JudikaturJustiz3Ob104/03w

3Ob104/03w – OGH Entscheidung

Entscheidung
28. Januar 2004

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Pimmer, Dr. Zechner, Dr. Sailer und Dr. Jensik als weitere Richter in der Exekutionssache der betreibenden Partei mj Marvin F*****, vertreten durch den Magistrat der Stadt Wien, wider die verpflichtete Partei B*****, wegen Unterhalt (Streitwert 6.768 EUR), infolge Revisionsrekurses der betreibenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 30. Dezember 2002, GZ 47 R 849/02d 7, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Hernals vom 31. Oktober 2002, GZ 11 E 4815/02w 2, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss sowie der Beschluss des Erstgerichts in seinen Punkten 1. und 3. werden aufgehoben. In diesem Umfang wird die Exekutionssache an das Erstgericht zur Ergänzung des Verfahrens und neuerlichen Entscheidung zurückverwiesen.

Text

Begründung:

Das deutsche Amtsgericht Essen stellte mit Urteil vom 12. Juli 2001, AZ 17 F 21/01 (im Folgenden Titelurteil), fest, dass der in Österreich wohnhafte Verpflichtete der Vater des in der Bundesrepublik Deutschland wohnhaften Betreibenden ist und verhielt den Verpflichteten dazu, dem Betreibenden zu Handen des gesetzlichen Vertreters vom Tag der Geburt (18. Jänner 2000), an Unterhalt in Höhe der jeweiligen Regelbeträge gemäß den jeweiligen Altersstufen gemäß § 1 der deutschen Regelbetrag Verordnung (im Folgenden nur RegelbetragVO) zu zahlen. Dieses Urteil wurde dem Verpflichteten laut der dem Erstgericht vorliegenden Zustellungsbescheinigung gemäß § 213a dZPO der Geschäftsstelle des Amtsgerichts Essen vom 4. September 2001 am 16. Juli 2001 zugestellt und ist entsprechend der dem Erstgericht vorgelegten Urteilsausfertigung beigefügten Bestätigung, gleichfalls vom 4. September 2001 seit 17. August 2001 rechtskräftig und vollstreckbar.

Der lediglich den Urteilsspruch enthaltenden Ausfertigung des Exekutionstitels ist eine Berechnung des Jugendamts der Stadt Essen unter Bezugnahme auf § 1 RegelbetragVO in der jeweils geltenden Fassung sowie des deutschen BundeskindergeldG und des deutschen UnterhaltstitelanpassungsG, ebenfalls jeweils in der geltenden Fassung, erstellte Berechnung der für den Zeitraum 18. Jänner 2000 bis 31. Dezember 2001 sowie ab 1. Jänner 2002 monatlich geschuldeten Unterhaltsbeträge angeschlossen.

Der Betreibende stellte den Antrag, das von ihm gegen den Verpflichteten erwirkte Titelurteil für vollstreckbar zu erklären sowie ihm zur Hereinbringung des Unterhaltsrückstands von 5.913,42 EUR für den Zeitraum vom 18. Jänner 2000 bis 31. Oktober 2002 sowie des laufenden Unterhalts ab 1. November 2002 die Forderungsexekution gegen einen bestimmten Drittschuldner gemäß § 294 EO zu bewilligen. Damit verband er den Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe.

Das Erstgericht erklärte das Titelurteil für vollstreckbar (Punkt 1.), bewilligte dem Betreibenden die Verfahrenshilfe (Punkt 2.) und darüber hinaus die beantragte Forderungsexekution (Punkt 3.).

Es verwies auf das hier anzuwendende EuGVÜ, die erfolgte Vorlage der für die Vollstreckbarerklärung allein erforderlichen Entscheidungsausfertigung, welche die für ihre Beweiskraft erforderlichen Voraussetzungen erfülle, sowie die Vollstreckbarkeits und Zustellungsbestätigung im Falle einer nicht im Versäumungsverfahren ergangenen Entscheidung und hielt darüber hinaus fest, dass nach der Aktenlage keine der alleine eine Ablehnung der Vollstreckbarerklärung rechtfertigenden Umstände nach Art 27 und 28 EuGVÜ vorliegen.

