JudikaturJustiz2Ob76/17s

2Ob76/17s – OGH Entscheidung

Entscheidung
20. Juni 2017

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Danzl als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Veith und Dr. Musger, die Hofrätin Dr. E. Solé und den Hofrat Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei V***** Ges.m.b.H., *****, vertreten durch Schenz Haider Rechtsanwälte OG in Mödling, und der auf Seiten der klagenden Partei beigetretenen Nebenintervenientin Ö***** Aktiengesellschaft, *****, vertreten durch Lansky, Ganzger partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei R***** GmbH, *****, vertreten durch B S Böhmdorfer Schender Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 103.849,65 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 24. Jänner 2017, GZ 3 R 179/16t 18, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Zwischenurteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 5. August 2016, GZ 35 Cg 31/16b 12, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei und der Nebenintervenientin die jeweils mit 2.380,14 EUR bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung (darin jeweils 396,69 EUR Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Beklagte ist ein Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU), die auf Seiten der Klägerin beigetretene Nebenintervenientin ein Eisenbahninfrastrukturunternehmen (EIU). Gegenstand des Verfahrens ist ein Unfall, der sich am 27. März 2013 auf der Infrastruktur der Nebenintervenientin ereignete. Ein von der Beklagten geführter Güterzug, der sich im internationalen Verkehr befand, stieß in einem Bahnhofsbereich auf einen am Gleis abgestellten Gleismesswagen. Ursache war (zumindest auch) ein schuldhaftes Verhalten eines bei der Nebenintervenientin beschäftigten Fahrdienstleiters, der dem Güterzug die Genehmigung zur Einfahrt in den Bahnhofsbereich erteilt hatte, ohne die vorgeschriebene Fahrstraßenprüfung durchgeführt zu haben.

Beim Unfall wurden 18 Wagen des Güterzugs beschädigt. Davon standen 14 im Eigentum einer deutschen Gesellschaft, als Halterin war jedoch im European Standard National Vehicle Register die Klägerin eingetragen. Bei den vier weiteren Wagen war die deutsche Gesellschaft selbst als Halterin eingetragen; sie hat ihre Ansprüche der Klägerin abgetreten. Die Wagen waren einer ungarischen Gesellschaft (der Empfängerin des beförderten Gutes) vermietet und der Beklagten als Beförderungsmittel überlassen.

Die Streitteile waren Vertragspartner des Allgemeinen Vertrages für die Verwendung von Güterwagen (AVV) mit Stand 1. Jänner 2013. Dieser Vertrag enthielt folgende für das Verfahren relevante Bestimmungen:

„Artikel 1: Gegenstand

1.1 Dieser Vertrag einschließlich seiner Anlagen regelt die Bedingungen der Überlassung von Güterwagen zur Verwendung als Beförderungsmittel durch EVU in nationalen und internationalen Eisenbahngüterverkehren in dem Anwendungsbereich des geltenden COTIF.

Die kommerziellen Bedingungen der Wagenverwendung sind nicht Gegenstand dieses Vertrages.

1.2 Die Bestimmungen dieses Vertrages gelten zwischen Haltern von Wagen und EVU als Wagenverwendern.

1.3 Die Verwendung umfasst den Lastlauf und den Leerlauf sowie die Fälle, in denen sich der Wagen im Gewahrsam eines vertraglichen EVU befindet.

1.4 Die Verwendung und der Gewahrsam beginnen mit der Übernahme des Wagens durch das EVU und enden mit der Übergabe des Wagens an den Halter oder an einen sonstigen Berechtigten, zB ein anderes vertragliches EVU, einen vertraglichen Empfänger des beförderten Gutes oder an einen zur Entgegennahme des Wagens berechtigten Gleisanschließer.

Artikel 2: Anwendungsbereich

2.1 Der Vertrag geht im internationalen Eisenbahnverkehr den Einheitlichen Rechtsvorschriften CUV (Anhang D zum COTIF 1999) und in nationalen Eisenbahnverkehren den gegebenenfalls anwendbaren nationalen Vorschriften vor, soweit dies jeweils zulässig ist.

2.3 Die Bestimmungen dieses multilateralen Vertrages gelten zwischen den Vertragsparteien, soweit sie untereinander nichts anderes vereinbart haben.

