JudikaturJustiz3Ob282/49

3Ob282/49 – OGH Entscheidung

Entscheidung
07. Dezember 1949

Kopf

SZ 22/194

Spruch

Wenn einem gesetzlichen Miterben durch den letzten Willen des Erblassers ein Aufgriffsrecht hinsichtlich des ganzen Nachlasses eingeräumt worden ist, so kann dieses, solange ein Todeserklärungsverfahren hinsichtlich des Berechtigten anhängig ist, nicht ausgeübt werden, und ist das Verlassenschaftsverfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Antrag auf Todeserklärung auszusetzen.

Entscheidung vom 7. Dezember 1949, 3 Ob 282/49.

I. Instanz: Bezirksgericht Leibnitz; II. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz.

Text

Das Verlassenschaftsgericht nahm in der Verlassenschaft nach dem am 19. November 1946 verstorbenen Johann H. die von dem erblasserischen Sohn Franz H., derzeit vermißt, vertreten durch seine Widerstreitsachwalterin Marie H., bzw. für den Fall seiner Todeserklärung von seinem gemäß § 779 ABGB. berufenen "Ersatzerben", dem Sohn des Genannten, mj. Franz H. durch dessen Widerstreitkurator Anton P., weiters die von den erblasserischen Kindern Maria W. und Agnes S. aus dem Berufungsgrunde des Gesetzes zu je einem Drittel des Nachlasses bedingt abgegebene Erbserklärung zu Gerichte an und wurde der Nachlaß mittels Einantwortungsurkunde an die oben erwähnten gesetzlichen Erben zu je einem Drittel eingeantwortet. Da der Erblasser in seiner letztwilligen Anordnung vom 9. Juni 1943 im Falle seines Todes seinem einzigen Sohn Franz H. das Recht eingeräumt hatte, den gesamten Nachlaß um den eidesstättig einbekannten bzw. durch gerichtliche Schätzung zu erhebenden Wert in Natur in sein Eigentum zu übernehmen, und die Abwesenheitskuratorin des vermißten erbl. Sohnes Franz H. bei der Verlassenschaftsabhandlung die Erklärung abgegeben hatte, auf Grund des dem erbl. Sohne Franz H. von seinem Vater eingeräumten Übernahmsrechtes den gesamten Nachlaß zu übernehmen und bereit zu sein, jederzeit die väterlichen Erbteilsforderungen an die erblasserischen Töchter Maria W. und Agnes S. bar und abzugsfrei auszahlen, wurde in der Einantwortungsurkunde die Einverleibung des Eigentumsrechtes des erblasserischen Sohnes Franz H. oder des Ersatzerben des mj. Franz H. an den erblasserischen Liegenschaften verfügt.

Dem Rekurs der Abwesenheitskuratorin gegen die erwähnten Beschlüsse des Abhandlungsgerichtes gab das Rekursgericht insoweit Folge, als die Hinweise in den Beschlüssen, daß für den Fall, als der erblasserische Sohn Franz H. für tot erklärt werden sollte, dessen Sohn, der mj. Franz H., als Erbe einzutreten habe und daß die Einantwortungsurkunde grundbücherlich erst durchgeführt werden dürfe, sobald über die Todeserklärung des vermißten Franz H. entschieden ist, zu entfallen haben. Dem Rekurs der erblasserischen Tochter Maria W., die die Unterbrechung des Verlassenschaftsverfahrens bis nach erfolgter Todeserklärung des verschollenen Franz H. beantragt hatte, wurde keine Folge gegeben, da hiezu keine gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen. Solange die Todeserklärung des Franz H. sen. noch nicht erfolgt sei, müsse sein Erbrecht berücksichtigt werden, da gemäß § 10 des Verschollenheitsgesetzes, solange ein Verschollener nicht für tot erklärt ist, vermutet wird, daß er weiter lebt oder gelebt hat.

Gegen diesen Beschluß richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs der erblasserischen Tochter Maria W., der die Aufhebung der Entscheidungen der Untergerichte begehrt und den Antrag stellt, die Annahme der Erbserklärung des verschollenen Franz H. und die Einantwortung des Nachlasses abzuweisen und die Abhandlung bis zur Erledigung des Todeserklärungsverfahrens hinsichtlich des Franz H. auszusetzen, allenfalls die Sache an das Gericht erster Instanz zu neuerlichen Erhebungen zurückzuverweisen.

