JudikaturJustiz33R159/23d

33R159/23d – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
08. Februar 2024

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat als Rekursgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Hinger als Vorsitzenden sowie die Richterin Mag. Tscherner und den Richter Mag. Schmoliner in der Rechtssache der klagenden Partei E***** , vertreten durch die Fieldfisher Rechtsanwälte GmbH Co KG in Wien, gegen die beklagte Partei M***** , vertreten durch die DORDA Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen EUR 28.571,02 s.A. über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 5.10.2023, 62 Cg 16/23z 16, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger ist schuldig, der Beklagten binnen 14 Tagen die mit EUR 1.805,46 (darin EUR 300,91) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens zu ersetzen.

Der Revisionsrekurs ist jedenfalls unzulässig.

Begründung

Text

Das Erstgericht erließ am 20.3.2023 aufgrund der am 21.2.2023 vom Kläger eingebrachten Mahnklage wegen Zahlung von EUR 28.571,02 s.A. einen Zahlungsbefehl. Die Post schickte das Kuvert mit dem Zahlungsbefehl (sowie mit dem Beschluss des Landesgerichts für ZRS Wien über die Zurückweisung der Klage, dem Überweisungsantrag und mit dem Überweisungsbeschluss) am 17.4.2023 mit dem Vermerk „nicht behoben“ an das Erstgericht zurück. Laut einem darauf angebrachtem, nicht unterschriebenem, Vermerk soll der Zahlungsbefehl an der Adresse der Beklagten in der Abgabeeinrichtung hinterlegt worden sein. Als Beginn der Abholfrist wurde der 29.3.2023 vermerkt. Die Beklagte erhob zunächst keinen Einspruch. Das Erstgericht bestätigte am 24.5.2023 die Vollstreckbarkeit.

Am 6.6.2023 beantragte die Beklagte die Aufhebung der Vollstreckbarkeitsbestätigung und in eventu die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Außerdem holte sie den Einspruch gegen den Zahlungsbefehl nach. Die Beklagte habe erst am 23.5.2023 Kenntnis von der Mahnklage und vom Zahlungsbefehl erlangt. Die Beklagte habe den Zahlungsbefehl weder persönlich bekommen, noch habe sie eine Hinterlegungsanzeige erhalten; die Vollstreckbarkeitsbestätigung sei daher irrtümlich erteilt worden.

Der Kläger sprach sich gegen die Aufhebung der Vollstreckbarkeitsbestätigung aus. Die Zustellung sei erfolgt. Dass die Beklagte die Hinterlegungsanzeige nicht gefunden habe, beruhe auf einem Organisationsverschulden ihrerseits.

Mit dem angefochtenen Beschluss hob das Erstgericht die Bestätigung der Vollstreckbarkeit auf. Es nahm den auf den auf Seite 3 und 4 der Beschlussausfertigung ersichtlichen Sachverhalt als bescheinigt an; auf diesen wird verwiesen.

Für das Rekursverfahren wird daraus hervorgehoben, dass die für die Postannahme zuständige Mitarbeiterin der Beklagten von 27.3.2023 bis 29.3.2023 täglich an der Adresse der Beklagten (Abgabestelle) im Büro anwesend gewesen und dass kein persönlicher Zustellversuch erfolgt sei. Sie habe auch im Postkasten keine Hinterlegungsanzeige vorgefunden. Im Rahmen der rechtlichen Beurteilung stellte die Erstrichterin disloziert fest, dass der Zusteller an der Abgabestelle der Beklagten keine Hinterlegungsanzeige hinterlassen habe. Rechtlich führte das Erstgericht aus, dass mangels rechtswirksamer Zustellung die irrtümlich erteilte Vollstreckbarkeitsbestätigung aufzuheben sei.

Gegen diesen Beschluss richtet sich der Rekurs des Klägers aus den Rekursgründen der Aktenwidrigkeit, der Mangelhaftigkeit des Verfahrens, der unrichtigen Sachverhaltsfeststellung aufgrund unrichtiger Beweiswürdigung und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, den Antrag auf Aufhebung der Bestätigung der Vollstreckbarkeit abzuweisen. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagte beantragt, dem Rekurs nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist nicht berechtigt.

1. Gemäß § 7 Abs 3 EO ist eine gesetzwidrig oder irrtümlich erteilte Vollstreckbarkeitsbestätigung durch Beschluss aufzuheben. Eine Bestätigung der Vollstreckbarkeit wird irrtümlich erteilt, wenn ihr ein der Wirklichkeit nicht entsprechender Sachverhalt zugrunde gelegt ist; deshalb liegt eine irrtümliche Vollstreckbarkeitsbestätigung insbesondere dann vor, wenn der Exekutionstitel dem Titelschuldner nicht rechtswirksam zugestellt wurde und daher die Vollstreckbarkeit des Titels tatsächlich nicht eingetreten ist (RS0001544).

