JudikaturJustiz3Ob101/18a

3Ob101/18a – OGH Entscheidung

Entscheidung
21. September 2018

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr.

Hoch als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Roch und Dr. Rassi und die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun-Mohr und Dr. Kodek als weitere Richter in der Sachwalterschaftssache (Erwachsenenvertretungssache) des Betroffenen H*****, Sachwalter (gerichtlicher Erwachsenenvertreter) Mag. Wulf S*****, Rechtsanwalt in *****, wegen Enthebung des Sachwalters, über die außerordentlichen Revisionsrekurse des Sachwalters gegen die Beschlüsse des Landesgerichts Steyr als Rekursgericht vom 4. Dezember 2017, GZ 2 R 44/17x, 2 R 52/17y 680, und vom 16. April 2018, GZ 2 R 1/18z 752, womit die Beschlüsse des Bezirksgerichts Steyr vom 13. Juli 2017, GZ 17 P 12/16h 621, vom 11. August 2017, GZ 17 P 12/16h 634, und vom 27. November 2017, GZ 17 P 12/16h 663, bestätigt wurden, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Den Revisionsrekursen wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben. Dem Erstgericht wird die neuerliche Entscheidung aufgetragen.

Text

Begründung:

Mit Beschluss des Bezirksgerichts Eisenstadt vom 22. August 2013 wurde für den Betroffenen ein Rechtsanwalt zum Sachwalter bestellt.

Mit Urteil des Landesgerichts Krems an der Donau vom 27. Juli 2015 wurde der Betroffene wegen des Vergehens der gefährlichen Drohung mit dem Tod (begangen als Insasse der Justizanstalt Stein gegenüber dem Leiter des Vollzugsbereichs als Reaktion auf einen ihm nicht gewährten Ausgang) zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten verurteilt; gemäß § 21 Abs 2 StGB wurde er in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen.

Nach Übertragung der Zuständigkeit zur Besorgung der Sachwalterschaftssache auf das Erstgericht enthob dieses den bisherigen und bestellte an seiner Stelle den nunmehrigen (Revisionsrekurswerber zum) Sachwalter.

Mit Schriftsatz vom 27. Juni 2017 beantragte der neue Sachwalter seine sofortige Enthebung, weil der Betroffene am 26. Juni 2017 telefonisch eine Drohung gegen seine Nichte ausgesprochen und darüber hinaus am 27. Juni 2017 schriftlich (mit Postkarte) seinen Neffen bedroht habe. Wegen dieses Sachverhalts habe er eine Strafanzeige gegen den Betroffenen eingebracht. Da die Drohungen gegen die Familienangehörigen des Sachwalters gerichtet seien, könne mit Sicherheit nicht von einer bloß milieubedingten Unmutsäußerung gegen den Sachwalter ausgegangen werden. Unter diesen Umständen lehne der Sachwalter eine weitere Vertretung des Betroffenen ab, weil eine massive Interessenkollision bestehe, was auch mit den standesrechtlichen Regeln nicht zu vereinbaren sei.

Diesem Schriftsatz war eine Gleichschrift der Strafanzeige und eine Kopie der angesprochenen Postkarte angeschlossen. Letztere ist an den Sachwalter adressiert, offenbar vom Betroffenen unterfertigt und hat folgenden Text: „Hey, altes Arschloch! Wie geht es Alex, noch gut? Schauen wir, was die StA Wien zu Deinen Verbrechen sagt.“

Aus der Strafanzeige ergibt sich, dass Alexander S***** der in Wien lebende Neffe des Sachwalters ist, und dass der Betroffene dem Sachwalter am Ende eines Telefonats am 26. Juni 2017 verschiedene Namen nannte, verbunden mit der Frage, ob er diese Personen kenne. Unter anderem erkundigte sich der Betroffene, ob der Sachwalter eine Stefanie S***** – bei der es sich um die in Wien lebende Nichte des Sachwalters handelt – kenne. Nachdem (oder obwohl) der Sachwalter dies verneinte, erklärte der Betroffene, er werde dafür sorgen, „dass sie jemand durchfickt“. Danach wurde das Gespräch beendet.

Mit Schriftsatz vom 4. Juli 2017 legte der Sachwalter einen Ausdruck von der Facebook-Seite des Betroffenen mit weiteren Drohungen (26. Juni 2017: „RA Wulf S***** […] geht es an den Kragen. B***** war mit einer meiner Bekannten in der HBLA Margaretengürtel und kennt auch Alexander und Stefanie S*****. Ob die jetzt nicht ein Problem haben. Der Akt ist bei der StA Wien 24 St 92/17x.“) vor, und „forderte“ nochmals seine umgehende Abbestellung als Sachwalter. Der Betroffene bedrohe gezielt die Familienangehörigen des Sachwalters und diesen selbst. Eine weitere Übernahme der Sachwalterschaft sei für ihn weder zumutbar noch aus standesrechtlichen Gründen möglich.