Kapitel V

Haftung bei Verlust oder Beschädigung eines Wagens

Artikel 22: Haftung des verwendenden EVU

22.1 Das EVU, in dessen Gewahrsam sich ein Wagen befindet, haftet dem Halter für den Schaden, der durch Verlust oder Beschädigung des Wagens oder seiner Bestandteile entstanden ist, sofern es nicht beweist, dass der Schaden nicht durch sein Verschulden verursacht worden ist.

22.2 Ein Verschulden des EVU liegt insbesondere dann nicht vor, wenn es beweist, dass einer der folgenden Gründe gegeben ist:

Umstände, welche das EVU nicht vermeiden und deren Folgen es nicht abwenden konnte

Verschulden eines Dritten

mangelnde Instandhaltung durch den Halter, wenn das EVU nachweist, dass es den Wagen fehlerlos betrieben und überwacht hat

Verschulden des Halters.

Bei Mitverschulden des EVU wird der Schaden von den Verantwortlichen gemäß ihrem jeweiligen Anteil an der Schadensentstehung getragen.

Kapitel VII

Haftung für Bedienstete und andere Personen

Artikel 28: Haftungsprinzip

Die Vertragsparteien haften für ihre Bediensteten und für andere Personen, deren die sich zur Erfüllung des Vertrages bedienen, soweit diese Bediensteten oder anderen Personen in Ausübung ihrer Verrichtungen handeln.

Artikel 33: Verjährung:

33.1 Ansprüche nach Kapitel III verjähren in einem Jahr. Ansprüche nach den Kapiteln V und VI verjähren in drei Jahren.

[...]“

Die Anlage 2 zum AVV definierte den Begriff des Halters wie folgt:

„WAGENHALTER oder HALTER bezeichnet die natürliche oder juristische Person, die als Eigentümer oder Verfügungsberechtigter einen Wagen als Beförderungsmittel nutzt und als Halter des Wagens in dem zuständigen offiziellen Fahrzeugregister eingetragen ist, oder, wenn der Wagen nicht in dem zuständigen offiziellen Fahrzeugregister registriert ist oder ein solches Register nicht existiert, die natürliche oder juristische Person, die dem AVV-Büro gegenüber erklärt hat, Halter des Wagens zu sein.“

Die Klägerin begehrt 103.849,65 EUR samt Zinsen. Dabei handle es sich um den näher aufgegliederten Schaden aufgrund der Beschädigung der 18 Wagen (Reparaturkosten, Nutzungsausfall, Wertverlust der Fahrsätze). Sie selbst sei Halterin von 14 Wagen, für die weiteren vier Wagen habe ihr die Halterin die Ersatzansprüche abgetreten. Die Unfallursache liege einerseits im Verschulden des Fahrdienstleiters, andererseits aber auch darin, dass der Lokführer den Bremsvorgang zu spät eingeleitet habe. Das Verschulden beider sei nach dem AVV und den CUV der Beklagten zuzurechnen. Die Ansprüche seien nicht verjährt.

Die Nebenintervenientin brachte ergänzend vor, dass nach dem AVV ein vertraglicher Anspruch der Klägerin gegenüber der Beklagten bestehe. Sie selbst hafte nicht.

Die Beklagte wendet ein, dass sie mit der Klägerin in keiner vertraglichen Beziehung stehe, da sie den Transport im Auftrag einer Spedition durchgeführt habe, wobei Empfänger des Gutes jene ungarische Gesellschaft gewesen sei, die Wagen gemietet hatte. Wegen dieser Vermietung seien die Klägerin und die deutsche Gesellschaft nicht Halter der Wagen gewesen; sie seien daher nach dem AVV und den CUV nicht aktiv legitimiert. Für einen deliktischen Schadenersatzanspruch reiche zudem eine bloße Verfügungsberechtigung nicht aus, vielmehr sei in diesem Fall Eigentum erforderlich. Das alleinige Verschulden liege beim Fahrdienstleiter der Nebenintervenientin und somit bei einem Dritten, sodass nach den Regelungen des AVV keine Haftung bestehe. Zudem sei die Forderung verjährt, da nach Art 33.1 AVV die hier geltend gemachten Ansprüche nach einem Jahr verjährten.

