JudikaturJustiz2Ob42/14m

2Ob42/14m – OGH Entscheidung

Entscheidung
28. März 2014

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Solé, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Roch als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei C***** P*****, vertreten durch Dr. Heimo Lindner, Rechtsanwalt in Linz, gegen die beklagte Partei Verband der Versicherungsunternehmen Österreichs, Schwarzenbergplatz 7, 1030 Wien, vertreten durch Dr. Stefan Gloß und andere Rechtsanwälte in St. Pölten, wegen 7.857,02 EUR sA, über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts St. Pölten als Berufungsgericht vom 19. Dezember 2013, GZ 21 R 222/13z 21, womit die Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Bezirksgerichts Scheibbs vom 3. Juli 2013, GZ 2 C 372/13p 16, zurückgewiesen wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird ersatzlos aufgehoben und dem Berufungsgericht wird die Entscheidung über die Berufung der klagenden Partei unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.

Die Rekurskosten sind weitere Kosten des Berufungsverfahrens.

Text

Begründung:

Die klagende Partei begehrte nach einem Verkehrsunfall Schadenersatz in Höhe von 7.857,02 EUR sA. Die beklagte Partei bestritt dieses Begehren.

Das Erstgericht verkündete in der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung vom 3. 7. 2013 in Anwesenheit der Klägerin und der Parteienvertreter das auf Abweisung des Klagebegehrens lautende Urteil. Eine Anmeldung der Berufung unterblieb vorerst. Am 23. 7. 2013 wurde der Klägerin die Protokollsabschrift über diese Verhandlung zugestellt. Die Klägerin meldete am 30. 8. 2013 beim Erstgericht die Berufung an. Nach Zustellung der Urteilsausfertigung am 11. 9. 2013 erhob sie am 9. 10. 2013 Berufung, die sich gegen die Abweisung eines Teilbegehrens von 2.619 EUR sA richtet.

Das Berufungsgericht wies mit dem angefochtenen Beschluss die Berufungsanmeldung als verspätet und die Berufung als unzulässig zurück.

Es vertrat die Ansicht, bei der 14-tägigen Frist des § 461 Abs 2 ZPO für die Anmeldung der Berufung handle es sich um keine Notfrist im Sinne der eindeutigen Definition des § 128 Abs 1 ZPO. Danach seien Notfristen diejenigen Fristen, deren Verlängerung das Gesetz ausdrücklich untersage. Die Anmeldungsfrist des § 461 Abs 2 ZPO werde in dieser Bestimmung aber weder als Notfrist bezeichnet, noch gebe es einen Hinweis dafür, dass die Frist nicht verlängert werden könnte. Dies lasse keinen anderen Schluss zu, als dass der Gesetzgeber die Frist für die Berufungsanmeldung nicht als Notfrist ausgestalten habe wollen. Davon abweichende Literaturmeinungen seien durch den Gesetzeswortlaut nicht gedeckt. Daraus folge, dass die Anmeldungsfrist nicht der in § 222 Abs 1 ZPO nur für Notfristen vorgesehenen Hemmung unterliege. Die Klägerin hätte demnach die Berufung spätestens am 6. 8. 2013 anmelden müssen. Die erst am 30. 8. 2013 erfolgte Berufungsanmeldung sei verspätet, die Berufung selbst sei als unzulässig zurückzuweisen.

Gegen diesen Beschluss richtet sich der Rekurs der Klägerin mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und dem Berufungsgericht die inhaltliche Entscheidung über die Berufung aufzutragen.

Die beklagte Partei beantragt in ihrer Rekursbeantwortung, dem Rekurs nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist zulässig, weil gegen den Beschluss, mit dem das Berufungsgericht eine Berufung aus formellen Gründen zurückweist, gemäß § 519 Abs 1 Z 1 ZPO der Rekurs ohne Rücksicht auf den Wert des Entscheidungsgegenstands und auf das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO erhoben werden kann (RIS-Justiz RS0043893).

Der Rekurs ist auch berechtigt.

Die Klägerin verweist darauf, dass die Frist des § 461 Abs 2 ZPO nach „einhelliger Meinung“ als Notfrist angesehen werde. Auch in den Materialien zum Budgetbegleitgesetz 2011 werde darauf verwiesen, dass im Interesse des Anwaltsstandes die Rechtsmittelfristen gehemmt werden sollten, wie dies schon bisher der Fall gewesen sei.

