JudikaturJustiz33R139/22m

33R139/22m – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
15. Juni 2023

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat als Rekursgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Hinger als Vorsitzenden sowie die Richterin Mag. Janschitz und den Patentanwalt DI Mag. Babeluk in der Rechtssache der klagenden Partei T* , vertreten durch die GEISTWERT Kletzer Messner Mosing Schnider Schultes Rechtsanwälte OG in Wien, wider die beklagten Parteien 1. W* , vertreten durch die CMS Reich-Rohrwig Hainz Rechtsanwälte GmbH in Wien, 2. S*, vertreten durch die Schönherr Rechtsanwälte GmbH in Wien, und 3. M* , vertreten durch die Wolf Theiss Rechtsanwälte GmbH Co KG in Wien, wegen einstweiliger Verfügung (hier wegen Kosten) infolge der Rekurse der klagenden Partei sowie der erstbeklagten und der drittbeklagten Partei gegen den Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 8.11.2022, 11 Cg 69/19p 69, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

I. Die Parteibezeichnung der erstbeklagten Partei wird von S* auf W* richtig gestellt.

II. Dem Kostenrekurs der klagenden Partei wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und dem Erstgericht eine neuerliche Beschlussfassung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Die erst- und die drittbeklagte Partei werden mit ihren Kostenrekursen auf die aufhebende Entscheidung verwiesen.

Die Kosten des Rekursverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.

Begründung

Text

Zur Senatszusammensetzung:

Seit 2014 gilt die aktuelle Fassung des § 162 Abs 1 PatG, dem der Satz angefügt wurde: „Für die Senatszusammensetzung in erster und zweiter Instanz ist § 146 Abs 1 [...] anzuwenden.“ § 146 Abs 1 PatG verweist auf § 8 Abs 2 JN, der nur das Berufungsverfahren regelt. Das würde somit nicht das Sicherungsverfahren in Patentsachen betreffen, denn §§ 387 Abs 3, 388 Abs 3 EO knüpfen nicht an Patentsachen an. Würde man den zentralen Inhalt von § 146 Abs 1 PatG darin sehen, dass dort nur der Begriff der „fachkundigen Laienrichter“ in Abgrenzung zu den „fachmännischen“ [nun „fachkundigen“] „Laienrichtern des Handelsstands“ definiert wird, und bei der Tragweite der Verweisung auf § 8 Abs 2 JN nicht differenzieren, bliebe für die Zuständigkeit der Laienrichter im Rekursverfahren (inkl Sicherungsverfahren) kein Raum. Das wäre aber nicht sachgerecht, denn – vgl Schmidt, Gerichtsbesetzung in Patentsachen, ÖBl 1984, 89 – erfordern auch Rekursentscheidungen durchaus die Fachkunde der Laienrichter.

Die Praxis des OLG Wien geht daher auch in patentrechtlichen Eingriffsverfahren dahin, § 146 PatG als Teil der „gemeinsamen Bestimmungen“ für die generelle Zuständigkeit des OLG Wien zu sehen und aus dieser systematischen Betrachtung abzuleiten, dass sich die dort grundgelegte Beteiligung von Laienrichtern sowohl auf das Rekurs- als auch auf das Berufungsverfahren bezieht. Die beschränkende Wirkung des § 8 Abs 2 JN auf Berufungsverfahren und Urteile wird in teleologischer und systematischer Auslegung reduziert. Daher gehört auch für die vorliegende Rekursentscheidung dem Senat ein fachkundiger Laienrichter an.

Zu I.: Mit Schriftsatz vom 18.5.2022 teilte die Erstbeklagte unter Vorlage eines Firmenbuchauszuges mit, dass ihre Firma von S* auf W* geändert wurde. Die Parteibezeichnung der Erstbeklagten war daher zu berichtigen (§ 235 Abs 5 ZPO).