Das Erstgericht sprach mit Zwischenurteil aus, dass das Klagebegehren dem Grunde nach zu Recht bestehe. Die Haftung sei nach dem zwischen den Parteien anwendbaren AVV zu beurteilen. Die Klägerin bzw das deutsche Unternehmen seien Halter der beschädigten Wagen gewesen. Eine Vermietung führe nicht zum Übergang der Verfügungsberechtigung und damit der Haltereigenschaft auf den Mieter, solange der Vermieter noch im Register eingetragen sei. Mangels expliziter Regelung in dem AVV, ob ein EIU unter Art 28 AVV zu subsumieren sei, sei subsidiär Art 9 § 2 CUV anzuwenden, wonach die Betreiber der Eisenbahninfrastruktur, auf der das Eisenbahnunternehmen den Wagen als Beförderungsmittel verwende, als Personen gälten, deren sich das Eisenbahnverkehrsunternehmen bediene. Daher sei das Verschulden des Fahrdienstleiters der Beklagten zuzurechnen. Da die Klageforderung auf Kapitel V des AVV beruhe, gelte die dreijährige Verjährungsfrist. Der Anspruch sei daher nicht verjährt.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und ließ die ordentliche Revision zu.

Haftungsgrundlage sei der AVV, dem sowohl die Klägerin als auch die Beklagte angehörten. Die Klägerin bzw das deutsche Unternehmen seien Halter der beschädigten Wagen gewesen. Der Begriff des „Halters“ sei in das Übereinkommen über den internationalen Eisenbahnverkehr (COTIF 1999) eingeführt worden, um eine einheitliche rechtliche Zuordnung von Eisenbahnfahrzeugen zu einer bestimmten Person vornehmen zu können. Entscheidend sei die dauerhafte wirtschaftliche Nutzung, die im alleinigen Zugriffs- und Dispositionsrecht des Halters zum Ausdruck komme. Um Rechtssicherheit – auch in Bezug auf die Pflichten des Halters – zu gewährleisten, werde der Halter im Fahrzeugregister eingetragen. Wenn bei einer längeren Gebrauchsüberlassung die Haltereigenschaft trotz gleich bleibender Registrierung auf den Mieter überginge, entstünde eine unklare Situation. Dies wäre mit dem Zweck des AVV nicht vereinbar. Aufgrund der Haftung nach dem AVV seien die konkreten Vertragsverhältnisse zwischen Wagenhalter, Mieter und EVU unerheblich. Nach Art 9 § 1 CUV hafteten die Vertragsparteien für ihre Bediensteten und für andere Personen, deren sie sich zur Erfüllung des Vertrages bedienen, soweit diese Bediensteten und anderen Personen in Ausübung ihrer Verrichtungen handeln. Nach Art 9 § 2 CUV gelte das EIU, auf dessen Infrastruktur ein EVU einen Wagen verwende, als Person, derer sich das EVU bedient. Da der AVV keine abweichende Vereinbarung enthalte, bleibe diese Bestimmung auch bei Geltung des AVV anwendbar. Das EVU hafte daher für das Verschulden des Fahrdienstleiters. Da es sich um einen Schadenersatzanspruch nach Kapitel V des AVV handle, betrage die Verjährungsfrist nach Art 33.1 AVV drei Jahre. Diese sei bei Klageerhebung noch nicht abgelaufen gewesen.

Die Revision sei zulässig, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung sowohl zur Haltereigenschaft nach dem AVV bei längerfristigen Vermietungen von Wagen als auch zur Haftung eines EVU für das Verschulden des EIU fehlte.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Beklagten . Sie strebt die Abweisung der Klage an, hilfsweise stellt sie einen Aufhebungsantrag. Maßgebend sei der Halterbegriff des EKHG. Auf dieser Grundlage habe die Klägerin (bzw das deutsche Unternehmen) durch die langfristige Vermietung der Wagen die Haltereigenschaft verloren, dies ungeachtet der aufrecht gebliebenen Registrierung. Zudem sei das Verschulden des bei der Nebenintervenientin beschäftigten Fahrdienstleisters nicht der Beklagten zuzurechnen. Die Nebenintervenientin sei Dritte iSv Art 22.2 AVV; der AVV enthalte insofern keine Lücke, die durch den Rückgriff auf die CUV gefüllt werden müsse.

Die Klägerin und die Nebenintervenientin beantragen, der Revision nicht Folge zu geben; nur die Nebenintervenientin überdies (und primär), sie zurückzuweisen. Inhaltlich verweisen sie auf die ihrer Ansicht nach zutreffende Begründung des Berufungsgerichts.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus dem ersten vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig , sie ist aber nicht berechtigt .

