsidenten Hon. Prof. PD Dr. Rassi, die Hofrätinnen Mag. Istjan, LL.M., und Mag. Waldstätten und den Hofrat Dr. Stiefsohn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei * GmbH, *, vertreten durch Dr. Leonhard Ogris, Rechtsanwalt in Deutschlandsberg, gegen die beklagte Partei *, vertreten durch Dr. Martin Koroschetz, Rechtsanwalt in Wien, wegen zuletzt 77.739,55 EUR sA, Unterlassung (Streitwert: 20.000 EUR) und Feststellung (Streitwert: 5.000 EUR), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 14. Dezember 2023, GZ 6 R 167/23f 21, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Die beklagte Partei hat die Kosten der Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.

Text

Begründung:

[1] Die Klägerin hat eine auf den Handel mit Medizinprodukten eingeschränkte Gewerbeberechtigung nach § 94 Z 33 GewO. Sie vertrieb PCR Testgeräte und Testkits zur Testung auf das Coronavirus.

[2] Der Beklagte hat eine Gewerbeberechtigung für das Handelsagentengewerbe nach § 154 Abs 7 GewO und übt dieses Gewerbe aus. Er vermittelte von einer Mitbewerberin der Klägerin vertriebene PCR Testprodukte zur Testung auf das Coronavirus an einen Apotheker, der bis dahin die PCR Testprodukte der Klägerin bezogen hatte. Hätte der Apotheker die von der Mitbewerberin der Klägerin bezogenen Produkte von der Klägerin gekauft, hätte die Klägerin 77.739,55 EUR erwirtschaftet.

[3] Die Klägerin begehrte vom Beklagten, gestützt auf § 1 UWG („Rechtsbruch“), die Unterlassung des Handels mit und (hilfsweise) der Vermittlung von Medizinprodukten, 77.739,55 EUR sA Schadenersatz und die Feststellung, dass er nicht berechtigt gewesen sei, mit Medizinprodukten zu handeln. Sie brachte vor, ein Handelsagent (§ 154 Abs 7 GewO) dürfe weder mit Medizinprodukten handeln noch Medizinprodukte vermitteln. Beides sei den Inhabern einer Gewerbeberechtigung für den Handel mit Medizinprodukten (§ 94 Z 33 GewO) vorbehalten.

[4] Der Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und entgegnete, er habe Kaufverträge über Medizinprodukte vermittelt und nicht mit Medizinprodukten gehandelt. Seine Gewerbeberechtigung als Handelsagent umfasse auch die Vermittlung von Kaufverträgen über Medizinprodukte.

[5] Das Erstgericht schloss sich der Rechtsansicht des Beklagten an und wies das Klagebegehren ab.

[6] Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil. Das Handelsagentengewerbe (§ 154 Abs 7 GewO) umfasse (ua) das Vermitteln von Warenhandelsgeschäften in fremdem Namen und für fremde Rechnung zwischen selbständig Erwerbstätigen und Personen, die Waren der angebotenen Art zur Ausübung einer selbständigen Erwerbstätigkeit benötigen. Handelsagenten dürften auch den Kauf oder Verkauf solcher Waren vermitteln, mit denen nur in einem reglementierten Gewerbe gehandelt werden dürfe. Ausgenommen sei lediglich die Vermittlung des Kaufs und Verkaufs von Waffen und Munition (§ 139 Abs 1 Z 1 lit d und Z 2 lit c GewO). Das reglementierte Gewerbe nach § 94 Z 33 GewO umfasse nur den Handel mit, nicht aber die Vermittlung des Kaufs und Verkaufs von Medizinprodukten. Die ordentliche Revision sei aufgrund der klaren Gesetzeslage und der einzelfallbezogenen Anwendung nicht zulässig.