Auf Anfrage des Erstgerichts teilte das VertretungsNetz Sachwalterschaft mit Schreiben vom 11. Juli 2017 mit, dass die Sachwalterschaft mangels freier Vertretungskapazitäten derzeit nicht übernommen werden könne.

Das Erstgericht wies mit Beschluss vom 13. Juli 2017 die Anträge des Sachwalters vom 27. Juni und vom 4. Juli 2017 auf sofortige Enthebung ab. Ein Umbestellungsgrund liege nicht vor, wenn ein vergleichbarer Widerstand des Betroffenen unabhängig von der Person des konkret bestellten Sachwalters auch gegenüber anderen Personen zu erwarten sei. Der Betroffene habe von Anfang an versucht, die Bestellung eines Sachwalters zu verhindern. Bereits damals habe er die zuständigen Richter bedroht, um sein Ziel, eine Sachwalterschaft zu verhindern, zu erreichen. Er lehne unverändert jeden ihm beigegebenen Sachwalter ab, was sich in zahlreichen Anträgen, das Sachwalterschaftsverfahren für beendet zu erklären, widerspiegle. Ein neuerlicher Wechsel in der Person des Sachwalters werde daher keine Änderung des krankheitsbedingten Fehlverhaltens des Betroffenen bewirken. Der möglichen Fremdgefährdung durch den Betroffenen, die ohnehin von der Staatsanwaltschaft Wien geprüft werde, sei ausschließlich mit strafrechtlichen Mitteln zu begegnen. Bei einer Umbestellung würde der Betroffene auch den neuen Sachwalter bedrohen, sobald dieser Maßnahmen setze, mit denen der Betroffene nicht einverstanden sei.

Mit Schriftsatz vom 9. August 2017 beantragte der Sachwalter neuerlich seine sofortige Enthebung. Der Betroffene habe inzwischen weitere Drohungen gegen ihn und seine Familie ausgesprochen; dies trotz der Anhaltung im Rahmen des Maßnahmenvollzugs und des anhängigen Strafverfahrens. Weiters habe er inzwischen versucht, mittels Meldeauskunft die Adressen der von ihm bedrohten Angehörigen des Sachwalters auszuforschen. Es könne daher sicherlich nicht weiter angezweifelt werden, dass eine massive Gefährdung bestehe.

Mit diesem Schriftsatz legte der Sachwalter ua folgendes an ihn gerichtete Schreiben des Betroffenen vom 24. Juli 2017 (eingegangen am 7. August 2017) vor:

„[…] Ein guter Rat, setze Dich dahinter, dass die Umbestellung durchgeht – Du weißt nicht, was auf Dich zukommt. Denke an die StA Wien Zl 24 St 92/17x und 178 Bl 10/17p. […] Und sollte Dir oder Deiner Familie etwas zustoßen, vielleicht sogar ein Verbrechen – der Richter trägt die Verantwortung – ich habe mehrere Zeugen, dass ich damit nichts zu tun habe – ich habe zeitgerecht gewarnt davor. Obwohl, es täte mir nicht leid um Dich – nur, ich werde da unschuldig mit reingezogen und das will ich vermeiden. [...]“

Das Erstgericht wies mit Beschluss vom 11. August 2017 auch diesen Antrag des Sachwalters ab.

Mit Schriftsatz vom 14. November 2017 beantragte der Sachwalter neuerlich die Umbestellung. Ihm sei vom Forensischen Zentrum *****, in dem der Betroffene damals untergebracht war, am 25. Oktober 2017 ein bereits geöffnetes Schreiben des Finanzamts an den Betroffenen (ein Gebührenbescheid über 32,50 EUR wegen der vom Betroffenen eingeholten Meldeauskünfte hinsichtlich der von ihm zuvor bedrohten Familienangehörigen des Sachwalters) übermittelt worden. Am selben Tag habe der Betroffene in der Kanzlei des Sachwalters angerufen und mitgeteilt, dass dieser einen Brief vom Finanzamt bekommen werde. Er solle ihn ja nicht aufmachen, „oder seine Familienangehörigen sind tot“. Danach habe der Betroffene sofort aufgelegt. Am 30. Oktober 2017 habe der Betroffene wieder angerufen und erklärt, er wolle den Brief haben, „oder es gibt Krieg“. Am 31. Oktober 2017 habe der Betroffene wieder in der Kanzlei angerufen und erklärt, der Sachwalter „soll keinen Scheiß mehr machen wie in letzter Zeit, er soll an seine Familie denken“. Unter diesen Umständen sei eine Vertretung des Betroffenen durch den Sachwalter unmöglich.