1. Die Klägerin gründet ihren Anspruch auf das Verschulden eines Mitarbeiters der Beklagten (Lokführer) und der Nebenintervenientin (Fahrdienstleiter). Mangels Vorbringens zu den Voraussetzungen des § 1315 ABGB könnte deren Verhalten der Beklagten nur bei Vorliegen einer Vertragsbeziehung zugerechnet werden. Diese Vertragsbeziehung müsste zwischen der Beklagten und der Klägerin bzw – in Bezug auf die vier Wagen, bezüglich derer die Klägerin abgetretene Ansprüche geltend macht – zwischen der Beklagten und der Zedentin bestanden haben.

2. Die Klägerin stützt ihren vertraglichen Anspruch auf die Einheitlichen Rechtsvorschriften für Verträge über die Verwendung von Wagen im internationalen Eisenbahnverkehr (CUV, Anhang D zum COTIF) iVm dem Allgemeinen Vertrag für die Verwendung von Güterwagen (AVV).

2.1. Die CUV regeln das Wagenverwendungsrecht zwischen demjenigen, der einen Wagen als Beförderungsmittel zur Verfügung stellt, insbesondere dem Halter des Wagens, und dem den Wagen verwendenden EVU (2 Ob 18/16k mwN). Dabei kann der über den Wagen Verfügungsberechtigte auch im Voraus einen mehrseitigen Wagenverwendungsvertrag mit anderen EVU schließen, die dann zur Verwendung des Wagens und zur Weitergabe untereinander berechtigt sind. Ein solcher Vertrag (Poolvertrag) ist der Allgemeine Vertrag für die Verwendung von Güterwagen (AVV) . Die am AVV beteiligten Wagenhalter stehen aufgrund dieses Vertrags in Vertragsbeziehung mit einer Vielzahl von daran ebenfalls beteiligten EVU ( Freise in MüKoHGB³ [2014] CUV Art 1 Rn 4, 6 und 7; 2 Ob 18/16k).

2.2. Der AVV regelt nach seinem Art 1.1 die „Bedingungen der Überlassung von Güterwagen zur Verwendung als Beförderungsmittel [...]“, insbesondere die Rechte und Pflichten des Halters (Kapitel II) und die Haftung für Schäden an und durch Wagen (Kapitel V und VI), nicht hingegen die „kommerziellen Bedingungen“ der Wagenverwendung. Überlässt daher ein Halter einen Wagen einem EVU und gehören sowohl der Halter als auch das EVU dem AVV an, so werden ihre Rechtsbeziehungen – abgesehen von den „kommerziellen Bedingungen“ – vom AVV geregelt, ohne dass es eines weiteren (besonderen) Vertrages bedarf. Das gilt auch dann, wenn bezüglich des Wagens ein Mietvertrag mit dem Versender (2 Ob 18/16k) oder – wie hier – mit dem Empfänger des beförderten Gutes geschlossen wurde und/oder wenn die Beförderung des Gutes mit dem Wagen aufgrund eines von einem Dritten mit dem EVU geschlossenen Beförderungsvertrags erfolgt. Denn diese Verträge regeln zwar unter Umständen die „kommerziellen Bedingungen“ der Wagenverwendung, weswegen sich aus ihnen (insbesondere) ergeben kann, dass das EVU dem Halter kein Entgelt für die Verwendung des Wagens zu leisten hat. Das ändert aber nichts daran, dass die sonstigen Rechte und Pflichten von Halter und EVU weiterhin nach dem AVV zu beurteilen sind.

2.3. An dieser Rechtslage ändert nichts, wenn die Wagen dem EVU faktisch von einem anderen Unternehmen als dem Halter (hier nach den Behauptungen der Beklagten vom Auftraggeber des Güterbeförderungsvertrags) überlassen wurden. Denn mangels gegenteiliger Indizien muss das EVU auch in diesem Fall annehmen, dass die Überlassung mit (allenfalls auch allgemein erteilter) Zustimmung des Halters erfolgte. Art 9.1. AVV sieht in diesem Zusammenhang vor, dass der Halter sein „Zugriffsrecht“ auf die Wagen auch durch „von ihm hierzu befugte Dritte“ ausüben kann. Das muss auch für das Überlassen der Wagen gelten. Auch in diesem Fall bestimmen sich daher Rechte und Pflichten von Halter und EVU nach dem AVV.

