JudikaturJustiz2Ob88/20k

2Ob88/20k – OGH Entscheidung

Entscheidung
25. Februar 2021

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Veith als Vorsitzenden und den Hofrat Dr. Musger, die Hofrätin Dr. Solé sowie die Hofräte Dr. Nowotny und Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei H***** K*****, vertreten durch Holter Wildfellner Rechtsanwälte GmbH in Grieskirchen, gegen die beklagten Parteien 1. R***** H*****, 2. G***** Gesellschaft mbH, *****, und 3. G***** Versicherung AG, *****, sämtliche vertreten durch Aigner Fischer Stranzinger Rechtsanwaltspartnerschaft in Hohenzell, wegen 135.995,65 EUR sA und Feststellung (Streitwert 10.000 EUR), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Teilurteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 11. März 2020, GZ 2 R 21/20a 91, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung:

[1] Der Kläger kollidierte als Motorradfahrer mit dem nach links in eine Zufahrtstraße einbiegenden, vom Erstbeklagten gelenkten, von der Zweitbeklagten gehaltenen und bei der Drittbeklagten haftpflichtversicherten PKW, den er unter Missachtung einer bis vor die Zufahrt reichenden Sperrlinie mit einer Geschwindigkeit von 55 km/h (statt der erlaubten 50 km/h) überholen wollte. Ob die Sperrlinie „aufrecht verordnet“ war, vermochte das Erstgericht nicht festzustellen. Der Erstbeklagte hatte sich vor dem Einbiegen weder zur Fahrbahnmitte hin eingeordnet noch den Nachfolgeverkehr beobachtet. Ob er den linken Blinker gesetzt hatte, konnte nicht festgestellt werden. Die Einmündung der Zufahrtstraße liegt unmittelbar vor einem stillgelegten Bahnübergang.

[2] Der Kläger zog sich bei dem Unfall schwere Verletzungen zu. Aus diesem Grund konnte er seinen Bekannten und seinem Neffen nicht mehr – im Gegenzug für eine ihm bereits vor dem Unfall geleistete gleichartige Unterstützung – bei deren Hausbau helfen, wie dies im Bekanntenkreis des Klägers üblich ist. Er begehrt in diesem Zusammenhang wegen der Beeinträchtigung seiner Arbeitskraft den Ersatz eines Verdienstentgangs.

[3] Das Erstgericht entschied, dass den Erstbeklagten das Alleinverschulden an dem Unfall treffe und sprach dem Kläger auch den begehrten Verdienstentgang zu.

[4] Das Berufungsgericht gelangte hingegen zu einem gleichteiligen Verschulden der Fahrzeuglenker und hielt den Anspruch auf Verdienstentgang nicht für berechtigt. Es liege insoweit kein ersatzfähiger Schaden des Klägers vor.

[5] Die dagegen gerichtete außerordentliche Revision des Klägers zeigt keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf:

Rechtliche Beurteilung

[6] 1. Auf die Geltung aufgestellter Verkehrszeichen muss sich jedermann grundsätzlich verlassen können (2 Ob 38/11v; RS0075190). Die Verkehrsteilnehmer müssen damit rechnen, dass sich andere Verkehrsteilnehmer den Verkehrszeichen entsprechend verhalten werden, sofern ein dem gebotenen Verhalten entsprechendes Recht eines anderen Verkehrsteilnehmers zum Ausdruck kommt und der andere Verkehrsteilnehmer auch Grund zur Annahme hat, es stehe ihm ein derartiges Recht zu (2 Ob 38/11v; 2 Ob 27/04s; RS0075190 [T7]). Die Grundsätze, nach denen ein ohne Deckung durch eine Verordnung aufgestelltes – daher an sich ungültiges – Verkehrszeichen aus Gründen der Verkehrssicherheit dennoch zu beachten ist, gelten auch für Fälle, in denen eine Kundmachung durch Bodenmarkierung (statt durch ein Verkehrszeichen) ohne vorausgegangene behördliche Willensbildung erfolgte (2 Ob 38/11v; 2 Ob 187/09b; RS0075190 [T8]).

