JudikaturJustiz4Ob209/23y

4Ob209/23y – OGH Entscheidung

Entscheidung
20. Februar 2024

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Schwarzenbacher als Vorsitzenden sowie den Vizepräsidenten Hon. Prof. PD Dr. Rassi, den Hofrat MMag. Matzka, die Hofrätin Mag. Istjan, LL.M., und den Hofrat Dr. Stiefsohn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Dipl. Kfm. G*, 2. Dr. G*, und 3. L*, alle vertreten durch die Doschek Rechtsanwalts GmbH in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. W* GmbH, *, vertreten durch die BLS Rechtsanwälte GmbH in Wien, und 2. Verlassenschaft nach dem am * verstorbenen Dr. R*, vertreten durch die Spitzauer Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, Nebenintervenienten auf Seite der beklagten Parteien 1. J*, vertreten durch Dr. Wolfgang Kogler, Rechtsanwalt in Wien, und 2. P*, vertreten durch Dr. Manfred Palkovits und Mag. Martin Sohm, Rechtsanwälte in Wien, wegen 198.061,77 EUR sA sowie Feststellung (erstklagende Partei), 198.061,77 EUR sA sowie Feststellung (zweitklagende Partei) und 166.644,10 EUR sA sowie Feststellung (drittklagende Partei), über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Zweitnebenintervenientin gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 31. August 2023, GZ 2 R 128/23t 156, womit der Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 13. Dezember 2016, GZ 62 Cg 40/15t 19, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird in seinem Punkt I.1. dahin abgeändert, dass die Entscheidung des Erstgerichts in Ansehung der Zweitnebenintervenientin wiederhergestellt wird, und in seinem Punkt I.2. in Ansehung der Zweitnebenintervenientin behoben, sodass die Entscheidung (Pkt I. des Spruchs) einschließlich ihrer unangefochten gebliebenen Teile insgesamt wie folgt lautet:

„I. (2 R 128/23t)

1. Dem Rekurs wird teilweise Folge gegeben. Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass er lautet:

'Die Nebenintervention der Erstnebenintervenientin J* wird zurückgewiesen .

Hingegen wird der Antrag der klagenden Parteien, die Nebenintervention der Zweitnebenintervenientin P* zurückzuweisen, abgewiesen .'

2. Aus Anlass des Rekurses wird die Kostenentscheidung des Erstgerichtes in Spruchpunkt 3. des Ersturteiles in Ansehung der Erstnebenintervenientin J* ersatzlos behoben.

3. Die (richtig) Rekursbeantwortungen der erstbeklagten Partei (erkennbar enthalten in ON 151, S 24f) und der zweitbeklagten Partei (erkennbar enthalten in ON 153, S 14) werden zurückgewiesen.“

Die klagenden Parteien sind schuldig, der Zweitnebenintervenientin die mit 4.359,85 EUR (darin 726,64 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsrekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

[1] Die Erstbeklagte verwaltete jahrzehntelang bis Ende 2012 ein Mietshaus. Der Erst- und der Zweitkläger sind Minderheitseigentümer, die Drittklägerin ist Fruchtgenussberechtigte hinsichtlich eines weiteren Minderheitsanteils. Dem vormaligen Zweitbeklagten (nunmehr Verlassenschaft nach) Dr. R* gehör(t)en 39,06 % dieses Hauses; er verfügte seinerzeit über weitere 18,75 % der Anteile seiner damals minderjährigen Söhne.

[2] Die Kläger begehren von den Beklagten zur ungeteilten Hand Schadenersatz und werfen ihnen vor, sie hätten in bewusstem und gewolltem Zusammenwirken treuwidrig Mietverträge mit Dritten zu unüblichen Konditionen abgeschlossen, wodurch die Kläger als Minderheitseigentümer geschädigt worden seien. Weiters begehren sie die Feststellung der Haftung der Beklagten für künftige Schäden.

[3] Die Beklagten bestreiten ihre Haftung. Sie wandten Verjährung sowie mangelnde Aktivlegitimation der Kläger ein und brachten vor, die Vermietungen seien zu gewöhnlichen und dem Zustand der Bestandobjekte angemessenen Bedingungen erfolgt und daher Maßnahmen der ordentlichen Verwaltung gewesen. Die Zweitbeklagte bestritt zudem jedes Verschulden und jedes Zusammenwirken mit der Erstbeklagten oder die Erteilung von Weisungen an sie.