3. Die CUV und der AVV sind allerdings nur anzuwenden, wenn die Klägerin (bzw das deutsche Unternehmen, das ihr Ansprüche abgetreten hat) tatsächlich Halter der beschädigten Wagen und damit Vertragspartner der Beklagten war. Das trifft hier zu.

3.1. Nach Art 2 lit c CUV ist Halter diejenige natürliche oder juristische Person, die

„als Eigentümer oder sonst Verfügungsberechtigter einen Wagen dauerhaft als Beförderungsmittel wirtschaftlich nutzt.“

Diese Bestimmung stellt mit der dauerhaften wirtschaftlichen Nutzung allein auf tatsächliche Gegebenheiten ab. Nach den Materialien zum COTIF sollte dies dem Vorbild des Straßenverkehrsrechts entsprechen ( Freise in MüKoHGB³ Art 3 CUV Rn 5 mwN).

3.2. Während die CUV und der darauf aufbauende AVV von Anfang an zivilrechtliche Pflichten des Halters gegenüber dem EVU vorsahen, enthielt die RL 2004/49/EG über die Eisenbahnsicherheit zunächst keine vergleichbaren öffentlich rechtlichen Pflichten des Halters (2 Ob 15/16v). Diese wurden erst mit der RL 2008/110/EG in die RL 2004/49/EG eingefügt (Art 4 Abs 4 und Art 14a RL 2004/49/EG idF RL 2008/110/EG). Aus Anlass dieser Einfügung wurde in Art 3 lit s RL 2004/49/EG auch eine Definition des Begriffs „Halter“ aufgenommen, die zwar Ähnlichkeiten mit jener der CUV aufweist, aber auch die Eintragung in ein Wagenregister vorsieht:

„Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck:

[...]

s) 'Halter' die natürliche oder juristische Person, die als Eigentümer oder Verfügungsberechtigter ein Fahrzeug als Beförderungsmittel nutzt und als solcher im nationalen Einstellungsregister gemäß Artikel 33 der Richtlinie 2008/57/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 über die Interoperabilität des Eisenbahnsystems in der Gemeinschaft (Neufassung) […] registriert ist.“

In EG 4 RL 2008/110/EG wurde erläutert, dass sich die neue Definition an jene des COTIF (und damit insb der CUV) anlehne. Weiter heißt es:

„Zahlreiche Stellen können als Halter eines Fahrzeugs benannt werden, wie zum Beispiel: der Eigentümer, Unternehmen, die eine ganze Fahrzeugflotte für gewerbliche Zwecke nutzen, Unternehmen, die Fahrzeuge im Rahmen von Leasing-Verträgen einem Eisenbahnunternehmen zur Verfügung stellen, Eisenbahnunternehmen oder Infrastrukturbetreiber, die Fahrzeuge für die Instandhaltung ihrer Infrastruktur nutzen usw. Diese Stellen verfügen über das Fahrzeug im Hinblick auf seine Nutzung als Beförderungsmittel durch die Eisenbahnunternehmen und die Infrastrukturbetreiber. Um alle Zweifel auszuschließen, sollte der Halter im nationalen Fahrzeugregister gemäß Artikel 33 der Richtlinie über die Interoperabilität des Eisenbahnsystems eindeutig ausgewiesen werden.“

Entsprechende Formulierungen finden sich in EG 49 RL 2008/110/EG über die Interoperabilität. Aus diesen Erwägungsgründen ergibt sich die Auffassung des Europäischen Gesetzgebers, dass die im COTIF und seinen Anhängen (daher auch in den CUV) enthaltene Definition des Halters unter Umständen auf mehrere Unternehmen zutreffen könnte, wobei ausdrücklich auch Leasinggeber – also langfristige Vermieter von Wagen – als mögliche Halter genannt werden. Die Registrierung sollte in solchen Fällen Klarheit schaffen, welches von mehreren in Betracht kommenden Unternehmen als Halter die in der RL vorgesehenen Pflichten zu erfüllen hat. Die neue Definition wurde in weiterer Folge – zusammen mit Regelungen über die Pflichten des Halters – in das nationale Eisenbahnrecht übernommen (§ 116 Abs 1 EisbG idF BGBl I 2011/124; vgl dazu Catharin / Gürtlich , Eisenbahngesetz 3 [2015] 784 f). Die inzwischen erfolgte Neuregelung des Europäischen Eisenbahnrechts durch die RL (EU) 2016/797 (Interoperabilität) und die RL (EU) 2016/98 (Eisenbahnsicherheit) ist im gegebenen Zusammenhang irrelevant.

