JudikaturJustiz4Ob118/00g

4Ob118/00g – OGH Entscheidung

Entscheidung
03. Mai 2000

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kodek als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Graf, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofes Dr. Griß und Dr. Schenk und den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Vogel als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei T***** Company, *****, vertreten durch Dr. Franz Wohlfahrt, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei P*****, wegen Unterlassung und Beseitigung (Streitwert S 500.000.-), infolge Revisionsrekurses der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Linz als Rekursgericht vom 10. August 1998, GZ 11 R 190/98k-6, womit der Beschluss des Landesgerichtes Linz vom 13. Juli 1998, GZ 30 Cg 122/98i-2, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben.

Dem Erstgericht wird die Einleitung des gesetzlichen Verfahrens unter Abstandnahme vom bisher herangezogenen Zurückweisungsgrund aufgetragen.

Die Kosten des Rekursverfahrens sowie des Verfahrens vor dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften bilden weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Die Klägerin besitzt Markenrechte an mehreren Wort- und Bild-Marken und hat unter Berufung auf diese Rechte bei den österreichischen Zollbehörden einen Bescheid gemäß Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung (EG) Nr. 3295/94 des Rates vom 22. 12. 1994 (im folgenden: Antipiraterieverordnung) erwirkt, wonach ihr "die Aussetzung der Überlassung bzw die Zurückbehaltung von Waren durch die Zollämter, wenn sie zur Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr, zur Ausfuhr oder Wiederausfuhr angemeldet werden", bewilligt wird, sofern es sich bei den Waren um Nachahmungen oder unerlaubt hergestellte Vervielfältigungsstücke oder Nachbildungen im Sinne des Artikels 1 Absatz 2 lit a Antipiraterieverordnung handelt.

Die Klägerin begehrt die Verurteilung der Beklagten, es zu unterlassen, Waren, insbesondere Textilien, mit zugunsten der Klägerin geschützten Wort- oder Bildmarken zu Zwecken des Wettbewerbs in Verkehr zu bringen, und die Klägerin zu ermächtigen, auf Kosten der Beklagten die von der Zollbehörde zurückbehaltenen 633 Polo-T-Shirts, die mit geschützten Wort- oder Bildmarken der Klägerin versehen sind, zu vernichten. Sie sei Inhaberin verschiedener in Österreich registrierter Wort- und Bildmarken, die weltweit, jedenfalls aber im Gebiet der Europäischen Union, Verkehrsgeltung genießen. Die Beklagte habe dadurch unzulässigerweise in diese Markenrechte eingegriffen, dass sie 633 Polo T-Shirts, die Nachahmungen der Marken der Klägerin aufwiesen, nach Österreich in der Absicht eingeführt habe, sie ins Ausland weiterzuveräußern, wobei sowohl Absender als auch Empfänger der Waren Unternehmen seien, die ihren Sitz in Staaten außerhalb der Europäischen Union hätten. Die Ware sei aufgrund eines Bescheids des Zollamtes A*****, der sich auf die Antipiraterieverordnung stütze, vorläufig angehalten worden und befinde sich in einem zollamtlichen Speditionslager in L*****, Zweigstelle H*****, sohin im Sprengel des Erstgerichts. Der Anspruch auf Unterlassung ergebe sich aus § 9 Abs 3 UWG iVm §§ 15, 24 UWG, hilfsweise auch aus § 1 UWG (Ausbeutung durch Nachahmung fremder Erzeugnisse), der Anspruch auf Beseitigung beruhe auf Artikel 8 der zitierten Verordnung.

Das Erstgericht wies die Klage wegen örtlicher Unzuständigkeit zurück. Aus dem Klagevorbringen und den mit der Klage vorgelegten Urkunden ergäbe sich, dass die Waren nicht in Hörsching, sondern in A***** eingeführt worden seien; der letztgenannte Ort sei demnach als jener anzusehen, an dem die Ware iSd § 83c Abs 3 JN eingelangt sei.

Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 260.000 S übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs mangels höchstgerichtlicher Rechtsprechung zu einem vergleichbaren Sachverhalt zulässig sei. Zu Unrecht gehe das Erstgericht - entgegen dem Klagevorbringen - davon aus, dass die Waren in A***** eingeführt worden seien; sie seien vielmehr von der Zollbehörde erstmals in L***** angehalten worden, wo sie sich noch befänden. Da die Beklagte im Inland weder ein Unternehmen noch einen allgemeinen Gerichtsstand oder ihren Aufenthaltsort habe, komme für die örtliche Zuständigkeit (als gemäß § 27a JN einzige positive Voraussetzung für die inländische Gerichtsbarkeit) nur § 83c Absatz 3 JN in Betracht, gehe es doch um einen Eingriff in Markenrechte mittels vom Ausland abgesendeter Gegenstände; auch lasse die Antipiraterieverordnung die nationalen Vorschriften über die Zuständigkeit der Justizbehörden unberührt. Nach allgemeinem sprachlichen Verständnis liege es näher, bezüglich des in § 83c JN verwendeten Begriffs des Einlangens auf das Ende des Transportwegs abzustellen; andernfalls hinge die örtliche Zuständigkeit vornehmlich vom gewählten Transportweg ab, und der Gerichtsstand würde in unabsehbarer Weise ausgeweitet. Als Empfänger der Waren sei ein Unternehmen in Polen angegeben; die Waren seien daher lediglich auf dem Transport angehalten worden. Eine entsprechende Nahebeziehung im Sinne des § 83c Absatz 3 JN zum Sprengel des angerufenen Gerichtes liege damit nicht vor.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig und berechtigt.

Die Klägerin vertritt den Standpunkt, die Antipiraterieverordnung verpflichte österreichische Gerichte, bei der Entscheidung in der Sache (fiktiv) so vorzugehen, als ob die Eingriffsgegenstände im Inland hergestellt und dort die Rechte des Rechtsinhabers verletzt worden wären. Demnach sei bei gemeinschaftsrechtskonformer Auslegung des § 83c Absatz 1 letzter Satz JN als Ort der Handlung jener Ort anzusehen, an dem die beanstandete Ware im Inland von der Zollstelle in Vollzug der Bestimmungen der genannten Verordnung angehalten worden sei. Jedenfalls ergäbe sich aber die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts aus § 83c Absatz 3 JN, wobei es keinen Unterschied machen könne, ob die für den ausländischen Empfänger bestimmten Eingriffsgegenstände lediglich auf dem Transit angehalten worden seien oder tatsächlich mit Wissen der Beklagten im Inland hätten in Verkehr gebracht werden sollen. Eine andere Auslegung würde einen effizienten Vollzug der Antipiraterieverordnung in jenen Fällen unmöglich machen, in denen weder Absender noch Empfänger der Ware ihren Gerichtsstand im Inland hätten und die Ware während des Transits durch Österreich von der Zollstelle angehalten worden sei.

Artikel 6 Antipiraterieverordnung bestimme, dass die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten, in deren Hoheitsgebiet der geregelte Tatbestand vorliege, für die Befassung der zuständigen Stellen in der Sache zu gelten hätten. Inländische Gerichtsbarkeit bestehe deshalb unmittelbar aufgrund der Verordnung, die ihrerseits auf dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, somit auf einem völkerrechtlichen Vertrag, beruhe. Es lägen deshalb hilfsweise die Voraussetzungen für die Ordination eines örtlich zuständigen Gerichts durch den Obersten Gerichtshof gemäß § 28 JN vor.

Mit Beschluss vom 30. 6. 1998 legte der Oberste Gerichtshof dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften gemäß Art 177 EG-Vertrag folgende Frage zur Vorabentscheidung vor: "Ist Artikel 1 der Verordnung (EG) Nr. 3295/94 des Rates vom 22. 12. 1994 über Maßnahmen zum Verbot der Überführung nachgeahmter Waren und unerlaubt hergestellter Vervielfältigungsstücke oder Nachbildungen in den zollrechtlich freien Verkehr oder in ein Nichterhebungsverfahren sowie zum Verbot ihrer Ausfuhr und Wiederausfuhr (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Nr. L 341 vom 30. 12. 1994) dahin auszulegen, dass diese Verordnung auch auf solche Sachverhalte anzuwenden ist, bei denen Waren der in der Verordnung näher bezeichneten Art, die auf der Durchfuhr (Transit) aus einem nicht der Europäischen Gemeinschaft angehörenden Staat in einen nicht der Europäischen Gemeinschaft angehörenden Staat auf Antrag eines eine Verletzung seiner Rechte behauptenden Rechtsinhabers, dessen Unternehmen seinen Sitz in einem Drittstaat hat, von Zollbehörden eines Mitgliedstaates unter Berufung auf die genannte Verordnung in einem Mitgliedsstaat vorläufig angehalten werden?".