Der Senat hat erwogen:

1. Gemäß § 461 Abs 2 ZPO kann gegen ein in Anwesenheit beider Parteien mündlich verkündetes Urteil (§ 414 ZPO) Berufung nur von einer Partei erhoben werden, die diese sofort nach der Verkündung des Urteils mündlich oder binnen 14 Tagen ab der Zustellung der Protokollsabschrift über jene Tagsatzung, in der das Urteil mündlich verkündet worden ist, in einem bei dem Prozessgericht erster Instanz überreichten Schriftsatz angemeldet hat. Wird in dieser Frist ein Antrag nach § 464 Abs 3 ZPO gestellt, so gilt er als Anmeldung der Berufung.

In § 468 Abs 1 zweiter Satz ZPO wird angeordnet, dass mangels rechtzeitiger Anmeldung der Berufung (§ 461 Abs 2 ZPO) unzulässige Berufungen ebenso wie verspätet erhobene Berufungen vom Prozessgericht erster Instanz zurückzuweisen sind.

2. Wie der Oberste Gerichtshof bereits klarstellte, liegt der Zweck dieser mit der Erweiterten Wertgrenzen-Novelle (WGN) 1989, BGBl 1989/43, zusammen mit § 417a ZPO („gekürzte Urteilsausfertigung“) eingeführten und durch die WGN 1997, BGBl I 1997/140, sowie das Budgetbegleitgesetz (BBG) 2011, BGBl I 2010/111, in die aktuelle Fassung gebrachten Bestimmungen in der Vereinfachung der Urteilsausfertigung für den Richter und der Erzielung des damit verbundenen Beschleunigungseffekts (4 Ob 135/03m; 1 Ob 266/06h). Aus den Gesetzesmaterialien ergibt sich ferner, dass die (damals so bezeichnete) „Ankündigungsfrist“ in der Frist für die Ausfertigung des Urteils (§ 414 Abs 3 ZPO) „Platz finden“ solle, sodass der Richter „bei rechtzeitiger Ankündigung der Berufung auch noch eine vollständige Urteilsausfertigung herstellen kann“. Es sollte also zwischen dem Ablauf dieser beiden Fristen eine hinreichende Zeitspanne für die Ausfertigung des Urteils bleiben (ErläutRV 888 BlgNR XVII. GP 21).

3. Gemäß § 128 Abs 1 erster Satz ZPO können ua gesetzliche Fristen, mit Ausnahme derjenigen, deren Verlängerung das Gesetz ausdrücklich untersagt (Notfristen), vom Gericht verlängert werden.

Die 14-tägige Frist zur Anmeldung der Berufung (§ 461 Abs 2 ZPO) ist eine gesetzliche Frist (§ 123 ZPO), von zahlreichen Autoren wird sie - allerdings ohne weitere Begründung - auch zu den Notfristen gezählt (vgl Gitschthaler in Rechberger , ZPO³ §§ 128 129 Rz 4; Buchegger in Fasching/Konecny ² § 128 Rz 2; Klauser/Kodek , JN-ZPO 17 § 128 Anm 1; Fucik in Fucik/Klauser/Kloiber , ZPO 11 Anm zu § 128; Liebhart/Herzog , Das Fristenhandbuch [2007] § 461 Abs 2 ZPO Anm 1). Dies ist keineswegs selbstverständlich, wird doch die Frist des § 461 Abs 2 ZPO, wie das Berufungsgericht insoweit richtig erkennt, in dieser gesetzlichen Bestimmung weder als Notfrist bezeichnet (vgl etwa § 468 Abs 2 ZPO), noch wird die Verlängerung dieser Frist „ausdrücklich“ untersagt (vgl etwa § 464 Abs 1 ZPO).

4. Diese Erkenntnis allein schließt jedoch die Beurteilung der Frist des § 461 Abs 2 ZPO als Notfrist noch nicht zwingend aus. Sich mit ihr zu begnügen bedeutete eine strikte Beschränkung auf die grammatikalische Interpretation, während andere Auslegungsmethoden, insbesondere die systematische Auslegung und die historisch-teleologische Auslegung, gänzlich unberücksichtigt blieben (zur Maßgeblichkeit der §§ 6 f ABGB vgl Fasching , Zur Auslegung der Zivilverfahrensgesetze, JBl 1990, 749 [751 ff]).