3.3. Die Vertragsparteien des AVV übernahmen mit Änderung A2009-2 des AVV die Definition des Unionsrechts in den AVV (Änderung abrufbar auf der Website des AVV-Büros, http://www.gcubureau.org/amendment-history). Auch diese Änderung hatte offenkundig den Zweck, Rechtssicherheit in Bezug auf die Person des Halters zu schaffen. Das war trotz der unverändert gebliebenen Definition in den CUV möglich. Denn die haftungsrechtlichen Bestimmungen der CUV knüpfen nicht am Halterbegriff an, sondern am vertraglichen Zurverfügungstellen von Güterwagen. Wer diesen Vertrag mit dem EVU schließt, bleibt in den CUV offen. Erst aus Art 1.2 AVV, wonach die Bestimmungen dieses Vertrages „zwischen Haltern von Wagen und EVU“ gelten, ergibt sich, dass Vertragspartner des EVU bei Anwendbarkeit des AVV der jeweilige „Halter“ des Wagens ist, wobei dieser Begriff wiederum im AVV selbst definiert wird.

3.4. Auf dieser Grundlage besteht kein Zweifel an der Haltereigenschaft der Klägerin.

(a) Aus der dargestellten Entstehungsgeschichte ist zunächst abzuleiten, dass der Halterbegriff des AVV gleich auszulegen ist wie jener des europäischen Eisenbahnrechts. Die ursprüngliche Anlehnung der Definition an die Regelungen über die Haftung für Kraftfahrzeuge tritt damit in den Hintergrund. Vielmehr ist der Zweck der Neuregelung zu beachten: Wenn aufgrund vertraglicher Konstruktionen Zweifel an der Person des Halters bestehen könnten, soll durch die Registrierung klargestellt werden, wen die öffentlich rechtlichen Halterpflichten treffen. Dabei geht der europäische Gesetzgeber durch die Bezugnahme auf Leasinggesellschaften in EG 4 RL 2008/110/EG offenkundig davon aus, dass auch ein Leasinggeber oder anderer langfristiger Vermieter – anders als im Kraftfahrrecht ( Schauer in Schwimann/Kodek 4 § 5 EKHG Rz 18 mwN; BGH VI ZR 108/81, BGHZ 87, 133) – als Halter angesehen werden kann. Entscheidend ist, dass er ungeachtet dieser Vermietung bereit ist, die eisenbahnrechtlichen Pflichten des Halters zu übernehmen, und dass er diese Bereitschaft durch seine Registrierung als Halter kundtut.

(b) Diese Erwägungen gelten in gleicher Weise für den Halterbegriff nach dem AVV. Entscheidend ist auch hier, welches grundsätzlich als Halter in Betracht kommende Unternehmen durch die Eintragung im Register nach außen klarstellt, dass es als Halter im Sinn des AVV aufzutreten gedenkt. In diese Richtung deutet auch die Formulierung von Freise (MüKoHGB³ Art 3 CUV Rn 5), dass sich die „großen Wagenvermietgesellschaften“ die Rechtsposition als Halter auch dann vorbehielten, wenn sie ihre Wagen langfristig an Güterversender vermieteten; ihre Haltereigenschaft gehe daher nicht auf den Wagenmieter über. Auch hier gilt daher zumindest in Grenzfällen – anders als im Kraftfahrrecht, dessen Halterbegriff allein an objektiven Kriterien anknüpft (RIS-Justiz RS0058149) – ein subjektives Konzept : Entscheidend ist, welches Unternehmen durch die Registrierung zu erkennen gibt, dass es die Pflichten des Halters übernimmt und (daher) auch als Halter den Wagen – unter Umständen mittelbar – aufgrund des AVV einem EVU überlässt.

(c) Daraus folgt im konkreten Fall, dass die Klägerin Halterin jener 14 Wagen war, für deren Beschädigung sie eigene Ansprüche geltend macht. Denn sie war als Halterin im Register eingetragen, und die Beklagte wendet insofern nur ein, dass die Klägerin die Wagen langfristig an die Empfängerin der Ware vermietet habe. Eine solche Vermietung führt aber, wie oben ausgeführt, bei aufrecht bleibender Registrierung nicht zum Verlust der Haltereigenschaft. Gründe, warum die Rechtslage bei jenen vier Wagen, die vom deutschen Unternehmen gehalten wurden, anders sein sollte, sind nicht erkennbar. Auch insofern ist daher von der Haltereigenschaft auszugehen.