[4] Die Erstbeklagte verkündete den Nebenintervenientinnen den Streit. Sie habe diese als Immobilienmaklerinnen mit der Suche nach Mietern für eine Vermietung zu bestmöglichen Konditionen beauftragt. Die späteren Mieter seien nach längerer Suche als Bestbieter präsentiert worden. Hätten diese Informationen nicht zugetroffen und wäre bei geeigneter Maklertätigkeit eine bessere Vermarktung möglich gewesen, so hätten die Nebenintervenientinnen darüber aufklären müssen und würden solidarisch mit den Beklagten für jeden den Klägern entstandenen Schaden haften. Wären die Klagsbehauptungen erweislich, würde dies auch ein schädigendes Zusammenwirken der Beklagten mit den Nebenintervenientinnen bedeuten. Die Beklagten müssten sich im Falle des Prozessverlusts bei den Nebenintervenientinnen für Schadenersatzansprüche aufgrund fehlerhafter Beratung sowie aufgrund interner Ausgleichsansprüche unter mehreren Schädigern schadlos halten.

[5] Der Beitritt der Erstnebenintervenientin  J* wurde in der Folge vom Berufungsgericht unangefochten zurückgewiesen und ist nicht Gegenstand dieser Entscheidung.

[6] Die Zweitnebenintervenientin trat dem Streit bei und begründete ihr Beitrittsinteresse damit, sie sei von der Erstbeklagten mit der Vermittlung einzelner Objekte beauftragt gewesen, was infolge des schlechten Zustands des Hauses lange nicht erfolgreich gewesen sei. Sie habe mit niemandem zusammengewirkt, um die Kläger zu schädigen, sondern habe bloß Mietinteressenten namhaft gemacht, die bereit gewesen seien, die Objekte zu den letztlich vereinbarten Konditionen anzumieten. Da die Beklagten für den Fall, dass dagegen die Klagsbehauptungen erweislich wären, den Regress bei ihr angedroht hätten, habe sie ein rechtliches Interesse am Obsiegen der Beklagten.

[7] Die Kläger sprachen sich gegen den Streitbeitritt aus, weil den Nebenintervenientinnen das rechtliche Interesse fehle. Ein Regress sei „denkunmöglich“, selbst wenn ein böswilliges Zusammenwirken mit den Maklerinnen vorgelegen wäre. Die Mietbedingungen seien von den Beklagten vorgegeben gewesen.

[8] Das Erstgericht verkündete mündlich einen Beschluss, mit dem es die Nebenintervention zuließ. Dieser Beschluss wurde nie ausgefertigt; weder Gericht noch Parteien kamen auf die Frage der Nebeninterventionen im erstinstanzlichen Verfahren, das in der Folge mit Beteiligung beider Nebenintervenientinnen durchgeführt wurde, zurück.

[9] Mit Urteil vom 19. 12. 2022, GZ 62 Cg 40/15t 145, berichtigt mit Beschluss vom 16. 1. 2023, GZ 62 Cg 40/15t 148, wies das Erstgericht das Klagebegehren mangels Erweislichkeit von rechtswidrigem oder schuldhaftem Verhalten der Beklagten ab.

[10] Dagegen erhoben die Kläger Berufung, worin sie sich auch gegen die Zulässigkeit beider Nebeninterventionen aussprachen und deren Zurückweisung beantragten.

[11] Das Rechtsmittelgericht erachtete dies als Rekurs gegen den mündlich verkündeten Beschluss über die Zulassung der Nebeninterventionen und sprach über diesen dahin ab, dass es ihm Folge gab und beide Nebeninterventionen zurückwies sowie aus Anlass des Rekurses den Kostenzuspruch an die Nebenintervenientinnen ersatzlos behob (Pkt I. des Spruchs); das Berufungsverfahren wurde bis zur Rechtskraft der Entscheidung über den Zurückweisungsantrag unterbrochen (Pkt II. des Spruchs). Den ordentlichen Revisionsrekurs ließ das Rekursgericht nicht zu.

[12] Der außerordentliche Revisionsrekurs (nur) der Zweitnebenintervenientin P* richtet sich gegen die Zurückweisung ihrer Nebenintervention und beantragt die Wiederherstellung der erstgerichtlichen Entscheidung; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[13] Die Kläger beantragen in der ihnen vom Obersten Gerichtshof freigestellten Revisionsrekursbeantwortung, dem Revisionsrekurs nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[14] Der Revisionsrekurs ist zur Wahrung der Rechtssicherheit zulässig und berechtigt.