4.1 Wie Fasching in dem erwähnten Aufsatz (aaO 756) betonte, dienen die verfahrensrechtlichen Vorschriften über die Fristen nur teilweise der Sicherung und Ordnung des prozessualen Ablaufs, während sie zu einem großen Teil durch ihr Verstreichen neue prozessuale Lagen schaffen und damit dem Gegner auch eine bestimmte Rechtsposition einräumen, was vor allem durch die Einrichtung von Notfristen zum Ausdruck kommt.

4.2 Letzteres trifft zweifellos auf die Rechtsmittelfristen zu. Mit ihrem Verstreichen wird eine gerichtliche Entscheidung unanfechtbar, es tritt (zumindest) formelle Rechtskraft ein. Die Frist des § 461 Abs 2 ZPO ist zwar keine Rechtsmittelfrist, ihre Wahrung ist nicht Voraussetzung für die Rechtzeitigkeit eines Rechtsmittels, sondern für dessen Zulässigkeit. Die Konsequenz der Fristversäumung unterscheidet sich aber nicht von jener, die die Versäumung der Berufungsfrist des § 464 Abs 1 ZPO nach sich zieht: Ohne fristgerechte Anmeldung der Berufung ist das mündlich verkündete Urteil ebenfalls nicht mehr bekämpfbar, sodass es in Rechtskraft erwächst. Folgerichtig werden in § 468 Abs 1 zweiter Satz ZPO verspätet erhobene und wegen der Versäumung der Anmeldungsfrist unzulässige Berufungen gleich behandelt (vgl auch Brugger , Die erfolgreiche Berufung im Zivilprozess [2012] Rz 17: „Zweistufige Befristung“). In beiden Fällen ist auch § 522 Abs 1 ZPO anzuwenden, wonach das Gericht einem Rekurs gegen den Zurückweisungsbeschluss selbst stattgeben kann (vgl 3 Ob 151/08i).

4.3 Mit der strengen Sanktion der Unzulässigkeit der Berufung nach Verstreichen der Anmeldungsfrist, die was die Säumnisfolgen und die prozessuale Behandlung einer dennoch eingebrachten Berufung anlangt zu einer Gleichstellung mit der Berufungsfrist führt, hat der Gesetzgeber deutlich zum Ausdruck gebracht, dass eine Verlängerung der Anmeldungsfrist aufgrund eines Parteienantrags (§ 128 Abs 2 ZPO) nicht in Frage kommen kann.

Eine andere Auslegung könnte zu unsachgerechten Eingriffen in die Rechtsposition des Prozessgegners und damit zu erheblicher Rechtsunsicherheit führen. Dabei ist vor allem zu bedenken, dass über einen Fristverlängerungsantrag ohne vorhergehende mündliche Verhandlung und bei erstmaliger Verlängerung auch ohne Einvernahme des Prozessgegners entschieden werden kann (§ 128 Abs 3 ZPO). Die erste Fristverlängerung wäre auch nicht durch ein Rechtsmittel bekämpfbar, sofern die bewilligte Fristverlängerung die Dauer der ursprünglichen Frist nicht übersteigt (§ 141 ZPO).

Dazu kommt, dass der mit der Einführung der „gekürzten Urteilsausfertigung“ durch die WGN 1989 angestrebte Beschleunigungseffekt unterlaufen würde, wenn die kurz gehaltene gesetzliche Frist auf Antrag verlängert werden könnte.

5. Der erkennende Senat pflichtet aus den vorstehenden Erwägungen daher der herrschenden Meinung bei, dass es sich bei der Frist des § 461 Abs 2 ZPO um eine Notfrist handelt. Dies führt freilich dazu, dass auch diese Frist nach § 222 Abs 1 ZPO idF BBG 2011 in den dort angeführten Zeiträumen, also auch zwischen dem 15. Juli und dem 17. August, gehemmt ist. Fällt der Beginn einer solchen Notfrist in diesen Zeitraum, wird die Notfrist um den bei ihrem Beginn noch übrigen Teil dieses Zeitraums verlängert (2 Ob 172/13b mwN). Im vorliegenden Fall hat dies zur Folge, dass die Berufung fristgerecht angemeldet wurde. Da sie auch innerhalb der Berufungsfrist (§ 464 Abs 1 ZPO) eingebracht wurde, wird das Rechtsmittel inhaltlich zu behandeln sein.

6. Der angefochtene Beschluss ist daher ersatzlos aufzuheben und dem Berufungsgericht ist die Entscheidung über die Berufung aufzutragen.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.