4. Das Verschulden des bei der Nebenintervenientin beschäftigten Fahrdienstleiters ist der Beklagten zuzurechnen.

4.1. Nach Art 9 § 1 CUV haften die Parteien des Vertrages für ihre Bediensteten und für andere Personen, deren sie sich zur Erfüllung des Vertrages bedienen, soweit diese Bediensteten und anderen Personen in Ausübung ihrer Verrichtungen handeln. Der für den vorliegenden Fall relevante Art 9 § 2 lautet wie folgt:

„Haben die Parteien des Vertrages nichts anderes vereinbart, so gelten die Betreiber der Eisenbahninfrastruktur, auf der das Eisenbahnverkehrsunternehmen den Wagen als Beförderungsmittel verwendet, als Personen, deren sich das Eisenbahnverkehrsunternehmen bedient.“

4.2. Nach dieser Bestimmung ist das EIU Erfüllungsgehilfe des einen fremden Wagen verwendenden EVU. Damit sind auch die Bediensteten des EIU dem EVU zuzurechnen. Zwar können die Parteien – anders als nach Art 40 CIM – vertraglich von dieser Regelung abweichen. Der Senat hat aber bereits in der Entscheidung 2 Ob 18/16k dargelegt, dass der AVV keine insofern abweichende Vereinbarung enthält, sondern zur Rolle des EIU schweigt. Daher bleibt Art 9 § 2 CUV anwendbar (ebenso Freise in MüKoHGB³ [2014] CUV Art 9 Rn 3 f).

4.3. An dieser Auffassung ist festzuhalten: Art 28 AVV entspricht Art 9 § 1 CUV. Das EVU haftet daher auch nach dem AVV für Personen, deren es sich zur Erfüllung des Vertrages bedient. Welche Personen das sind, wird im AVV nicht geregelt. Damit bleibt es bei der (dispositiven) Bestimmung des Art 9 § 2 CUV, wonach das EIU als solche Person anzusehen ist. Anders als die Revision annimmt, geht es dabei methodisch nicht um das Füllen einer „Lücke“ des AVV. Die Anwendung von Art 9 § 2 CUV folgt vielmehr schlicht daraus, dass der AVV keine davon abweichende Regelung enthält.

4.4. Auf dieser Grundlage ist das EIU nicht Dritter iSv Art 22.2 AVV; der Entlastungsbeweis des EVU (Art 22.1 AVV) müsste sich daher auch auf die Mitarbeiter des EIU beziehen. Dieser Beweis ist der Beklagten wegen des unstrittigen Verschuldens des Fahrdienstleiters nicht gelungen.

5. Die Beklagte haftet daher nach den Art 22 ff AVV dem Grunde nach für den Schaden der Klägerin (14 Wagen) und des deutschen Halters (vier Wagen). Da Letzterer seine Ansprüche der Klägerin abgetreten hat, ist sie auch insofern zur Geltendmachung legitimiert. Der in der Revision aufrecht erhaltene Verjährungseinwand ist nicht nachvollziehbar: Die Haftung der Beklagten gründet sich auf Art 22 AVV. Diese Bestimmung befindet sich in Kapitel V AVV („Haftung bei Verlust oder Beschädigung eines Wagens“). Nach Art 33.1 AVV verjähren Ansprüche nach Kapitel V in drei Jahren, wobei die Frist nach Art 33.2 lit b AVV mit der Feststellung der Beschädigung beginnt. Da sich der Unfall am 27. März 2013 ereignete und die Klage am 22. März 2016 – also innerhalb von drei Jahren – eingebracht wurde, ist ein allfälliger Schadenersatzanspruch nicht verjährt.

6. Aus diesen Gründen ist das Zwischenurteil der Vorinstanzen zu bestätigen. Die diese Entscheidung tragenden Erwägungen können wie folgt zusammengefasst werden:

Bei aufrecht bleibender Registrierung des Eigentümers oder Verfügungsberechtigten als Halter eines Güterwagens führt die (auch dauerhafte) Vermietung dieses Wagens nicht zum Übergang der Haltereigenschaft auf den Mieter. Der Eigentümer oder Verfügungsberechtigte bleibt daher Halter im Sinn des AVV und damit Partei des Wagenverwendungsvertrags im Sinn von Art 1 CUV.

7. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

Rechtssätze
4