JudikaturJustiz3Ob798/54

3Ob798/54 – OGH Entscheidung

Entscheidung
09. Dezember 1954

Kopf

SZ 27/314

Spruch

Bei Offerten an eine Behörde sind nicht die kurzen Fristen des § 862 ABGB., der nicht zwingendes Recht ist, sondern die durch die Organisation der Behörde bedingten längeren Fristen zu beachten.

Entscheidung vom 9. Dezember 1954, 3 Ob 798/54.

I. Instanz: Bezirksgericht Lambach; II. Instanz: Kreisgericht Wels.

Text

Die Klägerin stellt das aus dem Spruch ersichtliche Begehren gemäß § 36 Abs. 1 Z. 3 EO. mit der Begründung, der Beklagte habe mit der Klägerin vereinbart, daß die Untermieter, darunter auch das Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft (spanische Reitschule), in den bisher von ihnen gemieteten Räumen so lange verbleiben können, bis zwischen ihnen und dem Beklagten neue Mietverträge abgeschlossen werden.

Nachdem das das Klagebegehren abweisende Urteil des Prozeßgerichtes zweimal vom Berufungsgericht, darunter einmal unter Bestätigung durch den Obersten Gerichtshof, aufgehoben worden war, wies das Prozeßgericht das Klagebegehren neuerlich ab.

Es stellte fest, daß zwar der Beklagte schon vor der Fällung des Räumungsurteiles und auch nachher bereit gewesen sei, unter gewissen Bedingungen mit den Untermietern der klagenden Partei in ein Rechtsverhältnis zu treten und sie als Hauptmieter zu übernehmen, daß hierin aber ein Verzicht auf die Exekutionsführung auf Grund des Räumungsurteiles weder für immer noch für eine bestimmte Zeit erblickt werden könne und daß auch der damalige Vertreter des Beklagten Dr. W. einen derartigen Verzicht nicht abgegeben habe. Im übrigen seien die unpräjudizierlich geführten Verhandlungen durch die Nichtbeantwortung des vom Vertreter des Beklagten dem Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft zugesandten Schreibens samt Vertragsentwurf durch nahezu ein Vierteljahr konkludent beendigt worden.

Das Berufungsgericht bestätigte das Urteil des Prozeßgerichtes und sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes 10.000 S übersteige. Es ergänzte das Beweisverfahren durch ergänzungsweise Vernehmung der Zeugen Dr. W. und Dr. Sch. und gelangte auf Grund dieser Beweisergänzungen zur Feststellung, daß Dr. W. namens des Beklagten am 9. Jänner 1951 die ernstgemeinte Erklärung abgegeben habe, die Untermieter vorläufig im Schloß zu belassen, um ihnen so die Möglichkeit zu geben, daß sie mit dem Beklagten neue Mietverträge abschließen können. Diese Zusage könne nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen und der Übung des redlichen Verkehrs nicht anders verstanden werden, denn als Zusage, von dem zu erwirkenden Exekutionstitel den Untermietern gegenüber vorläufig keinen Gebrauch zu machen, somit als Verzicht auf die Exekutionsführung für eine bestimmte Zeit, nämlich solange die Verhandlungen wegen Abschlusses neuer Mietverträge laufen. Nun habe aber Dr. W. in seinem Schreiben, das er am 4. April 1951 abgeschickt habe, dem Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft mitgeteilt, nach schriftlicher Ausfertigung des Urteiles stehe nur kurze Zeit zur Verfügung, er möchte aber vorher die einvernehmliche Regelung abgeschlossen haben, weshalb er bitte, die Stellungnahme zu dem Entwurf, den er mitsende, alsbald mitteilen zu wollen, das Urteil sei ihm am 2. April 1951 zugestellt worden. Das Schreiben des Dr. W. samt Vertragsentwurf stelle ein Offert dar, das gemäß § 862 ABGB. umgehend beantwortet werden mußte, zumal Dr. W. ausdrücklich eine alsbaldige Stellungnahme verlangte. Da seit der Absendung des Schreibens bis zur Stellung des Exekutionsantrages mehr als zwei Monate verstrichen seien, habe der Beklagte angesichts des derart lange andauernden Schweigens des Untermieters annehmen müssen, daß der Untermieter am Abschluß eines neuen Mietvertrages nicht mehr interessiert sei, und daher die Verhandlungen für beendet ansehen können. Der Beklagte sei daher berechtigt gewesen, am 9. Juni 1951 den Antrag auf Bewilligung der zwangsweisen Räumung zu stellen.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Klägerin Folge und erklärte die Exekution durch zwangsweise Räumung für unzulässig.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Nach den Feststellungen des Berufungsgerichtes, die vom Beklagten in der Revisionsbeantwortung nicht bekämpft wurden und die auch in den Ergebnissen des vor dem Berufungsgerichte durchgeführten Beweisverfahrens ihre Stütze finden, hat der Vertreter des Beklagten Dr. W. am 9. Jänner 1951, dem Tage der Verkundung des Urteiles im Räumungsprozeß, die ernstgemeinte und daher bindende Erklärung der klagenden Partei gegenüber abgegeben, daß er auf die Delogierung der Untermieter für die Dauer der mit diesen wegen Abschlusses von Mietverträgen durchgeführten Verhandlungen verzichte, indem er erklärte, die Untermieter einstweilen in den von ihnen benützten Räumen belassen zu wollen, um ihnen die Möglichkeit zu geben, mit ihm neue Mietverträge abzuschließen. Daß ein derartiger Verzicht als solcher auf die Exekutionsführung für bestimmte Zeit aufzufassen ist, hat der Oberste Gerichtshof bereits in der in dieser Rechtssache ergangenen Entscheidung vom 20. September 1952, 3 Ob 541/52, ausgesprochen und den Standpunkt vertreten, daß in diesem Falle als Frist der Zeitraum anzusehen ist, bis zu welchem der Beklagte mit den Untermietern neue Mietverträge abschließt oder die Verhandlungen als ergebnislos abgebrochen werden.