Die außerordentliche Revision der Klägerin zeigt keine erhebliche Rechtsfrage auf:

Rechtliche Beurteilung

[7] 1. Der Oberste Gerichtshof hat bereits wiederholt betont, dass er bei der Auslegung von Rechtsmaterien, die nicht in die Kompetenz der ordentlichen Gerichte fallen, keine Leitfunktion hat ( RS0116438 [T1]). Das Fehlen einer Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu Bestimmungen des Verwaltungsrechts, deren Verletzung einem Mitbewerber vorgeworfen wird, begründet für sich allein keine erhebliche Rechtsfrage ( RS0123321 ). Das Vorbringen der Klägerin, der Oberste Gerichtshof habe sich bisher nicht mit der Auslegung von § 94 Z 33 GewO und § 154 Abs 7 GewO befasst, wirft daher keine erhebliche Rechtsfrage auf.

[8] 2. Bei der Beurteilung der lauterkeitsrechtlichen Vertretbarkeit einer Rechtsansicht durch den Obersten Gerichtshof sind zwei Prüfungsstufen zu unterscheiden:

[9] Schon auf der ersten – für die Beurteilung durch die Vorinstanzen nach § 1 UWG maßgebenden – Stufe geht es nur um die Frage nach einer vertretbaren Auslegung der Normen, um die Verwirklichung eines zurechenbaren Rechtsbruchs bejahen oder verneinen zu können. Auf der zweiten – für die zulässige Anfechtung eines Urteils beim Obersten Gerichtshof gemäß § 502 Abs 1 ZPO hinzutretenden – Stufe geht es sodann nicht um die Frage, ob das Berufungsgericht jene Vertretbarkeitsfrage richtig, sondern nur, ob es sie ohne eine krasse Fehlbeurteilung gelöst hat (RS0124004).

[10] 3. Die Auslegung verwaltungsrechtlicher Normen durch das Berufungsgericht ist nur dann revisibel, wenn dem Berufungsgericht eine krasse Fehlbeurteilung unterlaufen ist (vgl RS0116438 [T12]). Eine solche zeigt die Klägerin nicht auf, ganz im Gegenteil:

3.1. Die Ansicht des Berufungsgerichts ist schon aufgrund des Wortlauts und der Systematik der betreffenden Bestimmungen der GewO vertretbar:

[11] 3.1.1. Der Gesetzgeber der GewO unterscheidet klar zwischen den Begriffen „Handel“ und „Vermittlung“. Der Verwaltungsgerichtshof definiert „Handel“ als eine auf den Warenaustausch zwischen den einzelnen Wirtschaftsgliedern gerichtete gewerbsmäßige Tätigkeit ( 83/04/0257 ; 83/04/0308 ; 84/04/0026 ; 86/04/0035 ; 91/04/0154 ) und „Vermittlung“ als eine gewerbsmäßige Zusammenführung von – vom Vermittler verschiedenen – präsumtiven Vertragspartnern ( 83/04/0202 ; 84/04/0184 ; Ra 2019/04/0131).

[12] 3.1.2. Gemäß § 154 Abs 7 GewO umfasst das Handelsagentengewerbe das Vermitteln oder das Abschließen von Warenhandelsgeschäften in fremdem Namen und für fremde Rechnung zwischen selbständig Erwerbstätigen und Personen, die Waren der angebotenen Art zur Ausübung einer selbständigen Erwerbstätigkeit benötigen. Eine Einschränkung um die Medizinprodukte betreffende Vermittlung ist § 154 Abs 7 GewO nicht zu entnehmen.

[13] 3.1.3. Auch die übrigen Bestimmungen der GewO beschränken die Berechtigung des Handelsagenten, Geschäfte über Medizinprodukte zu vermitteln, nicht: Das von der Klägerin ins Treffen geführte reglementierte Gewerbe nach § 94 Z 33 GewO lautet „Herstellung und Aufbereitung sowie Vermietung von Medizinprodukten, soweit diese Tätigkeiten nicht unter ein anderes reglementiertes Gewerbe fallen, und Handel mit sowie Vermietung von Medizinprodukten“. Die Vermittlung von Rechtsgeschäften über Medizinprodukte ist nicht in das reglementierte Gewerbe nach § 94 Z 33 GewO einbezogen. Auch sonst gibt es kein reglementiertes Gewerbe, das die Medizinprodukte betreffende Vermittlung umfassen und die Gewerbeberechtigung des Handelsagenten in diesem Umfang beschränken würde.