Zu II.:

Die Klägerin beantragte zusammengefasst zur Sicherung ihres inhaltsgleichen Unterlassungsbegehrens die Erlassung einer einstweiligen Verfügung, den Beklagten möge aufgetragen werden, es ab sofort zu unterlassen, im Gebiet der Republik Österreich eine Anlage für die sichere Durchführung von Transaktionen zwischen informationsverarbeitenden Systemen zu verwenden oder zur Verfügung zu stellen und/oder bei derartigen Handlungen mitzuwirken. Darüber hinaus stellte sie noch ein Eventualbegehren (vgl Schriftsatz der Klägerin vom 5.5.2021).

Die Klägerin sei Inhaberin des europäischen Patents EP 1 259 046 B1, welches in Österreich unter E 308 190 validiert sei und den Titel „Anlage für die sichere Durchführung von Transaktionen mittels mehrerer Authentifizierungscodes“ trage (im Folgenden „Klagepatent“).

Die Erst- und Drittbeklagte verletzten dieses Patent, weil die Authentifizierung über die Internet-Plattform der Beklagten sämtliche Merkmale des Anspruches 1 des Klagepatents erfülle.

Die Lehre des Klagepatents gemäß Anspruch 1 sei sowohl technisch als auch gewerblich anwendbar und falle nicht unter einen der Ausschlusstatbestände der Art 52-53 EPÜ. Der Gegenstand der Erfindung sei ausreichend offenbart, um für den Fachmann auf dem Gebiet der Informatik ausführbar zu sein. Schließlich sei das Klagepatent auch neu und erfinderisch.

Die Erst- und die Drittbeklagte bestritten die Patentrechtsverletzung und brachten zusammengefasst vor, dass der Authentifizierungsdienst (S*-Zahlungsplattform) zahlreiche Merkmale des Klagepatents nicht enthielte. Das Klagepatent sei darüber hinaus nichtig, weil die Erfindung weder neu noch erfinderisch sei. Sie sei darüber hinaus auch nicht ausführbar. Zudem überschreite das Klagepatent die Offenbarung der ursprünglich eingereichten Anmeldeunterlagen.

Mit Schriftsatz vom 23.3.2021 zog die Klägerin die Klage unter Anspruchsverzicht gegen die Zweitbeklagte zurück. Weiters nahm sie den Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung gegenüber der Zweitbeklagten zurück. Im Provisorialverfahren stehen der Klägerin daher nur mehr die Erst- und Drittbeklagte gegenüber.

Mit dem angefochtenen Beschluss verpflichtete das Erstgericht die Klägerin zum Kostenersatz und zwar gegenüber der Erstbeklagten in Höhe von EUR 1.382,92 und gegenüber der Drittbeklagten in Höhe von EUR 1.234,50.

Rechtlich folgerte das Erstgericht, dass die Klägerin in sinngemäßer Anwendung des § 237 Abs 3 ZPO zum Kostenersatz an die genannten Beklagten zu verpflichten sei.

Gegen diese Entscheidung richten sich die Rekurse der Klägerin, der Erstbeklagten und der Drittbeklagten jeweils aus dem Rekursgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung.

Die Klägerin beantragt, die Anträge der Beklagten auf Ersatz der Kosten des Provisorialverfahrens abzuweisen und den Kostenersatz der Klägerin im Provisorialverfahren der Entscheidung im Hauptverfahren vorzubehalten.

Die Erstbeklagte beantragt, die Kostenentscheidung dahingehend abzuändern, dass die ihr von der Klägerin zu ersetzenden Kosten des Provisorialverfahrens mit insgesamt EUR 15.732,79 bestimmt werden.

Die Drittbeklagte beantragt, den Kostenzuspruch dahingehend abzuändern, dass ihr statt EUR 1.234,50 Kosten in der Höhe von EUR 30.560,88 zugesprochen werden.

Die Erst- und Drittbeklagte beantragten, dem Rekurs der Klägerin keine Folge zu geben. Die Klägerin beantragte, den Rekursen der Erst- und Drittbeklagten nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs der Klägerin ist berechtigt.