Von den erwähnten Feststellungen des Berufungsgerichtes ist bei der rechtlichen Beurteilung auszugehen. Nun kann aber der Ansicht des Berufungsgerichtes, daß infolge Ablaufes der in § 862 ABGB. angeführten Frist die Exekutionsführung zulässig gewesen sei, nicht beigetreten werden. Der Oberste Gerichtshof hat in mehreren Entscheidungen, so GlU. 1039, GlUNF. 446, ZBl. 1916 Nr. 341, den Standpunkt vertreten - und von dieser Rechtsansicht abzugehen, besteht kein Grund -, daß die Bestimmung des § 862 ABGB. nicht zwingendes Recht ist, sondern nur feststellt, in welchem Zeitpunkte im Interesse der Sicherheit des Verkehrs der Offerent von seiner Haftung in der Regel entbunden sein soll. Sie schließt demnach nicht aus, daß hiebei, wenn es sich nicht um einen Regelfall handelt, auf die obwaltenden Verhältnisse Rücksicht genommen werden muß. Die gesetzliche Bestimmung des § 862 ABGB. wird nun in allen Fällen angewendet werden können, wo das Anbot an Personen erfolgt, die selbständig über die Annahme oder Ablehnung des Anbotes entscheiden können. Anders steht aber die Sache, wenn es sich, wie im gegebenen Falle, um ein Anbot an eine staatliche Behörde handelt, da dasselbe in einem solchen Fall den durch die geschäftliche Organisation der Körperschaft bedingten Weg nehmen muß und die Beschlußfassung hierüber naturgemäß nicht an so kurze Fristen gebunden sein kann, wie sie § 862 ABGB. im Auge hat. Gemäß § 290 ABGB. hat derjenige, der mit dem Ärar Verträge abschließt oder abschließen will, sich jenen Abweichungen von den Bestimmungen des ABGB. und jenen besonderen Vorschriften zu unterwerfen, die im Staatsrecht und in den politischen Vorschriften enthalten sind, mag es sich auch um ein nach Privatrecht zu beurteilendes Anbot handeln. Es ist daher der Antragsteller an das einer staatlichen Behörde gemachte Vertragsanbot durch die zur geschäftsordnungsmäßigen Erledigung erforderliche Zeit gebunden. Der Antrag, den Mietvertrag abzuschließen, wurde vom Vertreter des Beklagten am 4. April 1951 an das Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft abgesendet und ist dort frühestens am 5. oder 6. April 1951 eingelangt. Mag nun auch der Vertreter des Beklagten in seinem Schreiben erklärt haben, er ersuche, ihm die Stellungnahme alsbald mitzuteilen, da nach schriftlicher Ausfertigung des Urteils nur kurze Zeit zur Verfügung stehe und er, falls das Bundesministerium auf das Mietrecht Wert lege, vorher die einvernehmliche Regelung abgeschlossen haben möchte, so mußte doch der Beklagte bzw. dessen Vertreter damit rechnen, daß die Beantwortung des Schreibens und die Stellungnahme zu dem Vertragsentwurf einen geraumen Zeitraum in Anspruch nehmen werde, da der Vertragsentwurf und die Stellungnahme des Bundesministeriums den geschäftsordnungsmäßigen Weg nehmen mußte, der Referent darüber nicht allein entscheiden konnte und im Hinblick auf die im Vertragsentwurf vorgesehene Wertsicherungsklausel für den Mietzins allenfalls auch die Genehmigung des Bundesministeriums für Finanzen hätte eingeholt werden müssen. Da vom Tage des Erhaltes des Vertragsentwurfes und des Schreibens des Vertreters des Beklagten bis zum Tage der Stellung des Exekutionsantrages nur zwei Monate verstrichen sind, kann im vorliegenden Fall nicht gesagt werden, der Beklagte oder dessen Vertreter habe bei Überlegung aller Umstände keinen vernünftigen Grund gehabt, daran zu zweifeln, daß die Verhandlungen wegen Nichtbeantwortung des Anbots nach Ablauf eines verhältnismäßig kurzen Zeitraumes gescheitert seien.