Das Erstgericht wies mit Beschluss vom 27. November 2017 auch diesen Antrag ab.

Mit Beschluss des Vollzugsgerichts vom 29. November 2017 wurde dem Betroffenen gemäß § 133 Abs 2 StVG Aufschub des weiteren Maßnahmenvollzugs mit der Weisung gewährt, eine adäquate medizinische Behandlung in einem Krankenhaus vornehmen zu lassen. Dieser Aufschub ist nach wie vor wirksam.

Das Rekursgericht gab den Rekursen des Sachwalters gegen die Beschlüsse des Erstgerichts nicht Folge. Eine Umbestellung des Sachwalters setze grundsätzlich voraus, dass das Wohl des Betroffenen eine solche Maßnahme erfordere. Das sei nach der Rechtsprechung dann nicht der Fall, wenn Widerstand des Betroffenen unabhängig von der Person des bestellten Sachwalters auch gegenüber einer anderen Person zu erwarten sei, etwa weil der Betroffene der Meinung sei, keines Sachwalters zu bedürfen. Lediglich verbal aggressives Verhalten des Betroffenen bewirke noch nicht die Unzumutbarkeit der Sachwalterschaft für einen Rechtsanwalt. Das Fehlverhalten des Betroffenen sei Ausfluss seiner paranoiden Persönlichkeitsstörung, weshalb nicht zu erwarten sei, dass der Betroffenen einen allfälligen neuen Sachwalter nicht bedrohen würde. Sollte tatsächlich eine Interessenkollision bestehen, werde mit der Bestellung eines Kollisionssachwalters vorzugehen sein.

Das Rekursgericht ließ jeweils den ordentlichen Revisionsrekurs mangels erheblicher Rechtsfrage nicht zu.

Rechtliche Beurteilung

Die außerordentlichen Revisionsrekurse des Sachwalters sind zulässig und im Sinn des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags berechtigt .

Der Betroffene hat keine Revisionsrekursbeantwortung erstattet.

1. Den Vorinstanzen ist grundsätzlich dahin zuzustimmen, dass eine Umbestellung des (nunmehr) Erwachsenenvertreters (§ 1503 Abs 9 Z 10 ABGB) nach der Rechtsprechung insbesondere dann nicht zu erfolgen hat, wenn ein Widerstand des Betroffenen unabhängig von der bestellten Person auch gegenüber einer anderen Person zu erwarten ist, etwa weil der Betroffene der Meinung ist, keines Sachwalters zu bedürfen (RIS-Justiz RS0117813 [T3]; jüngst 8 Ob 37/17z), und dass lediglich verbalaggressives Verhalten des Betroffenen in aller Regel für einen Rechtsanwalt die Ausübung der Sachwalterschaft noch nicht unzumutbar macht (8 Ob 37/17z = RIS-Justiz RS0123572 [T2]).

2. In Ausnahmefällen hat allerdings sehr wohl eine solche Umbestellung aufgrund von Drohungen des Betroffenen zu erfolgen. So hat der Oberste Gerichtshof etwa zu 6 Ob 227/12v den Umbestellungsantrag einer (weiblichen) Sachwalterin im Fall eines 190 cm großen und 180 kg schweren, hoch aggressiven Mannes der aufgrund verschiedener Umstände wiederholt „sehr bedrohlich“ aufgetreten war, wodurch er bereits mehrfach Frauen massiv eingeschüchtert hatte, als berechtigt beurteilt.

3. Im vorliegenden Fall ist zu berücksichtigen, dass der Betroffene nicht bloß wiederholt ganz massive Drohungen (mit Tod bzw Vergewaltigung) gegen den Sachwalter und dessen Angehörige ausgesprochen hat, sondern – trotz seiner damaligen Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher – zunächst Mittel und Wege fand, die Namen der nahen Angehörigen des Sachwalters zu eruieren, und in der Folge sogar den konkreten Versuch unternahm, durch eine Meldeanfrage deren Wohnanschrift herauszufinden. Diese besonderen Umstände in Verbindung mit der Tatsache, dass der Betroffene (bis auf weiteres) nicht mehr in der Anstalt angehalten wird, machen dessen weitere Vertretung durch den (neuen) Erwachsenenvertreter für Letzteren unzumutbar. Auf die von ihm auch noch ins Treffen geführte Interessenkollision kommt es deshalb nicht an.

4. Eine sofortige Enthebung des Erwachsenenvertreters durch den Obersten Gerichtshof ist nicht möglich, weil der Betroffene dann vorübergehend keinen gesetzlichen Vertreter hätte. Die Umbestellung wird deshalb durch das Erstgericht zu erfolgen haben.

Rechtssätze
2