1.1. Im Fall der Klageeinschränkung auf Kosten liegt ein formales Unterliegen des Klägers vor, da das Fallenlassen des Hauptbegehrens nur als Klagsrücknahme iSd § 237 ZPO angesehen werden kann ( M. Bydlinski in Fasching / Konecny ³ § 45 ZPO Rz 17). Im Hinblick auf den für die Kostenentscheidung maßgeblichen Prozesserfolg ist zu fragen, aus welchen Gründen eingeschränkt wurde. Sind die Gründe der Klageeinschränkung solche, die einem Obsiegen gleichkommen, wird der Beklagte voll ersatzpflichtig; kommt die Einschränkung hingegen einer Aufgabe des Klageanspruchs gleich, gilt der Kläger in diesem Umfang als unterlegen ( Obermaier , Kostenhandbuch 3 Rz 1.160 mwN). Es ist zu fragen, welche Partei bisher zu Unrecht prozessiert und damit die Verfahrenskosten verursacht hat ( M. Bydlinski aaO § 45 Rz 17).

Als obsiegend ist der Kläger immer dann anzusehen, wenn sein Anspruch während des Prozesses aufgrund eines Umstands untergeht, der nicht seiner Sphäre zugeordnet werden kann, insbesondere wenn die Erledigung in der Hauptsache auf Dispositionen des Beklagten, beispielsweise Erfüllung, beruht ( M. Bydlinski aaO § 45 Rz 17; Obermaier aaO Rz 1.160; vgl 6 Ob 339/00x; 1 Ob 205/06p).

Gibt der Kläger für die Einschränkung keinen Grund an, gilt er als unterlegen, weil er iSd § 54 Abs 1 ZPO die Gründe zu bescheinigen hat, aus denen er entgegen einer allgemeinen Norm (§§ 41, 43 ZPO) Kostenersatz begehrt ( Obermaier aaO Rz 129).

1.2. Nach Ansicht des Rekursgerichtes ist auch im Sicherungsverfahren eine Antragseinschränkung auf Kosten möglich ( König , Einstweilige Verfügungen 5 6/129; OLG Wien 133 R 77/19z nv [4 Ob 149/19v]; OLG Wien 2 R 14/17v = MR 2017, 217). Die Kostenentscheidung hängt dann von der ursprünglichen Berechtigung des Sicherungsbegehrens ab ( M. Bydlinski aaO Rz 17; OLG Wien 133 R 77/19z).

2.1. Der Inhalt einer Prozesserklärung ist nach objektiven Maßstäben zu beurteilen und nicht nach den Auslegungsregeln für Privatrechtsgeschäfte. Es kommt nicht auf den tatsächlichen Willen der erklärenden Partei an, sondern ausschließlich darauf, wie die Erklärung unter Berücksichtigung der konkreten gesetzlichen Regelung, des Prozesszwecks und der dem Gericht und dem Gegner bekannten Prozess- und Aktenlage objektiv verstanden werden muss (RS0017881; RS0037416).

2.2. Mit Schriftsatz vom 22.4.2022 (ON 55) brachte die Klägerin vor:

„1. In Hinblick auf den Ablauf der maximalen Schutzdauer des Klagepatentes am 22.4.2022 (siehe Beilage ./B) zieht die klagende Partei den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurück.

2. Im Übrigen wird der Antrag gestellt, der klagenden Partei nicht den Kostenersatz im Provisorialverfahren aufzutragen, sondern den Kostenersatz der klagenden Partei im Provisorialverfahren der Kostenentscheidung im Hauptverfahren vorzubehalten.