3.2. Die außerordentliche Revision enthält keine stichhaltigen Argumente, die gegen die Vertretbarkeit des Berufungsurteils sprechen könnten:

[14] 3.2.1. Die Klägerin meint, die Regierungsvorlage zur Änderung der GewO mit BGBl I 42/2008 – sie bezeichnet diese mit „1117 der Beilagen des österreichischen Parlaments der GP XXIII“ – führe auf S 84 „wortwörtlich“ aus, dass der Handel mit „und die Vermittlung von“ Medizinprodukten nicht den freien Handelstätigkeiten zugeordnet worden seien, „um Gesundheitsgefährdungen hintanzuhalten“. Darauf kann die Zulässigkeit des Rechtsmittels nicht gestützt werden: Die Regierungsvorlage, auf die sich die Klägerin bezieht, ist augenscheinlich jene zur Änderung der GewO mit BGBl I 111/2002 ( RV 1117 der Beilagen XXI. GP). Einer ihrer Regelungsschwerpunkte war die Neuregelung des Handelsagentengewerbes als freies Gewerbe (bis dahin hatte dessen Ausübung einen Befähigungsnachweis vorausgesetzt). Lediglich der „Handel mit Medizinprodukten“ und „die bisher bewilligungspflichtigen Handelstätigkeiten (zB Waffenhandel, Handel mit Arzneimitteln und Giften)“ sollten an einen Befähigungsnachweis gebunden bleiben (S 65 der Materialien zur RV; vgl auch S 82). Der von der Klägerin angesprochene Satz lautete folglich (richtig): „Um Gesundheitsgefährdungen hintanzuhalten, wurde der Handel mit Medizinprodukten nicht den freien Handelstätigkeiten zugeordnet“ (S 84). Von der Vermittlung ist darin – entgegen der Darstellung in der außerordentlichen Revision – keine Rede. Eine Einschränkung des freien Handelsagentengewerbes um die Vermittlung von Rechtsgeschäften über Medizinprodukte ist daher auch dem in den Materialien ausgedrückten Willen des Gesetzgebers nicht zu entnehmen.

[15] 3.2.2. Den Ausführungen von Riesz , auf die sich die Klägerin beruft ( Riesz in Ennöckl/Raschauer/Wessely, GewO § 154 Rz 7), ist ebenfalls nur die Einschränkung des Handelsagentengewerbes um den (reglementierten) Handel mit Medizinprodukten, nicht aber um die Vermittlung von Medizinprodukten zu entnehmen.

[16] 3.2.3. Das abschließende Argument der Klägerin, § 48 Abs 1 MPG stehe der Vermittlung von Rechtsgeschäften über Medizinprodukte durch den Beklagten entgegen, ist der Überprüfung durch den Obersten Gerichtshof entzogen: Eine in der Berufung unterbliebene Rechtsrüge kann nämlich in der Revision nicht nachgeholt werden (RS0043573 [T38, T47]). Das gilt (partiell) auch dann, wenn das Ersturteil nur in einem bestimmten Punkt wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung angefochten wurde (RS0043573 [T29, T31, T36]). Andere Punkte können dann in der Revision nicht mehr geltend gemacht werden, jedenfalls wenn es um mehrere selbstständig zu beurteilende Rechtsfragen geht (RS0043573 [T43]). Die Klägerin ist in der Rechtsrüge des Berufungsverfahrens nicht auf § 48 Abs 1 MPG eingegangen und hat diese selbständige Rechtsfrage nicht behandelt. In der Revision kann sie das nicht mehr nachtragen.

[17] 4. Der Oberste Gerichtshof hat dem Beklagten die Beantwortung der Revision nicht freigestellt. Die dennoch eingebrachte Revisionsbeantwortung ist gemäß § 508a Abs 2 Satz 2 ZPO nicht zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig, weshalb für sie kein Kostenersatz zusteht (vgl RS0043690 [T6, T7]).

Rechtssätze
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