[7] Der Schutzzweck des § 9 Abs 1 StVO erfasst auch erlaubterweise nach links abbiegende Fahrzeuge (2 Ob 17/14k). Es wurde bereits ausgesprochen, dass eine Sperrlinie auch dem Schutz der vor einem Bahnübergang nach links einbiegenden Fahrzeuglenker dient (2 Ob 145/73 ZVR 1974/267). Aus den Feststellungen geht nicht hervor, dass diese Bodenmarkierung für den Kläger nicht erkennbar gewesen wäre.

[8] Mit seiner Beurteilung, dem Kläger falle daher auch ohne feststellbare Deckung der Sperrlinie durch eine Verordnung ein Verstoß gegen § 9 Abs 1 StVO zur Last, ist das Berufungsgericht von den erörterten Rechtsprechungsgrundsätzen nicht abgewichen.

[9] 2. Auch das Ausmaß eines Mitverschuldens des Geschädigten kann wegen seiner Einzelfallbezogenheit nicht als erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO gewertet werden (RS0087606).

[10] Dass der Erstbeklagte in engem und nicht in weitem Bogen eingebogen sei und dabei ebenfalls die Sperrlinie überfahren habe, wurde in erster Instanz weder behauptet noch festgestellt, sodass auf diese unzulässige Neuerung nicht einzugehen ist. Dem Verbot des Überfahrens einer Sperrlinie nach § 9 Abs 1 StVO kommt für die Verkehrssicherheit besondere Bedeutung zu (RS0058304 [T5]). Selbst unter Außerachtlassung der geringen Geschwindigkeitsübertretung des Klägers hält sich daher die vom Berufungsgericht vorgenommene Verschuldensteilung im Verhältnis von 1 : 1 im Rahmen der Rechtsprechung zu ähnlich gelagerten Fällen und ist somit nicht korrekturbedürftig (vgl 2 Ob 17/14k).

[11] 3. Der Schaden infolge eines Verdienstentgangs entsteht üblicherweise bereits durch den Verlust oder die Beeinträchtigung der Arbeitskraft in allen Bereichen, in denen der Verletzte nach dem – von ihm zu behauptenden und zu beweisenden – gewöhnlichen Lauf der Dinge seine Arbeitskraft ohne den Unfall und dessen Folgen eingesetzt hätte (1 Ob 261/02t; RS0108904). Nach der Rechtsprechung gehört zum Verdienst, dessen Entgang ein Verletzter ansprechen kann, auch die „reine Arbeitsleistung“, die beim geplanten Bau eines (eigenen) Hauses erbracht wird, weil Verdienstentgang für jede Tätigkeit zu gewähren ist, durch die der Verletzte für sich selbst Vermögen schafft (RS0030675). Ein solcher Ersatzanspruch wurde anerkannt, wenn der Verletzte den von ihm beabsichtigten Wertanteil durch eigene Tätigkeit nicht schaffen konnte und er selbst dadurch einen Vermögensnachteil erlitt, weil es zur Verzögerung oder Verteuerung der Bauführung kam oder er eine Ersatzkraft beschäftigen musste (6 Ob 75/08k; 2 Ob 56/95).

[12] Im vorliegenden Fall konnte der Kläger seinen Bekannten sowie seinem Neffen nicht mehr bei deren Hausbau helfen. Er räumt selbst ein, dass er ihnen keinen Ersatz zu leisten hat. Besondere Umstände, die doch einen Vermögensnachteil für den Kläger zur Folge haben könnten, hat er nicht behauptet. Das Berufungsgericht hat somit in Übereinstimmung mit der erörterten Rechtsprechung entschieden, wenn es die Ansicht vertrat, ein ersatzfähiger Schaden des Klägers liege nicht vor.