Zum Zeitpunkt der Antragstellung war der Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung berechtigt; die Sachlage hat sich erst (weit) nach Antragstellung durch Ablauf der maximalen Schutzdauer des Patents geändert, weshalb der klagenden Partei die Kosten des Provisorialverfahrens zu ersetzen sind (OLG Wien ÖBl 1976, 167 – Musikcassetten).“

2.3. Mit diesem Vorbringen hat die Klägerin zum Ausdruck gebracht, dass sie den Antrag auf Erlassung einer Einstweiligen Verfügung nur deshalb zurückgenommen hat, weil die Schutzdauer des Klagepatents abgelaufen ist. Sie begehrt aber weiterhin den Ersatz der Kosten des Provisorialverfahrens („[der Klägerin] nicht den Kostenersatz im Provisorialverfahren aufzutragen, sondern den Kostenersatz der klagenden Partei im Provisorialverfahren der Kostenentscheidung im Hauptverfahren vorzubehalten“), sodass bei objektiver Auslegung von einer Antragseinschränkung auf Kosten auszugehen ist.

Die Klägerin schränkte mit Schriftsatz vom 22.4.2022 auch im Hauptverfahren den hier interessierenden Unterlassungsanspruch auf Kosten ein. Auch hier stützte sie die Einschränkung des Begehrens auf den Ablauf der Schutzdauer des Klagepatents.

3. Die Frage des Ersatzes der Kosten des Provisorialverfahrens ist im Gesetz sehr undeutlich und mangelhaft geregelt. Aus § 393 Abs 1 EO ist zu schließen, dass die gefährdete Partei jedenfalls zunächst auch im Falle ihres Erfolgs keinen Kostenzuspruch erhält. Sie hat also ihre Kosten vorläufig selbst zu tragen. Obsiegt die gefährdete Partei sodann im Hauptverfahren, dann hat sie Anspruch auf Ersatz auch der Kosten des (erfolgreichen) Provisorialverfahrens. Unterliegt die gefährdete Partei im Provisorialverfahren, steht ihr endgültig kein Kostenersatz zu, auch wenn sie im Hauptverfahren obsiegt ( Kodek in Angst / Oberhammer , EO 3 § 393 EO Rz 1 ff).

4.1. Das Erstgericht wird daher im weiteren Verfahren zur (ursprünglichen) Berechtigung des Sicherungsantrags als Vorfrage für den Kostenersatz die erforderlichen Feststellungen zu treffen haben, auf deren Grundlage in der Folge eine Entscheidung getroffen werden kann, ob die klagende Partei im Provisorialverfahren als obsiegend anzusehen ist ( Fucik in Rechberger ZPO³ § 41 Rz 3 mwN).

4.2. Die Ansicht der Erstbeklagte, dass der Wegfall des Schutzrechts des Klagepatents vor der Entscheidung über den Sicherungsantrag allein in die Risikosphäre der Klägerin falle und diese daher als im Sicherungsverfahren unterliegend anzusehen sei, teilt das Rekursgericht nicht.

Im vorliegenden Fall hatte die Klägerin den Sicherungsantrag nahezu zweieinhalb Jahre vor Ablauf des Schutzes des Klagepatents gestellt. Mit Schriftsatz vom 23.3.2021 ergänzte die Klägerin ihr Sicherungsbegehren und mit Schriftsatz vom 5.5.2021 stellte die Klägerin ein Eventualbegehren. Wenn daher die Klägerin im April 2022 das Antragsbegehren einschränken musste, weil der Schutz des Klagepatents mit diesem Tag endete, das Erstgericht aber bis dahin keine Entscheidung über den Sicherungsantrag getroffen hat, ist dieser Umstand nicht mehr derart der Sphäre der Klägerin zuzurechnen, dass sie dadurch kostenersatzpflichtig würde.

5. Die Erst- und Drittbeklagte werden mit ihren Kostenrekursen auf die aufhebende Entscheidung verwiesen. Im vorliegenden Fall steht noch nicht fest, ob die Klägerin im Provisorialverfahren unterlegen ist und sie daher zum Kostenersatz an die Beklagten zu verpflichten ist.

6. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.