Mit Urteil vom 6. 4. 2000, C-383/98, erkannte der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften, Artikel 1 der Verordnung (EG) Nr. 3295/94 des Rates vom 22. 12. 1994 über Maßnahmen zum Verbot der Überführung nachgeahmter Waren und unerlaubt hergestellter Vervielfältigungsstücke oder Nachbildungen in den zollrechtlich freien Verkehr oder in ein Nichterhebungsverfahren sowie zum Verbot ihrer Ausfuhr und Wiederausfuhr sei dahin auszulegen, dass diese Verordnung auch auf Sachverhalte anzuwenden ist, bei denen aus einem Drittstaat eingeführte Waren der in der Verordnung Nr. 3295/94 näher bezeichneten Art bei ihrer Durchfuhr in einen anderen Drittstaat auf Antrag eines eine Verletzung seiner Rechte behauptenden Rechtsinhabers, dessen Unternehmen seinen Sitz in einem Drittstaat hat, von Zollbehörden eines Mitgliedstaates unter Berufung auf die genannte Verordnung in diesem Mitgliedsstaat vorläufig angehalten werden. Nach der bindenden (SZ 69/56; ÖBA 1999, 1026 mwN; 4 Ob 22/00i) Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften steht somit fest, dass der in der Klage behauptete Sachverhalt - seine Richtigkeit unterstellt - inländische Zollbehörden dazu verpflichtet, die angeblich nachgeahmte Ware im Inland anzuhalten.

Die Klägerin macht Ansprüche aus gewerblichem Rechtsschutz geltend; zu prüfen ist daher - weil die Beklagte ihren Sitz nicht im Inland hat - ob die Voraussetzungen des Gerichtsstands nach § 83c Absatz 1 letzter Satz JN vorliegen. Diese Bestimmung erklärt jenes Gericht für zuständig, in dessen Sprengel die gesetzwidrige Handlung begangen worden ist. Wird diese Handlung - wie hier - durch vom Ausland abgesendete Gegenstände bewirkt, gilt nach § 83c Absatz 3 JN für die Zuständigkeit - soweit hier in Betracht kommend - jeder Ort des Inlandes als Begehungsort, wo der Gegenstand eingelangt ist.

Die bisherige Rechtsprechung (Nachweise bei Mayr in Rechberger, ZPO**2 § 83c JN Rz 3) ging davon aus, dieser Zuständigkeitstatbestand verlange, dass der beanstandete Eingriffsgegenstand bestimmungsgemäß (zumindest mit Wissen des ausländischen Erzeugers oder Händlers) in das für die Zuständigkeit maßgebende Gebiet gebracht worden sei. Diese enge Auffassung ist infolge der durch die im Zuge des Beitritts zur Europäischen Union eingetretenen Änderung der Rechtslage überholt. Die gebotene gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung des § 83c Abs 3 JN hat sich nunmehr auch an Art 1 Antipiraterieverordnung und den mit dieser Norm verfolgten Zielen zu orientieren.

Zweck der Antipiraterieverordnung ist es nach ihren einleitenden Erwägungen, so weit wie möglich zu verhindern, dass die darin näher bezeichneten Waren auf den Markt gelangen; diese sollen vielmehr - unbeschadet der sonstigen rechtlichen Schritte, die der Markeninhaber einleiten kann - vernichtet oder aus dem Marktkreislauf genommen werden (Art 8 Abs 1 lit a Antipiraterieverordnung). Die Verwirklichung dieses Zwecks verlangt, den Begriff des Einlangens iSd § 83c Absatz 3 JN nicht auf den Fall des Eintreffens des Gegenstands an seinem Bestimmungsort nach Durchlaufen des geplanten Transportwegs einzuengen. Wird Transitware von Zollbehörden in Anwendung einer gemeinschaftsrechtlichen Verordnung im Inland angehalten, so ist vielmehr auch diese Ware am Ort der Anhaltung eingelangt iSd § 83c Absatz 3 JN, und zwar selbst dann, wenn Absender und Empfänger der Waren ihren Sitz in Drittländern haben. Sind für eine bürgerliche Rechtssache die Voraussetzungen für die örtliche Zuständigkeit eines Gerichts gegeben, so besteht auch die inländische Gerichtsbarkeit, ohne dass eine sonstige Voraussetzung erfüllt sein muss (§ 27a JN).

Nach der Aktenlage sind die betroffenen Waren von der Zollbehörde erstmals in Linz-Hörsching, also im Sprengel des Erstgerichts, angehalten worden, wo sie sich noch befinden. Das Erstgericht hat demnach seine Zuständigkeit zu Unrecht verneint und wird das Verfahren unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund einzuleiten haben.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 zweiter Satz ZPO.