[15] 1.1. Von den Klägern zutreffend nicht mehr in Frage gestellt wird, dass das Rechtsmittelgericht die Ausführungen in der Berufung als zulässigen und rechtzeitigen Rekurs gegen den mündlich verkündeten, jedoch nie ausgefertigten oder zugestellten Beschluss ansah und behandelte (§ 510 Abs 3 zweiter Satz ZPO).

[16] 1.2. Die Revisionsrekurswerberin wiederum stellt ihre Argumentation – wie ebenfalls schon vom Rekursgericht dargelegt – darauf ab, dass sie sich durch die Streitverkündung der Erstbeklagten (und nicht durch die später erfolgte Streitverkündung durch die Zweitbeklagte) zum Beitritt veranlasst sah und dessen Bestreitung durch die Kläger den Gegenstand des Zwischenstreits bildet.

[17] 1.3. Mit diesen Vorgaben war wie folgt zu erwägen:

[18] 2.1. Nach § 17 ZPO kann, wer ein rechtliches Interesse daran hat, dass in einem zwischen anderen Personen anhängigen Rechtsstreite die eine Person obsiege, dieser Partei im Rechtsstreite beitreten.

[19] 2.2. Nach § 18 Abs 1 ZPO hat der Nebenintervenient das Interesse, das er am Obsiegen einer Prozesspartei hat, bestimmt anzugeben. Die Zulässigkeit der Nebenintervention darf daher nicht aus anderen als den vom Nebenintervenienten zum Betritt vorgebrachten Tatsachen abgeleitet werden (vgl RS0035678 [T1]); es ist nicht zulässig, über die Erklärung des Nebenintervenienten hinausgehende Tatsachen und Rechtsüberlegungen der Entscheidung zugrunde zu legen (RS0035678 [T3]).

[20] 2.3. Ein rechtliches Interesse hat der Nebenintervenient dann, wenn die Entscheidung unmittelbar oder mittelbar auf seine privat- oder öffentlich-rechtlichen Verhältnisse rechtlich günstig oder ungünstig einwirkt; es muss allerdings ein in der Rechtsordnung gegründetes und von ihr gebilligtes Interesse sein, das über das bloß wirtschaftliche Interesse hinausgeht (RS0035724). Ein rechtliches Interesse ist insbesondere im Falle drohender Regressnahme in einem Folgeprozess als Folge des Prozessverlusts der streitverkündenden Partei im Hauptprozess zu bejahen (RS0106173 [T1, T2]), während das Interesse an einer bestimmten Beweislage und/oder an der Lösung von Rechtsfragen in einem Musterprozess nur wirtschaftliche Interessen berührt und daher eine Nebenintervention nicht rechtfertigt (RS0035565). Es reicht aus, wenn der Nebenintervenient einen zu befürchtenden Rückgriff plausibel darstellen kann. Die denkbaren rechtlichen Schritte in einem drohenden Regressprozess sind vom Nebenintervenienten nicht im Einzelnen konkret darzustellen. Bei mehrfachen diesbezüglichen Ankündigungen kann an der ernsthaften Möglichkeit, dass solche Ansprüche erhoben werden, kein Zweifel bestehen (RS0106173 [T4]).

[21] 2.4. Bei der Beurteilung, ob ein solches rechtliches Interesse besteht, ist allerdings generell kein strenger Maßstab anzulegen; es genügt, dass der Streit die Rechtssphäre des Nebenintervenienten berührt (vgl RS0035638) und sich daraus ein rechtlich begründeter Anlass ergibt, das Obsiegen einer Partei herbeizuführen (RS0035638 [T5]). Im Allgemeinen wird ein rechtliches Interesse dann gegeben sein, wenn durch das Obsiegen der Hauptpartei die Rechtslage des Dritten verbessert oder durch deren Unterliegen verschlechtert wird (RS0035724 [T3]).

[22] 2.5. Ob ein Nebenintervenient das erforderliche rechtliche Interesse an einem Beitritt hat, kann grundsätzlich nur anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls beantwortet werden und bildet daher in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 528 Abs 1 ZPO (vgl RS0035724 [T8]; RS0106173 [T4]), es sei denn, es läge eine auffallende Fehlbeurteilung durch die Vorinstanzen vor, die im Interesse der Rechtssicherheit wahrgenommen werden müsste.