Das Prozessgericht hat vor der Bestätigung der Vollstreckbarkeit selbständig im Rahmen der amtswegigen Überwachung des Zustellwesens (§ 87 Abs 1 ZPO) zu prüfen, ob das Schriftstück schon gesetzmäßig zugestellt worden ist, die Partei also die Tragweite des konkreten Rechtsstreits und der von ihr zur Rechtsverteidigung allenfalls erforderlichen Rechtshandlungen erkennen konnte (vgl RS0111270; vgl auch RS0036440; Gitschthaler aaO § 87 ZPO Rz 6 mwN; Stumvoll in Fasching/Konecny 3 § 87 ZPO Rz 3 ff).

2. Eine Zustellung durch Hinterlegung ist nur dann wirksam, wenn der an der Abgabestelle nicht angetroffene Empfänger schriftlich davon verständigt wird (vgl Gitschthaler in Rechberger/Klicka ZPO 5 § 87 ZPO [§ 17 ZustG] Rz 2). Die Verständigung ist nach § 17 Abs 2 ZustG in die für die Abgabestelle bestimmte Abgabeeinrichtung einzulegen, an der Abgabestelle zurückzulassen oder, wenn dies nicht möglich ist, an der Eingangstüre anzubringen.

Der Zusteller hat dies nach § 22 Abs 2 ZustG in dem von ihm auszufüllenden Zustellnachweis zu beurkunden. Der Zustellnachweis ist, wenn er die gehörige äußere Form aufweist, eine öffentliche Urkunde, die den – widerlegbaren (vgl (RS0040471, RS0040473, RS0036420; Klauser / Kodek JN-ZPO 18 § 17 ZustG E 16/1) – Beweis erbringt, dass die Zustellung vorschriftsmäßig erfolgt ist (vgl RS0006957 [T5, 6]). Der Zustellnachweis ist dem Absender (hier dem Erstgericht) nach § 22 Abs 2 ZustG unverzüglich zu übersenden. Nach § 22 Abs 3 ZustG genügt – im konkreten Fall anwendbar – die elektronische Übermittlung einer Kopie des Zustellnachweises oder der sich daraus ergebenden Daten.

3. Das Erstgericht ging offensichtlich zunächst davon aus, dass der Beklagten der Zahlungsbefehl durch Hinterlegung mit einer am 29.3.2023 beginnenden Abholfrist im Sinn des § 17 Abs 1 ZustG zugestellt worden ist. Es nahm das Vorbringen der Beklagten, sie habe den Zahlungsbefehl weder persönlich noch durch Hinterlegung zugestellt bekommen, zum Anlass, den Zustellvorgang zu überprüfen.

4. Bei den Erhebungen über den Zustellvorgang war das Erstgericht nicht an die strenge Form des Beweisverfahrens und nicht an bestimmte Erkenntnisquellen gebunden und hatte kraft der Inquisitionsmaxime die Möglichkeit und die Pflicht, auch ohne entsprechende Parteienanträge die erforderlichen Tatumstände festzustellen (RS0036495; vgl Gitschthaler , aaO § 87 ZPO [§ 22 ZustG] Rz 4 mwN). Verbleibende Zweifel an der Rechtswirksamkeit einer Zustellung gehen „zu Lasten der Behörde“ (RS0040471 [T4]; 6 Ob 93/09h; 4 Ob 90/21w).

Das Erstgericht nahm die beantragten Beweismittel auf und kam nach dem im Zwischenstreit abgehaltenen Beweisverfahren zum Schluss, dass an der Abgabestelle keine Hinterlegungsanzeige zurückgelassen worden und die Zustellung unwirksam sei.

5. Das Unterbleiben der Ladung des Zustellorgans von Amts wegen begründet keinen Verfahrensmangel:

Auch im Rahmen der Amtswegigkeit ist das Gericht nicht verpflichtet, Erhebungen durchzuführen, wenn es keinen Anhaltspunkt dafür hat, dass daraus relevante Erkenntnisse zu erwarten sind. Mit dem Rekursvorbringen, das Erstgericht hätte erheben müssen, ob ein persönlicher Zustellversuch erfolgt ist und – sofern das der Fall war – ob der Zusteller eine Hinterlegungsanzeige im Postkasten hinterlassen hat, zeigt der Kläger nicht auf, wieso das Erstgericht einen konkreten Anhaltspunkt dafür gehabt hätte, dass anhand der Einvernahme des Zustellorgans mit hoher Wahrscheinlichkeit (5 Ob 84/08a) eine Zustellung des Zahlungsbefehls abgeleitet hätte werden können. Es lag auch kein Parteienantrag auf Einvernahme des Zustellorgans vor.

