JudikaturJustiz2Ob40/23f

2Ob40/23f – OGH Entscheidung

Entscheidung
20. April 2023

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Grohmann als Vorsitzende sowie die Hofräte Dr. Nowotny, Hon. Prof. PD Dr. Rassi, MMag. Sloboda und Dr. Kikinger als weitere Richter in der Verlassenschaftssache nach der am * 2020 verstorbenen E*, wegen Feststellung des Erbrechts zwischen den Antragstellerinnen 1. A*, vertreten durch Mag. Rudolf Augustin und andere, Rechtsanwälte in Stockerau, und 2. E*, vertreten durch Urbanek Rudolph Rechtsanwälte OG in St. Pölten, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Zweitantragstellerin gegen den Beschluss des Landesgerichts St. Pölten als Rekursgericht vom 11. Jänner 2023, GZ 23 R 422/22i, 23 R 423/22m 98, womit infolge Rekurses der Zweitantragstellerin der Beschluss des Bezirksgerichts Tulln vom 7. November 2022, GZ 11 A 265/20h 87, in der Hauptsache bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem außerordentlichen Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und dem Rekursgericht eine neuerliche Entscheidung über den Rekurs der Zweitantragstellerin aufgetragen.

Die Kosten des Revisionsrekursverfahrens sind weitere Kosten des Verfahrens über die Feststellung des Erbrechts.

Text

Begründung:

[1] Strittig ist im Revisionsrekursverfahren allein, ob die Erblasserin zum Zeitpunkt der Errichtung des eigenhändigen Testament s vom 2. Oktober 2018 , auf das sich die Erbantrittserklärung der Zweitantragstellerin stützt, (noch) testierfähig war.

[2] Das Erstgericht verneinte die Testierfähigkeit, stellte das Erbrecht der Erstantragstellerin aufgrund eines 2015 errichteten, unstrittig gültigen Testaments fest und wies die Erbantrittserklärung der Zweitantragstellerin ab. Es ging gestützt auf ein im Verfahren eingeholtes, jedoch trotz mehrfachen Antrags der Zweitantragstellerin nicht umfassend erörtertes Sachverständigengutachten auf Tatsachenebene davon aus, dass bei der Erblasserin im Zeitpunkt der Testamentserrichtung eine zumindest mittelgradige Demenz vorgelegen habe , die ihre freie Willensbildung massiv eingeschränkt habe. Sie habe in einer kindlich-naiven Weise agiert, ohne das Ausmaß ihres Handelns erfassen zu können.

[3] Das Rekursgericht gab einem Rekurs der Zweitantragstellerin in der Hauptsache nicht Folge. Es ließ einen von der Zweitantragstellerin im Rekurs gerügten Verfahrensmangel, wonach das Erstgericht trotz entsprechender Anträge die notwendige Erörterung des Sachverständigengutachtens unterlassen habe, in der Rekursentscheidung unbehandelt.

[4] Dagegen richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs der Zweitantragstellerin mit dem Antrag auf Abänderung im Sinn einer Feststellung der Erbrechts der Zweitantragstellerin; hilfsweise werden Aufhebungsanträge gestellt.

[5] Die Erstantragstellerin beantragt in der ihr freigestellten Revisionsrekursbeantwortung, den Revisionsrekurs mangels erheblicher Rechtsfrage zurückzuweisen, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[6] Der außerordentliche Revisionsrekurs ist zur Wahrung der Rechtssicherheit zulässig und im Sinn des hilfsweise gestellten Antrags auf Aufhebung und Zurückverweisung an das Rekursgericht auch berechtigt .

[7] 1. Zu Recht zeigt die Zweitantragstellerin einen Mangel des Rekursverfahrens gemäß § 66 Abs 1 Z 2 AußStrG auf, weil sich das Rekursgericht mit ihren Rekursausführungen zur Verfahrensrüge nur unvollständig auseinandergesetzt hat (1 Ob 37/16x mwN). Da das Rekursgericht jede Auseinandersetzung mit dem im Unterlassen der beantragten Gutachtenserörterung gelegenen (vgl Höllwerth in Gitschthaler/Höllwerth , AußStrG I² § 31 Rz 79 mwN) und im Rekurs gerügten Mangel des erstinstanzlichen Verfahrens unterlassen hat, leidet das Rekursverfahren selbst an einem Mangel.

[8] 2. Darüber hinaus zeigt die Zweitantragstellerin zutreffend auf, dass das Rekursgericht die Verneinung des Verfahrensmangels, der in der angeblichen Unschlüssigkeit des Gutachtens gelegen sein soll, auf einer teilweise aktenwidrigen Prämisse aufgebaut hat, indem es davon ausgegangen ist, der gerichtliche Sachverständige hätte die Erblasserin erstmals (im Rahmen seiner Tätigkeit als Facharzt) ungefähr im Zeitpunkt der Testamentserrichtung und nicht erst mehr als ein halbes Jahr später im April 2019 untersucht. Auch dieser Umstand führt zu einer im Revisionsrekurs gerügten Mangelhaftigkeit des Rekursverfahrens selbst (vgl RS0043086).

[9] 3. Da aufgrund der mangelhaften Erledigung der Verfahrensrüge durch das Rekursgericht noch keine gesicherte Tatsachengrundlage für die Beurteilung der Testierfähigkeit der Erblasserin vorliegt, wird sich das Rekursgericht neuerlich mit der Verfahrensrüge im Rekurs auseinanderzusetzen und diese umfassend und nachvollziehbar zu erledigen haben.

[10] 4. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 78 Abs 1 iVm § 185 AußStrG.