[23] 2.6. Eine solche Fehlbeurteilung durch das Rekursgericht muss hier bejaht werden:

[24] 3.1. Es begründete seine Entscheidung zusammengefasst damit, dass die Kläger Ansprüche in Ansehung sechs verschiedener Bestandobjekte geltend machen würden, jedoch nicht gegenüber beiden Nebenintervenientinnen Regressansprüche hinsichtlich aller – auch der von ihnen jeweils nicht vermittelten – Objekte angedroht hätten. Keine der Nebenintervenientinnen habe konkret dargelegt, welche Objekte sie selbst vermittelt habe und dementsprechend nicht dargelegt, bei welchen Schadenersatzforderungen ihnen jeweils überhaupt ernsthaft ein Regress drohen könnte. Zudem bringe die Zweitnebenintervenientin vor, sie sei nur mit der Vermittlung beauftragt gewesen und habe nur Mietinteressenten namhaft gemacht, sodass daraus ein Vorbringen, sie hätte sich zu zusätzlichen Beratungsleistungen über die Höhe des erzielbaren Marktpreises verpflichtet, und damit eine ernsthafte Regressgefahr nicht ableitbar sei.

[25] 3.2. Dies ist jedoch nicht stichhältig, zumal es nicht überzeugt, Vorbringen und Prozessstandpunkt des Nebenintervenienten in seinem Verhältnis zur ihm den Streit verkündenden Partei zur Begründung fehlenden rechtlichen Interesses heranzuziehen: Ein rechtliches Interesse ist nicht erst dann gegeben, wenn der Nebenintervenient gleichsam die eigene Haftung im Verhältnis zu einer Hauptpartei zugesteht. Es kommt nach der Rechtsprechung vielmehr im gegebenen Zusammenhang darauf an, ob der Nebenintervenient die Umstände, auf welche die Hauptpartei den angedrohten Regress stützt, zur Begründung seines rechtlichen Interesses am Beitritt anspricht. Dies ist hier geschehen.

[26] Dass die Kläger selbst ein nicht restlos überzeugendes bzw stimmiges Vorbringen zur Begründung ihrer Regressankündigung angegeben haben, kann hier nicht der Zweitnebenintervenientin zur Last fallen, zumal eine Regressforderung wegen schadenskausaler Pflichtverletzung der Maklerin nicht als von vornherein unsinnig oder unplausibel angesehen werden kann und – wie dargelegt – die Darlegung der Plausibilität des Regresses (und nicht erst die Darlegung seiner Erfolgsaussichten) für die Prüfung des rechtlichen Interesses relevant ist.

[27] Die Revisionsrekurswerberin weist in diesem Zusammenhang auch zutreffend darauf hin, dass das rechtliche Interesse grundsätzlich ex ante beurteilt werden muss und dabei nicht vorrangig oder gar allein auf das Vorbringen des (klagenden) Prozessgegners der streitverkündenden Partei abzustellen ist (vgl RS0035638 [T9]). Soweit das Rekursgericht daher auf Behauptungen der Kläger zum Rechtsverhältnis zwischen den Beklagten und den Nebenintervenienten oder auf Ergebnisse des zwischenzeitig vorliegenden, noch nicht rechtskräftigen erstgerichtlichen Urteils in der Hauptsache Bezug nehmen will, kann ihm nicht gefolgt werden.

[28] 3.3. Da im Übrigen die Zweitnebenintervenientin keinen Regressansprüchen der Beklagten ausgesetzt wäre, wenn das Klagebegehren abgewiesen würde, würde durch das Obsiegen der Hauptpartei die Rechtslage der Zweitnebenintervenientin auch verbessert.

[29] Insgesamt kann daher in einer ex ante-Gesamtbetrachtung der Zweitnebenintervenientin das rechtliche Beitrittsinteresse nicht abgesprochen werden. Die Entscheidung des Rekursgerichts war daher im angefochtenen Umfang und unter Wahrung der Rechtskraft der Entscheidung gegenüber der Erstnebenintervenientin abzuändern, wie aus dem insgesamt wiedergegebenen Pkt I. des Spruchs ersichtlich.

[30] 4. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsrekursverfahrens beruht auf §§ 41, 50 ZPO. Es handelt sich um einen Zwischenstreit zwischen der beitretenden Zweitnebenintervenientin und den die Zulässigkeit des Beitritts bestreitenden Klägern, wobei an abgrenzbaren Kosten des Zwischenstreites nur die Kosten des Revisionsrekursverfahrens zu berücksichtigen waren. Mehr als die auf Basis einer Bemessungsgrundlage von 562.767,64 EUR verzeichneten Kosten waren nicht zuzusprechen.

Rechtssätze
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