6. Eine Aktenwidrigkeit ist nur gegeben, wenn Feststellungen auf aktenwidriger Grundlage getroffen werden, das heißt wenn der Inhalt einer Urkunde, eines Protokolls oder eines sonstigen Aktenstückes unrichtig wiedergegeben und infolgedessen ein fehlerhaftes Sachverhaltsbild der rechtlichen Beurteilung unterzogen wurde (RS0043347). Sie besteht nicht in einem Widerspruch zwischen einer Tatsachenfeststellung und irgend einem vorhandenen Beweismittel, sondern ausschließlich in einem Widerspruch zwischen dem Inhalt eines bestimmten Aktenstückes einerseits und der Zugrundelegung und Wiedergabe desselben durch das Gericht andererseits (RS0043284). Dass das Erstgericht aus der Aussage der Zeugin NN, sie sei im fraglichen Zeitraum immer im Büro gewesen, sie leere täglich das Postfach aus, sie habe dort keine Hinterlegungsanzeige gefunden und der Zusteller habe die Sendung nicht persönlich zugestellt, beweiswürdigend schloss, die Sendung sei weder persönlich zugestellt worden, noch habe der Zusteller eine Hinterlegungsanzeige hinterlassen, kann keine Aktenwidrigkeit begründen (vgl RS0043256).

7. Da das Erstgericht seine Feststellungen nicht auf die Einvernahme von Auskunftspersonen gestützt hat, kann die Beweiswürdigung im Rekursverfahren nicht angefochten werden (RS0040120). Das gilt auch in streitigen Verfahren, in denen die Erhebungen von Amts wegen zu führen sind (vgl RS0007070) und das Neuerungsverbot des § 482 ZPO durchbrochen ist (RS0041847; RS0044018; vgl 1 Ob 6/01s).

8. Der Zustellvorgang war von Beginn an mit dem Mangel behaftet, dass kein Zustellnachweis nach § 22 ZustG vorliegt. Anstelle eines „Rückscheins“ findet sich im Akt nur die Kopie des nicht unterschriebenen Vermerks, dass eine Verständigung zur Hinterlegung in die Abgabeeinrichtung eingelegt worden sei. Dieser Vermerk befindet sich auf dem als nicht behoben zurückgesendeten Kuvert.

Fehlt ein Zustellnachweis im Sinn des § 22 ZustG, gibt es keine Urkunde, aus der die Vermutung der Richtigkeit und Vollständigkeit der Zustellung abgeleitet werden kann (vgl 6 Ob 93/09h). Die Tatsache der Zustellung könnte dann auf andere Weise nachgewiesen werden, wofür als Beweismittel alles in Betracht kommt, was zur Feststellung des maßgebenden Sachverhalts geeignet und nach Lage des einzelnen Falls zweckdienlich ist (RS0006957 [T4]).

Das Fehlen eines Zustellnachweises ist in jeder Lage des Verfahrens, damit auch noch im Rechtsmittelverfahren, vom Amts wegen wahrzunehmen (5 Ob 541/89; RS0036440; vgl Gischthaler aaO § 22 ZustG Rz 4; Stumvoll aaO).

Aus dem Akt ergibt sich als Hinweis auf eine Zustellung nur der Vermerk auf dem zurückgesendeten Kuvert; auch der Kläger brachte keine Umstände vor, aus denen – trotz des Fehlens des formellen Zustellnachweises nach § 22 ZustG – eine wirksame Zustellung abgeleitet werden könnte.

Richtig ist, dass nach § 17 Abs 4 ZustG die im Wege der Hinterlegung vorgenommene Zustellung auch dann gültig ist, wenn die Hinterlegungsanzeige beschädigt oder entfernt wurde. Ob die zuständige Mitarbeiterin der Beklagten eine Hinterlegungsanzeige gefunden hat, wäre daher nicht entscheidend. Es steht aber fest (siehe oben), dass dem Gericht kein Zustellnachweis zugekommen ist. Das Erstgericht verneinte daher zu Recht eine wirksame Zustellung.

9. Die Kostenentscheidung im Zwischenstreit über die Aufhebung der Vollstreckbarkeistbestätigung stützt sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.

10. Der Revisionsrekurs ist nach § 528 Abs 2 Z 2 ZPO jedenfalls unzulässig (vgl 7 Ob 600/94).