Nach Ansicht des Revisionsrekurses liegt eine offenbare Gesetzwidrigkeit deshalb vor, weil die angefochtene Entscheidung gegen die Vorschrift des § 10 des Verschollenheitsgesetzes verstoße. Laut den Akten des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz, T 58/49, sei Franz H. seit 25. März 1945 vermißt, und da der Erblasser am 19. November 1946 verstorben sei, habe Franz H. den Erbanfall nicht erlebt und durfte daher das nur diesem vom Erblasser höchstpersönlich eingeräumte Aufgriffsrecht in Ansehung der Verlassenschaft keine Berücksichtigung finden.

Der Oberste Gerichtshof gab dem außerordentlichen Revisionsrekurs Folge, hob im angefochtenen Punkt die untergerichtlichen Konformatbeschlüsse auf und trug dem Verlassenschaftsgericht auf, das Abhandlungsverfahren erst nach rechtskräftiger Beendigung des Todeserklärungsverfahrens fortzusetzen.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Der Revisionsrekurs ist begrundet.

Nach der Aktenlage ist der erblasserische Sohn Franz H. im Jahre 1945 verwundet in russische Kriegsgefangenschaft geraten und fehlt seither von ihm jede Nachricht. Sein letztes Schreiben von der Ostfront stammt vom 25. März 1945. Das Todeserklärungsverfahren hinsichtlich Franz H. ist beim Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz zu T 58/49 anhängig, jedoch derzeit noch nicht beendigt.

Nach § 10 VerschollenheitsG. vom 4. Juli 1939, DRGBl. 1939 I S. 1186 (GBlÖ. 1939, S. 862), wird, solange ein Verschollener nicht für tot erklärt ist, vermutet, daß er bis zu dem im § 9 Abs. 3 und 4 genannten Zeitpunkt weiter lebt oder gelebt hat. Nach § 9 des erwähnten Gesetzes begrundet die Todeserklärung die Vermutung, daß der Verschollene in dem im Beschluß festgestellten Zeitpunkt gestorben ist. Als Zeitpunkt des Todes ist der Zeitpunkt festzustellen, der nach dem Ergebnis der Ermittlungen der wahrscheinlichste ist. Läßt sich ein solcher Zeitpunkt nicht angeben, so ist als Zeitpunkt des Todes in den Fällen des § 4 (Kriegsverschollenheit) der Zeitpunkt festzustellen, in dem der Verschollene vermißt worden ist.

Für den Fall, als der vermißte erblasserische Sohn Franz H. für tot erklärt werden sollte und als Zeitpunkt seines Todes der Zeitpunkt, in dem er vermißt worden ist, d. i. im vorliegenden Falle ein Tag im Jahre 1945, festgestellt werden sollte, hätte er den Tod des am 9. Juni 1946 verstorbenen Erblassers nicht mehr erlebt. Da ein vermeintlicher Erbe gemäß § 536 ABGB., wenn er vor dem Erblasser stirbt, das noch nicht erlangte Erbrecht auch nicht auf seine Erben übertragen kann, so könnte in diesem Falle auch das ihm im Kodizill vom 9. Juni 1943 vom Erblasser vermachte Aufgriffsrecht hinsichtlich der erblasserischen Liegenschaften nicht auf seinen mj. Sohn Franz H. übergehen. Vielmehr würde gemäß § 689 ABGB., da der eingesetzte Legatar das Vermächtnis nicht annehmen kann, das erledigte Vermächtnis in der Erbschaftsmasse zu verbleiben haben. Es würde also dann die gesetzliche Erbfolge einzutreten haben (§ 727 ABGB.), wonach als Erben der erblasserische Enkel Franz H. und die erblasserischen Töchter Maria W. und Agnes S. zu gleichen Teilen anzusehen wären.

Die Annahme der Erbserklärung der Abwesenheitskuratorin des vermißten erblasserischen Sohnes Franz H. und die Einantwortung des Nachlasses unter Bedachtnahme auf die Bestimmungen des Kodizills vom 9. Juni 1943 vor rechtskräftiger Beendigung des Todeserklärungsverfahrens hinsichtlich des vermißten Franz H. verstoßen daher offenbar gegen die gesetzlichen Bestimmungen des § 10 VerschollenheitsG. und der §§ 536, 689 und 727 ABGB., weshalb dem Revisionsrekurs Folge zu geben war; die angefochtenen Beschlüsse mußten zur Gänze aufgehoben werden, auch hinsichtlich der erblasserischen Tochter Agnes S., wiewohl deren Revisionsrekurs vom Rekursgericht als unzulässig zurückgewiesen worden war, da eine teilweise Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und der Einantwortung nach der Natur der Sache nicht möglich ist.