Das Rekursgericht wies die Anträge des Betreibenden, den die Unterhaltspflicht aussprechenden Teil des Titelurteils in Österreich für vollstreckbar zu erklären sowie den Exekutionsantrag des Betreibenden zur Hereinbringung der rückständigen und laufenden Unterhaltsforderung ab und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, weil Rsp zur Frage fehle, ob ein deutscher Unterhaltstitel, der auf die RegelbetragVO verweise, ohne den Unterhaltszuspruch ziffernmäßig zu präzisieren, dem Bestimmtheitsgebot des § 7 Abs 1 EO entspreche. Die Formulierung des Unterhaltszuspruchs beruhe auf § 653 dZPO und stehe im Widerspruch zur österreichischen Rsp, wonach sich der zu zahlende Betrag aus dem Exekutionstitel selbst ergeben müsse. Eine bloße Bestimmbarkeit der Geldforderung genüge mangels ausdrücklicher Sonderregelung auch in den Fällen nicht, in welchen die Betragshöhe durch Heranziehung gesetzlicher Vorschriften bestimmbar wäre. Hier komme hinzu, dass die RegelbetragVO bei den österreichischen Bezirksgerichten idR nicht zugänglich sei. Die Ermittlung des Inhalts dieser Verordnung werde daher häufig mit einem nicht unerheblichen Zeitaufwand verbunden sein. Die Auffassung, wonach ein Vergleich, der auf das österreichische Bundespflegegeldgesetz und die darauf basierenden Anpassungsverordnungen verweise, dem Bestimmtheitsgebot des § 7 Abs 1 EO entspreche, weil die Höhe des geschuldeten Betrags ohne Durchführung eines Zwischenverfahrens ermittelt werden könne, lasse sich daher auf den hier zu beurteilenden Sachverhalt nicht übertragen. Eine Auseinandersetzung mit den im Rekurs des Verpflichteten vorgetragenen Argumenten (unterbliebene Zustellung des Urteils, Verletzung des rechtlichen Gehörs) sei daher nicht erforderlich.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs des Betreibenden ist zulässig und berechtigt.

Die Entscheidung, deren Vollstreckbarerklärung der Betreibende anstrebt (Unterhaltstitel), ist vor Inkrafttreten der Verordnung (EG) Nr 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil und Handelssachen (EuGVVO) entstanden; die diesem zugrunde liegende Klage wurde nach dem 1. Jänner 1999 eingebracht (Zeitpunkt des Inkrafttretens des EuGVÜ im Verhältnis Österreichs zur Bundesrepublik Deutschland; vgl dazu 3 Ob 20/02s), weshalb hier die Bestimmungen des EuGVÜ anzuwenden sind. Unterhaltssachen fallen in den sachlichen Anwendungsbereich des LGVÜ/EuGVÜ (3 Nd 506/97 = SZ 70/162 ua).

Das EuGVÜ geht bei der Anerkennung ausländischer Entscheidungen vom Gedanken der Wirkungserstreckung aus, d.h. eine Entscheidung eines vertragsstaatlichen Gerichts hat in allen anderen Vertragsstaaten dieselbe Wirkung wie in dem Staat, in dem das erkennende Gericht seinen Sitz hat (EuGH Slg 1988, 645, - Hoffmann/Krieg; Czernich/Tiefenthaler, Europäisches Gerichtsstands und Vollstreckungsrecht Art 26 Rz 2; Burgstaller/Ritzberger, Internationales Zivilverfahrensrecht Rz 2213; Kropholler, EuZPR7 vor Art 33 Rz 9 mwN; Nagel/Gottwald, Internationales Zivilprozessrecht5, § 11 Rn 20 mwN). Zu Recht ist das Rekursgericht davon ausgegangen, dass Voraussetzung für die Vollstreckbarerklärung eine hinreichende Bestimmtheit des Titelurteils ist.