Hiezu kommt aber noch, daß der Beklagte nach der Verkehrssitte im vorliegenden Falle verpflichtet gewesen wäre, die klagende Partei als die auf Grund des Räumungstitels Verpflichtete darauf aufmerksam zu machen, daß das Bundesministerium auf das Anbot nicht geantwortet habe, und dieser sowie dem Bundesministerium eine Frist zu stellen, nach deren Ablauf die Verhandlungen als gescheitert angesehen werden und die Räumungsexekution hinsichtlich der Untermieter beantragt werden müßte. Denn nach dem Exekutionstitel war die klagende Partei verpflichtet, das Schloß samt Park und den im Schloß befindlichen, dem Beklagten gehörigen Mobilien, somit auch die von den Untermietern benützten Räume, dem Beklagten binnen 14 Tagen zu übergeben, und es war Sache der klagenden Partei, diese Übergabe zu veranlassen oder durchzuführen. Da durch die erwähnte Erklärung des Vertreters des Beklagten die Verpflichtung zur Übergabe der von den Untermietern benützten Räume bis zum Abschluß von Mietverträgen mit den Untermietern oder bis zum Scheitern der Verhandlungen erstreckt worden war, wäre es Pflicht des Beklagten gewesen, die klagende Partei davon zu verständigen, daß das Anbot vom Bundesministerium bisher nicht beantwortet wurde, um der klagenden Partei die Möglichkeit zu geben, einerseits beim Bundesministerium auf Erledigung im Hinblick auf die Stellungnahme des Beklagten zu dringen, anderseits aber für die rechtzeitige Räumung und Übergabe der von den Untermietern benützten Räume Sorge zu tragen, da ja sie dem Beklagten gegenüber für die Kosten der Exekutionsbewilligung und des Vollzuges ersatzpflichtig wäre. Im gegenständlichen Fall, da das Anbot an eine staatliche Verwaltungsbehörde gerichtet wurde, deren Erledigungen den geschäftsordnungsmäßigen Weg gehen müssen, wäre der Beklagte aber auch verpflichtet gewesen, entweder dem Bundesministerium gegenüber auf eine Beantwortung seines Anbotes unter Setzung einer Frist zu drängen oder dem Bundesministerium mitzuteilen, daß die Verhandlungen als gescheitert angesehen werden müssen. Nichts hievon hat aber der Beklagte getan, sondern ohne Verständigung der Beteiligten bereits am 8. Juni 1951 einen Exekutionsantrag offenkundig von Wels zur Post gegeben (gefaltete Eingabe), der bei Gericht am 9. Juni 1951 eingelangt ist. Da aber, wie dargelegt, der Beklagte in diesem Zeitpunkt gar nicht annehmen konnte, daß das Bundesministerium durch sein bisheriges Schweigen die Verhandlungen abbrechen oder diese gar nicht führen wolle, ist die Exekution entgegen den Vereinbarungen, bis zum Abschluß eines Mietvertrages oder bis zum entgültigen Scheitern der Verhandlungen mit der Exekution zuzuwarten, beantragt worden und es erweist sich daher die am 9. Juni 1951 beantragte und am 11. Juni 1951 bewilligte Exekution als unzulässig (§ 36 Abs. 1 Z. 3 EO.), weshalb der Revision Folge zu geben und wie im Spruche zu erkennen war.