An die Bestimmtheit ausländischer Exekutionstitel dürfen aber nicht dieselben Anforderungen wie an inländische Titel gestellt werden (G. Kodek in Czernich/Tiefenthaler/Kodek, Europäisches Gerichtsstands und Vollstreckungsrecht2 Art 38 Rz 7; Burgstaller/Höllwerth in Burgstaller/Deixler Hübner, EO § 79 Rz 13 f; vgl auch 3 Ob 160/98w = ZfRV 1999, 75). Besonders an europäischen Titeln darf keine strenge Bestimmtheitsprüfung vorgenommen werden, wenn sie im Heimatstaat vollstreckbar sind (Burgstaller/Höllwerth aaO Rz 14 mwN; G. Kodek aaO). "Offene Titel" muss das Vollstreckungsgericht konkretisieren, wobei die zu vollstreckende Forderung ohne weitere Wertungsentscheidung zu berechnen sein muss (iS einer Bestimmbarkeit; Burgstaller/Höllwerth aaO; G. Kodek aaO Art 38 Rz 7; vgl Jakusch in Angst, EO, § 7 Rz 49; BGH in IPRax 1994, 367, [zust Herbert Roth aaO 350]). Entgegen der von der zweiten Instanz vertretenen Ansicht handelt es sich auch bei dem nach der RegelbetragVO in der jeweils geltenden Fassung festgesetzten Unterhalt um einen geschuldeten Betrag, dessen Höhe ohne Durchführung eines Zwischenverfahrens ermittelt werden kann (vgl 10 ObS 210/97y = RdW 1998, 279). Im Hinblick auf das vom EuGVÜ angestrebte System des "freien Verkehrs der Urteile" innerhalb der Vertragsstaaten (Czernich/Tiefenthaler aaO Art 26 Rz 1) iS einer Förderung der Anerkennung und Erleichterung der Vollstreckbarkeit ausländischer Entscheidungen dürfen allfällige Schwierigkeiten bei der Ermittlung oder Überprüfung des Inhalts ausländischer Gesetze und Verordnungen, welche aber im Zuge fortgesetzt erleichterten (elektronischen) Zugangs tendenziell kleiner werden, nicht dazu herangezogen werden, die Vollstreckung in einem anderen Vertragsstaat erwirkter Exekutionstitel zu erschweren oder zu vereiteln. Die gebotene Konkretisierung, welche im hier zu beurteilenden Antrag auf Vollstreckbarerklärung und Exekutionsbewilligung erfolgt ist und unter Heranziehung der deutschen Gesetze und Verordnungen ohne unverhältnismäßige Schwierigkeiten überprüft werden kann, steht daher der Bewilligung der Anträge des Betreibenden nicht entgegen.

Nach Art 27 Z 2 EuGVÜ ist aber eine Entscheidung nicht anzuerkennen und iVm Art 34 EuGVÜ auch die Vollstreckbarerklärung zu versagen, wenn dem Beklagten, der sich auf das Verfahren nicht eingelassen hat, das dieses Verfahren einleitende Schriftstück oder ein gleichwertiges Schriftstück nicht ordnungsgemäß und so rechtzeitig zugestellt worden ist, dass er sich verteidigen konnte. Die angeführten Voraussetzungen sind nach Rsp und hL von Amts wegen zu prüfen (3 Ob 78/00t = EvBl 2001/14 = ZfRV 2001/18; 3Ob 287/99y = SZ 73/113 = ZfRV 2001/19; G. Kodek aaO Art 34 Rz 4 je mwN; Kropholler aaO vor Art 33 Rz 6). Andernfalls wäre es nämlich sinnlos, von demjenigen, der eine Entscheidung im Zweitstaat für vollstreckbar erklärt haben will, die Vorlage auch der Urschrift oder einer beglaubigten Abschrift der Urkunde zu verlangen, aus der sich ergibt, dass das den Rechtsstreit einleitende Schriftstück oder ein gleichwertiges Schriftstück der säumigen Partei zugestellt worden ist (EvBl 2001/14). Zwar ergibt sich aus der im Rekursverfahren vorgelegten Urteilsausfertigung mit Entscheidungsgründen, dass sich der Verpflichtete nicht in das Verfahren eingelassen hat (weder schriftlich noch mündlich zur Sache vorgetragen oder Anträge gestellt hat), der in diesem Fall gemäß Art 46 Z 2 EuGVÜ vorzulegende Zustellnachweis betreffend das verfahrenseinleitende Schriftstück liegt aber ebensowenig vor wie ein allenfalls nach Art 48 EuGVÜ iS der vorgesehenen Beweiserleichterung als gleichwertig anzusehendes Schriftstück (vgl SZ 73/113, EvBl 2001/14).

Das Erstgericht wird daher im fortzusetzenden Verfahren zunächst ein Verbesserungsverfahren gemäß § 54 Abs 3 EO iVm § 83 Abs 2 EO zur Behebung der Unvollständigkeit des Antrags des Betreibenden auf Vollstreckbarerklärung und Exekutionsbewilligung einzuleiten und weiters die Behauptungen des Verpflichteten in seinem Rekurs, er sei ungeachtet einer diesbezüglichen Zusage nicht ordnungsgemäß geladen/verständigt/informiert/aufgeklärt worden, wodurch sein rechtliches Gehör nicht gewahrt worden sei, zu überprüfen haben.

Diese Erwägungen müssen zu der aus dem Spruch ersichtlichen Entscheidung führen.

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